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[An meine Heilige]

III.
Prag.
Katholizismus, Legitimität, Wiedereinsetzung
des Fleisches.


Was jetzt kommt, Heilige, da bitte ich Dich, es Dir nicht etwa als eine Lobhudelei anzunehmen. Denn ich will und muß noch einmal über die böhmischen Mädchen sprechen, von denen sich wahrhaftig ein eigenes Buch schreiben ließe, so reichhaltig ist dieser Gegenstand. Wer könnte in Prag leben, ohne zu einem solchen Buche, dessen schönste Stellen gewiß kein Censor streichen würde, sorgfältige Studien zu machen. Du aber bist eine Heilige! Deshalb mach' ein erhabenes Gesicht dazu, wo ich allzu unverschämt lobe und sehe. Ich muß loben und sehen, und Du kannst Dir immer noch etwas Anderes dabei denken, als ich sage. Aber soviel sage ich Dir, daß sogar der alte seelige Campe in seiner »Reisebeschreibung von Braunschweig bis Carlsbad und Böhmen« nicht aufhören kann, die außerordentlichen Vorzüge der schönen und gutmüthigen Pragerinnen zu preisen. Und das war Campe, ein Mann von Grundsätzen, der aus Philosophie Wassersuppe aß, nur der Pädagogik wegen reiste, einen plüschenen Jelängerjelieberfrack und Schuhe mit großen silbernen Schnallen trug, und wohlerzogenes Blut hatte. Als kleiner Junge, wo ich mir für ein paar Dreier von einer alten Frau Bücher borgte, las ich diese Reisebeschreibung, und weiß noch recht gut, wie es mir damals auffiel und Nachdenken machte. Ich konnte den Campe nicht begreifen, der mich in einem anderen Buch vor dem Umgang mit dem weiblichen Geschlecht so sehr gewarnt hatte, daß ich mir einmal die kleine Nachbarstochter genau ansah, ob sie wirklich ein so gefährlich Ding sei? Jetzt bin ich ein großer Mensch geworden, schreibe selbst Bücher für ein paar Dreier, habe heißes Blut, und begreife den Campe. Campe, Campe, ja Campe hat meine Augen zuerst auf die Schönheit der Pragerinnen hingelenkt, und in die weltberühmte Tugend dieses soliden Mannes, dieses reellen Kindervaters und Pädagogen, wahrhaftig, in seine Tugend hülle ich mich, indem ich in diesen glühenden Himmelstrich reizender Formen mich wage. Campe, dieser zuverlässige Mann, soll Alles verantworten, was mir hier begegnet ist, und an ihn wende man sich, wenn mir Einer Vorwürfe machen will über die Folgerungen, die ich aus meinen in Prag regegewordenen Betrachtungen jetzt oder bald ziehen werde.

Das sind hier Töchter des Landes, die im wahrsten Sinne diesen Ehrennamen verdienen. Nationale Schönheiten, denen an scharfgezeichneter Eigenthümlichkeit keine andere Bürgerin einer deutschen Stadt sich vergleichen läßt. Das langweilige Geschlecht der Berlinerinnen mag anziehen durch Tugend, Tournüre, Vorzüge einer feinen und schlanken Gestalt; die sinnliche Wienerin durch lebhaftes Augenspiel, großartige Grundsätze, brennbare Lebensstoffe von Kopf bis Fuß; die leichtgeartete Münchnerin durch ein regelmäßig gebildetes, sinnig lauschendes Gesicht, das einem Stieler zum Meisterwerk sitzen konnte; die niedliche, naive Schwäbin durch freundlich zuthätiges, Alles gerade heraussagendes, convenienzloses Wesen; die kleine heirathslustige Leipzigerin durch selbstgefällige Zierlichkeit, Freigebigkeit des Blickes, redseelig plauderndes Mundwerk; die große farrenäugige Hamburgerin durch irdische Frische, Reichthümer der Natur, und derbe Resultate des good eating. Die Pragerin zieht vor Allen an, weil sie eine Pragerin ist, ein böhmisches Mädchen. Durchfliege mit entzücktem Blick die Schwesterreihe dieser Gesichter, von denen jedes dem andern ähnlich sieht, und frage, wem Du den Preis zuerkennen sollst, ob der reizenden Mutter oder der reizenden Tochter? Denn der Nationaltypus dieser ausgezeichneten Bildung hat zugleich ein so dauerndes und erhaltendes Leben in sich, daß er oft noch bis in das höhere Frauenalter hinein wunderbar fortblüht. Die Gestalt ist selten groß und hervorragend, aber fast immer von einer üppigen Poesie des Ausdrucks, die mit rund geschwungener Wellenlinie Hals, Nacken, Busen und Hüften in lieblicher Fülle zeichnet. In langem, weichem, dichtem Gelock umfließt das schöne Haupthaar, oft blond, öfter kastanienbraun, die zärtliche Schläfe, und die etwas blasse Wange erhöht in einem anmuthigen Oval den feinen Glanz des Gesichtes. Das am häufigsten gesehene blaue Auge strahlt ein dunkles Feuer von sich, und läßt in eine brennende Tiefe schauen, aus der Muth, Seele, Andacht und Liebe leuchtend auftauchen. Es sprüht etwas Katholisches aus diesem dunkel flammenden Blick der Pragerinnen, und zugleich so viel Sinnengluth; es ist eine frivole Mystik, welche das Auge zu uns emporschlägt, und das unsere, Blick um Blick, gefangen hält. Wie gothisch wölbt sich der Blick dieser Augen; auch schwimmt um die trunkene Bewegung der Iris ein leiser Heiligenschein, ich kann es nicht läugnen. Es ist mir, als gingen sie alle in die Messe, während ich sie da hinwandeln sehe, reich geschmückt, in bezaubernder Haltung der lebenstrahlenden Glieder. Und ich folge ihnen bis an die Kirchthür, und ihr Auge trifft mich im Umwenden noch einmal, wie ein versengender Blitz, und ich weiß nicht, soll ich mit ihnen beten gehn, und die Messe hören, und meine Sinne erst in frommer Musik berauschen, dann im dreisten Glück der Liebe! Wer nie einer Pragerin tief in die Augen gesehn, weiß nicht, was Mystik ist und was Sinnlichkeit; er hat nie ein Gedicht gelesen, das in Flammen der Erde spielt und an Sternen des Himmels sich sonnt. Die feingeformte Nase, fast immer ein zierlicher Adlertypus, welcher die nationelle Gleichförmigkeit der Gesichter hervorbringt, vermehrt die liebliche Keckheit des Ausdrucks, die den Physiognomieen eigen, und der Ernst bei aller Anmuth, welcher die Gestalt umschwebt, zaubert ein dunkelgesättigtes Colorit über ihr ganzes Wesen hin, das von einer heimlichen Gluth durchwärmt ist. So zeigt sich Fülle und Energie des Lebens, Rundung und Harmonie der Formen, sinnlicher Schmelz und poetische Leidenschaft, kräftiger und gesunder Drang der Natur, ein Dasein für den Genuß geschaffen, aber ohne kränkelnde Sehnsüchtigkeit, sondern muthig und sieghaft im Herauskehren seiner Blüthe.

