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69.
Das ungeheure Genießen des Menschen und der Gesellschaft im Zeitalter Ludwig's XIV. machte, daß der Mensch in der Natur sich langweilte Und verödet fühlte. Am peinlichsten war die öde Natur, das Hochgebirge.
Die Preciösen wollten den Geist, mindestens den esprit in die Liebe bringen: – Symptom eines ungeheuren Genusses am Geiste (dem hellen, distinguirenden, wie zur Zeit der Perserkriege).
Die künstlichsten Formen (Ronsard, selbst die Skandinavier) machen die grüßte Freude bei sehr saftigen und kräftigen sinnlichen Naturen: es ist ihre Selbst-Überwindung. Auch die künstlichste Moral.
Unsre Menschen wollen hart, fatalistisch, Zerstörer der Illusionen sein, – Begierde schwacher und zärtlicher Menschen: welche das Formlose, Barbarische, Form-Zerstörende goutiren (z. B. die »unendliche Melodie« – Raffinement der deutschen Musiker). Der Pessimismus und die Brutalität als Reizmittel unsrer Preciösen.
70.
Wer als Dichter mit baarem Golde zahlen will, muß mit seinen Erlebnissen zahlen: deshalb verbittet sich aber der Dichter seine nächsten Freunde als Interpreten, – sie errathen, indem sie zurückrathen. Aber sie sollten bewundern, wohinaus einer kommt, auf dem Wege seiner Leiden, – sie sollten vorwärts und hinauf blicken lernen, und nicht zurück, hinab –
71.
Die Erklärer von Dichtern mißverstehen, daß der Dichter Beides hat, die Realität und die Symbolik. Ebenso den ersten und den zweiten Sinn eines Ganzen. Ebenso Lust an dem Schillernden, Zwei-, Dreideutigen, auch die Kehrseite ist gut.
72.
Deutschland hat nur Einen Dichter hervorgebracht, außer Goethe: das ist Heinrich Heine – und der ist noch dazu ein Jude. Aber in Frankreich ebenso wie in Italien, Spanien und England und wo man nur – –; er hatte den feinsten Instinkt für die blaue Blume »deutsch«, freilich auch für den grauen Esel »deutsch«. Die Pariser behaupten außerdem, daß er mit zwei anderen Nicht-Parisern die Quintessenz des Pariser Geistes darstelle.
73.
Jude. – Ich hebe mit Auszeichnung Siegfried Lipiner hervor, einen polnischen Juden, der die mannichfaltigen Formen der europäischen Lyrik auf das Zierlichste nachzubilden versteht, – »beinahe echt«, wie ein Goldschmied sagen würde –.
74.
Nachahmung – als Talent des Juden. »Sich anpassen an Formen« – daher Schauspieler, daher Dichter wie Heine und Lipiner.
75.
Für die stete Wiederholung – U – U« u. s. w., den Rhythmus der Reim-Dichtung, sind wir musikalisch zu anspruchsvoll (vom mißverstandenen Hexameter noch abgesehen!). Wie wohl thut uns schon die Form Platen's und Hölderlin's! Aber viel zu streng für uns! Das Spiel mit den verschiedensten Metren und zeitweilig das Unmetrische ist das Rechte: die Freiheit, die wir bereits in der Musik, durch Richard Wagner, erlangt haben, dürfen wir uns wohl für die Poesie nehmen! Zuletzt: es ist die einzige, die stark zu Herzen redet! – dank Luther!
76.
Unter Künstlern der Zukunft. – Ich sehe hier einen Musiker, der die Sprache Rossini's und Mozart's wie seine Muttersprache redet, jene zärtliche, tolle, bald zu weiche, bald zu lärmende Volkssprache der Musik mit ihrer schelmischen Indulgenz gegen Alles, auch gegen das »Gemeine«, – welcher sich aber dabei ein Lächeln entschlüpfen läßt, das Lächeln des Verwöhnten, Raffinirten, Spätgeborenen, der sich zugleich aus Herzensgründe beständig noch über die gute alte Zeit und ihre sehr gute, sehr alte, altmodische Musik lustig macht, aber ein Lächeln voll Liebe, voll Rührung selbst ... Wie? ist das nicht die beste Stellung, die wir heute zum Vergangnen überhaupt haben können, – auf diese Weise dankbar zurückblicken und es selbst »den Alten« nachmachen, mit viel Lust und Liebe für die ganze großväterliche Ehrbarkeit und Unehrbarkeit, aus der wir herstammen, und ebenso mit jenem sublimen Körnchen eingemischter Verachtung, ohne welches alle Liebe zu schnell verdirbt und modrig wird, »dumm« wird ... Vielleicht dürfte man sich etwas Ähnliches auch für die Welt des Worts versprechen und ausdenken: nämlich daß einmal ein verwegener Dichter-Philosoph käme, raffinirt und »spätgeboren« bis zum Exzeß, aber befähigt, die Sprache der Volks-Moralisten und heiligen Männer von Ehedem zu reden, und dies so unbefangen, so ursprünglich, so begeistert, so lustig-geradewegs, als wenn er selbst einer der »Primitiven« wäre; Dem aber, der Ohren noch hinter seinen Ohren hat, einen Genuß ohne Gleichen bietend, nämlich zu hören und zu wissen, was da eigentlich geschieht, – wie hier die gottloseste und unheiligste Form des modernen Gedankens beständig in die Gefühlssprache der Unschuld und Vorwelt zurückübersetzt wird, und in diesem Wissen den ganzen heimlichen Triumph des übermüthigen Reiters mitzukosten, der diese Schwierigkeit, diesen Verhau vor sich aufthürmte und über die Unmöglichkeit selbst hinweggesetzt ist. –
77.
Die Sprache Luther's und die poetische Form der Bibel als Grundlage einer neuen deutschen Poesie: – das ist meine Erfindung! Das Antikisiren, das Reim-Wesen – alles falsch und redet nicht tief genug zu uns: oder gar der Stabreim Wagner's!
78.
