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– Seit acht Tagen wiederhole ich mir nun alle Morgen, wann ich aufstehe, das: Auch ich in Wien! und doch habe ich noch keine Zeile an Dich darüber zu Papiere gebracht. In die unendliche Lebenslust, wie sie hier in schäumenden Bechern ausgeschenkt wird, mag ich mich wohl für eine Zeitlang stürzen, aber es ekelt mich nachher an, etwas davon aufzuschreiben oder gar Betrachtungen darüber zu machen. Es ist eben der Genuß der Stunde, die nichts als Stunde sein will und kann. Und den guten, tandelhaften, kindischen, liebenswürdigen Wiener mag ich, so lange ich einmal hier bin, gern leiden, obwohl ich nicht für das Leben mit ihm umgehen könnte, eben so wenig als für immer in einer ganz an den Augenblick verlorenen Stadt wohnen, in der man am Ende nur durch eine verzweiflungsvolle Ascese wieder zu sich selbst käme. Dieses an den Augenblick Verlorensein ist jedoch nicht der historische Trieb, der sich in Paris stündlich auf der Gasse herumtummelt, in der eiligen Begier, vom laufenden Strom der Tagesgeschichte und der öffentlichen Bewegung mit erfaßt zu werden. Wien will nichts als panem et Circenses, und hat keine andern historischen Triebe, als zum Sperl, zum Strauß, in den Prater, in den Augarten, zu Lanner und Morelly, in den Volksgarten und zur Promenade am Graben und Kohlmarkt. Danach läuft und rennt es athemlos, darum schmückt und trägt es sich im festlichen Prunke, und die Dreivierteltakte eines Strauß füllen die Weltgeschichte eines ganzen Tages aus. Darum nichts heut von allen diesen Herrlichkeiten, die mich zwar berauscht, aber auch noch nicht einmal zu einem Epigramm begeistert haben. Doch wird es gewiß noch kommen, und meine nächsten Blätter an Dich sollen Dir eine kindisch frohe und mitfühlende Beschreibung aller dieser Wienerischen Lustbarkeiten liefern. Auch von der herrlichen, wunderbar großartigen Stephanskirche, vor der ich noch immer in staunender Ehrfurcht vorübergehe, und von der Aussicht über die Stadt, welche ihr alle übrigen an Höhe überragender Thurm gewährt, rede und schildere ich Dir heut nichts, gute Madonna! Ich bin jetzt nicht aufgelegt zum Schildern und zum Beschreiben, und ich könnte denken, ich wäre krank, so schreit mein Herz in mir, wie eine zersprungene Saite.
Ich fuhr am heutigen Morgen in die schöne Vorstadt Mariahilf, um die Esterhazysche Gemälde-Gallerie zu besuchen. Und davon laß Dir jetzt erzählen, liebe Heilige! Dies trifft mit der Stimmung meiner Seele zusammen, und hat auch in die Deinige etwas hineinzureden.
Ich war ganz allein in den schönen, regelmäßig nach der Schulen Ordnung abgeheilten Sälen. Diese Gallerie ist besonders reich an spanischen Malern, von denen sie große und seltene Schätze besitzt, aber nachdem ich nur erst eine flüchtige Ueberschau durch die Reihen dieser Schule gehalten, blieb ich vor einem ungeheuern Bilde des Niederländers Rembrand stehen, vor dem ich wie eingewurzelt verweilen mußte, und nicht wieder mich abzuwenden vermochte. Dies Bild traf mich wie ein Schlag auf die Brust, und es war, als gerönne mir das Herzblut und als stiegen Thränen in meine Augen, die des Daseins ganzen Schmerz ausweinten. Mit wankender Stimme bat ich den Aufseher, mir doch dies Bild aus der Wand herauszuschrauben, damit seine dunkelbräunlichen Töne in eine noch schärfere Erhellung gegen das Licht sich mir rückten. Er that es, und nun traf es mich blitzend klar, nun traf es mich mit seiner ganzen niederschmetternden Gewalt und überirdischen Hoheit. Nun stellte ich mich bald hier, bald dort hin vor das Bild, und hielt die Hand vor die Augen, und griff an mein zuckendes, scheu zurückbebendes Herz. Wer hat nicht von diesem Bilde gehört? Es ist Christus vor Pilatus, und Pilatus wäscht seine Hände in Unschuld!