Es ist ein freibewegtes, gestaltvolles Leben hier, und im raschen Glück und Wechsel der Stunde herrscht die Gunst, die überall gesucht und überall gefunden wird. Diese schöne Gunst wetteifert jetzt fast in der entgegengesetzten Sphäre mit der früheren Grausamkeit, welche die böhmischen Mädchen gegen die Männer ausübten, und wodurch sie eigentlich welthistorisch geworden sind, und es kommt mir wie eine Rache der Geschichte vor, daß die Pragerinnen jetzt so voll von beglückender Freundlichkeit und zärtlicher Laune für unser Geschlecht sind. Ja, es ist eine Rache der Geschichte, und mitten auf der Promenade, unter hundert lockenden und blühenden Frauengestalten, fiel mir heut der blutige böhmische Mägdekrieg ein, der die Frauen gegen die Männer ins Feld führte, und nichts anderes, als eine gänzliche Vertilgung der letzteren vom Erdboden zum Endzweck hatte. Ich mußte lachen, und auf jedem hübschen böhmischen Gesicht, das mir nun begegnete, spähte ich nach, ob sich nicht zu einer kriegerischen männerfeindlichen Wlasta Anlagen zeigten. Aber dieser Stamm muß hier ganz ausgestorben sein, und wieviel ich auch umherschwärmte auf den Gassen oder wohin mich meine Bekanntschaften führten, überall sah ich zwar Kriegserklärungen aus diesen dunkelschönen Augen schimmern, aber hinter solchen Vorpostengefechten der Blicke lauerte doch immer schon ein glänzender Friedenstractat. Ich malte mir den böhmischen Mägdekrieg in meinen Gedanken immer weiter aus, und mußte immer mehr lachen. Dann wollte ich zu Egon Ebert gehen, ihm einen Besuch machen, und ihn fragen, warum er in seiner »Wlasta« Karl Egon Ebert (1801-1882), »Wlasta« (1829), großes böhmischnationales Heldengedicht. – Anm.d.Hrsg. den böhmischen Mägdekrieg so sentimental verhunzt habe? Ein humoristisches Heldengedicht, oder eine historisch-komische Novelle hätte er aus diesem Stoff machen sollen, aber nichts Lyrisch-Heroisches à la Egon Ebert. Ich wollte ihm auch sagen, daß die jungfräuliche Wlasta ein schöner wilder Löwe sei mit langer goldener Mähne, aber kein exemplarisches Stickermädchen, das sich aus einer Leihbibliothek einen gefühlvollen Schwung zusammengelesen hat. Aber es ist schlimm, sehr schlimm, einem Poeten die Wahrheit zu sagen, und ich blieb deshalb unterwegs zu ihm, da ich von der Hitze großen Durst hatte, in einem Weinhause sitzen. Hier war es kühl, und ich dachte wieder an den böhmischen Mägdekrieg, merkwürdig dadurch, daß er schon im grauen achten Jahrhundert der keckste Versuch zur Emancipation der Frauen war, der in der Geschichte der modernen Zustände sich aufweisen läßt, und der damals in muthigen Amazonenthaten sich hervorwagte, während in den letzten Zeiten diese Frage nur auf halbphilosophische, theoretisirende und St. Simonistische Weise in der Welt hin und her schwankt.

Ich beschloß, um mich für die Langeweile des Egon Ebert'schen Mägdekriegs zu rächen, mir selbst einen zu Papiere zu bringen, so wie ich ihn mir wenigstens denke. Ich ging zu einem Dominikaner, mit dem ich bekannt geworden war, und borgte mir aus der Bibliothek des Kapitels den Hagek, mit welchem ich dann zurück in meinen Gasthof wanderte. Nachdem ich es mir bequem gemacht, (auch in Prag kennt und übt man schon die Wienerische Gewohnheit, in bloßen Hemdsärmeln dazusitzen) und nachdem ich ungefähr eine Stunde in meiner alten geschwätzigen Quelle gelesen, schrieb ich, mit üblichem Anruf der epischen Muse, Folgendes nieder:

Bohemiconymphomachia.

Libussa saß wie eine Prophetin auf dem Thron der Böhmen, und nachdem sie die Macht in den Städten, die Kraft in dem Volke, und das Gold und Silber in den Bergen vorhergesagt hatte, legte sie sich nieder an die Erde, um zu sterben. Zuvor berief sie noch einmal alle ihre Jungfrauen, eine schöne Reihe weinender Mädchen, die ihr treu gedient hatten in Leid und Freude, und sie segnete und beschenkte sie reichlich, und ihr glänzendes Auge ruhte zum längsten und bedeutsamsten auf diesen schmerzlich stummen Jungfrauen, bis es brach. Selbst Przemysl, der Herzog, welcher betrübt in der Ecke stand, war ihr nicht so theuer gewesen, als diese ihre Dienerinnen, mit denen sie wie mit zarten weißen Blüthenzweigen ihr ernstsinnendes Leben sich geschmückt hatte. Sie hatte sie in allen Künsten unterrichten und in der herrlichsten Bildung erwachsen lassen, und die Mädchen waren schön und stolz geworden, wie die Sonne, und hell und klug wie der Tag. Sie klagten laut, und schlugen sich an die blasse Wange und an die blühende Brust, und benetzten mit heißen Thränenströmen die Füße der Fürstin. Am stärksten weinte ein hohes schlankes Mädchen, mit langem blondem Haar, das in üppiger Fülle der Locken ihr über die Schulter floß. Sie hieß Wlasta, und hatte leuchtende Augen wie Sterne, und ein Antlitz wie Frühlingspracht. Libussa hatte dieser ihrer Lieblingin die Hand gereicht, und Wlasta wollte sie nun nicht mehr loslassen, so todeskalt sie geworden war. Und alle klagten und weinten, und das Volk draußen, das zusammengelaufen war, heulte und schrie. Sogar der verständige Przemysl, der noch nie geweint hatte, feuchtete seine Wimper mit einer Wittwerthräne, denn er saß nun allein auf dem Herrscherstuhl des Landes. Verschieden aber waren die Stimmen der Böhmen, die sich draußen vor des Schlosses Wällen im unruhigen Getümmel durcheinandermischten. Etliche wehklagten, daß es um Böhmen nun geschehen sei, und etliche frohlockten, daß das Weiberregiment ein Ende habe, und Andere erinnerten an ein altes Wort, welches ein vornehmer Czeche der Libussa selber spottend ins Gesicht gesagt, daß Weiber, die lange Haare hätten, aber einen kurzen Verstand, besser zum Weben und Spinnen taugten, als zum Richten über Männer. Und Wlasta hob sich zornig empor, als der rohe Volkswitz in ihrem erhabenen Schmerz sie störte, und aus ihrem großen rollenden Auge schossen dunkle Blitze der beleidigten Seele hervor. Denn schöne Seelen empört am heftigsten ein schlechter Witz. Darauf verrichtete sie den Todtendienst bei ihrer unsäglich geliebten Herrin, und that ihr ein köstliches Gewand an, und gab ihr fünf Silbergroschen in die Hand, um sie dem unbekannten Gott dort unten zu opfern. Denn das Heidenthum lag noch mit finsterer Gewalt über diesen trefflichen Gemüthern.

