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[An meine Heilige]

IV.
Prag.
Katholizismus, Legitimität, Wiedereinsetzung
des Fleisches.


Zwei Dinge sind es, welche auf den gemüthlichen und gesellschaftlichen Charakter der Prager besonders einwirken, nämlich die Musik und das Bier. Der nationelle Sinn für Musik, der in Prag fortdauernd mit großer Kunstliebe gepflegt wird, begünstigt eben so sehr eine gewisse Sanftmuth und Zärtlichkeit der hiesigen Sitten, als das vortreffliche Bier, der zweite Musengott der Bevölkerung, ein mildes Phlegma, eine gedämpfte Gemüthlichkeit in den Umgang bringt. Auch die schwermüthige Stille, die hier auf den Straßen herrscht, scheint es mir zuweilen zu sagen, daß ich unter einer biertrinkenden Bevölkerung weile, der das künstliche Gebräu aus Malz und Hopfen über Alles gilt, sogar über die edleren Gaben des genialen Mannes Bacchus. Das Prager Bier, das in den hiesigen Felsenkellern so außerordentlich gut und kühl erhalten wird, besitzt in der That, bei einem eigenthümlich wohlthuenden Geschmack, so substanzreiche Theile, daß es einmal ein Kenner mit Recht ein flüssiges Brot nannte. Und als solches wird es auch hier vielfältig genossen, da man sogar schon des Morgens mit Bier frühstücken sieht, und die ganze Atmosphäre Prags schien mir beständig so bierdurstig, daß ich das, was ich sonst für eine Barbarei gehalten haben würde, an mir selbst erlebte. Ja, so bin ich, Heilige! daß alle Sympathieen, die es nur in der Welt geben kann, augenblicklich auf mich einwirken. Ist das nicht die alte lächerliche Vielseitigkeit an mir? Aber nun denke Dir, was es auf das Temperament eines Volkes für Einfluß haben muß, wo ein so starkes und schweres Bier zum Lieblingsgetränk geworden. Doch der Prager genießt sein Bier selten ohne – Musik. Aus den niedrigsten Bierhäusern schallt Dir Harfe, Flöte, Geige, Trompete oder Trommel, fast zu jeder Tageszeit, entgegen, und so wiegt sich die sanfte Biermelancholie schnell in eine weiche Musiksymphonie hinüber, die am Ende sogar in die Füße tritt, und die Schwere des Phlegmas zu einem rasch sich drehenden Tanz bewegt.

Doch ich merke jetzt erst, daß ich eine seltsame Einleitung gewählt habe, um mich heut mit Dir zu unterhalten. Denn wahrlich von ganz anderen Dingen habe ich mir vorgenommen, Dir zu sprechen. Ich wollte Dir von der vertriebenen französischen Legitimität, die droben auf dem hohen Hradschin ihren Wohnsitz aufgeschlagen, erzählen. Es ist bald vier Uhr, und um diese Zeit hört Karl der Zehnte in der Schloßkirche die Messe.

»Wie schaffen?« fragt die niedliche freundliche Kellnerin, indem sie sich mit einem wohlgelungenen Knix vor mich hinstellt.

Ich schaffe heut nichts, als einen Fiaker. Der Regen gießt in Strömen herunter, die Straßen schwimmen, und ich muß hinauf zu dem erhabenen Dom von St. Veit.