Es giebt eine große Litteratur der Verleumdung des Lebens (zu der das neue Testament gehört, die Kirchenväter; die imitatio Christi; Pascal; Schopenhauer), der auch eine Kunst der Verleumdung sekundirt (zu letzterer gehört z. B. Wagner's Parsifal).
79.
Wie verstehe ich es, daß Epikur bei Tische sich die ästhetischen Gespräche verbat? – er dachte zu gut vom Essen und von den Dichtern, als daß er das Eine zur Zukost des Andern machen wollte!
80.
»Hungriger Männer Schnack ist langweilig.«
81.
Petronius: hellster Himmel, trockne Luft, presto der Bewegung: kein Gott, der im Miste liegt: nichts Unendliches, nichts Lüstern-Heiliges, Nichts vom Schweine des St. Antonius. Wohlwollender Hohn; echter Epikureismus.
82.
Derbheit und Delikatesse zusammen bei Petronius, auch bei Horaz: mir am angenehmsten. Es gehört zum griechischen Geschmack. Homer war den Menschen um La Rochefoucauld herum zu derb, sie konnten das Triviale nicht genießen. Sie hielten eine gewisse hohe Empfindung bei sich fest, wie jetzt viele Deutsche, und verachteten sich, wenn Etwas wie Genuß an niederen Sphären in ihnen sich regte. Aristophanes ist das Gegenstück: nihil humani – ist antik.
83.
»Man ist erstaunt über das viele Zögern und Zaudern in der Argumentation des Montaigne. Aber auf den Index im Vatikan gesetzt, allen Parteien längst verdächtig, setzt er vielleicht freiwillig seiner gefährlichen Toleranz, seiner verleumdeten Unparteilichkeit, die Sordinen einer Art Frage auf. Das war schon viel in seiner Zeit: Humanität, welche zweifelt« ...
84.
Montaigne, als Schriftsteller, ist oft »auf dem Gipfel der Vollkommenheit durch Lebhaftigkeit, Jugend und Kraft. Il a la grâce des jeunes animaux puissants – L'admirable vivacité et l'étrange énergie de sa langue.« Er gleicht Lucrez pour cette jeunesse virile. » Un jeune chêne tout plein de sève, d'un bois dur et avec la grâce des premières années.« (Doudan.)
85.
Diderot zeigte sich, nach Goethe's Urtheil, wahrhaft deutsch (Saint-Ogan p. 248) in Allem, was die Franzosen tadelten. Aber auch die Neapolitaner, nach Galiani, acceptirten seinen Geschmack vollständig.
Baudelaire, von deutschem Geschmack, wenn ihn irgend ein Pariser haben kann, empfindet deutsch, wenn er Victor Hugo nicht aushält und ihn einen »Esel von Genie« nennt.
86.
Die Italiener allein in der blutigen Satire echt und ursprünglich. Von Buratti an, der, dem Genie Byron's die entscheidende Wirkung gab. Selbst an Carducci ist Nichts, was nicht Deutsche oder Franzosen besser gemacht hätten.
87.
Die paar guten Bücher, die von diesem Jahrhundert übrig bleiben werden, richtiger: die mit ihren Ästen über dies Jahrhundert hinweg reichen, als Bäume, welche nicht in ihm ihre Wurzeln haben – ich meine das Mémorial Von St. Helena und Goethe's Gespräche mit Eckermann.
88.
Auch heute noch ist die feinste und weiteste Cultur des europäischen Geistes unter Franzosen und in Paris zu finden: aber man muß gut zu suchen verstehn. Diese Ausgesuchten halten sich jetzt verborgener als je; sie haben sich mit stiller Wuth von allen Geschmacks-Bewegungen der Masse gelöst und sind vor der »rasenden Dummheit« des demokratischen bourgeois in schwerzugängliche Winkel geflüchtet. Diese gegenwärtigen Aristokraten des französischen Geistes, eine zarte Art von Menschen, welche nicht gerade auf den kräftigsten Beinen steht und auch der Zahl nach gering sein mag, – sie insgesammt erkennen als ihre Vorfahren und Meister etwa folgende höhere Geister an. Vorerst Stendhal, das letzte große Ereigniß des französischen Geistes, der mit einem Napoleonischen Tempo durch sein unentdecktes Europa marschirt ist und zuletzt sich allein fand – schauerlich allein: denn es hat zweier Geschlechter bedurft, um ihm nahe zu kommen. Jetzt wie gesagt commandirt er, ein Befehlshaber für die Ausgewähltesten; und wer mit feinen und verwegenen Sinnen begabt ist, neugierig bis zum Cynismus, Logiker beinahe aus Ekel, Räthselrather und Freund der Sphinx gleich jedem geborenen Europäer, der wird ihm nachgehen müssen. Möge er ihm auch darin folgen, voller Scham vor den Heimlichkeiten, welche die große Leidenschaft hat, stehen zu bleiben! Diese Noblesse des Schweigen- könnens, Stehen-bleiben-könnens hat er z. B. vor Michelet und sonderlich vor den deutschen Gelehrten voraus. – Sein Schüler ist Mérimée, ein vornehmer, zurückgezogener Artist und Verächter jener schwammichten Gefühle, welche ein demokratisches Zeitalter als seine »edelsten Gefühle« preist, streng gegen sich und voll der härtesten Ansprüche an seine künstlerische Logik, beständig bereit, kleine Schönheiten und Reize einem starken Willen zur Nothwendigkeit zu opfern: – eine echte, wenngleich nicht reiche Seele, in einer unechten und schmutzigen Umgebung, und Pessimist genug, um die Komödie mitspielen zu können, ohne sich zu erbrechen. – Ein andrer Schüler Stendhal's ist Taine, jetzt der erste lebende Historiker Europa's, ein entschlossener und noch in seiner Verzweiflung tapferer Mensch, welchem der Muth so wenig als die Willenskraft unter dem fatalistischen Druck des Wissens in Stücke gegangen ist, ein Denker, welchen weder Condillac in