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Im Frühsommer 1915 wurde ich eines Tages in Teschen, dem Sitze des österreichisch-ungarischen Armeeoberkommandos, zum Chef des Generalstabes befohlen. Er hatte einiges von mir gelesen, hatte sich offenbar für den Autor interessiert: kurz, ich wurde vorgestellt.
Im Verlauf der Unterredung war ich, ganz abgesehen von dem Eindruck, den die Persönlichkeit dieses Mannes auf den Besucher übte, völlig verblüfft und zugleich erschüttert von der klaren Offenheit und von dem gewaltigen Horizont, mit dem der Generalstabschef über mancherlei Themen sprach, die nunmehr nicht in der damals üblichen offiziellen Zeichnung erschienen. Der Eindruck, daß nicht alle Dinge so waren, wie sie im Kriege in den Zeitungen – namentlich in den deutschen Zeitungen – zu lesen waren und zur Berichterstattung weitergegeben wurden, vertiefte sich sehr bald zum Erkennen einer ungeheuren Tragik, die sowohl Österreich-Ungarn, wie auch seinen ersten Führer beschattete: eine Tragik, von der damals niemand etwas ahnte und niemand etwas erzählen durfte, die gerade darum aber sich steigerte, je weiter der Krieg fortschritt. Nach der späten Erkenntnis von Conrad von Hötzendorfs wirklichem Bild beklagten die meisten, daß der Marschall selbst solch eine fast übermenschliche Zurückhaltung gewollt hatte, und hielten sie für einen schweren Fehler. So einfach war das Problem nicht. Im »Weg zur Katastrophe« wurde versucht, darzulegen, warum nicht nur Conrads wahrhaftige Bescheidenheit, sondern die ganze Struktur der österreichisch-ungarischen Art und Monarchie, zugleich das Verhältnis zu dem Bundesgenossen, die Auffassung des Generals zu stützen schien, daß er im Dunkel bleiben müsse. Jedenfalls, die wirkliche Kenntnis der Hergänge hatten nur ganz wenige Menschen.
Noch in Teschen – es war um die Zeit nach Falkenhayns Sturz – konnte ich das Kriegsbild der bis dahin verrollten Ereignisse durch Conrads Schilderung erweitern. Alle wichtigen Phasen wurden besprochen: Galizien – der polnische Feldzug 1914 – Gorlice – Asiago – Luck – der rumänische Feldzug –. Erlaubt war mir jede Frage. Später erst sah ich (z. B. am Kapitel über den deutschen Oberbefehl, den ich schon in Teschen gestreift hatte; die Antwort des Marschalls war damals auf einzelne Details noch nicht eingegangen), später erst sah ich, wie durchaus wahrhaft und genau der Feldmarschall auch das Heikelste behandelt hatte. Er sagte dem Schriftsteller, dem er vertraute, damals nur das, was er sagen zu dürfen glaubte. Aber schon dies war ungeheuer viel, nämlich das Gegenteil dessen, was alle anderen schrieben oder glaubten. Er gab sich dabei nicht die Mühe, Unangenehmes oder Geschehnisse zu verschweigen oder sie umzufärben, weil sie vielleicht gegen ihn kritisch auszuspielen waren. Noch in Teschen waren mir die Linien, die großen Umrisse der Kriegsführung und der Arbeit der Bundesgenossen klar. Vertieft wurden sie in Bozen.
Der Marschall wußte, daß ich ein Buch über den Krieg schreiben wollte. Denn ich hatte dies oft genug erklärt. Aber er selbst hat solch eine Absicht weder angeregt, noch hat er mir je in die Arbeit dreingesprochen, noch auch mich nur mit einem Wort ermuntert. Auch hat er sich nie auch nur mit einer Silbe danach erkundigt, wann denn dies Buch eigentlich erscheinen werde oder gar, ob er darin den Mittelpunkt darstellen solle oder ähnliches. Seine ganze Haltung war so, daß er einem Schriftsteller, dem er sein Vertrauen einmal geschenkt hatte, und der ein Buch über den Krieg schreiben wollte, um der Wahrheit willen die Arbeit stützte, aber daß er nie daran dachte, auf eine solche Arbeit, die ja nicht die seine war, irgendeinen anderen, als aufklärenden Einfluß nehmen zu wollen. Dies ist wichtig für die sehr bequeme und naheliegende, aber ganz und gar nicht zutreffende, von manchen geäußerte und durchaus falsche Ansicht, das Buch sei »inspiriert« worden. Conrad hat nie zu inspirieren versucht. Ich selbst hätte Inspirationen abgelehnt.