Nachdem nun Libussa vor den Thoren ihres Schlosses Libin begraben worden, kam der verwittwete Fürst Przemysl allmälig auf den Gedanken, daß es doch gut sei, keine Frau zu haben. Er fühlte sich äußerst behaglich, und begann sich in seinen Gemächern den ganzen Tag zu pflegen. Früher war er ein ehrbarer Ackersmann gewesen, der seine Felder bestellte und die Ochsen am Pfluge trieb, als Libussa, vom Wahrsagegeist ergriffen, sich ihn zum Mann prophezeite. Denn obwohl ihrer Macht nichts fehlte, und sie mit allen Geistern in Verbindung stand, so fehlte ihr doch ein Mann. Und sie nahm ihn, und machte ihn zum Herzog, und er setzte sich mit aller Ruhe an ihre Seite auf den Czechenthron. Bald aber mußte er einsehn, welche Qual es mit sich bringe, eine geistreiche Frau zu besitzen. Er konnte gar nicht mitreden, wenn sie zu philosophiren anfing, und so oft sie in Begeisterung gerieth, machte er ein dummes Gesicht dazu, und geberdete sich wie ein geschlagener Mann. Es graute ihm vor den Augen, wenn die Seherkraft über sie kam, und es wurde ihm unheimlich, daß er eine so kluge Frau hatte. Wenn er nach seiner Weise ein vernünftiges Wort zu ihr sagen wollte, saß sie in tiefen Gedanken und hörte ihn nicht. Er konnte nicht begreifen, wie man Gedanken haben könne, und wurde im Geheimen seines Lebens überdrüssig. Er ließ Alles geschehn, wie sie es wollte, und bekümmerte sich um nichts mehr, aber der Meth schmeckte ihm nicht, und die Jagd machte ihm nicht mehr Freude. Es war ihm immer, als müßte er sich vor seiner Frau geniren in Allem, was er that. Er verwünschte die geistreichen Weiber, und fürchtete sich doch zugleich sehr. Wenn sie ihn zuweilen mit ihren schönen tiefen Augen anstrahlte, kam er sich selbst ganz einfältig vor, und wußte nichts dazu zu sagen. Er wäre davongelaufen, hätte er sie nicht als eine Zauberin gekannt, deren Gewalt sich über Alles erstreckte. Jetzt aber war ihm wohl. Er schaukelte sich vergnügt auf dem purpurnen Thronsessel, auf dem sie sonst neben ihm gesessen, und merkte, daß er weit bequemer sitzen konnte. Er ließ seinen Freund Hinchvoch zu sich kommen. Mit dem schwatzte er sich aus, und sie tranken ein Faß Meth zusammen, und rauchten eine Pfeife Taback. Sie sprachen von lauter langweiligen Dingen, und Przemysl freute sich zum ersten Mal wieder, daß er ein ruhiges, gewöhnliches, alltägliches Gespräch führen konnte, bei dem er nicht viel zu reden brauchte. Denn Hinchvoch hatte keinen Geist. Zuletzt aber befahl Przemysl dem Hinchvoch, daß er unverzüglich die ganze Budecer Mädchenanstalt aufheben solle. Dies war die preiswürdige Anstalt, in welcher die Jungfrauen der Libussa erzogen, gepflegt und zu allen Tugenden und Vorzügen gebildet wurden. Przemysl befahl, daß diese Mädchen zerstreut und zu ihren Eltern zurückgebracht werden sollten. Denn es sei gefährlich, das muthwillige Geschlecht der Mädchen viel lernen zu lassen. Es würden geistreiche Weiber daraus. Hier zuckte es ihm, und er sah sich scheu nach der Ecke des Zimmers um, ob Niemand dort stehe. Dann fuhr er fort und sagte: nun geh', mein lieber Hinchvoch, und führ' es schleunig aus, wie ich Dir gerathen! Und Hinchvoch ging hin, und that es gern, denn er hatte keinen Geist.

Und nun, o epische Muse, löse mir die Homerische Zunge, damit ich, des großen Unglücks würdig, beschreiben und schildern kann, wie, gleich der Trojerinnen beklagenswerther Schaar, als sie aus dem brennenden Ilion davonzogen, jetzt diese böhmischen Mädchen, reich an Zahl, und jede schön und jede der Liebe und der Thränen werth, in langsam stummen Reihen sich fortbewegten, nachdem sie ausgetrieben, und die Thüren ihrer treugeliebten Pensionsanstalt hinter ihnen geschlossen worden waren! Sie wußten nicht wohin, und irrten wie eine Heerde zerstreuter Lämmer auf und ab, und das Volk höhnete sie in den Straßen. Man verlachte sie, und sagte: wo ist nun euere Herrin, vor der wir uns beugen mußten, und vor euch zugleich? Seht, das Blatt hat sich gewandt, und ihr, die ihr so hoch hinauswolltet, habt weder Wohnung jetzt, noch Schutz und Schirm. Nun kehret in eurer Väter Hütten an den Spinnrocken zurück, und stellt euch zu eurer Frau Mutter vor den Kamin, und helft kochen und fegen! Was habt ihr mit den Künsten zu schaffen und mit der Wahrsagung und mit der Wissenschaft der Pflanzen und Kräuter. Ihr seid armer Leute Kind. Geht! Geht!

Die Welt lag dunkel da vor den Blicken der armen Mädchen, und sie sahen in der Nähe und in der Ferne nichts, was sie trösten könnte. In ihrer Eltern niedrige Häuser zurückzukehren, davor entsetzten sie sich alle, denn der alte Vater und die alte Mutter verstanden der Töchter adliches und freigebildetes Wesen nicht mehr. Sie hatten des Lebens göttliche Freiheit geathmet, und ihr Herz empörte sich, wenn sie der häuslichen Sclaverei ihres Geschlechts gedachten. Des gemeinen Volkes Reden verachteten sie, denn sie waren jung und muthig, und fühlten edlen Stolz in der Großes sinnenden Seele. Die hohe Wlasta aber trat mitten unter sie, und versammelte sie alle um sich her, und hieß sie, ihr folgen. Dann eilte das schöne kecke Mädchen mit hastigen Schritten voran, und die übrigen, die ihr gern vertrauten, zogen der Führerin nach, nicht wissend, was diese in ihrem oft erprobten Geist bewege. Und Wlasta beeilte sich immer stärker, denn sie war geschwind wie ein Reh, bis sie und ihre Jungfrauen der Menschen Häuser und Gesichter verlassen hatten. Sie schritt vor den Andern her, wie eine Königin, und Haar und Busen flogen ihr wunderbar vor Wuth und Schmerz. Sie war die Schönste und Stärkste unter Allen, und die hochgebauten Glieder waren weiß und frisch und gewaltig, wie ein sprudelnder Bergquell. Heldenmüthig und herausfordernd in ihrem Wesen, war sie doch freundlich und glänzend an Gestalt, und wenn man sie in rascher Bewegung dahinschweben sah, leuchtete sie von Kraft und Anmuth, von Hoheit und süßer Lieblichkeit zugleich. Sie hatte etwas Kriegerisches in ihrer Natur, und doch einen friedenschließenden Zug um die schwellenden Lippen. Sie trat wie eine Siegerin auf, wann sie den schlanken Fuß setzte, und wild blickte ihr holdes Auge, wie auf einen Feind. Und in alle Wildheit mischte sich doch die weiche Jungfräulichkeit ihres Mädchenwesens. So war sie die Erste ihrer Gespielinnen, und alle liebten und ehrten die Wlasta, der Keine glich.