Hinsicht auf Tiefe, noch Hegel in Hinsicht auf Klarheit beeinträchtigt haben, Einer vielmehr, der zu lernen verstand und für lange Zeit verstehen wird zu lehren: – die Franzosen der nächsten Generation haben in ihm ihren geistigen Zuchtmeister. Er vornehmlich ist es, der den Einfluß Renan's und Sainte-Beuve's zurückdrängt, welche beide ungewiß und skeptisch bis auf den letzten Grund ihres Herzens sind: Renan, eine Art katholischer Schleiermacher, süßlich, bonbon, Landschaften und Religionen anempfindend; Sainte-Beuve, ein abgebrannter Dichter, der sich auf die Seelen-Anschnüffelei verlegt und gar zu gern verbergen möchte, daß er weder im Willen, noch in der Philosophie irgend einen Halt hat, ja sogar, was nach Beidem nicht Wunder nimmt, eines eigentlichen festen Geschmacks in artibus et litteris ermangelt. Zuletzt merkt man ihm die Absicht an, noch aus diesem Mangel eine Art Prinzip und Methode von kritischer Neutralität zu bilden: aber der Verdruß verräth sich zu oft, einmal darüber, daß er in der That für gewisse Bücher und Menschen wirklich einigemale nicht neutral, nämlich begeistert gewesen ist – er möchte diese schrecklichen » petits faits« aus seinem Leben wegstreichen, weglügen –, sodann aber über das viel unangenehmere grand fait, daß alle großen französischen Menschenkenner auch noch ihren eignen Willen und Charakter im Leibe hatten, von Montaigne, Charron, La Rochefoucauld bis auf Chamfort und Stendhal: – denen allen gegenüber ist Sainte-Beuve nicht ohne Neid und jedenfalls ohne Vorliebe und Vorverständniß. – Viel wohlthätiger, einseitiger, tüchtiger in jedem Sinne ist der Einfluß Flaubert's: mit seinem Übergewicht von Charakter, der sogar die Einsamkeit und den Mißerfolg vertrug – etwas Außerordentliches unter Franzosen –, regiert er augenblicklich in dem Reiche der Roman-Ästhetik und des Stils: – er hat das klingende und bunte Französisch auf die Höhe gebracht. Zwar fehlt auch ihm wie Renan und Sainte-Beuve die philosophische Zucht, insgleichen eine eigentliche Kenntnis; der wissenschaftlichen Prozeduren: aber ein tiefes Bedürfniß zur Analyse und sogar zur Gelehrsamkeit hat sich zusammen mit einem instinktiven Pessimismus bei ihm Bahn gebrochen, wunderlich vielleicht, aber kräftig genug, um den gegenwärtigen Romanschriftstellern Frankreichs damit ein Vorbild zu geben. In der That geht auf Flaubert der neue Ehrgeiz der jüngsten Schule zurück, sich in wissenschaftlichen und pessimistischen Attitüden vorzuführen. – Was von Dichtern jetzt in Frankreich blüht, steht unter Heinrich Heine's und Baudelaire's Einfluß, vielleicht Leconte de Lisle ausgenommen: denn in gleicher Weise wie Schopenhauer jetzt schon mehr in Frankreich geliebt und gelesen wird als in Deutschland, ist auch der Cultus Heinrich Heine's nach Paris übergesiedelt. Was den pessimistischen Baudelaire betrifft, so gehört er zu jenen kaum glaublichen Amphibien, welche ebensosehr deutsch als pariserisch sind; seine Dichtung hat etwas von Dem, was man in Deutschland Gemüth oder »unendliche Melodie« und mitunter auch »Katzenjammer« nennt. Im Übrigen war Baudelaire der Mensch eines vielleicht verdorbenen, aber sehr bestimmten und scharfen, seiner selbst gewissen Geschmackes: damit tyrannisirt er die Ungewissen von Heute. Wenn er seinerzeit der erste Prophet und Fürsprecher Delacroix' war: vielleicht daß er heute der erste »Wagnerianer« von Paris sein würde. Es ist viel Wagner in Baudelaire.
89.
Die Franzosen tief artistisch: – das Durchdenken ihrer Cultur, die Konsequenz im Durchführen des schönen Anscheines – spricht gar nicht gegen ihre Tiefe – –
90.
Die Historiker wollen heute zu viel und sündigen allesammt wider den guten Geschmack. Sie drängen sich ein in die Seelen von Menschen, zu deren Rang und in deren Gesellschaft sie nicht gehören. Was hat z. B. so ein schwitzender Plebejer wie Michelet mit Napoleon zu schaffen! (es ist gleichgültig, ob er ihn haßt oder liebt; aber weil er schwitzt, gehört er nicht in seine Nähe). Was der mittelmäßige, im schlimmsten Sinne elegante Thiers mit demselben Napoleon! Er macht lachen, der kleine Mann, wenn er den großen Mann bewundert und gegen Cäsar, Hannibal und Friedrich mit der Miene eines weisen Richters abschätzt. Ich schätze es höher, wenn Einer auch als Historiker zu erkennen giebt, wo für seinen Fuß der Boden zu heiß oder zu heilig ist. Ein Historiker, der zur rechten Zeit die Schuhe auszuziehen und die Augen niederzuschlagen weiß, ist aber heutzutage, im Zeitalter der unschuldigen Unverschämtheit und des Pöbel-Geschmacks, ein seltener Vogel. Die deutschen Gelehrten, welche den historischen Sinn erfunden haben (– jetzt üben sich die Franzosen auf ihn ein), verrathen sammt und sonders, daß sie aus keiner herrschenden Kaste stammen; sie sind als Erkennende zudringlich und ohne Scham.
91.
Die Schule der »Objektiven« und »Positivisten« zu Verspotten. Sie wollen um die Wertschätzungen herumkommen und nur die Fakta entdecken und präsentiren. Aber man sehe z. B. bei Taine: im Hintergrunde hat er Vorlieben: für die starken expressiven Typen z. B., auch für die Genießenden mehr als für die Puritaner.
92.