In Bozen also ging das Studium des Krieges weiter. Oder vielmehr: jetzt erst begann es wirklich. Wieder war jede Frage erlaubt, und ich fragte nunmehr gründlich, systematisch, Punkt für Punkt und Schritt für Schritt, indem ich jeden einzelnen Abschnitt völlig aufzuklären und die darin wirkenden Figuren genau in den Grenzen ihrer Rolle darzustellen bat. Was in Teschen im großen Überblick gegeben war, wurde jetzt zerlegt. Oft eine einzige Phase in mehreren Gesprächen und durch Stunden besprochen. Wobei ich mich nicht scheute, dann später auf dasselbe Kapitel zum sechsten- und zum siebentenmal zurückzugreifen. Immer kamen neue Einzelheiten hinzu: die fünf oder sechs vorhergehenden Fassungen in meinen sofort im Wortlaut festgelegten Aufzeichnungen wurden verglichen. Bei dem geringsten Zweifel, den der Marschall an mir merkte, holte er Bleistift und Karte. Skizzierte selbst das Entscheidende auf besonderen Blättern. Ein Beispiel: der Warschauer Feldzug war viele, viele Male durchgearbeitet. Dennoch schien ein Punkt mir nicht klar. Der Marschall bat mich zu sich. Es war stillste tiroler Zeit. Ich erhielt die zehnte Schilderung dieses Kapitels: durch nahezu vier Stunden, an Hand der Notizen und Studien, der Behelfe, die der Freiherr hierfür schon vorbereitet hatte, an Hand der Karten, bis schließlich der Extrakt des Feldzuges auf dem Papier stand: in seiner eigenen Niederschrift in strahlender Klarheit.
Conrad wies alles ab, was nicht unumstößlich zu bestehen vermochte. Wo vielleicht Umfärbungen zu seinen Gunsten möglich oder eine Verlockung gewesen wären, schnitt er kurz ab. Es war ein sehr sachliches Arbeiten, mit einem einzigen Gesetz – Wahrheit. Er sah nirgends das Persönliche, sah nur unerbittlich sich vollziehenden Geschichtslauf. Auch von mir wollte er nicht, daß ich ihm unbedingt alles glaube, obwohl es keinen Menschen gibt, der annehmen könnte, der Marschall hätte jemals etwas anderes gesprochen, als lauterste Wahrheit. Einmal entwickelte er die Vorgeschichte von Tolmein. Er hatte zu dem Thema aus seinem Aktenkoffer ein kleines Buch hervorgeholt. Ich sollte nicht glauben (obwohl ich gar nicht daran dachte, so etwas zu glauben), daß nur irgend etwas nicht stimmen könnte. Er blätterte das Buch auf, da stand der ganze Aufmarsch von Flitsch und Tolmein im Tagebuch des Generalstabschefs, wie alles fast, mit Bleistift skizziert, mit dem Datum noch aus Teschen. Irgendeinmal hatte ich von den 30,5-cm-Mörsern gesprochen. Er hatte die einschlägigen Akten nicht zur Hand. Acht Tage später lese ich die betreffenden Daten schwarz auf weiß. Er hatte selbst für die minderwichtige Zwischenfrage den Briefwechsel und die Akten von der Waffenfabrik eingefordert.
In Bozen blieb nichts mehr schließlich in Dunkelheit. Selbst kleinste Episoden wurden endlich klargestellt. In Villach sprach er dann, halb geächtet und kritikloser Masse als schuldfreies Opfer wehrlos hingeworfen, rückhaltlos über den letzten Versuch einer Kriegsentscheidung und über seinen Abschied. Viele Briefe schufen die letzte Klarheit. Die wirklichen Hergänge wußte ich, das wahrhafte Kriegsbild glaubte ich jetzt zu kennen. Ob ich jemals davon erzählen durfte, wußte ich freilich nicht.