Die Jungfrauen traten jetzt in kühlende Waldesschatten, und erreichten den Berg Widowle, auf dessen grünem Gipfel vertrauliche Einsamkeit lag. Hier befahl Wlasta den Mädchen, sich zu lagern, und sie selbst, in ihrer Unruhe, blieb vor ihnen stehen, und sagte: Ihr lieben Gespielen, hieher habe ich euch geführt, damit wir über unsere Bedrängniß, die zu den Göttern klagt, uns berathen können. O ihr trefflichen Mädchen, gibt es wohl ein höheres Gut, als die Freiheit? die Freiheit, welche Luft und Himmel und Bewegung und Leben und Alles ist. Die Freiheit, an deren Busen ihr groß und schön geworden seid, von der ihr die Milch der Erkenntniß getrunken und die Frucht eurer untadlichen Bildung geerntet habt. Die Freiheit, in deren Schooß allein Sitte, Tugend, Liebe, Tapferkeit und Glauben an die Götter gedeihen. Und mit unserer Frau Libussa ist uns auch unsere Freiheit gestorben. Nicht in uns und in unsern Gemüthern ist sie gestorben, sondern in den wankelmüthigen und unedeln Meinungen der Männer. Libussa wollte unser Geschlecht erlösen, sie hatte ihm die Freiheit bestimmt, denn nur in der Freiheit können wir unser Wesen erheben auf eine höhere und schönere Stufe der Achtung. Libussa beherrschte das Land, und die Männer gehorchten ihr, und an uns bildete sie, wie sie das Frauengeschlecht in seiner künftigen Unabhängigkeit und Geisteserweckung sich dachte. Liberté pour toutes les femmes! das war der Grundsatz, theure Freundinnen, in dem wir erzogen wurden. Ich hoffe, wir machen alle unserer großen Bildnerin keine Schande. Freiheit, Freiheit, Freiheit für uns Alle! Denn daß dieser geistlose Herzog Przemysl unser Geschlecht verachtet, und ein arger Feind unserer liebsten Hoffnungen ist, habe ich schon, als unsere hochseelige Fürstin noch lebte, ahnungsvoll in meinem Geist erschaut. Und seinen Sohn, den ihm Libussa geboren, wird er gewißlich dazu anhalten, daß er unserer noch viel weniger achtet. Auf also, auf, ihr Jungfrauen der Libussa! Es gilt einen Entschluß zu fassen, daß wir und unser Geschlecht nicht schmählicher Dienstbarkeit, die uns droht, anheimfallen! Das Weib muß frei sein, sonst ist es verachtungswürdig, denn zur Freiheit haben die Alles wohlbedenkenden Götter nicht bloß den Mann erschaffen! Die Freiheit ist überall und in jedem Herzen, das Flügel hat, um sich über das Gemeine zu erheben!

Hier endete die herrliche Wlasta ihre Rede, und ließ sich mit einem lauten, brustzersprengenden Seufzer unter einen Baum sinken. Dann stützte sie das schöne, gedankenvolle Haupt in die Hand, und saß lange, von einem wunderbaren Tiefsinn umfangen, da. Die Andern schwiegen bange, und es war still und heimlich wie in einer Kirche. Alle blickten nur mit scheuen Augen auf die tiefsinnig gewordene Jungfrau hin, und es war ihnen, als müßten sie noch bedeutsam geheimnißvollen Worten aus ihrem Munde entgegenlauschen. Der Wind flüsterte mit düster raschelnder Zunge über ihnen in den Wipfeln der uralten Eichen, ein großmächtiger Adler flog mit verworrenem Geschrei auf aus einem Spaltenriß des Berges, tiefhängende Wolken verfinsterten die Fernsicht, es wurde eine seltsame magische Dämmerung ringsher um die näher an einander geschmiegten Mädchen. Da rief Stratka, eine liebliche Brünette, plötzlich: Sehet, es ist über Wlasta der Geist Libussas gekommen, der Geist der Weissagung!

Und Wlasta streckte die Hand aus, und das strahlende Gesicht umflog eine dunkle trunkene Röthe. Sie setzte sich hoch aufrecht, es schien Allen, als sei das wunderbare Mädchen größer und ihre ganze Gestalt leuchtender geworden. Dann wies sie mit dem Finger in die Ferne, und sprach: Ich sehe die Zukunft. Dort hinten steigt sie in schwankender Gestaltenreihe aufwärts, und wälzt sich bis zu mir heran, und beginnt mit meinem Geist vertrauliche Gespräche. Die Sterne über mir fangen an golden zu erglänzen, wie in schöner Mainacht, und Libussa sitzt groß in den Wolken, und reicht mit ihrer Hand von oben bis tief in mein Herz. Sie schreibt die Schrift der Sterne eifrig in meine Gedanken ein, und ich halte süßbewegt still, wie wenn ein Gott mich berührte. Und die Schrift der Sterne ist es, die mich lesen läßt, was die hinten schwankende Zukunft bedeutet. Und Wald und Strom, und Vogel und Blume, und Luft und Licht werden lebendig, und reden ein Wort mit, und ich kann Alles verstehen, was ist und kommen wird. Ich sehe und verstehe großes Unheil, immerwährende Kriege, gespaltene Meinungen, himmelstürmende Verzweiflung, philosophischen Jammer und politische Leidenschaft, jedem Jahrhundert seine Seuche und jedem Menschenherzen seinen Todesschmerz. Und bebend frage ich die Geister der Zukunft um unser Geschlecht, ob es frei sein wird? Und seht, seht, seht, es treten aus dem Nebelglanz der Ferne seltsame Gestalten vor mich hin. Unser eigenes Schicksal kann ich nicht erkennen, denn der Geist darf sich nicht selber schauen, das verwehrt das Verhängniß. Aber ich höre Waffen an mein Ohr schlagen, und die Blüthe meines Busens zwingt sich wie in einen eisernen Kriegspanzer, und eine breite Wunde bohrt sich bis in mein Leben hindurch. Nun sehe ich schönere Jahre herankommen, ein lyrisches Zeitalter der Frauen sprießt auf. Die Poesie schmückt sie, die Minne verherrlicht sie, und das Ritterthum holt seinen Dank aus ihren huldspendenden Händen. Auf dem Söller blinkender Schlösser stehen sie freundlich da, und begeistern durch ihren Anblick zum Sieg in der Schlacht, zur Sitte im Leben, und zur Ehre im Wandel. Aber das Zeitalter der Minne macht das Weib nicht frei. An Haus und Heerd und an die Stille des Zwingers gebannt, überläßt sie des Lebens freie Bewegungen den Männern. Dann sehe ich fromme Gesichter meines Geschlechts, betende Jungfrauen in dunkeln Zellen, verzückte Mädchen, welche die Gewalt eines Gottes ergriffen haben muß. Alles große Versuche des Weibes, sich zu befreien, und über das gemeine Alltagsloos ihrer Bestimmung sich zu erheben zu höherer Erleuchtung des Geistes. Aber auch die Mystik und die beschauliche Klosterzelle macht das Weib nicht frei. Es verliert sich in Gott, und überläßt des Lebens freie Bewegungen den Männern. Und ich sehe eine liebliche Jungfrau, die erst die Lämmer im Thal weidete, dann, vom Geist gerufen, den Helm auf ihr Haupt setzte, und gegen die Feinde des Vaterlandes in die Schlacht zog. Sie will zeigen, daß das Weib auch ein Vaterland habe, und Alle folgen jauchzend dem Mädchen aus Orleans, und siegen unter ihren jungfräulichen Bannern. Aber dann naht das alte schwarze Verhängniß unseres Geschlechts, und es ruht ein Fluch auf der That, weil sie ein Weib vollbracht hat. Sie können es nicht glauben, daß das Weib vom Vaterlandsgeist getrieben wird, und verbrennen die Zauberin. Das Weib hat kein Vaterland, sie können es dem hohen Mädchen aus Orleans nicht glauben. Auch die Vaterlandsbegeisterung macht das Weib nicht frei, und es überläßt die Freiheit der öffentlichen Bewegung den Männern.