Pilatus wäscht seine Hände in Unschuld! O, es ist ein ungeheuerer Weltgedanke, der da in diese stille erhabene Gruppe sich zusammengedrängt hat! Und der Maler hat mit einem tiefsinnigen Ernst die ganze Größe des Moments in sich durchempfunden, und ein mächtiger Geist der Erfindung ist in seinen schöpferischen Pinsel geströmt. Der gebunden stehende Gott vor dem irdischen Richter! Diese Gestalt des Christus ist die merkwürdigste; sie ist unvergleichlich und unbeschreibbar. In dem kräftig gedrungenen Körper, in der herausgehobenen Stärke der gefesselten Glieder, liegt ein heimlich gewaltiges Bewußtsein des Gottes, das sich nur selbst verschweigt, aber zugleich überfliegt sein Antlitz ein unendlicher Gedanke der Trauer, die es ausspricht, daß der Gott seine Stunde und sein Schicksal erfüllt. Die große welterschütternde Frage: cur deus homo? stürmt hier gewaltsam auf die bang betrachtende Seele ein. Und der Blick gleitet hinüber auf den Knecht, welcher den gebundenen Gott festhält. Dies Gesicht des Knechtes hat der Maler vortrefflich erdacht, und nicht minder darin die Größe seiner Anschauung ausgedrückt. Es ist die nichtsahnende Dummheit, die auch von Gott erschaffen ist, damit Einer da sei, der in der Welttragödie die Bedientenrollen versehe. Die Dummheit dieses Knechtsgesichtes ist darum nichts desto weniger tragisch; sie gehört eben in die Tragödie hinein. Die welthistorische Bedeutung der Dummheit ist hier von Rembrand mit einer schneidenden Kälte und Ruhe des Pinsels ausgemalt. Der Knecht hält den Gott, damit der Gott nicht etwa entlaufe. Fest hält der Knecht den Gott, und doch ist der Gott keinem ferner und unerreichbarer, als ihm. Mahnender tritt die Empfindung der göttlichen Nähe den Pilatus an. Sein wehmüthig edles Gesicht, während er sich das Wasser über die Hände schütten läßt, ist sehr schön, und ihn überkommt eine Ahnung von Dingen, die er nicht zu begreifen noch zu bewältigen vermag. Aber er muß das irdische Recht vollstrecken, und er tröstet sich mit der Pflicht. Dort hat die Dummheit dieser Welt den Gott gebunden, und hier wäscht die Pflicht dieser Welt ihre Hände in Unschuld. Da ist der Gott verrathen, und jetzt gedenkt man daran, wie sein Reich nicht ist von dieser Welt. Aber durch Pflicht und Dummheit muß der menschgewordene Gott in den Tod stürzen, denn er will das ganze Loos des Menschlichen theilen, weil er Fleisch geworden ist. Dadurch hat er dann wieder das Fleisch dieser Welt geheiligt. Und doch wäscht Pilatus seine Hände in Unschuld!
Cur deus homo? diese Frage machte mich immer ernster, diese Frage machte mir tieftraurige Gedanken. Ich ging mit zagenden Schritten vor dem Bilde auf und ab, und schaute bald hinauf zu seinen gewaltigen Gegenständen, bald schlug ich die Augen wie geblendet nieder. In der ganzen Welt lag von Uranfang her eine unendliche Zerrissenheit ausgesäet, seufzte ich! Gott wohnte im Himmel, und die Menschen wohnten auf der Erde, und das war die ursprüngliche Weltanschauung, es gab eine andere nicht. Durch diese Weltanschauung blitzte jedoch immer die seltsame Ahnung einer längstvergangenen Einheit des Menschengeschlechts mit Dem, nach dessen Ebenbilde es erschaffen worden, hindurch. Daher in den Urgeschichten aller Völker der wunderbare Frühsonnentraum des Paradieses. Und durch jede Brust ging nun das ewige Ziehen und Bewegen nach der Einheit, sie war der Universalschmerz des gesammten Geschlechts. Der Schmerz ist der Vater aller Bewegung, und der Schmerz trieb die Menschen, in allen Zuständen sich herumzuwerfen, es war der Schmerz um die wiedergesuchte Einheit. Der Schmerz um die Einheit machte die Geschichte. Aber es war ein seltsames Schicksal, wie wenig Einheit gewinnen konnte der Mensch. In seinem Herzen walteten nichts als feindlich getrennte Mächte, und sein Haupt umschwärmten wie unglückbedeutende Vögel seine zwieträchtigen Wünsche. Was er heute geliebt, mußte er morgen hassen, und der eine Theil seines Daseins wußte von dem anderen Theil nichts, oder stand kriegführend gegen ihn auf. Es lagen zwei Welten in ihm auseinander in schreiender Spaltung, von denen die eine Abscheu trug vor der andern, und Gott und Welt, Himmel und Erde, Geist und Fleisch, blickten sich aus unabsehbaren Fernen ohne Liebe und ohne Versöhnung an. Wer der Freiheit nachstrebte, fiel der Knechtschaft des Fleisches in die Arme, und wer in der Knechtschaft schmachtete, weinte laute Thränen um Freiheit des Geistes. Ein ohnmächtiger Groll seufzte durch die ganze Existenz, und die düstre Melancholie des im Fleisch versunkenen Aegyptens und die in Verzweiflung endigende Heiterkeit des an der Kunstverschönung des Fleisches bildenden Griechenlands mischten als die beiden Hauptelemente die Weltgeschichte. Und es war, als hätte Gott im Himmel nicht länger Ruhe, so sehr erbarmte ihn der Welt, die aus eigener Vernunft ihn nicht finden konnte. Er kam in die Welt, und die Welt hat ihn nicht begriffen. Er trat in das Fleisch, und mußte sterben. Er wurde Mensch, und ward mit Ruthen gegeißelt bis aufs Blut. Mit einem Todeskuß hatten Gott und Welt sich umschlungen, und die Erde dröhnte und zitterte, und es war ihr, als müßte sie vergehen in die Ewigkeit hinein an dieser Umarmung. Aber sie verging nicht, und in den Wehen durchdrang sie der Geist der Liebe, und sie sog den neuen Lebenskeim begierig und tief ein in ihren Schooß. Doch man sah sie daran nicht glücklich und heiter werden, und des Christenthums erste Jahrhunderte waren finster. Gott und Welt hatten sich in Christus umarmt, und nun hoffte ich in meinen Gedanken, die alte Zerrissenheit müßte verschmerzt, sie müßte Einheit geworden sein. Da schaue ich umher und schaue zurück, und finde Welt und Gott nur feindlicher getrennt sich gegenüber, als früher, wo die griechische Kunstansicht sie wenigstens zu einer äußeren Lebensplastik verschmolzen, und den Fluch des Fleisches durch seelige Formen beschwichtigt hatte. Ich erschrecke bis in die innerste Stelle meines Herzens, und weiß Das nicht zu deuten und Jenes nicht anzunehmen, was jetzt mir emporsteigt in unruhigen Gedanken. Ich weiß mich nicht darein zu finden, daß die Welt nicht glücklich sein soll und ohne Einheit! Zu einer kräftig und sicher über die Erde schreitenden Einheit dehnt sich mein ganzer Organismus mit geschwungenen Nerven und zugleich mit stolzer Ruhe des Bewußtseins aus. Gott und Welt haben beide in mir eine große Lust der Befriedigung, und ich fühle mich stark genug, beiden ihre Lust in mir zu lassen. Nicht schwinde unter mir, Welt! Nicht stürze über mir zusammen, Himmel! Nicht zerfließe in das Unendliche, du mein junger Geist! nicht verliere und entleere dich im Endlichen, du genußlustige Form! Und Ihr ruft mir entgegen: ich sei kein Christ! Und ich sinne nach, um Euch und mir es unwiderleglich zu sagen, daß ich ein Christ bin, wenn Gott und Welt sich in meiner Menschenbrust zusammenfinden!
