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Brussilows Ansturm verrann. Drei Monate lang jagte der neue Mann des Zaren Rußlands letzte Armeen mit einer Härte vor, die ein einziges großes Sterben begehrte. Es war das letzte Röcheln des Kolosses, das über ein Schlachtfeld von 350 Kilometern zog. Die verzweifelte Anspannung, die letzte gigantische Zusammenfassung aller Kräfte durch einen gewaltigen, unbarmherzigen Willen reichte aber zu keiner Entscheidung mehr. Es zeigte sich, daß Rußland schon vorher zerbrochen war. Der Hauptteil der Bukowina ging verloren. Über Luck wurde die Front der Verbündeten um ein Stück zurückgedrückt. Aber dies war alles. In geraden Pfeilen stieß unaufhörlich, ohne Atempausen, General Brussilow gegen Kowel, gegen Lemberg vor. Es tobte ein Ringen um Leben und Tod in Nordostgalizien und Südostgalizien. Die strategischen Ideen verwischten sich beinahe, nur die Masse wälzte sich vor, um irgendeinen Weg zu bahnen. Aber es blieb dabei: Rußland war im letzten Aufgebot zu schwach geworden. Die Karpathen waren das Grab gewesen. Die Flucht vom Dunajec war der Totenzug endgültig Geschlagener heimwärts nach dem Osten.
In den Mittelmächten horchte man bang den wiedererwachten Sterbeliedern. Und wenn auch Brussilows Durchbruchsversuche schließlich zusammenstürzten, so war doch ein neuer Gegner auf einen Schauplatz getreten, auf dem die Reihe der Gegner noch immer nicht abzuzählen war. Die Deutschen ließen die Köpfe nicht hängen. Die Monarchie war kleinmütig, da sie den Ausgang der neuen Ereignisse noch unsicher sah. Stimmungen tauchten auf, Meinungen wurden stärker. In die Zwischenspiele der Generalstäbe hatte niemand hineingesehen. Niemand wußte, wie es hergegangen war vor Verdun und vor Asiago. Aber die Ergebnisse sah alle Welt. Unstimmigkeiten hatten die Sache der Mittelmächte nicht vorwärtsgebracht, sondern zurückgeworfen. Niemand fragte, warum der General von Falkenhayn, als es sein mußte, plötzlich Truppen hatte, um mit Freiherrn von Conrad den Vormarsch Brussilows zu halten. Jeder sah nur das doppelte Marschieren. Überdies wußte jeder, daß dieses unglückselige italienische Unternehmen ohne das Wissen der Obersten deutschen Heeresleitung gewagt worden war, – der Obersten deutschen Heeresleitung, der bisher, soweit man unterrichtet war, alle Erfolge des Krieges zu danken waren. Lucker Ereignisse durften sich nicht wiederholen. Unruhig war man nicht nur in der Monarchie, unruhig war man auch in Bulgarien. Unruhig wurde man in der Türkei. In der österreichischen Hauptstadt vergaß man sogar das Witzeln. Gereizte Intrige suchte nach Hintertüren. Die als ritterlich oft gepriesene Nation der Ungarn, die immer in der Monarchie einen freieren und größeren Mund hatte, erhob unwissend, dennoch kühn, in ihrem Volkshaus Angriffe, deren Form keinen Anstand mehr, deren Schamlosigkeit keine Grenzen mehr hatte. Sinnlos war es, daß jeder einzelne der vier Verbündeten tat, was er wollte und es so tat, daß der andere es nicht einmal wußte. Es hatte keine vier Fronten zu geben, alle Fronten waren ein einziger Kampfplatz, auf dem nur ein einziger Wille, der stark und tüchtig war, ein günstiges Ende erwirken könnte. Die Deutschen waren die Mächtigsten im Vierbund. Bei den Deutschen war auch das militärische Genie. Wo die Deutschen geführt hatten, da war der sichere Erfolg. Die Deutschen allein sollten fortan führen und die obersten Gesetze der Strategie bestimmen. In der Monarchie war man solcher Meinung. In Deutschland war man nie anderer Meinung gewesen. Die Wiener Minister und der Wiener Hof hatten keinen Grund, die Auffassung, die schließlich die ganze Öffentlichkeit durchdrang, die sich auf das Begehr der Öffentlichkeit stützen konnte, nicht zu teilen. Bequem war das Armeeoberkommando zu Teschen nie gewesen. Conrad herrschte unumschränkt. Die neue Auffassung, der Wunsch nach neuer Ordnung drang bis zu Kaiser Franz Joseph.