Der Krieg war zu Ende, die Revolution schuf eine neue Welt. Rücksichten waren gefallen, Unterdrückungsversuche gab es nicht mehr. Ich hatte meine Aufzeichnungen, Tagebücher, Briefe, Karten, Zeichnungen, – ein seltenes Material in seltenem Umfang und seltener Vollständigkeit. So schwierig die Materie aber auch war, so wahrscheinlich war das Ergebnis, es gerade dann allen nicht recht zu machen, wenn auch ich nur die Wahrheit als einziges Gesetz anrief: Aufrichtigkeit gegenüber Österreich-Ungarn, gegenüber Deutschland, gegenüber der Entente. So deutlich ich den Sturm voraussah, den ich beschwören würde: so leicht wogen alle Schwierigkeiten gegen die Haltung, die vor dem fertigen Manuskript der Marschall einnahm (und von seinem Standpunkt wenigstens nach außen einnehmen mußte). Wie vieles in dem Buche verstieß gründlich gegen die Anschauung kaiserlicher Feldherrn! Für wieviele Dinge würde man ihn verantwortlich machen! Was alles als seine Meinung, als Angriff von seiner Seite nehmen! Er las also das Manuskript: entsetzt und erbittert zunächst über die Rolle, die er selbst – bisher stets im Schatten – in dem Werk darstellte. Vor einem nicht allzu umfangreichen Manuskript wandte er sich voll ehrlicher Entrüstung gegen zahllose Stellen. Er sprach sich gründlich aus: fast nirgends gegen das Tatsächliche, – überall gegen »die Musik des Buches«. Ich ließ den Sturm verrauschen und blieb auf meinem Standpunkt fest: was an Tatsächlichem nicht richtig oder nicht ganz richtig wiedergegeben ist, ändere ich sofort und ohne Vorbehalt. Darüber hinaus ändere ich nichts. Sowie ich dem Marschall die Überzeugung beibrachte, daß es sich auch bei mir um Überzeugungen handelte, sah er die Berechtigung meiner Haltung ein. Ich selbst schlug vor, die Entstehung des Buches doch so zu klären, wie sie wirklich war: der Marschall könne lediglich die Wahrheit der Tatsachen bestätigen und vom Autor verlangen, daß er seine Korrektur im Tatsächlichen berücksichtige, – die Verantwortung für Darstellung und »Deduktionen«, für die so sehr beanstandete »Musik des Buches« trage lediglich, ausschließlich und ein- für allemal der Autor. Auch dies bedeutet nichts als Ehre für des Marschalls hohe menschliche Art, daß er vieles an meiner Arbeit auf das schärfste mißbilligte, aber Wahrheit Wahrheit sein ließ und dem Schriftsteller die Achtung nicht versagte, der es ablehnte, sich kommandieren zu lassen.
Notwendig war dann, noch verschiedene Quellen zu prüfen. Sie sind im Vorwort zur ersten Ausgabe genau aufgeführt Der Inhalt der dort erwähnten Mitteilungen des General von Cramon über Gorlice, so wie sie für das Werk mit verwendet wurden, deckt sich vollkommen mit dem Briefe des Generals an den Marschall. Es ist daher das Einfachste, den General selbst sprechen zu lassen.. Der Marschall selbst verlangte es. Ich sollte möglichst viel von möglichst vielen Seiten sehen. Dabei ergab sich, daß Conrad nicht ein unrichtiges Wort all die Jahre gesprochen. Drei, vier Darstellungen von verschiedenen Seiten über den gleichen Gegenstand kamen, unabhängig und, ohne daß ich Möglichkeit einer Vorbereitung gegeben hätte, kongruent heraus. Natürlich: da es so gewesen war, da der Marschall immer nur den historischen Ablauf dargestellt hatte, – wie sollte es jetzt anders sein?
Kaum war das Buch erschienen, setzte der Sturm ein. Generale, die sich angegriffen sahen, eröffneten Polemiken. Der Erste Generalquartiermeister Ludendorff konnte sich trotz der klaren eindeutigen Niederschrift von Conrads Brief nicht denken, daß der Marschall sich mit den dargestellten Tatsachen einverstanden erklärt habe. General Falkenhayn stritt natürlich den Hergang der Ereignisse vor Gorlice ab. General Brudermann entrüstete sich über die Schilderung seines unglückseligen Anteils an der Schlacht bei Lemberg. Zuletzt deutete noch einer der Generale an, daß der Autor dieses sonderbaren Buches nur »Gott weiß wie« zu dem Schreiben des Feldmarschalls gelangt sein könne.