Aber nein! nein! ich will jetzt von diesen Gedanken abspringen, und tiefverschleiert liegen lassen, was Jedem in der Heimlichkeit des Herzens unbewußt aufschießen muß!
Und jetzt eilte ich in ein anderes Zimmer der Gallerie, ich verließ den Christus vor Pilatus. Nach Bildern derber Sinnlichkeit suchte ich, um mich nicht an mich selbst und an mein Denken zu verlieren. Ich wollte mich zerstreuen, denn mein Geist fühlte sich von trüben Lebenserinnerungen umschattet. Und wie oft gab ich mich nicht an die bloße glänzende und glühende Form der Erscheinung hin, wenn mir Angst wurde in meinen Gedanken! Eine nackte Diana von Floris, ebenfalls einem niederländischen Maler, die im nächsten Zimmer hing, und zu der ich hinstürzte, that mir noch kein Genüge. Wie gemein waren diese Formen des Fleisches, wie wenig Reiz fand ich an dieser phantasielosen Zeichnung menschlicher Körperschönheit, an diesen zu hartgeformten Schenkeln, an diesem blüthenleeren Busen. Ich wandte mich mit Ekel davon ab. Ich ging zu den Italienern, zu der sitzenden Venus von Titian. Schöner, lieblicher, zarter, weicher, geistig gehobener, poetisch duftiger, sah ich das Fleisch noch nie gemalt. Wie ein Gedicht lag der menschliche Körper vor meinen Augen da, ich seufzte, und andächtig und still wurden alle meine Gefühle. Ich habe große Ehrfurcht vor dem menschlichen Körper, denn die Seele ist darin! Und ich trachte nach der Einheit von Leib und Geist, darum bete ich auch an die Schönheit, und ein heiliger Anblick ist sie mir. Siehe, ich suchte nach Bildern derber Sinnlichkeit, und vor Titian's Venus wurde mir wieder heilig zu Muthe, und ein harmonischer Klang zog sich versöhnend durch meine ganze Stimmung. Nicht mit frivolen Augen schaue auf des Weibes ächte Schönheit hin, sondern den guten und heilerweckenden Gedanken hänge nach, zu denen der Gottesfrieden dieser Formen dich erhebt! Himmel, in welche Zauberwelt von süßer Gestaltung ist mein froherschrockener Blick gedrungen, und was das Leben der Erscheinung heißt, studire ich in trunkener Vertiefung. Titian, erhabener Meister, großer Poet der Menschenform, lieblicher Schwan, der die geheimnißreiche Musik des Körpers austönt, Dir danke ich! Und wie danke ich Dir! Diese Venus predigt Weisheit zu mir her, wie eine gottgewaltige Philosophie, die mich mir selbst lehrt! Venus, aus den Tiefen des Meeres emporgestiegen, und in die herrschende Schönheit der Gestalt geboren, zum Sieg und zum Glück! Die Tiefe verlangte nach der Gestalt, und den formlosen Abgrund der Schöpfung wandelte die Begierde an nach der Erscheinung, und es wirbelte oben der Meeresschaum in gewaltiger Sehnsucht, daß es war, als müsse er sich formen. Die frohlockenden Sonnenfunken schlugen vom Himmel her rufend und zündend in die Schäumung, und die Tiefe unten drängte vom Abgrund herauf mit unwiderstehlicher Inbrunst. Da lächelte es aus der Empörung hervor, wie ein niegesehenes Gesicht, und schlug zwei wunderbare Augen auf, und streckte zwei lilienweiße Arme aus, und ordnete sich in die sanftschwellende Harmonie des Leibes. Die Gestalt war geboren, und die Tiefe hatte ihre Ruhe gefunden. Die Schönheit stieg mit verschämten Wangen an das Ufer der Erde. Venus wurde von den Dichtern und den Weisen und von den Göttern verehrt. Und sie war die Anadyomene der Tiefe.
