Fritz Müller-Partenkirchen
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Mein Firmling

Auf einmal war ich Firmpate.

Jemand hatte gesagt, daß ich dazu veranlagt sei. Bescheiden wagte ich zu zweifeln. Der andere kam in die Hitze. Er werde es beweisen, rief er. Noch ehe eine Woche um war, kam ein Brief: Ich sei zum Firmpaten seines Söhnchens Franz ernannt, elf Jahre, braver Bub, Firmung am Pfingstmontag im St. Peter acht Uhr, ich würde abgeholt, vom Franzl, er selber sei verreist, der ganze Tag gehöre mir und Franzl, das sei Pflicht des Paten, um mit der Seele seines Patenkindes Fühlung zu erlangen, und wenn ich auf etwaigen Firmgeschenken bestehen sollte, dann solche, die dem Ernst der Zeit entsprächen.

Ich war stolz und sagte allen Leuten, daß es mir gelungen sei, Firmpate zu werden.

»Jee, dös soll auch a Kunst sein,« hieß es.

Wenn auch keine Kunst, sagte ich würdig, so doch ein Glück.

»Jee, a Glick, dös Glick kunnt' i alle Pfingsten siemazwanz'gmal ham, wenn i mir net 'druckte Kart'n machen lassen hätt'.«

Was auf den Karten stünde?

»›In Sachen Firmung nicht zu sprechen‹ – und mei' Köchin gibt sie jedem, der zwischen Neujahr und Ostern an meiner Haustür' läut't – mit 191 bestem Erfolg – fast alle kehr'n schon an der Haustür um.«

»Und die nicht umkehren?«

»Denen sag' ich: ›Das ist ein Finger Gottes, daß Sie heute kommen – könnten Sie mir nicht mit hundert Mark aushelfen?‹«

Aber ich durchschaute ihn. Aus blassem Neide wolle er mir meine Ernennung zum Firmpaten nur verekeln, sagte ich. Denn ich wüßte es von Franzls Vater selber, es sei eine hohe Ehre, und nicht jeder sei dazu geeignet, mit der Seele eines Firmpatenkindes Fühlung zu nehmen.

»Seele? Meiner Seel', ich für meinen Teil bin selig, daß ich mit keiner Firmlingsseel' in Fühlung kommen muß – Sie sind beim Gegenteile selig – Gott, der Herr, hat alles weise eingerichtet, und es muß auch Deppen geben, damit die Buckligkeit der Welt sich besser ausgleicht.«

Ich wurde nachdenklich und erkundigte mich an andrer Stelle wegen des Firmlingsgeschenkes, auf dem ich etwa zu bestehen hätte.

»Firmgeschenk?« hieß es, »also zunächst ein Gebetbuch.«

Nun, wenn's weiter nichts ist, meinte ich, darauf könnte man in der Tat bestehen, soviel ich wisse, gebe es schon solche mit zwei Mark dreißig, trotz des Goldschnitts.

»Ja, und außer dem Gebetbuch den üblichen Firmtaler.«

Nun, ein Firmtaler sei immerhin nur drei Mark –

»Fünf, bitte, und außer dem Firmtaler ein Mittagessen im Grünen Husaren mit soviel Gängen, als der Firmling Lust hat.«

192 Nun, die Lust würde sicher in Anbetracht der ernsten Zeitumstände ihre Grenzen –

»Da kennen Sie einen Firmling aber schlecht. Je ernster die Zeit, desto größer sei dem sein Appetit – und außer dem Firmlingsmittagessen im Grünen Husaren noch einen Firmlingskaffee im Methgarten.«

Ob das endlich alles sei?

»Haben Sie eine Idee von einer Firmung, dazu gehört doch vor allem auch ein ordentliches Firmlingsgewand, und wenn der Firmpate sich nicht lumpen lassen will, muß er auch durch ein Firmlingssparkassenbuch den Grundstock für den künftigen Firmlingsreichtum legen.«

Hem, es sei mir eigentlich weniger um alle diese – hem, doch mehr äußerlichen Dinge bei einer Firmung zu tun, als vielmehr darum, mit der Seele meines Firmlings Fühlung zu nehmen.