Es waren bald Anstalten getroffen, um mich fortzubringen. Ich trat in den bedeckten Säulengang, und durch die Kirchthür, und hatte noch Zeit, den merkwürdigen Eindrücken, welche gothische Bauwerke immer auf die Stimmung und das Gemüth hervorbringen, mich zu überlassen. Das auf hohen gothischen Bogen getragene Schiff der Kirche, die auf mächtigen Wandpfeilern ruhenden Kreuzgewölbe, die vielen in ehrwürdiger Pracht schimmernden Kapellen und Altäre, die stille andächtige Reihe der Betstühle; große historische Denkmäler, ehrfurchterregend in ihrem Alter und in ihrer Kostbarkeit; auf ihren Gräbern schlafende, in Stein gehauene Könige, Heilige, Märtyrer und Wundertäter; wunderbare Wandbilder, bedeutsame Inschriften, seltsam zierliches Schnitzwerk, bunte Malerei auf dem flimmernden Zwielicht der hohen Fenster; reicher Kirchenschatz der Metropolitane, Silber, Edelgestein und Vergoldung überall; Ballustraden, Baldachine, Kruzifixe, Weihgefäße und silberne Lampen; und zu allen diesem Einzelnen die ganze, in vielfache Ecken auslaufende Halle, mit ihrem geheimnißvollen Dunkel, das zuweilen plötzlich von den aus Thüren und Fenstern hereinbrechenden Tageslichtern durchblitzt wird, und mit der luftig schwebenden hohen Decke, zu der das Auge in staunender Verwunderung sich verliert; dieser Anblick und dieser Eindruck ist so gemüthserregend, daß man lange bei sich nachdenkt, ohne zu wissen, worüber, und doch wiederholt er sich fast bei jeder gothischen Kirche auf die ähnliche Weise. Die historische Ehrwürdigkeit dieses alten Domes, der, schon oft dem Sturm der Zeiten verfallen, sich immer wieder, wenn auch nie mehr ganz vollständig in ehemaliger Pracht, erhoben, möchte noch dazu beitragen, die heiligen Schauer zu vermehren, die beim ersten Fußtritt, den man vom Eingang aus auf den tiefer liegenden Marmorboden setzt, die Seele ergreifen. Etwas Unendliches scheint sich vor Dir aufzuthun, wenn Du die ehrfürchtigen Blicke durch die unbegränzte Tiefe der Kirche hinirren lässest, es ist Dir, als öffne sich die weite, geheimnißvolle, dunkle Zukunft des nach göttlichem Ebenbild geschaffenen Menschengeistes. Und doch ist diese Unendlichkeit der Anschauung, die an Dich herantritt und in die Du alle Deine Gedanken tauchen möchtest, sie ist nur die Unendlichkeit der architektonischen Perspective, die der gothischen Baukunst eigenthümlich ist. Diese Perspective in das Unbegränzte und Jenseitige, an der sich in vergangener Epoche der sehnsüchtige Geist des Christenthums zu diesem kühnen Schwung der Bauformen erhoben, regt mich jedoch mehr auf zu Gedanken, als daß sie mich mit einem festen Gedanken beglückte. Es ist eine sinnliche Unendlichkeit, die darin auch in ihrer Wirkung Aehnliches mit der Musik hat, daß sie mehr Gedankenstimmungen erzeugt, als reine Gedanken zuläßt. Diese Baukunst ist die in trunkenen Formen aufschwebende Andacht, die zu dem Unbegreiflichen betet, und so verbindet sie sich als das nebenstehende und verwandte Element mit der Kirchenmusik, um die Mystik des katholischen Gottesdienstes hervorzubringen. Der Katholizismus ist die Religion der Kirche, er bedarf der Kirche zu seinem Glauben und zu seiner Andacht. Unter freiem Himmel, wo bloß die helle Luft der Gotteswelt scheint und tagt, könnte er nicht bestehen, denn die heiligen Handlungen, die sein eigenstes Wesen ausmachen, sind an die Halle der Kirche, an Altar und Kapelle, an Meßgewand, Betstuhl und Wachskerze gefesselt. Er bedarf der Baukunst der sichtbaren Kirche, der Dämmerung der Bogengänge, der Vertiefung der Kreuzgewölbe, um alle seine absichtsvollen und künstlichen Wirkungen zu erreichen, um in der Charwoche bald durch plötzlich bewerkstelligte Finsterniß, bald durch wieder aufglimmende Helle der heiligen Bedeutung der Erlösungsgeschichte eine Illusion für die Sinne zu schaffen. Er bedarf der sichtbaren Kirche, um Katholizismus zu sein. Es ist gerade wie mit der Legitimität; die bedarf des sichtbaren Thrones, um Legitimität zu sein. Sie bedarf der Herrscherpracht unter goldenem Baldachin, um zu herrschen; sie bedarf der Säulen des Königspalastes, um die Macht des Bestehenden auch den Sinnen anzudeuten. Sie bedarf des Scepters und des Reichsapfels in der Hand, um die Heiligkeit der Ueberlieferung, auf der sie ruht, zu bezeichnen; sie bedarf aller durch Jahrhunderte geweihten Insignien ihrer Hoheit, um zu zeigen, daß sie über der Gemeinde, über dem Volke steht, und nicht aus demselben hervorging.