Kaiser Franz Joseph hatte wesentlich andere Züge als seine Völker, als die Volksmeinung ihm anheftete. Er galt als müde und abgelebt. In Wahrheit war er noch spät ein Arbeiter. Von der Art, wie er noch Anteil nahm an den Geschicken seines Reiches, liefen nur Anekdoten um. Sie gaben mit der ganzen Laszivität bösartigen Wiener Witzes das Bild eines Verbrauchten, der nicht mehr unterscheiden konnte, was um ihn vorging, der die Epochen verwechselte, in denen für ihn eine Last von Erlebnissen lag, und der gerade nur durch die Größe der Monarchie und durch die Zurückgezogenheit, in der er zu Schönbrunn lebte, die Lächerlichkeit einer Serenissimusfigur vermied. Franz Josephs Geist war indes bis an sein Ende klar. Er übersah nicht nur die Zeit, die ihn noch im höchsten Alter vor schwerste Entschlüsse stellte, er unterschied kühl auch die Menschen, zwischen denen er zu wählen hatte. Wenn der Wiener Volksgeist die bissigsten Witze für eine Weile vergaß, pflegte er rührselige Lieder an den »lieben, guten, alten Herrn in Schönbrunn« vorzutragen, Tränen einer verlogenen Sentimentalität, die darum an dem wirklichen Hintergrunde boshafter Kaiserzeichnung doch keinen Augenblick zweifelte. In Wahrheit hatte Franz Joseph weder viel Güte, noch viel Gefühle. Er stand über der Menge wie selten ein Fürst. Er lebte und regierte als der Erbe eines großen Hauses. Eins wollte er vor allem sein: der Gentleman und der große Herr. Er hatte, was keiner ahnte: bewußten Stil und für diesen Stil die feinste Unterscheidung. Was immer er tat, tat der Grandseigneur und Träger der Krone Habsburgs. Im Innersten mochte er kalt sein, wie die Habsburger oft: die Überzeugung seiner Würde riet ihm zu sachlicher Vornehmheit. Er hatte die Kriegserklärung nicht als Papier unterschrieben. Er wußte, daß er das Schicksal der Monarchie und des Erzhauses anrief. Wer zu ihm kam, fand ihn stets vorbereitet. Er war schwer zu täuschen, da er von allem unterrichtet war. Er wußte genau, wo jedes Korps, fast wo jedes Regiment stand, er kannte, verfolgte die kleinsten Zusammenhänge an der Front, durch deren plötzliche, ruhige Beleuchtung er die berichtenden Generale überraschte, aber nie sprach er drein. Er erwählte seine Minister, er ernannte seine Führer. Sie waren Fachleute. Sie waren ihm verantwortlich. Er erwählte sie nach bestem Wissen und Gewissen, aber alle Einzelheiten waren ihr Amt. Er war kein Ressortchef: er war Kaiser von Österreich, apostolischer König von Ungarn. Wenn ein Minister, ein General versagt hatte, mußte er einen tüchtigeren wählen. Er selbst hatte weder Finanzen zu ordnen, noch Truppen zu leiten. Er selbst hatte das Ansehen von Haus und Monarchie zu mehren, hatte ein kaiserlich unantastbares Symbol zu sein. Sicherlich war er ohne Mitleid, wenn einer, dem er vertraut hatte, den Sinn von Franz Josephs habsburgischer Sendung nicht begriff. Nie war er ohne Form. Stets war er zurückhaltend, wie der vererbte Prunk und kalte Glanz des verwaisten Hofstaats, durch den er schritt. Alles prüfte er, stets wollte er gerecht sein: vor allem um seiner selbst willen, der seiner Würde nichts vergab. Er hatte wenig Herz, aber er dünkte sich zu stolz, um ohne Charakter zu sein. Ritterlich war er in der Erinnerung an Glanz, Macht und Größe unerhörter Ahnen. Er konnte solche Erinnerung, konnte die spanische Etikette, die er als Erbe seines Hofes nicht preisgab, mit einem Arbeitsalltag von bürgerlicher Anspruchslosigkeit vereinen. Er hatte Takt. Er sah überall sofort die natürlichen Grenzen, die es für den Kaiser gab. Er war ein frommer Sohn des Papstes, aber ein Strafer überheblicher Bischöfe. Manchmal erinnerte er an den Alt-Österreicher Kaiser Franz, dessen Kälte verstimmender durch die Betonung des Bürgerlichen war. Vielleicht hätte auch er die Monarchie am liebsten als Herrscher absoluter Macht regiert. Aber er hatte die Konstitution versprochen. Sein Stil war, zu halten, was er versprochen hatte. Er zeigte nicht, was ihm lieb war oder was ihn schmerzte. In sechs Jahrzehnten des Herrschens hatte er viel erfahren. Niemand erzählte er, was er darüber gelernt hatte. Aber die Heerscharen von Menschen, die seit einem halben Jahrhundert an ihm vorüberzogen, behandelte er immer unpersönlicher, immer mehr als die Sprecher vielfältiger menschlicher Begehren. Immer hörte er sie an mit einer gütigen, aufmerksamen Haltung aus hoher Ferne. Gerecht war er fast immer. Brücken zu ihm gab es keine. Vertraulich war er nie. Er war der Kaiser.