Ganz richtig, der Grüne Husar und der Methgarten und das Firmlingsgewand und das Firmlingssparkassenbuch, das seien lauter Teile einer Firmlingsseele. Und das Wichtigste habe er beinahe vergessen. Denn ohne eine Firmlingsuhr sei eine Firmung keine Firmung.

Nach dieser Auskunft erkundigte ich mich bei meinem ersten Gewährsmann nach seinem Kartendrucker.

Aber er sagte, das habe erst vom nächsten Neujahr ab einen Zweck. Eine einmal angenommene Firmpatenstelle könne durch keinen Druck mehr aus der Welt geschafft werden. Die sei wie ein Wechsel, der, protestiert, nur mit vermehrten Kosten immer wieder vorgewiesen werde. Ganz abgesehen vom Gerichtsvollzieher –

193 Ach was, bei einer Firmung gäbe es doch keinen Gerichtsvollzieher.

Oho, ich sollte nur versuchen, nicht alle meine Patenpflichten zu erfüllen – die Angehörigen des Firmlings würden ein Gericht an mir vollziehen, daß ich in keinen alten Schlappschuh mehr passen würde.

Aber da fiele ihm doch noch ein Mittel seines Kartendruckers ein, um alle Firmungsunannehmlichkeiten abzuwälzen, das einzige Mittel in meinem verzweifelten Falle, aber er wisse nicht, ob er mir –

Dummes Zeug, heraus damit, geschwind!

Eine Todesanzeige.

Blödsinn, ob er nicht sähe, daß ich lebe.

Gewiß, das sähe er, aber vermittels eines rechtzeitigen Selbstmordes . . .


Mein Firmling holte mich pünktlich um halb acht Uhr ab. »Grüß dich Gott, Franzl,« wollte ich sagen. Aber er war um und um so voll Korrektheit, so steif starrte ihm sein schwarzes Firmlingsröckchen ab vom Körperchen, so hochachtungsvoll leuchteten die weißen Firmlingshandschuhe, daß es mir den ›Franzl‹ nicht herausließ, sondern eher eine gemessene Verbeugung.

»Herr Pate,« sagte er eingelernt und feierlich, »punkt acht beginnt die Firmung im St. Peter.«

»Lieber Firmling,« sagte ich, »was ist Zeit auf den Höhepunkten unsres Lebens?« Aber ich machte keinen Eindruck. Sein etwas ängstliches Gesichtel schaute scharf auf meine große Wanduhr. Da entschloß ich mich, ihm seine Firmlingstaschenuhr schon jetzt zu überreichen. Er nahm sie 194 würdig in Empfang und bemühte sich ersichtlich, die Haltung eines Dschingis Khan zu markieren: Den schuldigen Tribut von unterworfenen Fremdvölkern empfangend.

»Mein lieber Firmling,« begann ich wieder und wollte über seinen braven Firmlingsscheitel streichen, um die vorgeschriebene Fühlung mit der Firmlingsseele zu erreichen. Aber scheu wich sein knapp geölter Scheitel aus: »Herr Pate, punkt acht beginnt es im St. Peter.«

»Ich bitte um Entschuldigung, Herr Firmling,« sagte ich und übergab das schuldige Firmlingsgebetbuch mit Goldschnitt. Er übernahm es vermittels eines eingelernten Dankspruchs in Goldschnitt, vielleicht auch Messing.