Doch was rede ich von der Legitimität? Ich bin ja gekommen, um sie zu sehen. Die Vesper hat bereits begonnen, aber das königliche Oratorium oben ist noch immer leer, und meine Augen spähen vergeblich nach Karl dem Zehnten. Die Kirche ist mit manchen andern Neugierigen meiner Art gefüllt, die sich flüsternd und erwartungsvoll in den Gängen auf und nieder bewegen. Es ist ein seltsames Leben in der schon halb verdunkelten Kirche, und ich irre unter lauter unbekannten und fremdartigen Gestalten umher. Hier und da höre ich französische Laute an mein Ohr dringen. Nun heißt es, Karl X., der arme kranke Verbannte, werde heut nicht erscheinen, und die romantisch hochherzige Düchesse de Berry ist in Brandeis. Dagegen meldet der Kirchendiener, daß der Herzog und die Herzogin von Angoulème und der Herzog von Bordeaux zu sehen sein werden. In der That befanden sich diese drei Mitglieder der vertriebenen Königsfamilie auf einem Umzuge durch die Kirche begriffen, um mehrere Schätze und Reliquien-Kostbarkeiten der reichen Metropolitane in näheren Augenschein zu nehmen. Eben kamen sie den Gang herunter, um sich in die Wenzelkapelle zu begeben. Sie schritten dicht an mir vorüber, und ich weiß nicht, mich überfiel es auf Einmal, als wäre ich im Grunde meines Herzens ein Stocklegitimer, denn ich machte der Herzogin von Angoulème, auf deren ächt bourbonischem Gesicht der höchste Ausdruck von Trauer geschrieben stand, mit der tiefsten und ehrerbietigsten Verneigung Platz. Fürchte jedoch nichts von mir, es war lediglich die Ehrfurcht vor dem Unglück. Heiterer sah der Herzog von Angoulème aus, und schien sich den resoluten Muth, der ihn in mannigfach mißgünstigen Schicksalen seines Lebens stets ausgezeichnet, auch jetzt noch bewahrt zu haben. Den kleinen Duc de Bordeaux hatte ich noch nicht genau gesehen, und ich folgte daher dem Zuge nach der berühmten, dem heiligen Wenzel gewidmeten Kapelle dieser Kirche. Die St. Wenzel-Kapelle, die sich gleich rechts vom Haupteingange befindet, ist die reichste an alten merkwürdigen Reliquien, Denkmälern und heiligen Erinnerungen. Sie war von Anwesenden ganz angefüllt, und es herrschte eine eigene, ängstliche, drückende Stille, während die verbannte Familie vor dem Altar stand, und sich von dem Priester die aus mehreren Kästchen und Schränken hervorgeholten Kostbarkeiten und Heiligthümer vorzeigen ließ. Der kleine Herzog von Bordeaux hat ein hübsches, kluges, verstandvolles Gesicht, mit einer sehr gemäßigten Bourbonicität der Nase, dazu etwas Keckes und in die Zukunft Blickendes in seinem Auge, was, zugleich mit einer Beimischung von leiser, noch knabenhafter Trauer, ihm einen höchst interessanten Ausdruck gab. Ich muß gestehen, seine Erscheinung, die ich mir anders gedacht, gefiel mir ganz außerordentlich, und ich hatte mich dicht in seine Nähe gedrängt, um ihn recht beobachten zu können. Hinten in der Ecke der Kapelle standen zwei alte weißbärtige Franzosen zusammengekauert, allem Anschein nach mitausgewanderte, begeisterte Legitime, die den kleinen Duc, den einzig übrig gebliebenen Gegenstand ihrer Hoffnungen, das einzig sichtbare Pfand der wiederherzustellenden Legitimität Frankreichs, mit leuchtenden Augen unverwandt betrachteten. Ich sah bald auf diese alten merkwürdigen Henriquinquisten hin, die von dem Anblick ihres letzten Bourbonen ordentlich trunken schienen, bald auf den jungen, hoffnungsvollen Henri selbst, der sich von der Herzogin von Angoulème erst dazu am Arm stoßen ließ, um eine ihm von dem Priester vorgehaltene Reliquie zu küssen. Ich nahm das für ein gutes Zeichen, und obwohl ich in Frankreich nicht zu den Legitimen gehören würde, freute ich mich doch von Herzen über den Duc de Bordeaux, und die alten Henriquinquisten. Der eifrigste Reliquien-Küsser war der Herzog von Angoulème, welcher auf manche Gegenstände dieser heiligen Ueberlieferung drei bis viermal die Lippen heftete, und gar nicht davon ablassen konnte. Als sie die Kapelle verließen, küßte er noch mit wahrer Inbrunst den an der Thür derselben befindlichen berühmten Ring, woran sich, wie mir der gutwillige Kirchendiener erzählte, der heilige Wenzel, als er zu Altbunzlau von seinem Bruder ermordet wurde, noch in der letzten Todesangst angehalten haben soll.

Die Scene war zu Ende, und die versammelte Menge begann sich allgemach wieder zu zerstreuen. Ich schritt noch langsam in den Kreuzgängen auf und nieder, und konnte mich noch nicht von dieser wunderbaren Kirche trennen, die jetzt, wo die großen Schatten der Dämmerung von den hohen ernsten Pfeilern herabflossen, am mächtigsten meine Einbildungskraft und meine Gedanken in Bewegung setzte. Ich hatte den Herzog von Bordeaux, die Hoffnung der Legitimität, gesehen, und er hatte mir gefallen. Ich hatte bemerkt, wie er nur widerwillig einige heilige Gegenstände küßte, und hatte mich darüber gewundert, weil ich den Katholizismus immer für die Religion der Legitimität gehalten. Dennoch hatte es mir auch wieder gefallen. Jetzt wurden so weitgehende Betrachtungen über diese Dinge in mir rege, daß ich zu dem heiligen Veit ausdrücklich flehte, er möchte mich noch so lange hier in der vertraulich einsamen Halle seines Domes lassen, bis ich mich recht zur Genüge in meinen auftauchenden Vorstellungen ergangen hätte.