Auf die Schule des romantisme ist in Frankreich gefolgt l'école du document humain ( wissenschaftliche Hysterie – sage ich). Der Urheber des Ausdrucks ist Edmond de Goncourt. Consequenz: die wissenschaftliche Lust des Menschen an sich selber. – Was Unwissenschaftliche daran ist die Lust am Ausnahmefall.
93.
Wie groß das Gefühl der Unsicherheit ist: das verräth sich am meisten in dem Entzücken an kleinen, festen Thatsachen (eine Art von » fait-alisme«, welcher jetzt über Frankreich herrscht) – eine Art Wahnsinn, die auf Erden noch nicht da war; und nicht nur die Wissenschaft, sondern auch ein großer Theil der gegenwärtigen Kunst entstammt diesem Bedürfniß. Es verkleidet sich oft: z. B. in die Forderung der Unpersönlichkeit des Künstlers – das Werk selber soll ihn nicht verrathen, sondern wie ein getreuer Spiegel irgend ein Faktum bis in's Kleinste wiedergeben, feststellen: aber dies Bedürfnis; selber nach solchen Fakten, die Stand halten– gleichsam wie Schmetterlinge festgeheftet sind vom Sammler –ist etwas sehr Persönliches. Am Märchen und der Féerie haben wir das entgegengesetzte Gelüst, von Menschen, die selber sich festgeheftet fühlen mit Sitten und Urtheilen. – Zur Seite geht ein grobes Tasten nach nächstem Genuß: »das Nächste« wird das Wichtigste.
94.
Man will den Leser zur Aufmerksamkeit zwingen, »vergewaltigen«: daher die vielen packenden kleinen Züge des » naturalisme« – das gehört zu einem demokratischen Zeitalter: grobe und durch Überarbeit ermüdete Intellekte sollen gereizt werden!
95.
Daß die corrupten Pariser Romanciers jetzt nach Weihrauch duften, macht sie meiner Nase nicht wohlriechender: Mystik und katholisch-heilige Falten im Gesicht sind nur eine Form der Sinnlichkeit mehr.
96.
» Le public! le public! Combien faut-il de sots pour faire un public? « (Ducis.)
97.
Die Fülle pöbelhafter Instinkte unter dem jetzigen ästhetischen Urtheil der französischen Romanschriftsteller. – Und zuletzt: es giebt viel Verborgenes, was sie nicht heraussagen wollen, ganz wie bei Richard Wagner; 1) ihre Methode ist leichter, bequemer, die wissenschaftliche Manier der Stoff-Masse und der Colportage: es bedarf des großen Prinzipien-Lärms, um diese Thatsache zu verhüllen – aber die Schüler errathen es, die geringeren Talente; 2) Der Mangel an Zucht und schöner Harmonie in sich macht ihnen das Ähnliche interessant, sie sind neugierig mit Hülfe ihrer niedrigen Instinkte, sie haben den Ekel und die aiguille nicht; 3) ihr Anspruch auf Unpersönlichkeit ist ein Gefühl, daß ihre Person mesquin ist, z. B. Flaubert, selber seiner satt, als » bourgeois«; 4) sie wollen viel verdienen und Skandal machen als Mittel zum großen momentanen Erfolg.
98.
Es giebt heute eine sehr bunte und vielgestaltige Ankünstelung von Wissenschaftlichkeit – begreiflich in einem so unechten Jahrhundert, wo »gleiche Rechte« auch »das Gefühl gleicher Ansprüche« nach sich ziehen, z. B. auch den Anspruch, wissenschaftlich sein zu können, falls man es nur will. Fast alle Litteraten glauben es von sich; mehr noch, es gehört jetzt zum Ehrgeiz der Romanschriftsteller.
99.
Zu lesen Custine's Roman Éthel. Gehört mehr zur littérature idée, als zur littérature imagée: also zum XVIII. Jahrhundert durch die Beobachtung à la Chamfort et à l'esprit de Rivarol par le petite phrase coupée.
100.
»Geboren in einer Periode, deren Meisterwerk René, muß ich mich der unfreiwilligen Tyrannei entledigen, die er auf mich ausübt.« (De Custine 1811. Chateaubriand's Einfluß.)
101.
»Bei Shakespeare herrscht der Sinn des Wahren über den des Schönen. Sein Stil, bisweilen erhaben, ist unter seinen Conceptionen; selten befreit er sich von den Fehlern seines Jahrhunderts als da sind: schiefe Einfälle, Gesuchtheit, Trivialiät, Wortschwall.« (De Custine.)
102.
Die Bewunderung für Cicero: c'est une aimable et noble créature. Le petit parvenu est tout simplement le plus beau résultat de toute la longue civilisation qui l'avait précédé. Je ne sais rien de plus honorable pour la nature humaine que l'etat d'âme et d'esprit de Cicéron. (Doudan.) – » Il y a quelque chose de Cicéron dans Voltaire.«
103.
