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Auf Charons Vorstellungen hatte Milford sich entschlossen, noch kurze Zeit Mitbewohner der Fährhütte zu bleiben; dann aber sollten Johnson und Jung-Biber ihn südwärts begleiten, wo Sparewood, die Vermessungen langsam weiterführend, seiner Rückkehr ungeduldig entgegensah. Molly hatte ihre Bitten mit denen Charons um längeres Bleiben weder vereinigt, noch auf den dahin zielenden Vorschlag Milfords unzweideutig zustimmend geantwortet. Aber in ihren Augen offenbarte sich, daß sie, von Zweifeln befangen, von seiner Anwesenheit mehr fürchtete, als hoffte.
Bei Charon, der sich von jeher durch stillen, träumerischen Ernst auszeichnete, fiel weniger auf, daß namenlose Unruhe an ihm zehrte. Wie auch immer in seiner Umgebung sich alles günstiger zu gestalten schien: der Gedanke an die verlorenen Briefschaften wollte nicht von ihm weichen.
Zwölf Stunden dauerte es nur noch, bis Milford mit den beiden bereits seiner harrenden jungen Indianern sich auf den Weg südlich begeben mußte. Der Abend war nicht mehr fern. In Mollys Begleitung hatte er dem getreuen Fakit einen letzten Besuch abgestattet.
»Wie gern weilte ich länger,« erklärte Milford, »allein die Pflicht gebietet. Morgen um diese Zeit muß ich fern sein.«
»Was könnte Sie hier auch fesseln?« fragte Molly mit herber Entschlossenheit; »etwa die Gelegenheit, zu beobachten, wie eine unglückliche Person bewußtlos, ähnlich einem ruhelos umherirrenden Geiste, zur Nachtzeit –?«
»Molly, teure Molly,« unterbrach Milford sie bestürzt, »was ziehen Sie wieder einen Umstand in unser Gespräch, den wir doch als begraben betrachten wollen? Aber statt mich einzuschüchtern, erleichtern Sie es mir, das vor Ihnen zu offenbaren, was mir schon bei meinem ersten Besuch auf den Lippen schwebte, daß meine Zuneigung zu Ihnen nicht die Frucht flüchtiger Bewunderung eines blendenden Äußeren, sondern tief in meinem Herzen gegründet ist. Und damals schon, noch bevor ich zum erstenmal Ihre grüßende Stimme hörte, war mir nicht fremd, was Sie über Gebühr als ein Unglück beklagen.«
Erschrocken kehrte Molly sich ihm zu.
»Schon damals wußten Sie es?« fragte sie, sichtbar nach Fassung ringend, »schon damals, daß ich eine –«
Milford neigte zustimmend das Haupt. Er wollte noch etwas hinzufügen, als Molly ihm zuvorkam.
»Wer verriet es Ihnen?« fragte sie leidenschaftlich.
»Niemand,« antwortete Milford besänftigend; »Jahre hätte ich hier weilen können, ohne darüber in Kenntnis gesetzt zu werden, so hoch achtete man Ihr Geheimnis. Dem Zufall allein verdanke ich meine Mitwissenschaft, dem Zufall, der – ich muß es jetzt einräumen – Sie in der Nacht vor meinem Eintreffen auf der Fähre in meiner Nähe vorüberführte.«
»Sie wußten und verheimlichten es,« erwiderte Molly beinah tonlos, »Sie verheimlichten die Scheu, die ich Ihnen einflößen mußte.«
»Keine Scheu, geliebte Freundin. Anfänglich erfüllte mich nur ernste Teilnahme. Damit ging Hand in Hand der Wunsch, daß Ihre heitere Sorglosigkeit nie getrübt werden möge. Im fortgesetzten Verkehr aber entstand das Sehnen, Sie überwachen, Sie behüten und beschirmen zu dürfen fort und fort bis an das Ende unserer Tage. Ich lernte Sie lieben in Ihrer Schönheit und Anmut, in Ihrer Unschuld und Treuherzigkeit.«
Er sah, wie Molly das Haupt tiefer neigte, Tränen über ihre Wangen rollten und ihre auf dem Schoß gefalteten Hände sich leise ineinander rangen. Noch inniger fuhr er fort:
»Teure, liebe Molly, darf ich zurückkehren, um Sie von Ihrem Beschützer als mein Eigentum zu fordern?«
Da richtete Molly sich langsam empor. Ihr liebliches Antlitz hatte sich wieder erschreckend entfärbt. Vorwurfsvoll heftete sie die großen, tränenfeuchten Augen auf die Milfords.
»Sie gehen zu weit in Ihrem Mitleid,« hob sie mit bebenden Lippen an, als Milford leidenschaftlich einfiel:
»Nicht Mitleid, teuerste Molly. Spotten Sie nicht der heiligsten Empfindungen, indem Sie ihnen eine derartige Eigenschaft beilegen.«
Molly lächelte schwermütig.