Dann wurde wieder die Lust größer in mir, mich an irdischen Gestalten zu zerstreuen, statt in gefährliche Gedanken mich einzulassen. Ich lief rascher in den Gängen hin und her, daß meine Tritte durch die ganze Wölbung wiederhallten. Hier und da traf ich noch vor einem Altar oder Heiligenbild der Kirche Betende und Knieende an, darunter einige schöngebildete Frauen, die meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Der inbrünstige Ausdruck der Andächtigen in den katholischen Kirchen hatte schon oft meine Bewunderung erregt, vornehmlich bei den Pragerinnen, die zugleich nicht verfehlen, alle Lieblichkeit ihrer Gestalt dabei anschaulich zu machen. In der anmuthigsten Stellung sieht man sie, den Kopf tief auf den Busen heruntergeneigt, wie selbstvergessen in ihrer Frömmigkeit dastehen, während zugleich die dadurch hervortretende Rundung des schönsten Nackens an ein blühendes weltliches Element erinnert. Und nachdem sie still und zierlich gebetet, machen sie zuletzt dem Bild ihres Patrons, vor dem sie gestanden, noch einmal eine gefällige, graciöse Verbeugung, und entfernen sich dann mit einem allerliebsten Knix aus der Kirche. Das nenne ich gute Lebensart in der Religion. Fürwahr, man ist auch dem lieben Gott einige gute Lebensart schuldig, und wenn man vor ihm betet, mag es nicht gleichgültig sein, ob man es in anständigen und schönen Formen thut, oder mit plumpen und ungebildeten Manieren. Der Katholizismus ist die Religion der schönen Lebensart vor Gott, die Religion der glänzenden Formen in der Andacht. Es gab einmal einen gewissen Pietismus, der in ein höchst vertrauliches, ich möchte sagen bürgerlich-familiäres Verhältniß mit dem lieben Gott gerathen war. Dies war die Spenersche Hauspostillen-Zeit, die Morgen- und Abendsegen-Periode in der Theologie. Diese Frommen – und ich mag nicht untersuchen, wieviel es ihrer noch heutzutage gibt – diese dachten sich den lieben Gott nicht anders, als einen alten guten Papa auf dem Großvaterstuhl in Schlafrock und Pantoffeln, mit dem sie sich Abends, selbst bis auf die Nachtjacke entkleidet, bequem und ohne Umstände unterhalten konnten. Sie sprachen mit ihm Sachen aus der Wirthschaft, rechneten ihm ihre täglichen Ausgaben und Einnahmen vor, baten ihn um Zuschuß, wo es mangelte, und gelobten ihm, daß sie sich vor Ostern keinen neuen Rock machen lassen wollten. Gott war wie ein Armenvorsteher gedacht, die ganze Welt als Spital angesehen, und der Fromme wand sich wie ein geduldiger Hospitalit von Tag zu Tag hin mit seinem pietistischen Krankensüppchen. Es war ein erbärmliches Leben, eine bettelhafte Wirthschaft im Reiche Gottes. Der Katholizismus hätte einen solchen Pietismus nie erzeugen können, sondern es war vielmehr die erste Folge des Protestantismus, welcher die romantischen Formen der Religion zertrümmert hatte, ohne daß jene Zeit noch die Kraft besessen, die verloren gegangene Hoheit der Kirche durch die größere Hoheit des Geistes zu ersetzen. Daher das spießbürgerliche Verhältniß zu Gott, in dem dieser Pietismus sein Heil suchte, und worin fast alle geistige Natur des höchsten Wesens in den bloßen Eigenschaften eines mildthätigen Familienvaters zu Grunde ging.

Der Katholizismus, diese Religion der schönen Form, hat dagegen immer etwas Edles und Adliges, etwas Anstandsvolles in seiner Andacht behalten. Die Kirche wird zum Thronsaal des Allerheiligsten, dem lieben Gott werden hohe feierliche Wachskerzen angezündet, und der Priester legt prächtige Galla an, und weiß tausend Verneigungen zu machen, wenn er sich vor den Altar stellt. Glöcklein klingen, die strahlende Monstranz wird vorgezeigt, und die umstehende Schaar der Gläubigen stürzt anbetend auf ihr Knie nieder, oder verbeugt sich tief, mit einem huldigenden Gruße. Alles trägt den Charakter einer festlichen Versammlung, und die Frömmigkeit befolgt streng alle Gesetze des Ceremoniells und der Convenienz. Meßdiener in Tressenröcken eilen geschäftig auf und nieder, es geht zu wie in einem fürstlichen Salon. Manchen Heiligenbildern rings umher sind kostbare Schmucke umgehangen, hier und da hat eine Madonna einen Orden bekommen. Es herrscht die größte Haltung in der Gemeinde, Jeder ist wie von der ehrfurchtgebietenden Gegenwart des Heiligen erfüllt, und Gott steht in Glorie unter seinen Schaaren, die ihm als einem sichtbaren König huldigen. Im Katholizismus ist Gott als der sichtbare König der Welt gedacht, und die Kirche als Säule und Sessel seines Thrones. Darum geht der Katholik in die stündlich offenstehende Kirche, wenn er zu Gott seine Seele aufrichten will, und der innere Geheimdienst des Geistes, in dem nur die Gedanken knieen und beten gehen, ohne daß sie nöthig hätten, die Kirche zu suchen, liegt ihrer Gottesverehrung fern und fremd. Darum wird aber in der katholischen Kirche Gott als dem König gedient, und nicht Gott als dem Geist. Dem Katholizismus liegt ein royalistisches Element zu Grunde, und indem sich dazu die Heilighaltung der Tradition und die Stabilitätsidee der Kirche gesellt, macht es sich von innen heraus und durch sich selbst anschaulich, wie Katholizismus und Legitimität sich immer in die Hände gearbeitet haben.