»Und beinahe hätte ich auf den Firmlingstaler vergessen, lieber Firmling.« Gnädig verschluckte seine Firmlingsbörse meine Münze. »Und punkt acht, Herr Pate, beginnt im St. Peter –«

Er zog mich in die Kirche. Unterwegs sah ich, daß es nicht mir allein so ging. Alle Firmlinge zogen ihre Paten in die Kirche. Alle Paten versuchten unterwegs zum besten ihres Firmlings ein heiteres Gesicht zu machen. Aber alle scheiterten an dem ehernen Gesichtsausdruck des Firmlings: »Wir bitten euch ergebenst, gutgemeinte Faxen zu unterlassen, punkt acht beginnt . . .« Alle Paten versuchten vor den Flügeltüren von St. Peter noch die Fühlung mit der anvertrauten Seele zu gewinnen. Aber die Seele hielt die Firmlingskerze mit ausgestrecktem Arm senkrecht vor sich hin, wie vorm verbotenen Paradies der Erzengel Gabriel das Schwert: »Kommt mir nicht zu nahe, bitte.«

195 Im Dom saß mein Firmling, nein, saß ich an meines Firmlings Seite. Die Orgel rauschte. Der Gesang trug mich auf lichten Schwingen rückwärts in die eigne Kindheit. So feierlich flackerten die Lichter. So ernst und gütig sprach der Weihbischof in seiner kurzen Predigt mit einer Wendung zu uns Paten: ». . . und mit der Eintragung der Patenschaft ins Kirchenbuch ist es noch nicht getan, meine Lieben, nein, Pflicht des Paten ist es, auch die rechte Fühlung mit der Seele seines Patenkindes –« Es überströmte mich mit ehrlichem Gelöbnis. Eine Wallung packte mich, meinen Arm um meines Firmlings Hals zu legen, wenn es nicht von dem steifnackigen Hälslein meines Firmlings warnend aufgestiegen wäre: »Untersteh dich, alter Depp!«

Aber jetzt kam der Weihbischof selber, um den Firmlingen die bedeutungsvollen Backenstreiche zu versetzen, die der Heiland in der Stunde seiner tiefsten Demütigung erdulden mußte. »Nun endlich werdet ihr auch dasig werden, ihr unzugänglichen Firmlinge,« dachte ich. Aber hinter mir flüsterte ein Firmling einem andern zu: »Du, pass' auf, Schorschl, der haut net schlecht zu, ich weiß's vom Martin vorig's Jahr . . .«

Ohne Eindruck zu machen, ging der Backenstreich bei meinem Franz vorüber. Ungerührt ließ er sich auf die Stirne den salbenden Öltupfen machen, den ein andrer Geistlicher mit einem Tuche schleunigst wieder wegwischte, fast ängstlich: »Wir bitten um Verzeihung, werter Herr Firmling, Sie einen Augenblick naß gemacht zu haben . . .« Dräuende Mienen machten dazu die Firmlinge. Nur einen sah ich beim Abwischen 196 treuherzig hinter seine steifen Öhrchen langen, als wollte er das Tuch einladen, auch da, weil's in einem Aufwischen ginge –. Aber es war eine Täuschung, der Firmling hatte sich lediglich nachdenklich hinter vollkommen trocknen Ohren gekraut.

Wieder setzte die Orgel ein, wieder züngelte der Chorgesang zur hohen Wölbung, wieder versank ich in vergangne Zeiten . . . Da, eine schonungsvoll ermahnende aber etwas harte Stimme neben mir: »Herr Pat', sie sind schon alle draußen, wir sind fast allein –« Und er führte mich voll Achtung aber entschieden aus der Kirche in den Grünen Husaren. Dabei ließ er keinen Augenblick meinen Arm los, den er fest drückte. »Ob das vielleicht die Fühlung ist?« dachte ich verschüchtert. Aber da war schon der Ober vom Grünen Husaren. Mich übersah er. Direkt an den Firmling wandte er sich vermittels einer Speisekarte: »Und was für Gänge gedenken der Herr Firmling . . .?«

Der Grüne Husar lag hinter uns. Wir schritten dem vorschriftsmäßigen Methgarten zu. Wenn der Kaffee dort heiß genug ist, mochte er die Stimmung lösen und am Ende doch noch die verlangte Fühlung bringen.

Aber der Kaffee im Methgarten brachte mir lediglich ein wenig Magendrücken, er war zu schlecht.

Wie, wenn ich meinem unbewegten Firmling jetzt das Sparkassenbuch –? Vor mehrstelligen Sparkassenbüchern sind schon strenge Herzen hingeschmolzen.