Jetzt sehe ich eine Kirchenversammlung von großen und gelehrten Männern, wo eigens untersucht und mit den genauesten Gründen und Gegengründen gestritten wird, ob die Frauen Menschen seien? Dann dringt mein Auge weiter und weiter durch den Schleier der Jahrhunderte, und ich gewahre milde Zeiten des Familienglücks auf den Gesichtern unseres Geschlechts. Ich sehe ein häusliches Stubenleben, ein bürgerliches Zeitalter der Menschen, in dem die Frauen viel gelten; sie stricken, nähen, schenken den Thee ein, und sprechen angenehm. Mir wird kläglich dabei zu Muthe, und ich wende den Blick auf Andere hin, und sehe bücherschreibende Weiber, mit Gelehrsamkeit und Künsten sich abgebende holde Mägdlein, wieder große Versuche, das Weib zu befreien. Aber das Familienglück, das bürgerliche Zeitalter und das Bücherschreiben machen unser Geschlecht nicht frei. Es muß noch immer des Lebens freie Bewegungen den verhaßten Männern überlassen. Nun führt mich mein Geist fern gegen den Norden hin, und ich sehe einen Mann in seiner Studirstube sitzen, der schreibt eifrig und sieht gedankenvoll aus. Ich weiß nicht, ich muß den Mann lieben, es ist mir, als schriebe er mir meine Gedanken auf, und die Gedanken unserer Frau Libussa. Er heißt Hippel, und er schreibt über die bürgerliche Verbesserung der Weiber Theodor Gottlieb von Hippel, »Über die bürgerliche Verbesserung der Weiber« (1792). – Anm.d.Hrsg., und über die Ehe. Er will, daß das Weib ein Vaterland haben solle, und eine Stelle im Staat, und seinen schönen Theil an aller Freiheit der öffentlichen Bewegung. Er ist der Erste unter allen Männern, in dem der große Gedanke Libussas wieder hervortaucht, denn kein Gedanke geht im Meer der Zeiten verloren. Und o, o, seht, wie mir der Geist nun hilft, die Erscheinungen zu verknüpfen. Da zieht es mich hin weit in eine andere Gegend, und ich schaue eine mächtige Stadt, die heißt Paris, und eine Straße, die wird die Straße Taitbout genannt. Dort ist ein Saal, in dem Männer mit langen Bärten versammelt sind, die eine besondere Weisheit unter sich verabredet haben, die heißt der Saint-Simonismus. Sie tragen eine weiße, hinten zugeknöpfte Weste, weiße Beinkleider, eine blaue Jacke, und Kopf und Busen sind ihnen ganz entblößt. Sie sehen närrisch aus, und sprechen über die Weiber. In ihrer Mitte sitzt Einer mit Namen Enfantin, der sich den obersten Vater der Simonisten nennt, und neben ihm steht ein leerer Stuhl, auf dem das freie Weib noch erwartet wird, damit sie, sobald sie erscheine in der Welt, sich gleich setzen könne. Alle Anstalten zu ihrem Empfange sind gemacht, und ihre Unabhängigkeit vom Manne ist ausgesprochen. Was Libussa gedacht, was Hippel geschrieben, wollen die Simonisten endlich ausführen. L'élévation de l'épouse au niveau de l'époux! so hallt es wieder aus dem Munde des obersten Vaters, der das freie Weib sucht. Es gibt eine gesellschaftliche Person, das ist nicht mehr der Mann allein, sondern Mann und Frau, und alle Geschäfte des Lebens werden daher paarweise verrichtet. Dieses Paaren ist die Ehe, und in ihr nimmt die Frau Antheil an den Geschäften des Mannes. So wirkt sie zugleich für den Staatsdienst mit, und kann, wie Libussa und Hippel ausdrücklich gewollt, Aemter bekleiden. Der kühne Vater Enfantin aber hebt die Freiheit des Weibes noch über die Ehe hinaus, und erklärt die Ehe nicht für geschlossen. Ein so freies Weib aber will sich gar nicht finden lassen, und darum sehe ich hier und dort Simonisten hinauswandern in den Orient, um das freie Weib da zu suchen. Und es entsteht eine große Verwirrung über die neue Lehre, in der doch Wahrheiten ruhen, an denen ich alle Jahrhunderte arbeiten gesehen. Schriftgelehrte erheben sich, um die Wahrheiten zu reinigen von den Schlacken, aber es scheint, als könne lange Keiner das Wort dazu finden. Aber das freie Weib – doch – ah! – –

Hier hielt die herrliche Wlasta inne, und der Geist der Weissagung schien von dem schönen Munde gewichen. Das Haupt sank ihr ermattet auf die Brust herab, und die Wange, die noch eben von dunkler prophetischer Röthe geglüht hatte, überzog sich wieder mit einer feinen Blässe. Sie lehnte sich seufzend an die Schulter ihrer Busenfreundin Stratka, und fragte leise: was habe ich euch gesagt?

Du hast uns die Zukunft unseres Geschlechts enthüllt! riefen Alle einstimmig, und sprangen auf, und umringten sie ehrerbietig und traurig.

Mir ist das Herz wehe, ich weiß nichts mehr, was ich gesagt! stöhnte Wlasta. Ein wunderbarer Traum umhüllte mir mit tausendfarbigen Bildern die Schläfe. Jetzt möchte ich weinen, und kann nicht sagen, warum? Das erste Mal ist es, daß ihr die wilde fröhliche Wlasta betrübt seht bis in den Tod. Ihr aber, lieben Gespielen, lasset die Gedanken an die ferne Zukunft, denn es bringt den Sterblichgeborenen nur Schaden, in den Spiegel der künftigen Gestaltungen zu lauschen. Denket an euer und unser allernächstes Unglück. An euch ist es nun, zum Heil einen Rathschluß zu fassen. Wlastislawa wird zu allem Ja sagen, was ihr beschließet, denn sie selbst ist traurig und gedankenlos, und das tapfere Herz ist ihr wie zerbrochen.