Für den Katholizismus wie für die Legitimität gibt es deshalb keine Gesetze der Bewegung. Sie sind unveränderlich in ihrem Wesen, und während sich Alles in der Geschichte um sie her bewegt, können sie Geschichte und Bewegung nicht anders ansehn, als für einen Abfall von ihrem eigensten Dasein. Dennoch kenne ich auch Bewegungsmänner im Katholizismus. Ich denke an Anton Günther Anton Günther (1783-1863), spekulativer katholischer Theologe und Philosoph, dessen Streben dahin ging, die katholische Dogmatik als »Vernunftwissenschaft« zu rekonstruieren und dadurch den alten Streit zwischen Religion und Philosophie zu beseitigen. »Der letzte Symboliker« war 1834 erschienen. – Anm.d.Hrsg. in Wien, einen ausgezeichneten Mann, dessen persönliche Bekanntschaft für mich von großer Bedeutung war. Günther hat den tiefsinnigen Strom der Speculation als Bewegungsidee in das Bestehende der Kirche hineingeleitet, und sogar die Tradition auf eine philosophische Grundlage geschoben, sodaß sie nicht mehr einzeln und abgetrennt dasteht von einer geistigen Wurzel. Dadurch hat er den Katholizismus bewegt. Ich nenne Günther einen Bewegungsmann des Katholizismus, denn wo Geist ist, da wird Bewegung. Und sein reicher poetischer Genius hat einen die veralteten Formen überdeckenden Blüthenschauer ausgestreut, und selbst der Humor kommt ihm zu Hülfe, um einen frischen Jugendzauber hervorzulocken, und aus verfallenem Gemäuer grünes, duftiges Gesträuch zu treiben. Aber es ist dennoch Alles vergeblich. Günthers Verdienst würde welthistorisch sein, wenn es nicht so ganz unhistorisch wäre. Denn die Bewegung des Katholizismus war schon die Reformation. So bleibt denn einem Geist, wie Günther, nichts weiter übrig, als vermittelnde Tendenzen einzuschlagen, die er auch bereits in seinem »letzten Symboliker« auf eine merkwürdige Weise begonnen. Auf seinem eignen Grund und Boden ist der Katholizismus nicht zu bewegen, wenn er Katholizismus bleiben soll. Ein legitimer Thron, der bewegt wird, wird erschüttert. Die erschütterte Legitimität kann nur durch neues Leben und neue Gesetze wieder befestigt werden. So geht es auch den Bewegungsmännern der Legitimität selbst, die allen Parteien nur in einer zweideutig schillernden Stellung gegenüberstehen. Es gibt auch Bewegungsmänner mitten in der Legitimität. Einen solchen nenne ich Chateaubriand. Wie viel hat er nicht für die Bewegung gewirkt, selbst indem und während er für das Bestehende kämpfte! Solche Geister treibt die eigene Unruhe ihrer Kraft sogar wider Willen vorwärts, da sie nirgends Frieden und Heimath haben, bis ihre Kraft endlich in der Auflösung des Gegensatzes durch den Gegensatz mit zerrieben wird.

Auch an den seltsamen Abbé de la Mennais Félicité Robert de Lamennais (1782-1854), französischer Theologe und Schriftsteller; die erwähnten » Paroles d'un croyant« waren 1833 erschienen und prolamierten im Namen der Religion die Souveränität des Volkes. – Anm.d.Hrsg. denke ich, und an seine Paroles d'un Croyant! Ein wie verschiedener Mann von Günther, und doch haben beide, als Männer des katholischen Fortschritts, viel Aehnliches mit einander gemein! Ja, ich glaube, daß Günther sich den früheren Schriften von La Mennais anfänglich angeschlossen hat, wenn er auch die Paroles, über die ich ihn jedoch nie sprechen gehört, schwerlich anders als verdammen wird. Denn der Jacobinismus in der Theologie, dem sich La Mennais in dieser listig berechneten Schrift hingegeben, ist der sittlich edlen und geistig reinlichen Natur eines Günther durchaus entgegengekehrt. Er, der Schöpfer des speculativen Katholizismus, will eine wissenschaftliche Bewegung, welche die Parteien des Glaubens in der Idee der Wissenschaft vermitteln und vereinbaren soll. La Mennais aber predigt einen religiösen Radikalismus, einen frommen Straßenaufruhr, so unglaublich auch immer eine solche Zusammenstellung klingen kann. Aber wer weiß, was noch alles für Wortformen, für pikante Zusammenwürfelungen von Adjectiven und Substantiven nöthig werden, um das, was die Zeit immer bunter in einander übergreifen läßt, zu bezeichnen, denn auch in die Sprache schlägt die Bewegung schneidend ein. Und La Mennais predigt zu den Ouvriers, zu den Tagelöhnern, zu den Handwerksgesellen, er führt eine demagogische Andacht in den Schenken und niedrigeren Weinhäusern ein, und bewaffnet die gefährlichste Klasse des Volkes mit giftig scharfen Sentenzen. Die Worte eines Gläubigen sind mehr aus kirchlich politischer, als aus religiöser Bedeutung anzusehen. Es ist ein politischer Feldzug auf dem Gebiet der Kirche, mit einem großen, zum Theil einzigen Talent der Form ausgeführt. In Frankreich war diese Erscheinung längst zu erwarten, und ich wundere mich, daß sie nicht schon früher sich da gezeigt hat. Der Abbé de la Mennais, nach vorhergegangener Excommunication kaum wieder zu Gnaden angenommen vom heiligen Vater, mußte es sein, der abermals durch eine mit dem größten und salbungsvollsten Ernst versponnene Intrigue gewaltiges Aergerniß erregte vor dem päbstlichen Stuhl. Aber in Frankreich war der Katholizismus lange der Bewegung verfallen, in Frankreich, das die ersten Kriegsheere gegen die Legitimität auf den Schauplatz der Geschichte gestellt hat. Sobald sich dies Volk bestimmt in dem Gedanken gefaßt hatte, daß es das Volk der Bewegung sei für die neueren Zeiten, wurde es ihm nothwendig, den Begriff der Staatsreligion aufzuheben im Lande. Der Katholizismus, die Religion der Legitimität, konnte nicht mehr Religion sein des an die Bewegung hingegebenen Staates. So wurde die Idee der Aufhebung der Staatsreligion zuerst unter den Franzosen lebendig, aus keinem andern Grunde aber, als weil diese Staatsreligion der Katholizismus war. Denn in dem auf ähnlichen politischen Institutionen beruhenden England, wo die herrschende Kirche die protestantische ist, bleibt der Begriff der Staatsreligion bis jetzt noch erhalten.

