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. . . An diesem Tage befanden sich nur drei Personen im grünen Salon des Clubs: die beiden Lebemänner Knocks und Brox, dazu ihr gemeinsamer Freund, der Chemiker Dr. Spiegelberg. Zwischen den erstgenannten kam es zu einem Wortwechsel wegen einer Tänzerin, die vermutlich beiden ewige Treue gelobt, aber nicht ganz wörtlich gehalten hatte. Eine delikate Angelegenheit, die sich im Hin und Her des Wortstreites bösartig zuspitzte. Beleidigungen flogen durch die Luft, die nur mit Blut abgewaschen werden konnten: und das Ende war der fürchterliche Beschluß: Ein Amerikanisches Duell sollte entscheiden, welcher der beiden Herren fürder durchs Leben wandeln durfte.
So ein Duell soll eigentlich ohne Zeugen erledigt werden. Man kam indeß überein, von diesem Brauch abzuweichen. Der Chemiker Dr. Spiegelberg wurde ersucht, als Unparteiischer zu walten und darauf zu achten, daß das sonstige Zeremoniell dieser unheimlichen Handlung genau eingehalten wurde.
– Kellner! Bringen Sie mal zwei Stück Zucker!
Da entstand die erste Schwierigkeit. Der Kellner erklärte, es gäbe nur Streuzucker im Hause, also eine Substanz, die bekanntlich zu einem amerikanischen Duell ganz und gar ungeeignet ist.
Der Unparteiische wußte Rat: »Ich wohne ja hier schräg gegenüber und habe das Erforderliche zu Hause, wenn die Herren nur zwei Minuten warten wollen, so bringe ich, was Sie brauchen.«
Bald war das Material zur Stelle. Der Unparteiische hatte sogar einen Revolver mitgebracht, damit der dramatische Abschluß der Szene unverzüglich erfolgen konnte.
Knocks und Brox nahmen einander gegenüber Platz, jeder mit einem Stück Würfelzucker vor sich auf der Tischplatte, und warteten auf die Fliege, die da kommen sollte. Das Todeslos wurde einfach und praktisch dadurch bestimmt, daß derjenige sich zu erschießen hatte, auf dessen Zuckerstück sich zuerst eine Fliege setzen würde.
Aber es kam keine Fliege. Eine halbe Stunde starrten die Herren vor sich hin, vergebens, Knocks wurde ungeduldig: »Ein nettes Lokal, in dem nicht einmal eine Fliege verkehrt! Spiegelberg, reißen Sie doch die Fenster auf, vielleicht kommt von draußen eine.«
Da schwirrte etwas durch die Luft, und im nächsten Moment setzte sich eine geflügelte Kreatur auf Knocksens Zuckerstück.
»Sie sind geliefert!« erklärte der andere. »Dort liegt der Revolver, also los!«
Der Unparteiische intervenierte: »Ich konstatiere, das ist gar keine Fliege, sondern eine Wespe.«
»Ach, das ist total gleichgültig,« meinte Brox. »Es kommt doch auf den Sinn an, ein Insekt ist wie das andere!«
»Keineswegs!« betonte Spiegelberg. »Der Duellvertrag muß wörtlich vollzogen werden. Gemogelt wir hier nicht.«
Die Wespe war fort, wieder verging eine Viertelstunde banger Erwartung, da gings plötzlich »Sss, Sss« – eine richtige Fliege huschte durch die Zimmeratmosphäre. Sie umflog das Zuckerstück des Herrn Brox, zog ihre Kreise enger und enger, jetzt berührte sie es deutlich mit den Beinchen, nur eine Sekunde lang, – dann surrte sie weiter, verschwand durchs Fenster und ward nicht mehr gesehn.
»Also bitte, Brox, erschießen Sie sich gefälligst! Die Fliege war bei Ihnen.«
»Aber sie hat nicht richtig gesessen, sie hat nicht genascht, sie ist nur vorbeigeflogen.«
»Unparteiischer, äußern Sie sich: hat sie gesessen?«
Der Chemiker erklärte: »Ich entscheide abermals nach dem Wortlaut: Ja, sie hat allerdings gesessen, wenn auch nur kurze Zeit. Aber Brox braucht sich trotzdem nicht zu erschießen. Die Bedingung war: Zuckerstück – es ist aber gar kein Zucker. Es ist Gips.«
Diese Feststellung verfehlte nicht, die Leidenschaften merklich zu dämpfen. Das amerikanische Duell wurde abgebrochen und alle Wahrscheinlichkeit spricht dafür, daß es in einer flotten Kartenpartie der drei Beteiligten seine unblutige Fortsetzung fand.