Was die Umgebung des Kaisers, was deutsche Einflüsse zu ihm sprachen, überlegte er. Freiherr von Conrad hatte nicht die Gewohnheit, auf seine eigenen Taten hinzuweisen, wenn er in Schönbrunn erschien. Das Schimmern der deutschen Waffen blinkte bis an die Spiegelscheiben von Schönbrunn. Aber auch wenn Freiherr von Conrad von sich selbst nicht sprach, auch wenn die deutschen Waffen verwirrend funkelten und glänzten: Franz Joseph ließ sich darum doch das wirkliche Bild des Krieges nicht verzerren. Dem Freiherrn nickte er einmal zu, als Conrad zurück nach Teschen fuhr:
»Wenn Sie wüßten, wie gegen Sie intrigiert wird –«
»Ich bin durchaus informiert«, hatte Conrad geantwortet. Allmählich hatte sogar der Freiherr begriffen, daß er Neider hatte. Es war die einzige Vertraulichkeit Conrad gegenüber gewesen, in einem Jahrzehnt. Er nahm sie als das, was sie war: als ein Vertrauensvotum. Franz Joseph überblickte durchaus, was er an Conrad hatte. Weder Intrigen, noch deutscher Waffenruhm machten ihn irre, seit er die Großkreuze des Theresienordens zur Schlacht an der Marne geschickt hatte. Aber die sachliche Einschätzung der Kräfte in der eigenen Monarchie, das Wissen von Conrads gewaltiger Leistung schloß andere Gedankengänge nicht aus. Er wollte, daß Deutschland sich völlig der Monarchie verschwistere. Er wollte, daß das mächtige Deutschland unter moralischem Zwang für den unversehrten Besitz der Monarchie allezeit eintreten müßte. Zu ihrer Rettung sollte kein Mittel, keine Bindung unversucht bleiben. Der moralische Zwang war gegeben, wenn er dem deutschen Drängen nach Vereinigung des Oberbefehls in einer Hand entgegenkäme. Wenn er zugleich den Skeptikern im eigenen Lager frischen Stimmungsantrieb und das Gefühl des Anspruchs auf deutsche Hilfe gab. Franz Joseph hatte nicht den Ehrgeiz, Bundesfeldherr zu sein. Franz Joseph war der Kaiser. Den Freiherrn von Conrad gab er darum nicht preis. Der Kopf würde weiter arbeiten. Der Kopf war ja unentbehrlich. Die Äußerlichkeiten waren dem Freiherrn gleichgültig seit je. Es sollte eine Formsache eingerichtet werden, die den Deutschen schmeichelte und sie verpflichtete. Der Kaiser ließ das Armeeoberkommando wissen, daß er sich doch entschlossen hätte, um einheitlicher Kriegführung willen, das Oberkommando an der Ostfront an den deutschen Kaiser abzugeben. Aber hier irrte Franz Joseph. Freiherrn von Conrad schien der Wandel bedenklich. Um der Erfahrung willen, die er bisher mit deutscher Führung gemacht, und um des Ansehens willen, das notgedrungen dann auch die Monarchie einbüßte. Er fuhr einfach zum Kaiser. In Schönbrunn verstand der Kaiser auch den Sinn von Conrads Vortrag: »Die Neuordnung bedeute die Abdankung der Monarchie – –«.