Nicht so meines Firmlings Herz. Er dankte mit 197 wohlgesetzten Worten. Er schlug es gar nicht auf, nur auf den Umschlag warf er einen flüchtigen Blick. »Das Kennwort, bitte, Herr Pate?« sagte er sachlich.

»Kennwort?« stotterte ich, »das Kennwort bei der Schatzerhebung heißt ›Fühlung‹.«

Er verzog um ein weniges die Firmlingsnase. Er hatte ›Waterloo‹ oder ›Sedan‹ erwartet.

Das Firmlingswetter war zu schön, vielleicht, daß ich draußen in Gottes freier Natur die Fühlung – ich schlug einen Spaziergang vor. Mein Firmling bewilligte ihn mir. Schwarz und stumm schritt er durch die Auen und den Nachmittag – immer verschüchterter wurde ich. Wenn dieser Tag so enden würde, hatte ich verspielt.

Ich versuchte es mit der Lehrhaftigkeit. Mit wohlgesetzten Worten begann ich auf meinen Firmling von dem Ernst des Lebens zu sprechen. Während des Sprechens kamen mir einige Sätze so merkwürdig vertraut vor. In einer Lehrhaftigkeitspause fiel es mir ein: So, genau so hatte damals mein Firmpate zu mir gesprochen, als er durch die Auen ging. »Fader Mensch, fader,« hatte ich damals gedacht und gegähnt.

Was war das plötzlich für ein herzhaftes Kieferknacken an meiner Seite? Wahrhaftig, mein Firmling gähnte.

Wir waren wieder in meiner Wohnung. Der Firmling Franz sah auf seine Uhr: »In einer halben Stunde werde ich abgeholt,« sagte er.

In diesem Augenblicke dachten wir, ich bin ganz sicher, zum erstenmal an diesem Tage ganz genau dasselbe: »– abgeholt – Gott sei Dank, dann hat die Qual ein Ende.«

198 Dabei wischte ich mit einer erlösenden Bewegung eine alte langweilige Vase vom Schreibtisch. Bumms, Scherben. Und zwischen den Scherben, was für ein seltsamer, ungewohnter Klang? Mein Firmling lachte. Lachte mit gelockerten Mundscharnieren, lachte mit erneutem Klirren, als die erschrockene Haushälterin hereingestürzt kam und, in der Meinung, der Firmling sei der Missetäter, gegen diesen ihren Kehrbesen schwang, lachte am herzhaftesten, als ich gegen den Besen sagte: »Verehrte Frau Schweikelmaier, dann müssen Sie schon mich durchhauen, bitte!«

Als sie wieder draußen war, war mein Firmling mir so nah gerückt, wie den ganzen Tag noch nicht: »Du, Onkel, da hinten im untersten Fach von deinem Schreibtisch ist ein alter Baukasten, darf ich –?«

Ei, natürlich durfte er mit meinem alten aufgehobnen Kinderbaukasten spielen. Und ob er mich mitspielen ließe? Ja freilich, sagte er. Dann bauten wir am Boden, bauten und bauten. Man sollte gar nicht glauben, was man in einer Viertelstunde alles bauen kann: Häuser, Tore, Festungen . . . Und in der gleichen Viertelstunde waren die Tore aufgetan, eingerannt die Festungen, die Bausteine lagen umher, wir spielten Hottehü, mein Firmling ritt vergnügt auf meinem Rücken um das Zimmer. Sein schwarzer Anzug hinderte ein wenig im Reiten. Herunter mit dem Bratenrock! Fort mit den Firmlingshandschuhen, seine warmen Hände streichelten meinen Roßhals, meinen alten: »Hü, Onkel, hüü–ü –«

Da stand auf einmal der Vater meines 199 Firmlings unter der Türe: »Aber, verehrter Herr, was machen Sie mit meinem Jungen?!«

»Ihahaha, Fühlung nehm' ich, Fühlung – ihahaha!« Meine Knie sprangen, mein Rücken bockte. »Hü – hottehü–hüü!« Jauchzend ritt mein Firmling mit mir ins seligweite Land der Fühlung . . . 200

 


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