Leben! Erscheinung! Gestalt! Wie drängt sich Alles danach, was ist! wie stürmen alle Elemente auf diesen Frieden, wie strömt die ganze Unendlichkeit auf diese Gränze zu! Und auch ich bin ein Wesen, das erschienen ist, ich bin ein Körper, der erscheint! Ich bin Fleisch geworden, und die Tiefe in mir drängt nach Licht, und das Licht schimmert sehnsuchtshell in die Finsterniß. Ich, der ich eine Erscheinung bin, ich bin die Einheit von Licht und Finsterniß, denn sonst könnte ich nicht erscheinen. Licht gibt es nicht ohne Finsterniß, und Finsterniß nicht ohne Licht, ohne beide aber keine Farbe und kein Bild. Ich bin ein Bild der Welt, und zwei Verschiedenheiten sind in mir in die Einheit vergangen, sonst wäre ich nicht Bild, und freute mich nicht meiner Erscheinung. Ich fühle mich als ein Ganzes in meiner Trennung, und ich fluche Dir, Ascet, der du mich wieder auflösen willst in meine getrennten Bestandtheile! Ja, ich fluche der Trennung von Geist und Leib, von Diesseits und Jenseits, denn ich fühle mich ein Eines! Ich bin eine gesunde Weltnatur, ich bin ein Concretes, und fasse mich als einen kräftigen Organismus zusammen, so lange ich mit ruhiger Pflichterfüllung über die Erde schreite. In mir ist Diesseits und Jenseits, in mir ist Licht und Finsterniß. Und hier sage ich mir wieder, daß das Licht nicht ist ohne die Finsterniß, und die Finsterniß nicht ohne das Licht. Der Geist ist nicht ohne den Körper, und der Körper ist nicht ohne den Geist, sondern beide in einander sind das Bild, als das ich erscheine. Darum bin ich gesund, ich bin heiter, weil ich ein Bild bin, und ich würde krank sein, wie ganze Jahrhunderte krank waren, wenn ich auseinanderfiele in Geist und Leib, in Diesseits und Jenseits! Gott im Himmel könnte mir nicht helfen, denn ich habe mich aus der Bewegungslinie des Werdens herausgehoben, sobald ich mich abtrenne von der Verbundenheit, in die mich Gott selbst gefügt. Ich kann nicht mehr werden, weil ich auch aus Gott herausgetreten bin, wenn ich heraustrete aus mir selbst. Die Trennung von Fleisch und Geist ist der unsühnbare Selbstmord des menschlichen Bewußtseins.
Und doch, wie viele Jahrhunderte solcher Zerwürfnisse des ganzen Geschlechts rollen sich auf vor meinen Blicken, selbstmörderische Jahrhunderte, wo der Mensch seine Pflicht und seine Andacht darin suchte, das Dasein nur als ein Zersplittertes zu fassen! Das Christenthum, durch das Gott in die Welt gekommen, war es aber gerade, das diesen Zwiespalt zwischen Gott und Welt aufbrachte und immer unheilbarer befestigte. Jene Zeiten der christlichen Ascetik brachten den Begriff der Weltentsagung hervor, und die Kasteiung und Geißelung des Fleisches sollte zu Gott führen, der jenseits der Welt angebetet wurde. Diese gottlose Verzerrung des Christenthums war jedoch die reine Lehre nicht selbst, sondern eben die aus dem Mißverstand der Zeiten geborene Caricatur, in welche sich der ausgetriebene Teufel des Fleisches noch einmal hineinzuretten versuchte. Denn in der Zerwürfniß wirkt gerade der Teufel am mächtigsten, und daher die heimlichen Laster, in welche das der Welt sich gegenüberstellende Mönchthum ebendeßhalb verfiel. Aber wie falsche Propheten seid ihr gewesen, ihr Saint-Simonisten, wenn ihr verkündigt habt, das Christenthum sei ausgelebt und bedürfe euerer Umgestaltung, weil es noch lehre, daß das Reich Gottes nicht sei von dieser Welt. Zwar hat die réligion st.-simonienne das unendliche Verdienst, zuerst wieder darauf hingewiesen zu haben, daß die Welt in Gott sei, und Gott in der Welt, und ich habe mich geärgert, daß einer meiner Bekannten, Veit Moritz Veit (1808-1868), deutscher Autor, Verleger und Politiker; im Jahr 1833 promovierte er mit einer Arbeit über Henri de Saint-Simon (gedruckt 1834 unter dem Titel: »Saint Simon und der Saintsimonismus«). – Anm.d.Hrsg., in seinem Buche über den St. Simonismus diese Lehre von der Wiedereinsetzung des Fleisches so flach und ohne alle tiefere und welthistorische Beziehung zu nehmen vermocht hat. Dennoch aber sind der St. Simonisten religiöse Meinungen verdammenswürdig, weil durch ihre Lehre von der Materie, die Alles ist und auch Gott, nur ein heidnischer Pantheismus herauskommt, und selbst die Religion zur Industrie wird, weil die Welt zu einem Verarbeitungsartikel der Technik wird. Falsche Propheten seid ihr gewesen, ihr St. Simonisten! sage ich. Denn wenn ihr predigt, Gott sei Geist und Fleisch, so betet den menschgewordenen