Als der Freiherr heimfuhr, war alles erledigt. Alles sollte bleiben, wie es bisher war.
Der neue rumänische Krieg verlangte Abwehr. Obgleich das deutsche Hauptquartier zum Teil andere Auffassung vertrat – noch zum Schlusse wollte Kaiser Wilhelm »die Hand dafür ins Feuer legen«, daß ein Hohenzoller mit Hohenzollern keinen Krieg beginnen werde –, hatte Freiherr von Conrad doch die Kriegserklärung täglich erwartet. Es war seine Art, immer trotz des nötigen Nahen und über das Nahe hinweg auch das kommende Ferne in sein Gesichtsfeld mit einzubeziehen und selbst für das Ferne, wenn dies möglich war, sofort auch das Entscheidende vorzubereiten, das er zu erkennen pflegte, gleichviel ob es fern oder nahe lag. Noch vor Kriegsausbruch, ehe der Donauweg gesperrt war, sandte er rasch den großen Donau-Brückentrain in den Belene-Kanal hinab und befahl, die Gewässer des Belene-Kanals als Flottenbasis für die Donauflottille auszubauen. Der Donau-Monitorenflottille hatte er befohlen, unten zu verharren. Flottille und Brückentrain waren freilich damit aufs Spiel gesetzt, sie waren aufs äußerste gefährdet. Aber wenn der Krieg mit Rumänien ausbrach, so war nach Conrads Meinung ein Donauübergang bei Sistowo, der Stoß über die Donau, das Um und Auf des Feldzuges. Er war Abwehr und Attacke zugleich. Ohne Monitoren und Brückentrain war kein Übergang möglich. Gerade vor Torschluß erreichte der Brückentrain seinen Bestimmungsort. Die rumänischen Kanonen begannen ihr Konzert. Aber die Vorsorge war getroffen.
Jetzt galt es, Kriegsrat zu halten, ohne die Nerven zu verlieren, ohne durch Stimmungen sich beeinflussen zu lassen. Der weiten Öffentlichkeit, namentlich den Ungarn, die nur empfindlich waren, wenn ein Feind vor ihren eigenen Toren stand, war die Kriegserklärung der Rumänen zuletzt doch als eine schlimme Überraschung gekommen. Sowenig Freiherrn von Burians, des Außenministers, stets von doktrinären Ausführungen eingewickelter Kopf sich sonst auch in irgendeiner Zukunftsorientierung zurechtfand, am Wiener Ballplatz hatte er die Berichte des Bukarester Gesandten diesmal doch nicht verständnislos überschlagen. Graf Ottokar Czernin hatte die Bukarester Situation richtig erkannt und richtig geschildert. Und Freiherr von Burian hatte den Sinn der Aktenstücke begriffen, so schwer er sonst begriff. Aber Graf Stefan Tisza wollte in Ungarn keine Panik. Er kannte Land und Leute. Vielleicht kam doch noch eine Wendung. Dann war die Erregung überflüssig. Baron Burian war also in der Vorbereitung der Öffentlichkeit sparsamer als nützlich war. Allerdings blieb die Wendung aus. Und so war die Bestürzung um so schlimmer. Sie wuchs, als die Rumänen die Grenze überschritten. Sie wurde Schrecken und Anklage gegen die Heeresleitung, als die Rumänen tief in Siebenbürgen eindrangen. Freiherr von Conrad aber durfte, auch wenn er Siebenbürgen verteidigen wollte, was er keinen Augenblick vergaß, den Blick über die Gesamtfront sich nicht trüben lassen. Der Brussilowsche Ansturm mußte ganz vertoben. Erst mußte Rußland völlig erschöpft wieder stilliegen. Indes die Kämpfe mit Brussilow verflackerten, durfte das neue rumänische Heer nicht in den Rücken der Verbündeten gelangen. Sonst konnte wirklich alles zu Ende sein. Er nahm, was noch in der Bukowina stand, mit unerhörter Schnelligkeit zurück, baute in den Ostkarpathen den äußersten Frontflügel auf, der seine Ausläufer über das Gebirge hinweg nach Ungarn sandte. Die Rumänen wußten nicht, wo diese Ausläufer waren. Sie wußten auch nicht, wie stark – oder besser: wie schwach – diese Ausläufer waren. So stark waren sie jedenfalls, daß die Rumänen die ärgste Hitze ihres Vormarsches dämpften. Indes wurde Kriegsrat im Hauptquartier zu Pleß gehalten.
