Fritz Müller-Partenkirchen
Kaum genügend
Fritz Müller-Partenkirchen

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Jugendfreunde

Was wollen Sie? Jeder hat mal eine Idee. Ob sie verrückt ist, sieht man erst nachher.

Da spielte mich das Schicksal zwischen zwei Schnellzügen in meine Heimatstadt. Vor siebenundzwanzig Jahren hatte ich sie zuletzt gesehen, als mich das Schulhaus in die Hand des Lebens gab. Natürlich überkam es mich wie alle Heimatfinder: Rührung, Staunen – Staunen, Rührung. Nein, wie sich diese Stadt verändert hatte. Wie, wenn ich jetzt behaglich durch sie schlenderte, alter Erinnerungen voll? Aber nein – ich sah auf meine Uhr – eine halbe Stunde noch bis zu meinem Schnellzug. Es ging nicht. Nicht mal zu einem Besüchlein langte es bei einem alten Freunde.

Hm, hatte ich denn solche hier? Verwandte? Keinen. Und Bekannte? Je nun, da waren die alten Schulkameraden.

He, Kellner, bitte, das Adreßbuch, aber 'n bißchen fix!

Die Erinnerung kramte in versunkenen Namen, während der Finger durchs Adreßbuch fuhr:

Billmann – aha. Roderich Billmann – ja, ja, das war der Billmann in der dritten Bank, links an der Ecke – der mit dem braven Gesicht, der immer so schüchtern wisperte, wenn der Lehrer ihn nur fragte, jaja . . . Jaja . . .

Und da, richtig, das war der Diggelmaier!

120 Halt, ob es auch der richtige war! Jawohl. Franz Xaver – es gab nur einen Franz Xaver – es gab nur einen Franz Xaver Diggelmaier in der ganzen Stadt – der, der immer auf der letzten Bank saß – der mit der lustigen Stimme –, der immer den Kopf voll Lustigkeiten und Viechereien hatte, ach ja . . . Jaja . . .

Und da – da stand ja auch noch der Praxmaier Anton, mein Nebenmann, in der fünften Bank, der gemütliche Praxmaier, der mich immer verstohlen zwickte, wenn der Lehrer was Komisches oder was Dummes sagte – denn auch Lehrer sagen mal was Dummes – ach ja, der Praxmaier . . . Jaja . . .

Und der Schwickelmann, unser Franz Schwickelmann stand auch noch da – der erste in der ersten Bank, der würdige Schwickelmann mit der fetten Stimme, der immer alles wußte – der dem Lehrer immer sagen durfte, wo wir das letztemal stehen geblieben sind – ach ja, der Schwickelmann . . . Jaja . . .

Ich schlug das Adreßbuch zu. Schade, daß so wenig Zeit war. Ich hätte sie gar zu gern mal besucht, diese alten Schulkameraden. Aber natürlich, wenn so wenig Zeit war. – Halt, da fiel mir etwas ein. Kellner!

Sie wünschen? fragte der Kellner in der Bahnhofswirtschaft dienstbereit.

Das Telephonbuch, bitte!

Und eine halbe Minute später setzte sich eine Kurbel in der dunklen Zelle in Bewegung. Hier Amt!

Nummer einundachtzig vierundneunzig, Billmann, bitte!

121 Nummer genügt, Name ist nicht nötig – rrr. Pause. Dann eine grobe Stimme:

Hier Billmann & Co., wer dort?

Nein, hatte dieser Billmann mit dem braven Gesicht, dieser Roderich Billmann, der immer so schüchtern wisperte, wenn der Lehrer ihn was fragte, hatte der sich einen groben Angestellten zugelegt.

Ich möchte Herrn Roderich Billmann sprechen, bitte!

Bin ich selbst! brüllte die grobe Stimme. Ich ließ vor Schrecken den Hörer fallen. Mir verging die Lust am Weitersprechen. Der liebe, brave Roderich Billmann – ein Traum versank. Ich läutete ab. Ich würde jäh von Billmann & Co. getrennt. Ich hatte nichts dagegen. Ich kurbelte wieder.

Hier Amt!

Nummer achtzehn vierundneunzig!