Gott in Christus an! Eure mit unreinen Schlacken gemischte Lehre ist im Christenthum längst und ursprünglich als etwas Reines und in eine große Zukunft Hineindeutendes enthalten. Ich meine, daß ich an eine Perfectibilität des Christenthums glaube, ja daß ich sie weiß an mir selbst. Das Christenthum bedarf keiner künstlichen Umgestaltung, keiner systematischen Revolutionen, aber es ist fähig einer Entwickelung bis in alle Ewigkeit der Zeiten hinein. Aus den Kirchen, aus den Klöstern, aus dem Kämmerlein der Betenden, hat sich das Christenthum in die Geschichte hinein entwickelt, und steht nicht mehr wie eine abgelegene Zelle der Andacht, in die man sich vor dem Geräusch der Welt flüchten könne, da. Das Christenthum ist Geschichte geworden, es ist nicht mehr bloß ein Asyl der Armen und Kranken, sondern es hat sich zu einem Welttempel der Völker ausgebaut. So erfüllt es die Bedeutung, daß Gott in die Welt gekommen ist, immer mehr und mehr, denn diese Verweltlichung Gottes durch das Christenthum war nicht bloß ein einmaliger und abgeschlossener Akt der Gnade, sondern eine unendlich sich wiederholende Emanation. Diese unendlich fortdauernde Weltwerdung Gottes ist die Entwickelungsfähigkeit in der Geschichte, und so ist Gott in der Geschichte ein sich entwickelnder Gott. Und darum erweist sich das Christenthum, das sich aus der Kirche in die Geschichte hinein entwickelt, auch an allen fortwandelnden Bewegungen der Weltzustände immer betheiligt und mitleidend, ja es bringt dieselben hervor und wird zugleich von ihnen hervorgebracht. So kann und wird das Christenthum, gleichwie es früher die Religion der Disharmonie war, und eine Spaltung der Lebenszustände begünstigte, nun auch eine harmonische Bildungsepoche der Völker, die sich von allen Seiten mächtig vorbereitet, nähren und tragen, ja erzeugen. Denn in einer Zeit, wo Geist und Welt gleich gewaltig geworden sind und beide in den Strom einer Geschichte zusammenfließen, läßt sich nicht mehr feindlich trennen, was für die Verbindung geschaffen ist. Und das Geschlecht faßt sich echt menschlich zusammen in der gesunden Einheit seiner göttlichen und weltlichen Bestimmung, und vollbringt mit Freude und Ruhe die Thaten des Lebens. Mit Freude, mit Ruhe, denn Gott ist Welt geworden!
Die starre Lehre eines großen deutschen Philosophen vom Diesseits ist aber nicht die meinige. Zwar ist es ein bedeutender und hoch anzuschlagender Zug in der Hegel'schen Philosophie, daß auch sie, gleich dem St. Simonismus, gewissermaßen die Wiedereinsetzung des Fleisches gepredigt und dem Diesseits, das früher nur als das Inhaltsleere gedacht wurde, seinen Inhalt zurückzugeben getrachtet hat. Aber durch diese Philosophie wird dann auch sogleich ein legitimes Reich des Gedankens auf Erden gestiftet, und das Diesseits ist ein Abgeschlossenes, es ist das System. Alles, was sich gegen die Legitimität eines Systems sagen läßt, muß auch gegen das Hegel'sche Diesseits, oder was dasselbe ist: gegen seine Weltanschauung, gesagt werden. Es ist das Diesseits der sich selbst bewegenden Idee, die nur sich selbst zu ihrem Ziele und Endpuncte hat, es ist das Diesseits ohne Jenseits, das Diesseits ohne Zukunft, das Diesseits, das mit dem Begriff anfängt und mit dem Begriff aufhört, das Diesseits, das fertig wird, nachdem es sich construirt hat. Sein Diesseits ist nicht die gestillte Sehnsucht, es ist das sehnsuchtslose Leben, das keine Wünsche hat als sich, und darum diesseitig ist, weil es sonst nicht sich hätte. So war es mir immer merkwürdig zu sehen, wie Hegel das Sonnensystem erklärte, indem er seine ganze Weltanschauung, dieses in sich selbst abgesperrte Diesseits, scharf darin ausdrückte. Nicht die Sonne war ihm der eigentliche Mittelpunct des Systems, obwohl um diese die übrigen Körper sich bewegen, sondern die Erde mußte es sein, die er als den wahren geistigen Mittelpunct des Sonnensystems begriff. Nothwendig, die Erde! Denn der Gedanke, der sich nur in seinen Begriff faßt, erträgt die Abhängigkeit nicht, daß er um ein Anderes sich bewege, weil das Andere nur für ihn da ist, damit er sich daran hervorbringe oder durch den Gegensatz sich beleuchte. Er selbst aber, der Gedanke, er ist er selbst allein, wie von sich Richard III. sagt. Und in ein vollendetes System könnte die Weltanschauung nie gebracht werden, wenn sie nicht an dem sich selbst bewegenden Diesseits die Möglichkeit ihrer fertigen Systementwickelung erhielte.