Historiker, die in der Rumpelkammer ihrer Forschungsmethoden umsonst nach Fußnoten und Quellenbelegen suchten – gerade mit Rücksicht auf Feldmarschall Conrad konnte ich sie damals noch nicht geben –, brachen über eine solche Art, Geschichte zu schreiben, mit wissenschaftlicher Bestimmtheit den Stab. Professor Hans Delbrück fand das Werk »höchst interessant, in seinen Einzelheiten aber sehr unzuverlässig«. Der Direktor des Wiener Kriegsarchivs, Hofrat Edmund Glaise-Horstenau, sprach von einer »Schrift, die sich vielfach kaum über das Niveau eines Pamphletes erhebt«.
Keinem dieser Angreifer habe ich geantwortet. Denn ich konnte warten. Zwei Jahre nach der Herausgabe des »Weges zur Katastrophe« bat ich Marschall Conrad, noch einmal den ganzen Text auf das genaueste durchzugehen und festzustellen, was immer ihn – ob tatsächlich Unrichtiges oder Formales – zu einer Bemerkung, zu einem Einwurf oder zu einer Berichtigung veranlassen könnte. Das von hundert Seiten, von Kenntnislosen oder Getroffenen angefeindete Werk sollte, wenn es einmal neu erschien, mit dem Wortlaut dieses Memoires erscheinen: vom Marschall als vollkommen einwandfrei befunden, authentifiziert im Kleinen wie im Großen, mit den Bemerkungen des Marschalls als Nachweis, daß auch er, weit über die Authentizitäts-Erklärung hinaus, die der Brief vom 18. März 1919 enthielt, die vollkommene Richtigkeit jedweder dargestellten Tatsache noch einmal, und zwar endgültig erkläre – –
Am Wortlaut meines Buches auch nur einen Satz zu ändern, habe ich auch heute keine Veranlassung. Kein General, kein Staatsmann, kein nörgelnder Gelehrter hat Grundlagen oder Einzelheiten des Textes zu erschüttern, geschweige denn zu entkräften vermocht. Aber nunmehr gebe ich hier die wichtigsten Conradschen Unterlagen des Werkes:
Fünf Briefe Conrads an mich (1918).
Auswahl von Gesprächen mit dem Marschall (1916 bis 1918).
Zwei Kartenskizzen, vom Marschall für mich gezeichnet.
Drei Schriftstücke:
Conrad von Hötzendorf an Freiherrn von Chlumetzky;
Brief des Generals von Cramon an Marschall Conrad;
Fragment der »Denkschrift über das Verhältnis der österreichisch-ungarischen Monarchie zu Deutschland (Hauptquartier Teschen 1916).
Marschall Conrad ist in Bad Mergentheim am 25. August 1925, eigentlich unerwartet, nach sechzehnstündiger Lungenentzündung plötzlich gestorben. Die Melancholie des Abschieds umschattete alle Briefe längst, die ich bis zuletzt von ihm empfing:
»Wien, 1. Dezember 1924.
LIEBER FREUND!
Ich habe aus München vier Bücher erhalten, mit denen Du mir eine große Freude bereitet hast, für die ich Dir herzlichst danke.
Dieser nachträgliche Blick hinter die Kulissen bei einer Tragödie, bei der man selbst auf der Bühne stand, ist ein eigenartiger Abschiedsgenuß vor dem Scheiden aus dieser Welt, – ein Ereignis, mit dem ich im stillen doch schon sehr rechne.
Wo magst Du seit unserem letzten Beisammensein herumgezogen sein? Hoffentlich bist Du endlich zu Hause gelandet.
Sitzt Du schon bei Deiner Arbeit?
Bei uns herrscht ein abscheuliches Wetter, – der naßkalte, mit den unmöglichsten Gerüchen durchtränkte Wiener Nebel! Und das spüre ich bis in die Knochen! Die Zeit vergeht mir rasend schnell, – ich habe so viel im Kopfe und hätte noch so vieles vor mir im Leben, – dieses aber läuft mit zunehmender Geschwindigkeit ab. –
Wie stets Dein
alter Freund Conrad Fm.«
Der Marschall litt an seinem Leiden schwer. Aber doch umspannte immer wieder sein kristallklarer Geist noch in der Krankenstube Vergangenheit und Gegenwart. Manches von der »Musik des Buches«, die ihn vor Jahren erbittert hatte, klang schonungslos jetzt im eigenen Urteil, das er aus ungeheurem Erleben geschöpft hatte:
»Wien, 29. Dezember 1924.