Sainte-Beuve: Nichts von Mann; voll eines kleinen Ingrimms gegen alle Mannsgeister; schweift umher, feig, neugierig, gelangweilt, verleumderisch, – eine Weibsperson im Grunde, mit einer Weibs-Rachsucht und Weibs-Sinnlichkeit (– letztere hält ihn in der Nähe von Klöstern und andern Brutstätten der Mystik fest, zeitweilig selbst in der Nähe der Saint-Simonisten). Als Psycholog ein Genie der médisance, unerschöpflich reich an Mitteln dazu. Niemand versteht besser auf eine lebensgefährliche Weise zu loben; nicht ohne eine anmuthige Virtuosen-Bereitwilligkeit, seine Kunst zur Schau zu stellen, wo es irgend am Platze ist: nämlich vor aller Art Zuhörerschaft, an der Etwas zu fürchten ist. Freilich nimmt er hinterdrein auch an seinen Zuhörern bei sich Rache, heimlich, kleinlich, unreinlich; in Sonderheit müssen es alle unabweislich vornehmen Naturen büßen, daß sie vor sich selber Ehrfurcht haben, – die hat er nicht! Schon das Männliche, Stolze, Ganze, Selbstgewisse reizt ihn, schüttelt ihn bis zum Aufruhr. – Dies ist nun der Psychologe comme il faut: nämlich nach dem Maß und dem Bedürfniß des jetzigen esprit français, der so spät, so krank, so neugierig ist, so aushorcherisch, so lüstern wie er, Heimlichkeiten schnüffelnd, wie er; instinktiv die Bekanntschaft mit Menschen von Unten und Hintenher suchend, nicht viel anders als es die Hunde untereinander machen (die ja auch auf ihre Art Psychologen sind). Plebejisch im Grunde und mit dem ressentiment Rousseau's verwandt: folglich Romantiker – denn unter allem romantisme grunzt und giert der Instinkt Rousseau's; revolutionär, aber durch die Furcht leidlich noch im Zaum gehalten. Ohne Freiheit vor Allem, was Stärke hat (öffentliche Meinung, Akademie, Hof, selbst Port-Royal). Seiner im letzten Grunde überdrüssig, bei Zeiten schon ohne Glauben an sein Recht, da zu sein; ein Geist, der sich von jung auf vergeudet hat, der sich vergeudet fühlt, der sich selbst immer dünner und älter wird. Das lebt zuletzt noch fort, von einem Tag zum andern, bloß aus Feigheit; das erbittert sich gegen alles Große an Mensch und Ding, gegen Alles, was an sich glaubt, da es leider Dichter und Halbweib genug ist, um das Große noch als Macht zu fühlen; das krümmt sich beständig, wie jener berühmte Wurm, weil es sich beständig von irgend etwas Großem getreten fühlt. Als Kritiker ohne Maßstab, Rückgrat und Halt, mit der Zunge des kosmopolitischen libertin für Vielerlei, aber ohne den Muth selbst zum Eingeständniß; der libertinage, folglich einem unbestimmten Classicismus sich unterwerfend. Als Historiker ohne Philosophie und die Macht des Blicks, instinktiv die Aufgabe des Richtens in allen Hauptsachen ablehnend und die Maske der Objektivität vorhaltend (– damit eins der schlimmsten Muster, die das letzte Frankreich gehabt hat): abgesehn, wie billig, von den kleinen Dingen, wo ein feiner und vernutzter Geschmack die höchste Instanz ist, und wo er wirklich den Muth zu sich selber, die Lust an sich selber hat (– darin ist er den Parnassiens verwandt, die wie er die raffinirteste und eitelste Form der modernen Selbstverachtung, Selbstentäußerung darstellen). » Sainte-Beuve a vu une fois le premier Empereur. C'était à Boulogne: il était en train de pisser. N'est-ce pas un peu dans cette posture-là qu'il a vu et jugé depuis tous les grands homes?« ( Journal des Goncourt, II, p. 239) – so erzählen seine boshaften Feinde, die Goncourts.
104.
Wie im Abnehmen der Lebenskraft man zum Beschaulichen und zur Objektivität heruntersinkt: ein Dichter kann es fühlen (Sainte-Beuve).
105.
Sainte-Beuve: » la jeunesse est trop ardente pour avoir du goût.
Pour avoir du goût, il ne suffit pas d'avoir en soi la faculté de goûter les belles et douces choses de l'esprit, il faut encore du loisir, une âme libre et vacante, redevenue comme innocente, non livreé aux passions, non affairée, non bourrelée d'âpres soins et d'inquiétudes positives; une âme désintéressée et même exempte du feu trop ardent de la composition, non en proie à sa propre verve insolente; il faut du repos, de l'oubli, du silence, d'espace autour de soi. Que de conditions, même quand on a en soi la faculté de les trouver, pour jouir des choses délicates!«
106.
Das Volk von Willensschwachen (wie Sainte-Beuve) hat einen innerlichen Widerwillen vor der entgegengesetzten Rasse, z. B. vor Stendhal.
107.
Zuletzt wehren wir uns noch gegen die Menschenkenntnis solcher Sainte-Beuve's und Renan's, gegen die Art Seelen-Aushorchung und -Anschnüffelung, wie sie von diesen unmännlichen Genüßlingen des Geistes ohne Rückgrat gehandhabt wird: es scheint uns gegen die Scham zu gehen, wenn sie mit neugierigen Fingern an den Geheimnissen von Menschen oder Zeiten herumtasten, welche höher, strenger, tiefer waren und in jedem Betracht vornehmer als sie selber: sodaß sie nicht so leicht ihre Thüren irgend welchen herumschweifenden Halbweibern aufgethan hätten. Aber dieses neunzehnte Jahrhundert, welches alle feineren Instinkte der Rangordnung eingebüßt hat, weiß nicht mehr den unerwünschten Eindringlingen und Thore-Erbrechern auf die Finger zu schlagen; ja es ist stolz auf seinen »historischen Sinn«, vermöge dessen es dem schwitzenden Plebejer erlaubt wird, vorausgesetzt, daß er mit gelehrten Folterwerkzeugen und Fragebogen kommt, sich auch in die Gesellschaft von höchster Unnahbarkeit einzudrängen, unter die Heiligen des Gewissens so gut als unter die ewig verhüllten Herrschenden des Geistes. Unter dem historischen Sinn und Umspähen liegt mehr Skepsis verborgen, als man zunächst sieht: eine beleidigende Skepsis, gegen die Rangverschiedenheit von Mensch und Mensch gewendet, wird sogar in Hinsicht auf die Todten mit demselben unverschämten Anspruch auf »Gleichheit« ausgedehnt, welchen sich die bezahlten Diener der öffentlichen Meinung jetzt gegen jeden Lebenden herausnehmen.
Wir aber sind keine Skeptiker, wir glauben noch an eine Rangordnung der Menschen und Probleme und warten die Stunde ab, wo diese Lehre vom Range und von der Ordnung sich der pöpelhaften Gesellschaft von heute wieder in's breite Gesicht einschreiben wird. Vielleicht ist diese Stunde auch unsre Stunde.
108.