Hier Professor Diggelmaier! sagte eine ungemein würdige Stimme. – Franz Xaver, ja? sagte ich ein wenig beklommen.

Professor Diggelmaier, betonte die würdige Stimme ärgerlich, was geht Sie mein Vorname an. – Sie wünschen? Aber rasch, bitte, meine Zeit ist gemessen, Herr!

Ich – ich wünsche nichts – nichts mehr. – Schluß, stotterte ich.

Unverschämt! grollte der Professor Diggelmaiersche Zorn durchs Telephon. Den Hörer hängte ich ein. Das also war der lustige Franz Xaver Diggelmaier, der den Kopf voller Lustigkeiten und Viechereien hatte – der würdige Professor – ach ja . . . Jaja . . .

Ich blätterte weiter im Telephonbuch: Praxmaier Anton – nein, der stand nicht darin, der 122 hatte nicht einmal ein Telephon. Vielleicht war's gut so. Vielleicht hätte er mich erst recht enttäuscht, der gemütliche Praxmaier, der immer die Hausaufgaben von mir abschrieb – der mich immer verstohlen zwickte, wenn der Lehrer was Dummes sagte.

Ich hatte weiter geblättert. Den Franz Schwickelmann hatte ich aufgeblättert.

Sechzehn vierunddreißig, bitte, Fräulein!

Rrrr . . .

Hier Schwickelmann – Franz Schwickelmann – Schriftsteller Franz Schwickelmann. – Sie wünschen?

Ah, endlich eine angenehme Enttäuschung. – Die würdevolle Stimme unseres Klassenersten, der immer alles wußte, hatte nach der fröhlichen Seite umgeschlagen.

Grüß dich Gott, Franz Schwickelmann, wie geht's?

Hm, das kommt darauf an, wer am andern Ende dieses Drahtes ist. – Sie haben mir Ihren Namen noch nicht genannt, mein lieber Herr.

Hier Fritz Müller.

Fritz Müller? Kenn' ich nicht!

Aber, Franz Schwickelmann, kennen Sie denn nicht mehr Ihren alten Schulkameraden Fritz Müller?

Hm, warten Sie – Fritz Müller, sagen Sie? War das nicht . . . Hm, ja, lassen Sie die Dummheiten, Herr! Mein Schulkamerad Fritz Müller – jaja, der in der fünften Bank – der hatte eine glockenhelle Stimme und kein solches Gequickse, wie Sie es am Telephon machen! Halten Sie gefälligst andere Leute zum besten, verehrter Herr! – Und außerdem, mich kriegen 123 Sie nicht dran; der, der Sie sein wollen, der Fritz Müller, ist ja längst gestorben. – Schluß!

Aus der Telephonzelle ging ein zerknitterter Mann. Der Mann war ich. Lächelnd kam der Kellner auf mich zu: Wieviel Telephongespräche, bitte, Herr Fritz Müller?

Ich fuhr auf, woher wußte dieser Mensch meinen Namen?

Sie haben an der Telephonzelle gelauscht?

Hatte ich wirklich nicht nötig, hatte ich wirklich nicht nötig, sagte er gemütlich und seine Hand machte eine halb verstohlene Bewegung, als wolle er mich zwicken – wie damals der Anton Praxmaier, wenn der Lehrer mal was Dummes gesagt hatte . . .

So, hatten Sie nicht nötig, wer sind Sie eigentlich, he?

Der Anton Praxmaier neben Ihnen in der fünften Bank – der Anton Praxmaier, der so oft die Hausaufgaben von Ihnen abgeschrieben hat . . .

Und dann stellte es sich in fünf Minuten eines eiligen Schwatzens heraus, daß der Anton Praxmaier, der gemütliche Praxmaier, der einzige meiner Schulkameraden im Adreßbuch war, der sich kein bißchen verändert hatte. Der ganz der alte, liebe, gemütliche Anton Praxmaier aus der fünften Bank geblieben war. Wenn er auch nur ein Kellner wurde.

Und in der langen Schnellzugsmuße, die ich nachher hatte, dachte ich darüber nach, ob es vielleicht damit zusammenhing, daß alle anderen Telephon bekommen hatten und der Anton Praxmaier keins. 124

 


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