Freiherr von Conrad schlug den Stoß von Sistow über die Donau vor. Mitten in das Herz Rumäniens und sofort auf das Herz Rumäniens wollte er zielen. Die riesige Grenze Siebenbürgens hatte er nicht decken können, so viele Truppen hatte er nicht gehabt. Aber wenn man von der Südgrenze Ungarns gegen die Walachei drückte und den Hauptstoß auf Bukarest führte, oder überhaupt nur den Hauptstoß gewaltig gegen Bukarest lenkte, so war auch das Schicksal des rumänischen Siebenbürgens besiegelt. Die Eroberung stürzte sofort zusammen, die Rumänen mußten, ganz abgesehen davon, daß ihre Hauptstadt in Feindeshand geriet, Siebenbürgen augenblicklich räumen, wenn sie nicht wollten, daß der Gegner hinter ihrer Front und in ihrem eigenen Lande marschiere, wohin es ihm beliebte. Für den Stoß über die Donau aber war im Technischen alles bereit. Es bliebe bloß die Versammlung der Stoßarmee. Der Plan leuchtete Falkenhayn ein. Auch die Bulgaren waren zu befragen. Mit der Kriegsteilnahme gegen Rumänien hatten sie erst eine Weile gezögert, obgleich ihnen die Vergeltung für 1913, wie der Besitz der Dobrudscha eine Herzensangelegenheit war. Aber sie hatten ihre Zusage doch noch erst an die gleichzeitige Erlangung auch anderer Vorteile geknüpft. Jetzt beriet Gantschew im Auftrage Jekoffs mit, des Chefs des bulgarischen Generalstabes. Auch Gantschew leuchtete ein, was Conrad darlegte. Unverzüglich setzte er sich mit Jekoff in Verbindung. Und auch Jekoff war für den Stoß von Sistow. Indes wollte er vorher noch die Dobrudscha säubern. Dies war nichts Wesentliches. Conrad ließ den Vorschlag gelten. Jekoff bevorzugte das Vorsichtigere. Der bulgarische Chef wollte erst die Flanke decken.
Conrad glaubte zwar nicht, daß die Rumänen sich das Herz nehmen würden, in die Dobrudscha zu gehen, wenn die Verbündeten auf Bukarest marschierten. Es wäre das kühnere, aber im Grunde dasselbe, wenn der Hauptstoß so bleibe. Ihm sei auch die Flankendeckung recht.
Falkenhayn stimmte Jekoff zu. Auch Zekki Pascha wußte für die Türken kein Bedenken. Ein Stoß vom Norden in die Walachei. Ein Flankenstoß in die Dobrudscha. Der Vormarsch von Sistow her auf Bukarest. Mackensen bekam den Oberbefehl über die Truppen aller Verbündeten. Alles war besprochen, alles war in Ordnung. Befriedigt fuhr Conrad zum hundertstenmal heim nach Teschen, um fast unmittelbar darauf nach Pleß wieder zurückzukehren.
Das deutsche Hauptquartier lud zu einem Galadiner in Schloß Pleß ein. Kaiser Wilhelm war in Pleß. Erzherzog Friedrich war mit seinem Generalstabschef hinübergebeten, der Erzherzog fuhr voraus, Conrad, den die Arbeit nicht so leicht freigab, kam nach. Pleß zeigte ein Hin und Her von Menschen. Das Kommen und Gehen der Generale, in die noch das große Gefolge des Kaisers sich mischte, war stärker als sonst, wenn Kaiser Wilhelm sich in Pleß aufhielt.
