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g) Zu Jenseits von Gut und Böse.

 

87.

Die Gedanken und Niederschriften, welche diesem Buche zu Grunde liegen, gehören derselben Zeit an, in welcher »Also sprach Zarathustra« entstand, und dürften, schon um dieser Gleichzeitigkeit willen, nützliche Winke und Fingerzeige zum Verständniß des eben genannten schwerverständlichen Werkes abgeben. Namentlich auch zum Verständniß seiner Entstehung: mit der es etwas auf sich hat. Damals dienten sie mir sei es zur Erholung, sei es als Selbst-Verhör und Selbst-Rechtfertigung inmitten eines unbegrenzt gewagten und verantwortlichen Unterfangens.

Möge man sich des aus ihnen erwachsnen Buches zu einem ähnlichen Zwecke bedienen: oder auch als eines vielverschlungenen Fußwegs, der immer wieder unvermerkt zu jenem gefährlichen und vulkanischen Boden hinlockt, aus dem dieses eben genannte »Buch für Alle und für Keinen« entsprungen ist. Gesetzt, daß dieses »Vorspiel einer Philosophie der Zukunft« keinen Kommentar zu den Reden Zarathustra's abgiebt und abgeben soll, so vielleicht doch eine Art vorläufiges Glossarium, in dem die wichtigsten Begriffs- und Werth-Neuerungen jenes Buchs – eines Ereignisses ohne Vorbild, Verspiel, Gleichniß in aller Litteratur – irgendwo einmal vorkommen und mit Namen genannt sind. Gesetzt endlich, meine Herrn Leser, daß gerade diese Namen euch nicht gefallen, euch nicht verführen, gesetzt sogar, daß vestigia terrent ..., wer sagt euch, daß ich's anders will? Für meinen Sohn Zarathustra verlange ich Ehrfurcht, und es soll nur den Wenigsten erlaubt sein, ihm zuzuhören. Über mich dagegen, »seinen Vater«, – dürft ihr lachen, wie ich selbst es thue. Oder, um eines Reims mich zu bedienen, der über meiner Hausthür steht, und alles Gesagte noch einmal kurz zu sagen:

Ich wohne in meinem eignen Haus,
hab' niemandem nie nichts nachgemacht,
und lachte noch jeden Meister aus,
der nicht sich selber – ausgelacht.

 

88.

Von einer Vorstellung des Lebens ausgehend (das nicht ein Sich-erhalten-wollen, sondern ein Wachsen-wollen ist) habe ich einen Blick über die Grundinstinkte unfrei politischen, geistigen, gesellschaftlichen Bewegung Europa's gegeben:

  1. daß hinter den grundsätzlichsten Verschiedenheiten der Philosophien eine gewisse Gleichheit des Bekenntnisses steht: die unbewußte Führung durch moralische Hinterabsichten, deutlicher: durch volksthümliche Ideale; – daß folglich das moralische Problem radikaler ist, als das erkenntnißtheoretische;
  2. daß einmal eine Umkehrung des Blicks noth thut, um das Vorurtheil der Moral und aller volksthümlichen Ideale an's Licht zu bringen: wozu alle Art freier, d. h. unmoralischer Geister gebraucht werden kann;
  3. daß das Christenthum, als plebejisches Ideal, mit seiner Moral auf Schädigung der stärkeren, höher gearteten, männlicheren Typen hinausläuft und eine Heerdenart Mensch begünstigt: daß es eine Vorbereitung der demokratischen Denkweise ist:
  4. daß die Wissenschaft im Bunde mit der Gleichheits-Bewegung vorwärtsgeht, – Demokratie ist; daß alle Tugenden des Gelehrten die Rangordnung ablehnen;
  5. daß das demokratische Europa nur auf eine sublime Züchtung der Sklaverei hinausläuft, welche durch eine starke Rasse commandirt werden muß, um sich selbst zu ertragen;
  6. daß eine Aristokratie nur unter hartem langem Druck entsteht (Herrschaft über die Erde).

 

89.

Dies sind meine Urtheile: und ich gebe dadurch, daß ich sie drucke, noch Niemandem das Recht, sie als die seinen in den Mund zu nehmen: am wenigsten halte ich sie für »öffentliches Gemeingut« und ich will Dem auf die Finger klopfen, der sich an ihnen vergreift. Es giebt Etwas, das in einem Zeitalter des »gleichen Rechts für Alle« unangenehm klingt: das ist Rangordnung.

 

90.

Man kommt endlich dahinter, daß die Menschen bei den gleichen Worten Verschiedenes meinen, fühlen, wittern, wünschen. Welche Gruppen von Empfindungen und Vorstellungen im Vordergrund einer Seele stehn und am schnellsten erregt werden, das entscheidet zuletzt über ihren Rang.