Victor Hugo, ein »Esel von Genie« – der Ausdruck ist von Baudelaire –, welcher immer den Muth zu seinem schlechten Geschmacke gehabt hat: er verstand damit zu commandiren, er der Sohn eines Napoleonischen Generals. In seinen Ohren hatte er die Bedürfnisse einer Art von militärischer Rhetorik, er ahmte Kanonenschüsse und das Knattern von Raketen in Worten nach; der französische esprit erscheint bei ihm gleichsam durch Dampf und Lärm verdunkelt, oft bis zur baren nackten Dummheit. Niemals hat ein Sterblicher solche dumpfe platzende Antithesen geschrieben. Zum anderen Theil gab er auch den Maler-Begierden seiner Augen die Herrschaft über seinen Geist: er strotzt von pittoresken Einfällen und thut oft Nichts, als genau abschreiben was er sieht, was die Maler-Hallucination ihm vor seine Augen stellt. Er, der Plebejer, der seinen starken Sinnes-Begierden, ich meine seinen Ohren und Augen, auch mit dem Geiste zu Willen ist – das nämlich ist die Grundthatsache des französischen romantisme, als einer plebejischen Reaktion des Geschmacks –: er ist damit auf der entgegengesetzten Bahn und will gerade das Umgekehrte von Dem, was die Dichter einer vornehmen Cultur, wie zum Beispiel Corneille, von sich wollten. Denn diese hatten ihren Genuß und Ehrgeiz daran, ihre vielleicht noch stärker gearteten Sinne mit dem Begriffe zu überwältigen und gegen die brutalen Ansprüche von Farben, Tönen und Gestalten einer feinen, hellen Geistigkeit zum Siege zu verhelfen: womit sie, wie mich dünkt, auf der Spur der großen Griechen waren, so wenig sie gerade davon gewußt haben mögen. Genau Das, was unserem plump sinnlichen und naturalistischen Geschmack von Heute Mißbehagen an den Griechen und den älteren Franzosen macht, war die Absicht ihres künstlerischen Wollens, – auch ihr Triumph: denn sie bekämpften und besiegten gerade den »Sinnen-Pöbel«, dem zu einer Kunst zu verhelfen der Ehrgeiz unserer Dichter, Maler und Musiker ist. Zu diesem künstlerischen Wollen Victor Hugo's stimmt sein politisches und moralisches: er ist flach und demagogisch, vor allen großen Worten und Gebärden auf dem Bauche, ein Volks-Schmeichler, der mit der Stimme eines Evangelisten zu allen Niedrigen, Unterdrückten, Mißrathenen, Verkrüppelten redet und nicht einen Hauch davon weiß, was Zucht und Redlichkeit des Geistes, was intellektuelles Gewissen ist, – im Ganzen ein unbewußter Schauspieler, wie fast alle Künstler der demokratischen Bewegung. Sein Genie wirkt auf die Masse nach Art eines alkoholischen Getränks, das zugleich berauscht und dumm macht. – Dieselbe Gattung von Sympathien und Antipathien und manches Ähnliche in der Begabung besitzt ein anderer Fürsprecher des Volks, der Historiker Michelet, nur an Stelle der Maler-Augen eine bewunderungswürdige Fähigkeit, Gemüths-Zustände bei sich nachzubilden, nach Art der Musiker: – im unklaren Deutschland würde man ihn heute daraufhin als einen Menschen des Mitleids ansprechen. Dieses »Mitleid« ist jedenfalls etwas Zudringliches; in seinem Verkehr und noch in seiner Verehrung vergangener Menschen liegt viel Unbescheidenheit, ja es scheint mir bisweilen, daß er an seine Gefühls-Arbeit mit einem Eifer herangeht, daß er dazu nöthig hat, seinen Rock auszuziehn. Seine Augen sehen nicht die Tiefe: alle leicht »begeisterten« Geister waren bisher oberflächlich. Er ist mir zu erregt: Gerechtigkeit ist ihm ebenso unzugänglich als jene Gnade, welche nur aus der höchsten Überlegenheit quillt. Auf einer gewissen Höhe von Erregung überkommt ihn jedesmal der Anfall des Volks-Tribunen, er kennt auch aus eigner Erfahrung die Raubthier-Wuthanfälle des Pöbels. Daß ihm Napoleon ebensosehr als Montaigne fremd ist, bezeichnet das Unvornehme seiner Moralität genügend. Seltsam, daß auch er, der arbeitsame sittenstrenge Gelehrte, reichlich an der neugierigen Geschlechts-Lüsternheit seiner Rasse Theil hat: und je älter er wurde, desto mehr wuchs diese Art der Neugierde. – Demokratisch endlich und folglich ebenfalls schauspielerisch ist das Talent der George Sand: sie ist beredt in jener schlimmen Manier, daß ihr Stil, ein bunter zuchtloser übertreibender Weiber-Stil, jede halbe Seite mit ihrem Gefühle durchgeht, – nicht umgekehrt, so sehr sie wünscht, daß man das Umgekehrte glaube. In der That, man hat viel zu sehr an ihr Gefühl geglaubt: während sie reich in jener kalten Geschicklichkeit des Schauspielers war, der seine Nerven zu schonen weiß und das Gegentheil davon alle Welt glauben macht. Man darf ihr zugestehen, daß sie eine große Begabung zum Erzählen hat; aber sie verdarb Alles und für immer durch ihre hitzige Weibs-Koketterie, sich in lauter Manns-Rollen zu zeigen, welche gerade ihrem Wuchse nicht zusagten – ihr Geist war kurzbeinig –: sodaß ihre Bücher nur eine kleine Zeit ernst genommen wurden und schon heute unter die unfreiwillig komische Litteratur gerathen sind. Und wenn es vielleicht nicht nur Koketterie, sondern auch Klugheit war, was sie trieb, sich immer mit Manns-Problemen und männlichem Zubehör zu drapiren, eingerechnet Hosen und Cigarren: zuletzt springt das sehr weibliche Problem und Unglück ihres Lebens trotzdem in die Augen, nämlich daß sie zuviel Männer nöthig hatte und daß auch noch in diesen Ansprüchen ihre Sinne und ihr Geist uneins waren. Was konnte sie dafür, daß die Männer, an denen ihr Geist Wohlgefallen fand, jedesmal zu kränklich waren, um ihren Sinnen genug zu thun? Daher das ewige Problem zweier Liebhaber zugleich und eine ewige Nöthigung der weiblichen Scham, über diesen Thatbestand zu täuschen und sich zu geben, wie als ob ganz andere, viel allgemeinere, viel unpersönlichere Probleme bei ihr im Vordergrunde stünden. Zum Beispiel das Problem der Ehe: aber was gieng sie die Ehe an!