Mir gefiel der kleine Herzog von Bordeaux. Er zögerte etwas, den ihm vorgehaltenen Reliquienknochen zu küssen. Und der Herzog von Bordeaux ist noch ein Kind. Gehört ein Kind auch schon der Stabilität an? Ich dächte, das muthigste Prinzip der Bewegung schlummert im Kinde, durch die neugepflügte Seele des Kindes geht ungeduldig der Blüthendrang der Bewegung. Ein Unterpfand des Fortschrittes, ein Kind! Das Kind will und muß wachsen und werden, mit hellen Augen sieht es Alles aus dem Gesichtspunct der Zukunft an, und die Welt ist ihm noch die ganze Zukunft. In der Gegenwart nicht festgewurzelt, von der Vergangenheit nicht zurückgehalten, gibt es sich lächelnd an die Entwickelung hin, und zerstört in aller Unschuld alte Gesetze, indem es auf den neuen wie ein junger Gott sich wiegt. Die Hoffnung weht um seinen lockigen Scheitel, die Sehnsucht dehnt Brust und Glieder aus zu schwellenden Formen, und die innere Wärme des Daseins macht eine knospende Gestalt des Frühlings aus ihm. Das Kind bricht auseinander in Blüthe, es weiß nicht wie. Der Segen der allgemeinen Entfaltung hat sich gleich befruchtendem Himmelsthau über die Empfänglichkeit seines Wesens ergossen. Darum denke ich mir gern in einem eingefleischt legitimen und absolutistischen Reiche plötzlich ein unschuldiges, unmündiges Kind auf den Thron, und es ist merkwürdig, wie mir die neueste Tagesgeschichte diese meine ächt historische Schadenfreude verwirklicht. Zwar nicht meinen kleinen Herzog von Bordeaux, dessen kluges Knabengesicht mir so wohlgefallen, hat sie auf den französischen Thron gesetzt, um ihn für die Bewegung zu erziehen, und so in ihm das Vergangenheitsrecht der Legitimität mit dem jungen Recht der Zukunft zu verschmelzen. Aber seht, in Spanien, dieser uralten dunkeln Stätte des zwischen Katholizismus und Legitimität geschlossenen Schwesterbundes, in Spanien schaukelt sich ein kleines frisches Mägdlein in der Wiege, und diese Wiege, an der im Lande früher nicht gesehene Engel sitzen, ist der castilianische Thron. Und rings umher im Reiche, welche Veränderung, ja, welches Schicksal! Ist es Spanien, ist es wirklich das seit langen Jahren geschichtlich todte Spanien, das jetzt einzig nur in den freien und neuen Institutionen sich beglückt, gesichert und erlöst dünken kann? Ein holdes Kind schläft in der Wiege, und das Volk gewinnt Muth, zu erwachen. Die Partei des Kindes ist die liberale, denn sie sieht das Kind an, und denkt bei ihm an die Werdefreiheit der Zukunft. Und das Kind träumt auf seinem Wiegenthron ruhig hin von fernen Morgenröthen, und wenn es einst die größer gewordenen Augen um sich her aufschlägt, wird es die Sonne der Freiheit über Spanien heraufgeführt sehen, und unter diesem Sonnenschein, von dem es geträumt, dann herrschen. Aber noch wird Isabella blutige und kriegerische Tage an ihr Ohr schlagen hören, ehe die Bewegung der Freiheit den Segen des Friedens bringt. Denn in Spanien, weil es katholisch ist, wirkt jede Spaltung auch als eine religiöse, und die Legitimität läßt sich nicht erschüttern, ohne auch dem Katholizismus ein Grab zu graben. Unabsehbar sind daher noch die Mittel der innern Beruhigung, und ich glaube, daß Spanien vorerst nichts Wirksameres zu ergreifen hat, als Frankreich in der Aufhebung der Staatsreligion zu folgen. Und nun sehet auch hin auf die altherrliche Nachbarin Spaniens, das von Camoëns gesungene Portugal! Abermals in einem von Legitimität und Katholizismus verwüsteten Lande ein Kind auf dem Thron, wenn auch schon fast eine Jungfrau! Aber an der Sache des Kindes Maria da Gloria entspann sich der Kampf und die Bewegung der nationalen Freiheit. Und wieder ein Thron, der nicht anders als unter den freien und neuen Einrichtungen sich für gesichert halten kann, ein Thron uralter Legitimität, an die Blüthe eines jungen Mädchens gefesselt, die nur durch die Macht der Bewegung Königin sich nennt, die im Begriff steht, mit einem Fürsten aus Napoleonischem Stamme sich zu vermählen. Wunderbare Romandichtung der Geschichte! Wer hatte etwas Aehnliches sich ausdenken können! Doch während die Freiheit in Portugal aufblüht, verhüllt der Katholizismus trauernd sein Haupt, nachdem ihm der kluge Dom Pedro eine tödtliche Wunde geschlagen. So sind diese beiden alten Legitimitäten des westlichen Europas von der Bewegung ergriffen. O Legitimität, wo wohnst Du noch, wo habe ich Dich in Deiner ursprünglichen Reinheit und festen Kraft, und in nationaler Übereinstimmung mit dem Geist des Volkes selbst, noch zu suchen? Ich weiß kein Land, in dem sich die Legitimität reiner, ursprünglicher und unvermischter erhalten hätte, als in dem streng katholisch gebliebenen Oesterreich. Und ich höre, daß sich der unglückliche Karl der Zehnte jetzt für immer in Oesterreich ankaufen wird, nachdem er die Hoffnung aufgegeben, je wieder auf französischen Boden zurückzukehren. Die alte Austria steht noch fest, sie hat eine reiche und großartige Aristokratie, wie wenig andere Länder, und das Volk hat Ehrfurcht vor der Aristokratie, wie kein anderes Volk. Kann es dauerhaftere Verheißungen für die Stabilität geben? Selbst in England ist der Toryismus bereits für untergraben anzusehn, während die österreichische Aristokratie ihren ganzen unversehrten Glanz noch erhalten, ja immer strahlender und mächtiger sich erhebt. Daher gibt es fast keine einzige zweideutig schillernde Richtung im österreichischen Staat, nirgend liegen verschiedenartige und entgegengesetzte Elemente im Kampf, woraus eine Bewegung ihren Anfangspunct nehmen könnte, und diese patriarchalische Einheit der Zustände, die fernab von der übrigen europäischen Civilisation steht, verbürgt noch auf unabsehbare Jahre die Legitimität. Und da ich von dem Kampf verschiedenartiger Elemente gesprochen, fällt mir noch das Schloß des Grafen Czernin ein, das ich hier in Prag mit Verwunderung gesehn. Dies ist vielleicht das einzige Grafenschloß im ganzen Lande, in welchem demokratische Bestandtheile ihren Wohnsitz aufgeschlagen haben. Ein herrlicher, in dem großartigsten Styl erbauter Palast, aber er steckt voll von pöbelhaftem Radicalismus. Aus den hohen Fenstern hängt an hölzernen Stangen zerlumpte Wäsche zum Trocknen heraus, und durch das colossale Portal geht nichts als armseeliges Bettlergesindel, in schmutzigen und dürftigen Gestalten, aus und ein. Ist das nicht ein Contrast verschiedenartiger Elemente in einem erhabenen Aristokratenschloß? Doch der Graf hat es um Gottes willen gethan. Mildthätigen Sinnes, hat er den Armen und Bedürftigen seinen ganzen Palast zum Wohnen überlassen. Aber diese großartige Verschmelzung von Aristokratie und Radicalismus hat etwas ungemein Ueberraschendes und Nachdenkliches. Zugleich freut man sich darüber. Ich würde mich auch freuen, wenn einmal eine Königstochter aus altem Hause einen wegen demagogischer Umtriebe relegirten Studenten aus purem Mitleid heirathen wollte!