Dies ist gesagt, um zu erklären, warum es schwer ist, solche Schriften wie die meinigen zu verstehen: die inneren Erlebnisse, Wertschätzungen und Bedürfnisse sind bei mir anders. Ich habe Jahre lang mit Menschen Verkehr gehabt und die Entsagung und Höflichkeit so weit getrieben, nie von Dingen zu reden, die mir am Herzen lagen. Ja ich habe fast nur so mit Menschen gelebt. –

 

91.

»Wird es überhaupt noch Philosophen geben? Oder sind sie überflüssig? Es ist genug jetzt als Überrest von ihnen in Fleisch und Blut von uns allen. Man wird auch keine Religionsstifter mehr haben: es sterben die größten Thiere aus.« – Dagegen sage ich:

 

92.

Eine Philosophie, welche nicht verspricht, glücklicher und tugendhafter zu machen, die es vielmehr zu verstehen giebt, daß man in ihrem Dienste wahrscheinlich zu Grunde geht, nämlich in seiner Zeit einsam wird, verbrannt und abgebrüht, durch viele Arten von Mißtrauen und Haß hindurch muß, viele Härte gegen sich selber und leider auch gegen Andere nöthig macht: eine solche Philosophie schmeichelt sich Niemandem leicht an: man muß für sie geboren sein – und ich fand noch Keinen, der es war (sonst würde ich keine Gründe haben, dies zu schreiben). Zum Entgelt verspricht sie einige angenehme Schauder, wie sie Dem kommen, der von ganz hohen Bergen aus eine Welt neuer Aspekte sieht; und sie macht nicht am Ende blödsinnig, wie es die Wirkung des Kant'schen Philosophirens war.

 

93.

In diesem Zeitalter (wo man begreift, daß die Wissenschaft anfängt) Systeme bauen – ist Kinderei. Sondern: lange Entschlüsse über Methoden fassen, auf Jahrhunderte hin! – denn die Leitung der menschlichen Zukunft muß einmal in unsre Hand kommen!

Methoden aber, die aus unseren Instinkten von selber kommen, also regulirte Gewohnheiten, die schon bestehn; z. B. Ausschluß der Zwecke.

 

94.

Gegen Das, was ich in diesem Buche vorzutragen wage, läßt sich gewiß aus der Nähe und noch mehr aus der Ferne mancher herzhafte Einwand machen. Einen Theil dieser Einwände habe ich selbst, in vielfachen Selbstverhören des Gewissens, vorweggenommen; leider aber auch immer vorweg beantwortet: sodaß bisher die ganze Last meiner »Wahrheiten« auf mir liegen geblieben ist. Man wird verstehen, daß es sich um »lästige Wahrheiten« handelt: und wenn es einen Glauben giebt, der selig macht: nun wohlan, es giebt auch einen Glauben, der das nicht thut.

Zuletzt ist auch Das vielleicht noch eine Frage der Zeit: man verträgt sich am Ende selbst mit dem Teufel. Und wenn die Dinge nicht darauf eingerichtet sein sollten uns Vergnügen zu machen, wer könnte uns hindern sie – darauf einzurichten?

 

95.

Meine Freunde, ihr versteht euern Vortheil nicht: es ist nur Dummheit, wenn höhere Menschen an dieser Zeit leiden: sie haben es nie besser gehabt.

 

96.

Wir Heimatlosen – ja! Aber wir wollen die Vortheile unsrer Lage ausnützen und, geschweige an ihr zu Grunde zu gehn, uns die freie Luft und mächtige Lichtfülle zu Gute kommen lassen,

 

97.

Wir Heimatlosen von Anbeginn – wir haben gar keine Wahl, wir müssen Eroberer und Entdecker sein: vielleicht daß wir, was wir selbst entbehren, unsern Nachkommen hinterlassen, – daß wir ihnen eine Heimat hinterlassen,

 

98.

» Exultabit Solitudo et florebit, quasi lilium.«
Isaias 35, 1.

 

99.

Wenn ich mich jetzt nach einer langen freiwilligen Vereinsamung wieder den Menschen zuwende, und wenn ich rufe: wo seid ihr, meine Freunde? – so geschieht dies um großer Dinge willen.

Ich will einen neuen Stand schaffen: einen Ordensbund höherer Menschen, bei denen sich bedrängte Geister und Gewissen Raths erholen können; welche gleich mir nicht nur jenseits der politischen und religiösen Glaubenslehren zu leben wissen, sondern auch die Moral überwunden haben.


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