Da trat die schmachtende Stratka in die Mitte der Jungfrauen, und es war wie ein linder Westhauch, wann sie sich bewegte. Sie war als die Zweite und Trefflichste nach der Wlasta geachtet, und Alle waren ihr gut, denn sie sah lieblich und bescheiden aus, und hatte Augen, wie zwei stille Vergißmeinnichts. Die sprach, indem sie ihre Hand ausstreckte gegen die noch am Boden sitzende Wlasta: O Wlastislawa, du hochherzige, tugendreiche und adlichgesittete Jungfrau, wir wissen Alle, daß Du nichts Anderes denkest noch trachtest, als unsere Freiheit und Ehre, und die unseres ganzen Geschlechts. Welche wäre, die Dich nicht darum zum Allerhöchsten priese! Aber, ich bitte Dich, Du Tugendreiche, was hilft uns armen Mädchen die Freiheit, wenn wir keine Männer haben? Schickte nicht unsere hohe Frau Libussa selbst auf das Feld hinaus, und ließ sich einen Mann holen? Und als sie ihn zum Mann gehabt, wurde ihre Freiheit und ihre Ehre um nichts desto geringer. Wissen wir denn nicht, wie sie den Przemysl und das ganze Czechenland mit ihrem Rath und ihrer Klugheit regiert hat? In der Ehe erscheint erst das freie Weib, von dem Du uns prophezeiht hast, aber ich bin der Meinung, ihr lieben Gespielen, daß, um das freie Weib erscheinen zu lassen, die gewöhnlichen Begriffe der Ehe erst müssen umgewandelt werden. Dies, ja dies sei unser Werk! Vor allen Dingen müssen wir Frauen Wahlrechte bekommen. Ich will von diesen Wahlrechten jetzt nur insoweit reden, daß wir uns die Männer selbst wählen dürfen, sowie Libussa den Ehegemahl erwählet, welcher ihr gefallen, und worein das ganze Land willigen mußte. Denn die Frau muß zuerst durch den selbständigen Willen frei werden. Ohne den Willen gibt es keine Freiheit, und ohne die Freiheit keine Liebe, und ohne die Liebe kein Glück. Darum nun, auf daß wir allesammt die Freiheit erwerben, rathe ich alles Ernstes, daß Du, o Wlasta, möchtest zum Herzog Przemysl senden, und ich will zum Hinchvoch senden, ob diese beide nicht wollten unsere Männer werden? Denn sobald sie nun, als die Vornehmsten, einwilligen, so wird sich alsdann auch unserer Aller Freiheit anfangen, und die Budecer Mädchenanstalt soll wieder in ihre alte Blüthe kommen. Verachten sie aber unser Begehr, so hat dann endlich die Rache der geschmähten Mägdefreiheit eine Ursache an allen diesen Männern. Willigen sie jedoch ein, so wird dadurch das Wahlrecht fortan immer unserm Geschlecht gewonnen sein. Denn die freie Frau ist souverain, sie spreche, wer der Mann ihrer Liebe sein soll! Sie spreche offen, denn sie darf reden! Ach, Wlasta, mir ist, als führte mich auch der Geist der Prophezeihung, wie Dich, bis in eine ferne simonistische Zukunft der Zeiten. Ja, das freie Weib ist souverain, sie entscheide, sie spreche, denn sie darf reden! Und das Glück der freien Liebe ist süß! –

So sprach die schmachtende Stratka, und warf ihre lieblichen, lauschenden Augen mit einem fragenden Blick im Kreise der Gespielen umher. Die Jungfrauen aber waren von ihrer Rede alle wie begeistert, sie sahen freundlich und erheitert aus, und riefen mit den schönsten Stimmen, in einem lauten Chor, daß es sich anhörte, wie Jubelhymne morgenfrischer Lerchen, sie riefen alle: »Das freie Weib ist souverain, sie entscheide, sie spreche, denn sie darf reden! Und das Glück der freien Liebe ist süß!«

Und das Glück der freien Liebe ist süß! wiederholte die schmachtende Stratka noch einmal, und hüpfte liebkosend zu der großen ernstsinnenden Wlasta hin.

Diese erhob sich jetzt vom Rasen, und schlug schwermüthig die Augen zu den Freundinnen auf. Dann sagte sie zu der Stratka: O du sanftherzige, tugendreiche und adlichgesittete Jungfrau, von wannen kommt Dir dieser vortreffliche Rath, der mir und allen beisitzenden Mägdlein so gar wohl gefällt? So thuet denn, wie ihr beschließet!

Weiter sagte sie nichts, die schöne nachdenkende Wlasta, und die Andern beeilten sich, aus ihrer Mitte vier erlesene Jungfrauen auszuwählen, die zum Przemysl und Hinchvoch abgesandt wurden. Sie wählten vor allen die beredtsame Budeslawka mit den klugen braunen Augen, dann die kleine naive Wuschemila, die ernsthafte, tiefsinnige Hrawka und die lammfromme, stille Pietisyla. Diese zogen, von den Uebrigen tausendmal gesegnet, aus gen des Herzogs Burg, während die Andern mit quälender Neugier zurückblieben. –

Przemysl und Hinchvoch saßen wieder bei einander vor einem Faß Meth, und bekümmerten sich um die ganze Welt nicht. Sie zechten um die Wette, und ließen nicht einmal Jemand leben, denn das incommodirte sie zu sehr. Sie schwitzten ordentlich vor Langerweile, weil sie nichts mitsammen zu reden wußten, aber es war ihnen dennoch heimlich wohl dabei. Denn Hinchvoch hatte keinen Geist, und Przemysl liebte den Geist nicht. So vertrugen sie sich beide vortrefflich, und gaben sich die Hand, nie wieder von einander zu lassen. Man muß das Leben nutzen, sagte Przemysl, den das Getränk schläfrig machte.

Die Zeit ist kostbar, entgegnete Hinchvoch, und streckte sich aus, um zu schlafen.

Nur Eines noch, rief Przemysl, und ermannte sich.

Auch mir fällt noch Etwas ein, entgegnete Hinchvoch.

Was denn? fragte Przemysl.

Nichts! entgegnete Hinchvoch.

Ich meine das Heirathen, sagte Przemysl.

Ja, sagte Hinchvoch.

Niemals werde ich wieder heirathen, rief Przemysl.

Wer hätte Zeit zum Heirathen! seufzte Hinchvoch.

Meine Zeit ist mir zu lieb, und meine Freiheit! sagte Przemysl.

Gib Dich doch nicht mit solchen Gedanken ab! sagte Hinchvoch, ärgerlich werdend, denn ihn schläferte sehr.

Ich muß auf meine Freiheit halten! rief Przemysl, auffahrend.

Wenn Du nur eine einzige Lehre von mir annehmen wolltest! sagte Hinchvoch.

Welche denn? fragte Przemysl.

Daß sich Alles in der Welt von selbst versteht! gähnte Hinchvoch.

Wie meinst Du das? fragte Przemysl aufmerksam.

Ich meine, wie hätte man Zeit und Ruhe, zu schlafen, wenn sich nicht Alles in der Welt von selbst verstände! explizirte Hinchvoch.

Ich verstehe Dich nicht, erkläre Dich deutlicher, sagte Przemysl dringend.

Laß erst noch ein Faß Meth holen, sagte Hinchvoch.

Soll geschehen! rief Przemysl, und es war alsbald durch den Diener herbeigeschafft.

Nun, sagte Hinchvoch, nachdem er noch einmal getrunken, daß sich Alles in der Welt von selbst versteht, ist klar. Zum Beispiel, daß du frei bist, versteht sich von selbst. Ebenso, daß Du nicht mehr heirathen wirst! Was machst Du Dir also Gedanken darüber! Die Zeit ist kostbar. Laß uns schlafen! –