Doch wo bin ich hingerathen? Oder wo bin ich? In den abenddunkeln Gängen von St. Veit irre ich noch, dem Anschein nach ein in sich selbst versunkener Frommer, auf und nieder, und von draußen höre ich den starken Regen auf die Steine herabschlagen. Ich erbange und werde unruhig in dem einsamen menschenentleerten Dom, dessen hohe Säulen, wie alte Mystiker mit schwarzen Bärten, sich immer schauerlicher in die wachsende Dämmerung einspinnen. Meine beständige Sehnsucht nach den Gestalten dieser Welt befällt mich mit unverholener Wehmuth, und es brechen plötzlich in meiner Brust die Schleusen unstillbarer Schmerzen auf. Kein Laut wird um mich her wach; nur hier und da noch eine einzelne Gestalt, an einem Pfeiler lehnend, oder mit leiser Bewegung an mir vorbeischwebend. Die Perspective ins Jenseitige, die zuvor an der gothischen Baukunst dieses Domes meinen Gedanken sich aufgethan, wird jetzt auf Einmal zu einem großen Gefühl der Trauer tief in mir innen. Das ferne Jenseitige hilft mir nicht, und das nahe Diesseitige kann mir nicht genügen. Und Christus sagt, sein Reich sei nicht von dieser Welt, und doch ist er zu uns gekommen, und ist selber Welt geworden. Gott hat sich aus Liebeslust ins Fleisch getaucht, und das Fleisch dieser Welt ist geheiligt worden, indem es Gott wurde. So blüht Gottes Reich überall auf der Erde, aber es ist dennoch, wie Christus verkündet, nicht von dieser Welt, das heißt: nicht von der Welt, wie sie als das von der Jenseitigkeit abgetrennte und in sich verlorene Diesseits hier dasteht. Das Diesseits, welches ohne das Jenseits ist, trägt aber noch den ganzen uralten Fluch des Fleisches auf seinem ungesegneten Haupte, sowie die Erde, welche ohne die Sonne finstrer Klumpen der Materie wäre, ohne sie auch keine Wendepuncte der Bewegung hätte, um sich durch Schwingung zu erhalten, und durch Licht und Farbe zu wärmen und zu kleiden. Und die Sonne, mit ihren Alles bewegenden Weltstrahlen, bewegt auch den Klumpen, und der große Gott mit seinem Alles liebenden Geist hat auch das Fleisch geliebt. Den erhabenen Bund zwischen Gott und Welt hat Christus geflochten, das Jenseits ist in das Diesseits eingeströmt, und der alte Fluch des Fleisches ist der Segnung gewichen. Nur die Stabilität des Klumpens, nur die Legitimität des Fleisches, möchte ich sagen, ist es, welche ein unheilvolles Zerwürfniß zwischen Welt und Geist unterhalten kann. Denn sobald das Reich des Fleisches sich als ein legiti mes abschließt und auf den Thron der Erde sich setzt, ohne die freie Bewegung des Gedankens in sich einzulassen, tritt es bloß als die Ruchlosigkeit der weltlichen Form auf, die sich in sich selbst vernichten und verdammen muß. Aber der Gedanke, wenn er der ächte und freie, und nicht der abstracte ist, hat auch ein erhabenes Verlangen danach, in das Fleisch hineinzuscheinen, ohne das er nicht ist, und dann durchleuchtet er den irdischen Klumpen, der durch seinen Lichtathem hell wird und rein. Die antike heidnische Welt war nichts als das legitime und stabile Reich des Fleisches, und darum das Zeitalter der Plastik. Auch ihre Götter wurden Fleisch und stiegen in menschlichen Formen und Bildern hernieder, aber nicht wie Christus Fleisch geworden war. Diesen Göttern wurden menschliche Formen gegeben, weil sie nichts als menschliche Gedanken waren, aber sie erschienen dennoch als die erste Prophezeihung der Offenbarung Gottes im Fleische. Doch es war nur die Schönheit des Fleisches, zu der es die ganze antike Weltanschauung brachte, und die auch Form ihrer Religion wurde. Daher die Aufgabe dieses Menschenalters, die Schönheit hervorzubringen, und eine seelige Harmonie des Körperlebens an ihren Zuständen auszubilden. Eine Aufgabe, die nun auch das Christenthum in einer höheren und umfassenderen Bedeutung überkommen hat. Denn wird sich nicht endlich auf seiner Grundlage in einem tieferen Sinne ein harmonischer Bildungszustand des Menschen entwickeln, in dem Welt und Geist sich in einer kräftig zusammenwirkenden Einheit mit einander bewegen und durch Ueberwindung ihrer alten Trennung ein unendliches Glück gründen?