Dies Diesseits mag ich nicht, welches ohne das Jenseits ist! Dies Diesseits ohne Bild, ohne Farbe, ohne Sonne! Ich meine zwar nicht, daß die Hegelsche Philosophie insofern ohne das Jenseits ist, als verhielte sie sich in einer leeren Abstraction zu demselben. Das der absoluten Philosophie vorzuwerfen, könnte nur der Unverstand thun. Aber das Jenseitige in ihr, welches der Gedanke ist, hat in dem System ein diesseitiges Reich gegründet und die Bewegung des Geistes darin geschlossen, während doch Gott selbst, als er in die Welt sich tauchte, die fortdauernde Weltwerdung seiner selbst in alle Zukunft hinein frei ließ. So ist alles Jenseitige in dem System aufgezehrt, und in dem Begriff zu einem Diesseitigen geworden, eine Verdiesseitigung, welche dann eben die Construction des Absoluten ist. Ein solches Diesseits, welches das aufgezehrte Jenseits ist, kann sich aber nicht mehr fortbewegen, weil es in der That bereits aus der Geschichte herausgetreten, ja ein Schlußpunct der Menschengeschichte wäre. Es ist, wie gesagt, ein stabil gewordenes, ein legitimes Reich des Gedankens, das keine Zukunft hat. Daher die Ungewißheit über die Unsterblichkeit der Seele in dieser Philosophie. Und ist ein System, welches das Jenseitige in sich abschließt durch Verdiesseitigung des Absoluten, ist diese versteinerte Gegenwart ohne Zukunftshimmel nicht ein Diesseits ohne Jenseits? Denn die Einheit des Daseins, welche durch dies System des Diesseits hergestellt und begünstigt zu werden scheint, ist doch nur eine erkünstelte Einheit des Begriffs, die auf Erden nicht leben und nicht sterben kann und sich nie in eine thatkräftige Bildung des Geschlechts umzusetzen vermag. Und wenn ich an eine Einheit des Daseins mit erhobenem Herzen denke, dann ist es jene thatkräftige Harmonie der Menschheit, jene befriedigte und befriedigende Lebensstärke, die, dem Alterthum vergönnt, auch der modernen Welt wiedererrungen werden muß. Es hat im Gegentheil die Hegelsche Philosophie durch ihr Diesseits wieder eine Trennung und Spaltung im Leben gegründet. Denn weil sie ohne das Jenseits ist, hält sie die Sehnsucht nach demselben um so schmerzlicher wach, da man sich nicht zufriedengeben kann bei ihrer Verdiesseitigung des Jenseitigen. Wie könnte man sich zufriedengeben, da die Zeit und die Geschichte uns noch täglich mahnen? Wie könnte man sich zufriedengeben, da das Jenseitige, unbekümmert um seine feste Verabsolutirung im System, noch mit tausend neuen Weltahnungen und Zukunftsverheißungen in uns hineinredet, und wer wollte zu beweisen vermögen, daß die Wahrheit so sehr die Eine und Unveränderliche ist, daß nicht noch immer neue Wahrheiten geboren werden, welche die Idee der Wahrheit selbst unaufhörlich bewegen, in Fluth bringen, umgestalten? Wer hat es nicht erlebt daß aus Ahnungen und aus Verheißungen, daß selbst aus Träumen die Wahrheit wird? Wer darf das überhören, was mit Ahnungen und Verheißungen, was selbst mit Träumen in ihn hineinredet? Wer, der nicht todt ist, darf sich zufriedengeben mit dem Tod, und mit der Todesnacht ohne milden Mond der Unsterblichkeit?
Und dennoch, dennoch stürze ich mich mit aller Inbrunst der Lebenslust in das Diesseits, ich empfinde mich jauchzend und mit des Bewußtseins Stärke als ein diesseitiges Geschöpf. Das Jenseits soll mein Diesseits nicht aufzehren, und das Diesseits nicht mein Jenseits, sondern ich will sie beide, wie sie sich in einander hineinbewegen, in diesem Menschenherzen tragen, so lange es schlägt! Ihre Ineinanderbewegung in mir soll einen festen Organismus hervorbringen, einen muthigen Sohn der Welt, der sich auf die Woge der Erde setzt, um in die unendliche Zukunft einzuströmen. An die Woge hält er sich fest, von der Woge läßt er sich treiben, er schaukelt sich an ihrem Busen und erfrischt sich genießend an ihrem Wasser. Aber in seine Segel bläst schwellend und leitend ein gewaltiger Geist, der von Anfang her weht, und der mächtiger ist als er und als die Woge. Ich gebe mich an das Diesseits hin, welches das Bild hat, und zugleich den Geist; den Geist und zugleich das Bild!
O ihr Philosophen, was euch fehlt, ist das Bild! Tollkühner Studirstubengedanke eines Weisen, ein Diesseits zu construiren, das bloß der Geist ist, ein Diesseits, das Logik geworden, und eine Logik, die Diesseits geworden! Ihr Philosophen, setzet das Bild in seine Rechte ein, und dann erst wird die Wahrheit des Lebens in ihrer vollgereiften Blüthe erscheinen! Wir sind Kinder dieser Welt! Der Geist verlangt nach dem Bilde, die Tiefe entbrennt in Sehnsucht nach der Gestalt! Ich kämpfe für die Wiedereinsetzung des Bildes!
Um der Schwachen willen werde ich künftig, wenn ich einmal öffentlich über diese hochwichtige Sache sprechen sollte, nie mehr von der Wiedereinsetzung des Fleisches reden! Das Fleisch, in das Bild erhoben, erweist sich auch darin schon als das veredelte und geklärte Element, und als die Durchleuchtung des Geistes, der im Bilde Fleisch geworden ist. Ueberdieß ist, wenn ich nicht irre, Fasttag heut in der katholischen Christenheit, und so enthalte man sich, wie billig, endlich des Fleisches, von dem ich schon gar zu viel gesagt. Ich kämpfe für die Wiedereinsetzung des Bildes!
Und hier denke ich daran, o Heilige, wie ich damals, um stille Mitternacht, in Deinem Garten mit Dir über die Bilder gesprochen, und über die Wahrheit dazu! Es war ein so seltsames Gespräch, daß Manche es für erdichtet, oder was solchen Leuten dasselbe ist, für erlogen halten werden, wenn ich es einmal, der leidigen Gewohnheit unserer Sitten gemäß, drucken lassen sollte! Jetzt aber, Heilige, meine ich nicht die Wiedereinsetzung der Bilder, wenn ich des Bildes Wiedereinsetzung meine!