Freiherr von Conrad, der stets, auch wenn er zwischen vielen Menschen sich bewegte, etwas Zerstreutes oder Vertieftes hatte, war noch von Arbeit versponnen. Er suchte Falkenhayn, mit dem er zu reden hatte und den er noch vor dem Diner sprechen wollte. Aber er sah den General nicht. Indes er sich anschickte, ihn aufzusuchen, wurde er zu Kaiser Wilhelm gerufen. Der deutsche Kaiser kannte Conrad von Hötzendorf seit dem Jahre 1907, da Conrad nach Berlin gefahren war, um sich als neuer Chef des Generalstabs dem verbündeten Kriegsherrn vorzustellen. Conrad selbst nannte damals als Zweck dieser Reise, erkennen zu lassen, »was für eine Art Tier« der neue Generalstabschef wäre, und Kaiser Wilhelm hatte sich dem Eindruck, den er von langer Unterhaltung empfing, so wenig entziehen können wie irgendwer. Seither ließ er vor dem Kriege, im Kriege selbst keinen Anlaß unbenutzt, den Freiherrn zu sprechen, dem er gern und deutlich zeigte, wie sehr er sein Können und sein Urteil schätzte Jetzt in Pleß, da er ihn holen ließ, wollte er offenbar nichts Besonderes, obgleich er ihn eine geraume Weile festhielt. Er sprach kaum von der Situation, er sprach von allem möglichen. Nur unterstrich er die gewohnte Liebenswürdigkeit dem Freiherrn gegenüber besonders deutlich. Auch er hatte vor Conrad stets das Gefühl, daß er es nicht mit einem Manne zu tun hatte, der wie hundert andere Generale und überhaupt nicht nur General war, das Fluidum um den Freiherrn wirkte auch auf ihn. Übrigens sprach der Kaiser zu ihm, wie zu dem ersten seiner eigenen Generale. Conrad hörte zu, drückte nervös, woran sich jeder im Gespräch mit ihm erst gewöhnen mußte, die Augenlider unablässig gegeneinander, wie immer, wenn er sich in Themen verlor. Dann schien Kaiser Wilhelm ohne besondere Wünsche befriedigt. Er entließ den Freiherrn. Man ging zum Diner.
Es waren sehr viele Leute geladen, viele waren von ihren Frontkommanden gebeten worden. Auch Hindenburg und Ludendorff waren unter den Geladenen, die man von der Front hereingeholt hatte. Conrad schob sich durch diesen Aufmarsch glänzender Uniformen und besternter Generale, er suchte Falkenhayn. Im Gedränge fand er ihn nicht. Endlich fragte er.
»Ja, wo ist denn eigentlich Falkenhayn? Ich möchte ihn sprechen. Ich sehe ihn nicht.«
Plessen, der Generaladjutant des Kaisers, überdies sein Vertrauter, kam Conrad entgegen. Er hatte die Frage gehört und antwortete in etwas merkwürdigem Ton:
»Falkenhayn kommt heute nicht zum Diner. Er fühlt sich nicht wohl.«
Der Freiherr blieb stehen. Oho, hier stimmte etwas nicht. Es sah aus, als wollte Falkenhayn sich dem Diner mit Absicht entziehen. Man ging zu Tisch. Das Diner verlief prunkvoll und mit viel Geräusch ohne Besonderheit.
Als man aufbrach, verabschiedete sich der Erzherzog zugleich mit Conrad. Er wollte mit dem Freiherrn zusammen nach Teschen zurück. Aber im Vestibül des Schlosses schien es, als drückte ihn eine Angelegenheit. Langsam begann er, mit vielen Zwischenunterbrechungen, wie es seine Art war.
»Schaun Sie … Man hat mich so bearbeitet … Schaun Sie, Exzellenz Conrad, willigen Sie in die Oberkommandosache … Der deutsche Kaiser soll das Oberkommando über die Ostfront haben. Es ist nur wegen der Bulgaren und Türken. Das Ganze droht sonst auseinanderzugehen. Wegen der Sache muß sich alles unter den deutschen Kaiser fügen.«
Er unterbrach sich. Er sah den Freiherrn an. Er wartete. Aber Conrad sagte gar nichts. Da fuhr er fort.