LIEBER FREUND!
Hoffentlich ist mein für den 24. tempierter Brief mit unseren Weihnachtswünschen termingerecht eingetroffen.
Nimm von meiner Frau und mir den herzlichsten Dank für das Sonderwerk über Kaiser Karl entgegen. – Ich habe es sofort gelesen und die Hände über dem Kopfe zusammengeschlagen. Horthy ist unbegreiflich und der Kaiser gewinnt nicht durch diese Veröffentlichung, denn er wird einfach lächerlich – und das ist wohl das Böseste für einen Herrscher oder überhaupt eine historische Persönlichkeit. Daß die Kaiserin auch noch in die Aufzeichnungen hineingepfuscht hat, ist kein Vorteil für die Sache. Was wird Horthy darauf tun? Wird er mit der Erklärung Bethlens im Parlament die Sache als abgetan betrachten? – Ich bin neugierig! – Daß unser gutes, altes Vaterland nicht mehr zu retten war, haben ja die Ereignisse dargetan, – aber ein würdigerer Abgang des letzten Herrschers wäre doch erwünscht gewesen … Der alte Herr hat ja auch manchen Fehler gehabt, – aber er war ›wer‹. Mit seinem Leichenbegängnis hätte auch das Reich liquidieren sollen, – das wäre ein würdiges Ende gewesen.
In den sauren Apfel des deutschen Generalstabswerkes werde ich wohl über kurz oder lang beißen müssen; – allerdings, ohne es für mein Werk zu benützen, denn dieses soll nur auf den von mir erlebten Tatsachen fußen. – Wäre ich noch jünger oder wäre ich wenigstens gesund, so könnte ich ja, parallel mit meinem Werk, auch noch auf eine kritische Betrachtung über das deutsche Generalstabswerk eingehen, – aber mir fehlt dazu die Zeit und die Gesundheit; ich weiß genau, daß ich mit dem Gedanken aus der Welt gehen werde, vieles in's Grab mitzunehmen, das ich ihr gerne hinterlassen hätte. Mein Leben war eben zu lang und zu vielseitig.
Was sagst Du zu Italien, Serbien und Albanien? Die Kerls machen sich bereits an die Fortsetzung ihrer alten Balkanpolitik. Jedenfalls liegen dort Keime für neue Verwicklungen der Großmächte. Aber was kümmert mich die Politik?
Und nun nochmals prosit 1925 und alles Gute für Dich und die Deinen.
Tausend Grüße
von Deinem alten Freund
Conrad Fm.«
Wie dieser reiche Geist, der weite Umfang seiner Bildung, der Glanz und die Reinheit seines Wesens, seine innere Beziehung zu Welt und Menschen, zu Kunst, Werden, Geschehen und Vergehen jede Zeile durchschimmerte, die seine Hand in klarer Schrift niederschrieb, was er mir war, ist durch zahllose Begegnungen und in mehr als hundertfünfzig Briefen festgehalten, deren letzter mich an dem Tage erreichte, da der Marschall für immer die Augen schloß. Die trübe Grundmelodie durchklingt, seit ihn die Krankheit brach, fast jedes Blatt:
»Ich kann Dir gar nicht sagen, wie schwer verstimmt ich schon durch diese entsetzliche, langdauernde Krankheit bin! – Ein elendes Alter. – Warum gerade ich?!« – –
Vielleicht wird es später möglich sein, der Öffentlichkeit Einblick auch in den Gesamtbriefwechsel und in alle bemerkenswerten Gespräche zu geben. Hier sollen, da ich dem Werke »Der Weg zur Katastrophe« durch seine Material-Gruppierung den sachlichen Unterbau nachweise, da ich das Buch nunmehr im endgültigen Umfang hinausziehen lasse, nur die Quellenbelege sprechen.
Ihnen habe ich nichts mehr hinzuzufügen.
Berlin, im Herbst 1925
Karl Friedrich Nowak