Mir wird Angst bei Dir! sagte Przemysl. Du fängst an geistreich zu werden. Ich dachte, Du hättest keinen Geist. Und siehe, mein Haar sträubt sich empor, und es ist mir, als käme der neuerdings Mode gewordene Geist der Weissagung auch über meine Seele. Ja, ja, Hinchvoch, ich bitte Dich um Alles in der Welt, ich sehe die Zukunft vor meinen Blicken aufsteigen. Ich schaue eine Periode des Menschengeschlechts, wo Alle geistreich sind. Es ist das glorreiche neunzehnte Jahrhundert, in dem jeder Ladendiener geistreich werden wird. Man wird einem Menschen nichts Schlechteres mehr nachsagen können, als daß er geistreich ist, und überall, wo man hinhört, wird die Rede sein von geistreichen Jünglingen, von geistreichen Frauen, von geistreichen Berliner Banquiersöhnen, und Keiner wird mehr ein Kleid machen lassen bei einem Schneider, wenn der Schneider nicht geistreich ist. Die Recensenten, wenn sie weiter nichts mehr zu sagen wissen, werden das Wort Geistreich zum Schimpfwort brauchen, und diese klägliche Periode wird damit endigen, daß sich die Geistreichen alle unter einander mit Haut und Haaren auffressen. Ich sehe schreckliche Dinge, die da kommen werden, Keiner sagt mehr zum Andern guten Morgen, ohne dabei geistreich zu sein. Keiner ißt mehr ruhig sein Butterbrot, ohne eine geistreiche Bemerkung dabei zu machen. Kein Spitzbube wird gehängt, ohne ein geistreiches Gesicht dabei zu schneiden. Kein Mann prügelt mehr seine Frau, ohne geistreiche Motive dazu zu haben. Alles wird sich geistreich motiviren, und es wird kein gesunder Discours, bei dem man sich bequem ausruhen kann, mehr zu Stande kommen. Diese klägliche Periode und ihr klägliches Ende habe ich prophezeiht. Ich bin dazu ausersehen vom Verhängniß. O Hinchvoch, Hinchvoch, halte mich, mir wackelt der Kopf und ich kann nicht wieder zu mir kommen, mir schwinden die Sinne!

Er sank in die Arme seines getreuen Hinchvoch zurück, und dieser rüttelte und schüttelte ihn, bis die Kraft der Weissagung wieder von ihm wich. Dann sahen sich beide ganz erstaunt an, und reichten sich gerührt die Hände. Sie schwuren, daß sie nie wieder ein Gespräch mit einander führen wollten, an dem sie sich erhitzen könnten, da heut um ein Haar ihre Freundschaft auf dem Spiele gestanden hätte. In diesem Augenblick trat ein Diener in den Saal, und meldete, daß eine Gesandtschaft von vier Jungfrauen draußen stände, die etwas Wichtiges an den Herzog Przemysl und den Reichsobersten Hinchvoch auszurichten hätten.

Die Jungfrauen wurden eingelassen, und schritten mit schüchterner Geberde, die beredte Budeslawka an ihrer Spitze, vor die Beiden hin. Budeslawka erhob ihre helltönende Stimme, und begann zuerst, mit gesenkten Augen, von dem heiligen und allen Völkern stets ehrwürdig gewesenen Beruf des weiblichen Geschlechts zu sprechen. Sie nannte die Frauen die Ordnerinnen und Hüterinnen des Lebens, und erinnerte, klagend und triumphirend zugleich, an der Libussa mächtigen Geist, welche dieses hochemporblühende Reich zuerst eingerichtet, und in seinen Grundvesten geschaffen, geordnet, zusammengehalten habe. Dann ging sie, muthiger werdend, und mit durchdringenden Blicken aufschauend, zu der Behauptung über, daß kein Reich, kein Staat, kein Volk ohne der Frauen mitwirkende Hülfe, ohne ihren Alles im Gleichgewicht erhaltenden Sinn, bestehen, gedeihen könne. Sie fügte, leiser betonend, hinzu, daß sie und alle ihre Schwestern draußen auf dem Berge Widowle entschlossen seien, nur am Altar des Vaterlandes ihre Lebenspflichten zu üben, und Wlasta und Stratka, ihrer Schönheit und Tugend wegen allberühmte Jungfrauen, hätten entschieden, die Ersten zu sein, welche dem allgemeinen Besten des Staates sich opferten. Sie böten beide ihre Hand dar, Jene dem Przemysl, Diese dem Hinchvoch, um mit ihnen vereint im Bunde der Ehe Antheil zu haben an dem Wirken und Verrichten der Männer. Dies gäben sie durch diese Abgesandtschaft offen und frei zu erkennen, denn die Frau sei souverain, sie dürfe reden! Nun sei es an Przemysl und Hinchvoch, so würdigen Jungfrauen würdige Antwort zu ertheilen.

Budeslawka schwieg und trat, sich verneigend, wieder einige Schritte zurück, während Przemysl und Hinchvoch sich vor Verwunderung nicht zu lassen wußten. Sie begaben sich endlich beide in ein anliegendes Kabinet, um sich dort miteinander zu berathen.

Ein seltsamer Fall! sagte Przemysl.

Ich dächte, man fragte die Gelehrten! sagte Hinchvoch.

Was Gelehrten! rief Przemysl entrüstet aus. Wir müssen ihnen auf der Stelle eine abschlägliche Antwort geben.

Das müssen wir, aber ohne allen Aufwand von Redekunst! sagte Hinchvoch.

So antworte Du! sagte Przemysl.

Nein, antworte Du! sagte Hinchvoch. Du bist der Herzog.

Eben weil ich der Herzog bin, sagte Przemysl, befehle ich Dir, zu antworten.

Ja so, sagte Hinchvoch. Ich werde mir etwas ausdenken, was Keine beleidigen und Keine erfreuen kann.

Hierauf gingen sie wieder in den Saal zurück, und Hinchvoch näherte sich den Jungfrauen, und sagte, sich die Hände reibend, nach einigem Besinnen: Ihr liebwerthen und schönen Jungfrauen, wenn sich einmal der unvorhergesehene Fall ereignen sollte, daß dem Przemysl und dem Hinchvoch die Wlasta und die Stratka gefielen, so könnte es wohl geschehen, was ihr uns ansinnet. Da man aber nicht wissen kann, wann dieser Fall eintreten möchte, so laßt euch bis dahin Gutes gerathen sein, und thut, wie die andern Mägde im Lande, und spinnet und stricket, nähret euch redlich und betet zu den Göttern. Denn was seid ihr Besseres? Aber gedenkt auch zu euerm Trost daran, daß sich bisweilen selbst unvorhergesehene Fälle ereignen.

Nach dieser Rede entließ er die Jungfrauen, die alle in schweigendem Zorn von dannen gingen. Sie schlichen betrübt einher, wie geschorene Lämmer, und getrauten sich kaum einander selbst anzusehen. Sie sprachen kein Wort zusammen auf dem ganzen Rückwege, und nicht einmal ein Seufzer schlich sich aus der gepreßten Brust hervor. Als sie so in stummer Reihe bei dem Berg Widowle anlangten, kamen ihnen die andern Mädchen schon von fern fragend entgegengesprungen. Aber Budeslawka winkte ernst mit der Hand, und bedeutete sie, still zu sein. Dann erzählte sie mit einer Stimme, die wie gemessenes Grabgeläute klang, welche schnöde Antwort den Jungfrauen zugetheilt worden sei.

Als Wlasta dies hörte, warf sie sich lautschreiend an die Erde nieder, und brüllte wie eine Löwin, welche des Jägers Schuß ins Herz getroffen. Sie zerraufte sich das wunderschöne Haar, und jammerte, daß sie diese Schande nicht überleben werde. Die schmachtende Stratka weinte bloß helle Thränen, und faßte ihre Freundin in die Arme, um sie an ihrem Busen zu trösten. Aber Wlasta wollte von keinem Trost hören, sie schlug bald auf mit donnernden Tönen einer wuthentbrannten Seele, bald wimmerte sie in sich hinein wie eine sterbende Nachtigall. Dann ward sie ganz still, während sich die andern Jungfrauen in schmerzlicher Theilnahme um sie her drängten.