109.
Über Stendhal. Un des esprits les plus remarquables de ce temps. »Er hat sich zu wenig um die Form gekümmert«, – »er schreibt wie die Vögel singen« –. » Notre langue est une sorte de madame Honesta qui ne trouve rien de bien que ce qui est irréprochable, ciselé, léché.« – » La, ›Chartreuse de Parme‹ ein wunderbares Buch, le livre des esprits distingués.« »Ich würde unfähig sein, sie zu machen. Je fais une fresque et vous avez fait des statues italiennes.« »Alles ist original und neu.« »Schön wie l'italien, und wenn Macchiavell in unsern Tagen einen Roman schriebe, so würde es die Chartreuse sein.« »Vollkommen klar.« » Vous avez expliqué l'âme de l'Italie.« (Balzac.)
110.
Mérimée sagt von einigen lyrischen Gedichten Puschkin's »griechisch durch Wahrheit und Einfachheit, très supérieurs pour la précision et la netteté.«
111.
Mérimée, supérieur comme joaillier en vices et comme ciseleur en difformités, gehört zur Bewegung von 1830, nicht durch die passion (sie fehlt ihm –), sondern durch die Neuheit des procédé calculé, und die kühne Wahl der Stoffe.
112.
Der Gil Blas – ein angenehmes Land, in dem keine Deutschen vorkommen: Prosper Mérimée – ein noch angenehmeres: man stolpert nirgendswo über eine Tugend.
113.
In Allem, was Goethe gemacht hat, sagt Mérimée, giebt es eine Mischung von Genie und von deutscher niaiserie: »moquirt er sich über sich selber (gut! das ist deutsch!) oder über die Andern?« – Wilhelm Meister: die schönsten Dinge von der Welt abwechselnd mit den lächerlichsten Kindereien.
114.
Balzac – »tiefe Verachtung für alle Massen«, »Es giebt innere Rufe, denen man gehorchen muß: irgend etwas Unwiderstehliches zieht mich zum Ruhm und zur Macht.« » Mes deux seuls et immenses désirs, être célèbre et être aimé.« (1832.)
115.
Balzac über Walter Scott. 1838 nach zwölfjähriger Bekanntschaft: »Kenilworth« in Hinsicht auf Plan das Meisterstück (»der größte, der vollständigste, der außerordentlichste von allen«). » Les eaux de St.-Ronan« das Meisterstück und Hauptwerk comme détail et patience du fini. »Les Chroniques de la Canongate« comme sentiment. »Ivanhoe« (le premier volume s'entend) comme chef-d'oeuvre historique. »L'antiquaire« comme poésie. »La prison d'Edimbourg« comme intérêt. – »Auprès de lui, lord Byron n'est rien ou presque rien.« – »Scott grandira encore, quand Byron sera oublié.« – »Le cerveau de Byron n'a jamais eu d'autre empreinte que celle de sa personnalité, tandis que le monde entier a posé devant le génie créateur de Scott et s'y est miré pour ainsi dire.«
116.
Dies Jahrhundert, wo die Künste begreifen, daß die eine auch Wirkungen der andern hervorbringen kann, ruinirt vielleicht die Künste! Z. B. mit Poesie zu malen (Victor Hugo, Balzac, Walter Scott u. s. w.), mit Musik poetische Gefühle erregen (Wagner), mit Malerei poetische Gefühle, ja philosophische Ahnungen zu erregen (Cornelius), mit Romanen Anatomie und Irrenheilkunde treiben u. s. w.
117.
Maler wie Dickens, Victor Hugo, Gautier – auch dies heißt das Wort mißverstehn. – Der Gegensatz des Malens ist das Beschreiben (wie Balzac).
118.
Die Demagogen in der Kunst. – Hugo, Michelet, Sand, Richard Wagner.
119.
Frankreich, welches immer das meisterhafte Geschick gehabt hat, auch die unangenehmen Thatsachen des Geistes in's Reizende und Verführerische zu wenden, zeigt auch heute, als Schule und Schaustellung aller Zauber der Skepsis, seinen Cultur-Vorrang über Europa. Es fehlt da freilich für Verwegnere nicht an Gründen zum Lachen und Lächeln; nicht Jeder dieser »Zauberhaften« riecht Unsereinem so gut, als ein Pariser es wünschen möchte. Ich gestehe z. B., daß der weichlich-unbestimmte Bonbon-Geruch Renan's meinen Nüstern nicht zusagt: als welcher Gelehrte, ungewiß und undulatorisch, wie eine Biene von Blume zu Blume flatternd, als eine Art katholischer Schleiermacher gern darüber täuschen möchte, daß sein Wille ersichtlich ganz außer Stande ist, zwischen allen den Wohlgerüchen des Orients und Occidents, die er kennt, noch zu wählen. Schlimmer noch stand es mit Sainte-Beuve, jenem vorzeitig abgebrannten Dichter und Mystiker der Sinne, dem die Fertigkeit übrig blieb, »Seelen« anzuempfinden, wie Renan Religionen und Landschaften anempfindet: was hat er sich bemüht, zu verbergen, daß er weder im eignen Rückgrat, noch in der Philosophie irgend einen Halt mehr habe, ja sogar eines festen Geschmacks in artibus et litteris entbehre! ...
120.
Wie die seinen und unsicheren Windhunde des Pariser Geistes heute mit einem wollüstigen Geschmeichel um ihren Renan herumschnüffeln!
121.
Was soll man von dem französischen Geschmack halten! Doudan sagt: c'est un bruit dans les oreilles et un petit mal de cœur indéfinissable qu'on n'aime pas à sentir.