Warum bin ich also traurig? Warum ergreift mich diese plötzliche Wehmuth, und lähmt mir die Freudigkeit meiner Gedanken? Die gothische Dämmerung von St. Veit ist es, und die Perspective in das Jenseitige, die meine Seele erbangen macht und Seufzer meinem Herzen entlockt. Nun fliehe ich die späte Einsamkeit dieser melancholischen Kirche, mein Fuß durcheilt, wie von Gespenstern getrieben, den finstern Kreuzgang, und die hohe Pforte schlägt langsam in einem einförmigen Takt hinter mir zu. Da bin ich entschlüpft. Wieder hinaus in die Welt! Die helle, strahlende, brennende, drängende, farbige, strömende, unaufhaltsame Welt! Es hat aufgehört zu regnen. Die Sonne ist blitzend aufgegangen mit erneuten Flammen an dem blauen lächelnden Firmament. –

Und für heut sei zufrieden mit mir! Ich will und kann diese Dinge, die mich schon seit einigen Jahren unaufhörlich beschäftigen, jetzt nicht weiter ausdenken. Aber Du magst Dich nur gefaßt machen, daß ich bei der nächsten Gelegenheit wieder darauf kommen und nicht ablassen werde, diese Gedanken mit Dir durchzusprechen und ins Klare zu bringen. Zu Dir, meine Heilige, rede ich gern davon, und Du weißt doch, warum? Aber meine Ansichten über die sogenannte Wiedereinsetzung des Fleisches, wie ich sie Dir heut und früher schon angedeutet, drucken zu lassen, könnte ich mich nie entschließen. Wie sehr würden mich Diejenigen mißverstehen, die überhaupt nicht verstehen! Und doch wäre es unserer Zeit, wie keiner anderen, höchst nothwendig, darüber auf's Reine zu kommen. Ich sage mit Absicht, auf's Reine! Freilich gibt es auch Reine, denen nicht Alles rein ist. Nun, Jedes auf gut Glück! Was liegt auch am Mißverständniß? Ich finde im Gegentheil, daß es zu wenig Mißverständnisse heutzutage gibt, und daher die viele klare Langeweile, an der unsere Zeitgenossen leiden. Deshalb glaube ich, man macht sich verdient um die Bewegung, wenn man sich recht tief dem Mißverstande preisgibt. –

Bleibe Du mir nur gut, o Heilige! – Und Du! Du! an die ich immer denke! Du! Du! – Du weißt doch – – –


 


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