Ich meine nicht die von der Idee abgetrennten Bilder, das Bunte der Einzelnheit, aus dem erst Idee werden soll! Diese Herrschaft der Bilder, dieser Bilderdienst der Formen, ist ja vergangen und bereits wie ausgetilgt aus der modernen Weltanschauung, die auf den Geist der Wahrheit gewiesen und gerichtet ist. Und wie lange wird der Katholizismus seine Bilder noch halten können, ohne die verfallenen zu restauriren, zu restauriren durch die Idee, sonder welche kein Bild der Welt mehr bestehen kann! Ein Vorfrühling der neueren Völkercultur war es gewesen, als die Weltanschauung in die blühende Einzelnheit der Bilder noch versunken lag, aber dunkelstürmisch und unsicher, wie alle Vorfrühlinge. Und die Bilder bewegten sich über die Erde wie kosende Liebesgötter, und die Welt war leichtsinnig und froh, und das Leben lag bewußtlos wie ein träumendes Kind an der Brust der Elemente, denn Alles war noch Element, und der Bilderdienst war eine elementarische Epoche des Geistes. Allmälig aber wird die Welt immer wieder weise in der Idee, nachdem sie eine Zeitlang in den Bildern leichtsinnig und bewußtlos gewesen ist. Denn die Bilder, diese Naturelemente der Wahrheit, ermatten auch zuletzt an ihrem eigenen flatterhaften Flügelschlag, und werden überdrüssig des fahrenden und abenteuerlichen Lebens, das sie führen müssen in bunter Weltzerstreuung. Sie werden blaß, wenn sie in die Tiefe des Grundes niederschauen, dem sie ursprünglich angehören, und sobald die Bilder in ihren eigenen Grund niedergeschaut haben, hören sie auf Bilder zu sein, denn sie sind die Wahrheit geworden. Dann treten die Weltperioden des Bewußtseins in die Geschichte ein, das ernst wie ein erhabenes Unglück über die Völker und die Menschen kommt. Da entstehen Zeiten der innern Beschauung, wo Alles still ist und wo kein Vogel singt und kein scherzender Zephyr durch den unbewegten Luftkreis zu gehen wagt. Die Geschichte des Menschengeistes scheint still zu stehen, und sich selbst anzusehen in großer Bewunderung, daß sie den Gedanken hervorgebracht hat. Sie denkt den Gedanken, und ihr ist nicht wohl und nicht wehe, sie ist nicht traurig und nicht heiter, denn sie hat den Begriff gefunden. Sie ist Begriff geworden, wozu sollte sie traurig und wozu heiter sein? Sie ist der mit sich selbst eine Begriff, und die Traurigkeit und die Heiterkeit gehört dem Reich der Bilder an, aus denen der Begriff geworden ist, welcher alles Wohl und Wehe in sich überwunden. Aber diese Periode, ungeachtet ihrer Weltgerichtsmiene, ist auch nur eine Uebergangs-Periode, zum Trotz und zum Schrecken Denen, welche einen Abschluß, eine Endepoche darin gefunden wähnten! An diese Uebergangsperiode ist dann bereits das Hegelsche System als ein solches Culminations-System des sich selbst denkenden Gedankens, als die Lehre der nackten Wahrheit, verfallen, oder es ist vielmehr das eigentliche System dieser Uebergangsperiode selbst, und als solches welthistorisch.
Ich nenne den sich selbst denkenden Gedanken eine Uebergangs-Periode bloß der menschlichen Cultur. Nicht damit enden wird die Menschheit, sondern damit anfangen wird sie, die Erneuerung der Lebenszustände darauf zu gründen. Und die neue Bildungsepoche knüpft sich mit solcher Nothwendigkeit an jenen Uebergangspunct an, als die Dichtung mit der Wahrheit, und die Wahrheit mit der Dichtung, die Schönheit mit der Weisheit und die Weisheit mit der Schönheit, nothwendig zusammenhängt. Aber wann sich die Wahrheit von der Schönheit losgerissen hat, kann sie selbst nicht lange ausdauern in der unheimlichen Verlorenheit dieser Trennung, und es wird eine Weltaufgabe daraus, die Schönheit wiederzusuchen!