Nachdem sie eine Zeitlang so gelegen, ihr herrliches Antlitz der Erde zugekehrt, erhob sie sich plötzlich wieder, und stellte sich aufrecht in ihrer strahlenden Gestalt vor die Freundinnen hin. Ihre Augen leuchteten, wie zuckende Blitze, in ihrem hochgehobenen Arm bewegte sich, wie zum Kampf, die empörte Muskelkraft. Auf, auf, zur Rache, ihr Schwestern! rief sie aus. Zur Rache an allen Männern! Kein einziges dieser Ungeheuer darf am Leben bleiben, so lange wir böhmischen Mägde walten in diesem Lande! Zur Rache, zu den Waffen! Jede suche sich ihre Waffe, damit wir gerüstet sind! Schlaget todt, schlaget todt, jeden Mann schlagt todt! Zu den Waffen, zu den Waffen! Jetzt will ich euch sagen vom freien Weibe, was es ist! Das freie Weib ist die Amazone, die gegen die Männer ficht! Die Amazone, mit Schwert und Bogen und Pfeil, ein freies Weib! Sie ist unabhängig, sie streitet für ihre Freiheit gegen die Männer! Darum auf, zur Rache, zu den Waffen! Die Amazone, mit Schwert und Bogen und Pfeil, ein freies Weib!

Da jubelten und jauchzten alle die böhmischen Jungfrauen, und im ganzen Kreise hallte und schallte es, daß der Berg erzitterte: »Zur Rache, zu den Waffen! Die Amazone, mit Schwert und Bogen und Pfeil, ein freies Weib!«

Und sie ordneten sich in Schaaren, und beschlossen, noch in derselbigen Nacht die Veste Motol zu stürmen, um sich darin zu verschanzen. Wlasta, der Mägde hochherzige Führerin – – –

 

* * *

 

– Doch hier, o Heilige, muß ich wahrlich abbrechen! Vielleicht schreibe ich Dir den Rest ein anderes Mal auf, vielleicht auch nicht. Du mußt bedenken, ich sitze im Wirthshause. Und wer hat in den Wirthshäusern dieses Lebens Zeit und Ruhe, ein Kunstwerk zu schaffen? Ich mindestens nie, mit meiner flatterhaften Muse, die so wenig reelles Sitzfleisch jetzt hat. Also gehe ich lieber spazieren, da ich einmal auf der Reise bin.

Ich habe Dir jedoch wenigstens die Exposition zu dem böhmischen Mägdekrieg gegeben, wie ich ihn mir denke, und ich wundere mich recht, daß alle bisherigen Bearbeiter dieser Geschichte, sowohl der an manchen lyrischen Schönheiten reiche Karl Egon Ebert, als auch van der Velde Carl Franz van der Velde (1779-1824). in seiner bekannten Novelle, die eigentlichen Motive dazu, wie ich sie aufgefaßt, so ganz verkannt haben. Du mußt Dir nun aber weiter denken, wie sich aus diesem kühnen Beginnen der Mägde der blutigste Krieg entsponnen, welcher einige Jahre lang das ganze Land verheerte; wie allmählig alle Frauen im gesammten Reiche Partei ergriffen wider ihre Männer, und den öffentlichen Kampf der Jungfrauen durch kleines häusliches Gewehrfeuer unterstützten; wie alle Morgen Männer, welche die Oberherrschaft des Weibes nicht anerkannten, ermordet im Bette gefunden wurden; wie die kriegerischen Jungfrauen, nachdem sie sich lange auf der Veste Motol verschanzt, sich endlich ein eignes Schloß erbauten, das berühmte Schloß Diewin (von diewicze, die Jungfrauen), weil es ganz von jungfräulicher Hand erstanden, und kein Mann auch nur einen Stein zu seinem Bau getragen; wie in diesem Mägdeschloß die Jungfrauen einen eignen Staat errichteten, und sich in allen ritterlichen und männlichen Künsten, bald mit dem Speer, bald mit dem Bogen, bald zu Roß, bald zu Fuß, beherzt und geschickt übten und ausbildeten; wie von Przemysl und seinen Schaaren das Schloß Diewin vergeblich belagert und bekriegt wurde; wie die Mägde viele und herrliche Jünglinge des Landes, unter dem trügerischen Versprechen ihrer Gunst, zu sich auf das Schloß lockten, und dort mit schmählicher List ermordeten und verstümmelten; wie Alles, was einen Bart hatte im Reich, endlich in die allergrößte Verzweiflung gerieth; wie Przemysl einen ordentlichen Landtag wider die Weiber ausschrieb; wie die furchtbar schöne Wlasta sich als die Königin des Reiches anzusehen begann, und eine neue Landordnung, ein eigentliches Amazonen-Edikt, verfaßte, wonach jedem Knaben, der im Lande geboren worden, der Daumen an der rechten Hand abgeschnitten, das rechte Auge aber ausgestochen würde, damit er zu jeder Kriegsthat unfähig sei, wonach ferner jedem Mägdlein, das geboren worden, die rechte Brust mit einem glühenden Eisen abgebrannt werden solle, damit sie ihr nicht wachsen und sie im Spannen des Bogens verhindern könne, wonach auch die Männer nur den Ackerbau betreiben, die Jungfrauen aber im Felde streiten sollten mit den Feinden, und wonach endlich eine Jungfrau Den, der ihr wohlgefiele, zum Manne zu nehmen die Macht hätte, und überhaupt alle Freiheit, welche sonst ein ungerechtes Schicksal den Männern zugewiesen, für sich gewönne. Dann wirst Du jedoch auch sehen, wie diese ethisch-gesellschaftliche Revolution, in welcher sich das freie Weib als Amazone constituirte, zuletzt einen entsetzlich tragischen oder vielmehr sehr gewöhnlichen Ausgang nahm. Denn als die Männer jene neue Landordnung der Wlasta gehört, erschraken sie so sehr und so gewaltig, daß sie sich nun aus allen Theilen des Landes zusammenrotteten, und mit der letzten Kraft ihres Muthes, auf Leben und Tod, einen Sturm unternahmen auf das Mägdeschloß Diewin. Nach einer fürchterlichen Schlacht bethätigte sich endlich das biblische Wort: Er soll Dein Herr sein! und die Jungfrauen, die nicht durch das Schwert fielen, wurden geheirathet, und gelobten Treue und Gehorsam, und ein sanftes Gemüth. – –

Doch genug davon! Ich wünschte wohl, daß ein junger talentvoller Dichter diesen Stoff einmal nach meinen Ansichten, wie ich sie in der Exposition angedeutet, bearbeiten möchte! Du lieber Gott, wer doch heut den Frieden dazu hätte, talentvoll zu sein! Aeußern Frieden und Heiterkeit ringt man sich wohl ab, aber die geheim in mir ziehenden schmerzhaften Gewitter lassen der Seele doch selten Ruhe, daß sie an fremde Stoffe mit ihrer innern Werdelust sich hingebe!

Auch manches Sonstige, was ich schon das vorige Mal berühren wollte, muß ich wieder auf meine nächsten Blätter versparen. Ich bringe jetzt Alles nur in einzelnen Stücken zu Stande. Es ist einmal ein zerstückeltes Leben in dieser Zeit, und das Herz hängt sich mit seinen Sympathieen an diese Zeit. Darum ist es auch zerstückelt. Mein Herz freut sich seiner Fragmente, und erschrickt ordentlich vor der Harmonie, als wäre der Welt Ende dann da. Was soll ich auch mit der Harmonie! Ich bin nicht für sie geboren.

Nimm vorlieb, Du Heilige! –


 


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