»Weshalb Bezeichnungen auf die Goldwage legen?« fragte sie sanft. »Für beides habe ich das gleiche Gefühl des innigsten Dankes; darüber hinauszugehen ist mir dagegen unmöglich gemacht. Das Übel, das die Natur mir mitgegeben hat, verbietet mir unweigerlich, mein Los mit dem eines anderen Menschen zu verflechten. Ich darf die Hand nicht dazu bieten, daß auch andere unter dem Verhängnis leiden, das mir unverdient aufgebürdet worden. Und deshalb, Herr Milford – verzeihen Sie, wenn ich hart, o, herzlos erscheine – wiederhole ich meine Bitte: Behalten Sie mich in freundlichem Andenken, aber lassen Sie mich wie eine Gestorbene in Ihrer Erinnerung fortleben. Kehren Sie nie wieder hierher zurück – nein, wollen Sie einen Beweis Ihrer freundlichen Gesinnungen liefern, so geben Sie diese Absicht endgültig auf.«
Milford starrte vor sich nieder. Er schien der Gegenwart entrückt zu sein, vergessen zu haben das holde Wesen an seiner Seite. Auch Molly verhielt sich regungslos. Die guten Augen mit einem unbeschreiblichen Ausdruck des Jammers auf den gebeugt Dasitzenden heftend, kämpfte sie gegen Tränen. Dann richtete sie sich ein wenig höher auf. Die Zweifel waren von ihren Zügen gewichen. Statt deren prägte sich in ihnen ein fester Wille aus, getragen von unendlicher Milde und Herzensgüte.
»Kommen Sie,« sprach sie sanft; »Vater Charon mag bereits nach uns ausschauen.«
Wie geistesabwesend sah Milford empor.
»Nur noch eine Minute,« bat er dringlich, »eine Minute um den Preis, daß, wenn ich von hier scheide, nicht die letzte Hoffnung hinter mir versinkt. Molly, teure Molly, wenn ich morgen das Lebewohl mit Ihnen wechsle, so sagen Sie nicht, daß es auf ewig sein soll. Bestimmen Sie eine Zeit, und gingen Jahre darüber hin, in der ich abermals mit einer Frage an Ihr Herz vor Sie hintreten darf. – Molly, Ihre Heilung liegt ja nicht außerhalb der Möglichkeit!«
»Was wäre dadurch gewonnen?« fragte Molly klagend, »der Stachel, den die besten Freunde gerade durch ihre zärtliche Fürsorge in meine Seele senkten, er würde dadurch nicht entfernt werden.«
»Sie zürnen mir wegen der vermessenen Worte, die ich aus überströmendem Herzen an Sie richtete,« versetzte Milford bedrückt; »aber wohlan, teuerste Molly, Sie können mich auf immer aus Ihrer Nähe verbannen und so weit fortweisen, daß nur noch meine Gedanken bis hierher reichen. Mir dagegen zu wehren, Ihr liebes, freundliches Bild mir fortgesetzt zu vergegenwärtigen, Ihr Andenken unablässig in meinem Herzen zu tragen, mich zu grämen und zu sorgen in der Erinnerung alles dessen, was ich hier erfuhr – nein, das vermögen Sie nicht.«
Tief atmete Molly.
»Ich kann nicht anders,« sagte sie in heißem Leide.
»Auch dann nicht, wenn Sie wissen, daß dadurch ein trüber Schatten auf mein ganzes Leben geworfen wird? Auch dann nicht, wenn ich heilig beteure, daß ich mit entschlafenen Hoffnungen vor Sie hintreten, ich es als eine Gunst des Himmels preisen will, mich nur von Ihrem Ergehen überzeugen zu dürfen?«
»Muß es denn sein?« fragte Molly erschüttert und ohne ihre Stellung zu verändern; soll ich durchaus, nachdem ich mich vielleicht ein wenig beruhigte, gewaltsam an alles gemahnt werden, was mich feindlich von den Mitmenschen scheidet? Nun ja – auch das noch will ich über mich ergehen lassen. Kommen Sie – kommen Sie unter der Bedingung, die Sie eben selbst aufstellten – und ich will mich bemühen –«
Die Stimme versagte ihr. Ihr Antlitz mit beiden Händen bedeckend, brach sie in heftiges Weinen aus.
Erschüttert sah Milford auf die junge Gestalt, die im Ringen nach Selbstbeherrschung sich krampfhaft wand. Sein Herz blutete; aber wie mit Himmelsgewalt zog es ihn hin zu ihr, der er nunmehr auf ewig entsagen sollte. Er nahm ihren Arm, und die Hände sanft von ihren Augen zurückziehend, begann er mit vor Wehmut zitternder Stimme: »Liebe Molly, fassen Sie sich. Ich konnte ja nicht ahnen, daß mein Verlangen Sie so gänzlich niederdrücken würde Fassen Sie sich und verzeihen Sie mir. Ich begreife Ihre Stimmung, ich ehre Ihre Beweggründe. Beruhigen Sie sich, und ich gelobe, fern zu bleiben –«
Mit einer heftigen Bewegung richtete Molly sich empor. Totenblässe bedeckte ihre Züge. Wie in namenlosem Erstaunen suchte sie Milfords Augen. Dann, wie auf der Flucht vor sie verfolgenden Phantomen, breitete sie die Arme aus, und seinen Nacken umschlingend, barg sie, aufs neue in Tränen ausbrechend, ihr Antlitz auf seiner Schulter.
»Kommen Sie – kommen Sie, wann Sie wollen,« entwand es sich kaum verständlich ihren Lippen. – –