122.
Goncourt: »Voltaire der letzte Geist des alten Frankreich, Diderot der erste des neuen, Voltaire hat das Epos, die Fabel, die kleinen vers, die Tragödie zu Grabe getragen. Diderot hat den modernen Roman, das Drama und die Kunstkritik inaugurirt.«
123.
Scribe: kennt das Metier, aber er kennt die Kunst nicht. Er hat Talent, aber kein dramatisches Genie; es fehlt völlig an Stil!
124.
Flaubert: » De la forme naît l'idée« – höchste Formel der Schule, nach Théophile Gautier.
125.
Das » Objektiv-sein-wollen«, z. B. bei Flaubert, ist ein modernes Mißverständniß. Die große Form, die von allem Einzelreiz absieht, ist der Ausdruck des großen Charakters, der die Welt sich zum Bilde schafft: der von allem »Einzelreiz weit absieht« – Gewalt-Mensch! Es ist Selbstverachtung aber bei den Modernen: sie möchten wie Schopenhauer sich in der Kunst »los werden« – hineinflüchten in's Objekt, sich selber »leugnen«. Aber es giebt kein »Ding an sich« – meine Herren! Was sie erreichen, ist Wissenschaftlichkeit oder Photographie, d. h. Beschreibung ohne Perspektiven, eine Art chinesischer Malerei, lauter Vordergrund und alles überfüllt.–In der That ist sehr viel Unlust in der ganzen modernen historischen und naturhistorischen Wuth, – man flüchtet vor sich und auch vor dem Ideal-bilden, dem Besser-machen, dadurch daß man sucht, wie Alles gekommen ist: der Fatalismus giebt eine gewisse Ruhe vor dieser Selbst-Verachtung,
Die französischen Romanschriftsteller schildern Ausnahmen, und zwar theils aus den höchsten Sphären der Gesellschaft, theils aus den niedrigsten – und die Mitte, der bourgeois, ist ihnen allen gleich verhaßt. Zuletzt werden sie Paris nicht los.
126.
Die Goncourts fanden Flaubert campagnardisé, zu gesund, zu robust für sie, – sie bemerken, daß sein Talent sich für sie vergröbert ... Was muß sich für Die das Talent Heine's vergröbert haben: – daher der Haß ... Ungefähr der Haß des Novalis gegen Goethe.
127.
Flaubert hielt weder Mérimée noch Stendhal aus; man konnte ihn wüthend machen, wenn man » Monsieur Beyle« in seiner Gegenwart citirte. Der Unterschied liegt darin: Beule stammt von Voltaire, Flaubert von Victor Hugo.
Die »Männer von 1830« (– Männer? ...) haben eine unsinnige Vergötterung mit der Liebe getrieben: Alfred de Musset, Richard Wagner; auch mit der Ausschweifung und dem Laster ...
» Je suis de 1830, moi! J'ai appris à lire dans Hernani, et j'aurai voulu être Lara! J'exècre toutes les lâchetés contemporaines, l'ordinaire de l'existence et l'ignominie des bonheurs faciles.« Flaubert.
128.
»In Salambo kommt Flaubert zum Vorschein, geschwollen, deklamatorisch, melodramatisch, verliebt in die dicke Farbe.« (Goncourt.)
129.
Die Psychologie dieser Herren Flaubert ist in summa falsch: sie sehen immer nur die Außenwelt wirken und das ego geformt (ganz wie Taine?), – sie kennen nur die Willens-Schwachen, wo désir an Stelle des Willens steht.
130.
Was ich lache über Flaubert, mit seiner Wuth über den bourgeois, der sich verkleidet, ich weiß nicht als was! Und Taine, als Monsieur Graindorge, der durchaus Weltmann, Frauenkenner u. s. w. sein will!
131.
Zola: – ein gewisser Wetteifer mit Taine, ein Ablernen von dessen Mitteln, in einem skeptischen Milieu es zu einer Art von Diktatur zu bringen. Dahin gehört die absichtliche Vergröberung der Prinzipien, damit sie als Commando wirken.
132.
Das Gemeinsame in der Entwicklung der Europäer-Seele ist z. B. zu merken bei einer Vergleichung Delacroix' und Richard Wagner's: der Eine peintre-poète, der Andere Ton-Dichter, nach der Differenz der französischen und deutschen Begabung. Aber sonst gleich. Delacroix übrigens auch sehr Musiker. Eine Coriolan-Ouvertüre. Sein erster Interpret Baudelaire, eine Art Richard Wagner ohne Musik. Der Ausdruck, expression, von Beiden vorangestellt, alles Übrige geopfert. Von Litteratur abhängig Beide, höchst gebildete und selbst schreibende Menschen. Nervös-krankhaft-gequält, ohne Sonne.
133.
Baudelaire – ganz deutsch bereits, eine gewisse hyper-erotische Ankränkelung abgerechnet, welche nach Paris riecht.
134.
Die wahre Civilisation besteht, nach Baudelaire, dans la diminution du péché originel.
135.
Tartuffe. Keine Komödie, sondern ein Pamphlet. Ein Atheist, wenn er zufällig ein Mann von guter Erziehung ist, wird in Hinsicht auf das Stück denken, daß man gewisse schwere Fragen nie der Canaille ausliefern soll. (Baudelaire.)
136.
Baudelaire sagt von sich: »De Maistre und Edgar Poe haben mich räsonniren gelehrt.«
1844 c. Baudelaire abhängig von Sainte-Beuve (Joseph Delorme). Sainte-Beuve sagt zu ihm: » Vous dites vrai, ma poésie se rattache à la vôtre. J'avai goûté du même fruit amer, plein de cendres, au fond.«
137.
Baudelaire: Concevoir un canevas pour une bouffonnerie lyrique – et traduire cela en un roman sérieux. Noyer le tout dans une atmosphère anormale et songeuse, – dans l'atmosphère des grands jours. – Que ce soit quelque chose de berçant et même de serain dans la passion – Régions de la poésie pure.