Immer, wenn die Cultur gewisse Endpuncte erreicht hat, beginnt sie sich selbst umzubiegen, und indem sie sich zurückbildet in ihren Grund, aus dem sie geworden, erzeugt sie auf diesem Wege das Neue, das noch nicht dagewesen war. So muß der Begriff, der aus den Bildern geworden ist, wieder in die Bilder zurücktreten, und die Idee zaubert sich, um ihre höchste Bedeutung zu vollenden, noch in die Gestalt um, mit der sie jetzt Eines wird, während sie früher das Andere war zu ihr. Dies ist die Wiedereinsetzung des Bildes, das nun auf geistigem Grunde sicher und herrlich sich ausmalt, und als glänzendes Wahrzeichen mit der Verheißung in die Geschichte tritt, daß zwischen Geist und Welt das diesseitige Leben die Harmonie errungen. Das Bild hat den Geist, und der Geist hat das Bild, und das Diesseits hat die Einheit und die Kraft. Der nackte Begriff vermochte die Einheit nicht zu gründen, denn ich traf bei ihm gerade auf den Punct, wo er vielmehr die Spaltung im Leben festhält. Des Bildes Schönheit aber ist jetzt eine reiche und unendliche, denn der ganze Reichthum des Erkannten, den der Menschengeist in seinen Tiefen aufgehäuft, ist emporgestiegen in die Glorie dieser Schönheit. Die Weisheit, an welcher die Zeit so schwer und seufzend trug, wie ein Greis an der Last seiner Jahre, wandelt sich in neue Götterjugend um, und hebt leichte Flügel bei tiefem Herzen. Nun sänftigt sich die Strenge des Bewußtseins in jene göttliche Unbewußtheit, die doch Alles weiß, und die Das schon ist, was sie weiß. Nun wird der frühlingfarbene Reiz des Unmittelbaren wieder hergestellt, und das Unmittelbare wiegt und schaukelt sich auf den goldenen Lebenswegen, und weiß und hat sich doch als ein Vermitteltes, das seelig feststeht. Nun muß die Reflexion wieder zur kräftig hinlebenden Natur werden, und was mit der Wurzel tief in das Innere schlägt, muß von außen lachend und leichtsinnig wie Strauch und Blume blühn. Dies, dies ist die Einheit von Sein und Denken! Und so führt uns die gewaltig treibende Hoffnung einer Epoche zu, wo Philosophie und Poesie nicht nur versöhnt, sondern Eines geworden sind! Gebe Gott, gebe Gott, daß wir Strebenden es noch alle erleben! Und wann die Kraft des Diesseits, in der wir uns so muthig zusammenfassen, einmal zerreißt in unserer Seele, dann wollen wir von ganzem Herzen sterben! Denn der Tod zerbricht zwar wieder die Einheit von Körper und Geist, aber zugleich besiegt er das ganze Weltverhältniß von Form und Inhalt. Das Diesseits ist das Verhältniß von Form und Inhalt, und die Unsterblichkeit dieses Verhältnisses ist der Geist, welcher die Einheit war von Form und Inhalt. Und nachdem das Verhältniß von Inhalt und Form in den Geist aufgegangen, welcher der unsterbliche ist, gibt es nur Eines, welches der Geist ist. Der Geist ist sich selbst Form geworden, und diese höchste Einheit ist der Tod. Es ist die Einheit des Reiches Gottes, von der die Einheit des Diesseits nur ein abgeschattetes Ebenbild war, sowie der ganze Mensch nach dem Ebenbilde Gottes erschaffen. – – –
Und nun seid still, ihr meine unruhig gewordenen Gedanken! Ihr weit ausgelaufenen Betrachtungen, kehret in die vertrauliche Gewohnheit der nächsten Nähe, in den Schooß dieser Gegenwart, zurück!
Und was wirst Du dazu sagen, o Heilige, daß ich Dir das Alles so aufgeschrieben, als müßtest Du es genau wissen! O meine Heilige, o Weltheilige! Ich habe ja auch jetzt nichts als beweisen wollen, daß Du eine Weltheilige bist!
Kind, Kind, die Welt ist heilig, und wäre das Lebenselend auch noch so groß! Noch einmal grüße ich mit entzückten Augen Titian's Venus, und neige mich tief vor der goldnen Blüthe der Erdenschönheit! Dann wandele ich weiter durch die Gallerie, und suche nach Schönheit! – –
Ich kam in die Zimmer der Spanier, schritt auf und nieder vor manchen herrlichen Werken, und bewunderte die Eigenthümlichkeit dieser Meister in Colorit und Zeichnung, die mir bisher noch sehr unbekannt gewesen war. Dann blieb ich plötzlich mit übereinandergeschlagenen Armen vor einer Madonna stehen, der Aehnliches ich noch nie geschaut hatte. Es war die Madonna des Sevilla. Jeder Sturm in mir schwieg, meine ganze Seele wurde sanfte Wehmuth, die wie eine Abendröthe still und spielend durch mein Inneres leuchtete.
Dieser spanische Maler hat die große Idee gehabt, seiner Madonna schwermüthige Augen zu geben, wie man es sonst nie sieht.
Sie blickt trauernd, aber scharf und geistvoll, mit großen kecken Augen zum Himmel, während das Christuskind mit dem aus der einen Falte des Gewandes herausschwellenden schönen Busen spielt. Die irdische Schönheit des Busens, und die heitere Unschuld des Christuskindes contrastiren wundersam mit dem tiefen Bewußtsein des ganzen Lebenselendes, das in die Züge der Madonna gelegt ist. Das Kind scheint fast nichts davon zu wissen, es wiegt sich harmlos in der Morgenfrühe seines Daseins. Aber eben dieses Lebenselend, welches das Kind zu erlösen geboren ward, ist in der Mutter zum Bewußtsein geworden und mit Tiefsinn ausgedrückt. Schön, groß, erhaben ist dieser Gedanke! Was das Kind nicht zu wissen scheint, weiß die Mutter, nämlich daß der Jammer des Daseins ungeheuer ist, und daß der alte Fluch des Lebens schreiend zum Himmel klagt! Und darum, weil dies trauernde Weib das erlösungsbedürftige Dasein so in sich durchfühlt, hat sie auch das Kind der Erlösung in ihrem Schooß getragen. Denn dies ist das Kind, welches in die Welt gekommen ist, um die Welt zu heiligen! Dies ist das Kind, nach dem das ganze Lebenselend schreit und seufzt! Dies ist das Weltkind, das die Versöhnung bringt, der Mittler, welcher den Segen spricht über die Formen der Erde! Und dies heitre Kind, dies Kind der Weltschmerzen, wie süß und unbefangen spielt es mit der Brust der Mutter! Und die von den Weltschmerzen ganz durchdrungene Mutter, wie lieblich in aller Trauer und wie hold in allem Wehe ist zugleich ihr Gesicht, ihre Wange! Milde Thränen möchte man weinen, man möchte jauchzen und man möchte klagen! – – – –