»Der Falkenhayn geht. Hindenburg wird der deutsche Chef. Bei Ihnen bleibt alles wie bisher.«
»Was mich selbst betrifft,« widersprach jetzt Conrad, »so ist mir das sehr gleichgültig. Aber einverstanden bin ich nicht.«
Im Vestibül waren jetzt Hindenburg und Ludendorff erschienen. Sie kamen, fast wie auf ein Stichwort, auf Conrad zu. Sie baten ihn, doch einzuwilligen. Es bliebe ja alles, wie bisher, man würde ganz gemeinsam weiterarbeiten, wie bisher. Die neue Ordnung müsse wirklich wegen der Bulgaren und der Türken getroffen werden. Vier Reiche und vier Armeen seien schwer zu schnellem und einheitlichem Vorgehen zu bringen, wenn jeder erst besonders befragt werden müßte. Sie hätten diese Schwierigkeit auch dem deutschen Kaiser vorgebracht. Aber er, Conrad, sei ja in Wahrheit gar nicht berührt. Nur in wichtigen Entscheidungen sollte, falls man sich nicht einigen könnte, von jetzt ab der deutsche Kaiser entscheiden. Ein Fall, der niemals eintreten würde – –
Conrad schwankte. Er fuhr voll Gedanken nach Teschen. Er konnte keine feste Zusage geben. Der Vorschlag war gründlich zu erwägen. Ob er selbst blieb oder ging, war gar nicht der Gegenstand. Ob die deutschen Generale die militärische und politische Führung an sich bringen durften, war eine andere Frage. Bisher hatten sich die deutschen Obergenerale nicht eben hervorgetan. Falkenhayn war eher, wenn man von dem unglücklichen Moltke schon nicht mehr sprechen wollte, der böse Geist im Kriege gewesen. Alles, was Vernunft mit Aussicht auf Erfolg gebot, hatte er abgelehnt. Selbst zur Truppenbeisteuer für Gorlice hatte man ihn zehnmal überreden müssen. Vor Saloniki war er widerspenstig, von Italien hatte er nichts wissen wollen. Als er durchaus selbständig sein wollte, sah man bei Verdun, was dabei herauskam. Ihm hatte das deutsche Volk die schwerste, die blutigste Niederlage nach der Schlacht an der Marne zu danken. Und welchen Geist hatte er großgezogen … Der Generalfeldmarschall von Hindenburg, der jetzt der Erbe Falkenhayns werden sollte, war ein aufrechter Charakter ohne Makel und Fehl. Jede Gesinnungsfalschheit lag ihm fern. Er war anständig durch und durch. Von ihm konnte niemand annehmen, daß er je die neue Macht wissentlich mißbrauchen werde. Der Generalfeldmarschall war ein Soldatenführer, der in Ostpreußen und in Polen Erfolge gehabt hatte. Aber er war nicht das, was die deutsche Volksmeinung, deren guter Geist er sein konnte, im Geistigen ihm zuschrieb. Er war ein Haudegen, der einen Feind bisweilen furchtbar treffen konnte, ein Haudegen, der sich einmal auch schon furchtbar verrannt hatte. Er hatte geniale Züge, oder die Armeeleitung, deren Haupt er bis heute war, ließ geniale Züge erkennen. Ein überragendes Genie war Hindenburg nicht. Noch andere Gründe mußten erwogen werden. Wenn die Deutschen den Oberbefehl wirklich ausüben durften, konnte sie niemand hindern, die Truppen der Monarchie dort zu verwenden, wo sie es wollten. Wenn Hindenburg auch nichts tat, das dem guten Geist kameradschaftlicher Gerechtigkeit zuwiderlief, so bürgte doch niemand dafür, daß nicht auch Hindenburg eines Tages einen Nachfolger bekäme. Falkenhayns rücksichtslose und ausschließliche Aufbauschung deutscher Taten, seine ganze Umfärbungstechnik hatte dazu geführt, daß jetzt Bulgaren und Türken, obgleich die deutsche Art sie verletzte, wirklich das sachliche Heil in Deutschlands Führung sahen. Falkenhayn handhabte seine Technik ja so geschickt, ob sie Aufbauschung oder Vertuschung betraf, diese ganze kurzsichtige Technik intriganter Wirkungen, daß er selbst noch mit Conrad die ganzen Pläne für den rumänischen Feldzug durchgesprochen und festgelegt hatte, ohne mit einer Silbe anzudeuten, daß seine Stellung erschüttert sei. Wenn für Bulgarien und die Türkei der deutsche Oberbefehl die Seligkeit war: für die Monarchie war er es nicht. Wenn einer wußte, wie es um den Hergang aller Dinge stand, so war es Conrad. Daß man ihn selbst nicht preisgeben wollte, hatte gute Gründe: Conradsche Arbeit brauchte man. Ihn wollte, ihn konnte man nicht entbehren. Eigentlich kam es also wieder auf eine Scheinsache an. Bulgaren und Türken wollte man fester an die deutsche Leine ziehen. Für Conrad sollte das Zwielicht weiterbestehen, konnte sogar um ein paar Schatten dunkler werden. Conrad fiel ein, daß auch schon Falkenhayn ihm zugeredet hatte. Der neue Plan, die neuen Einteilungswünsche reichten noch in die Falkenhaynzeit zurück. Hindenburg und Ludendorff erbten, was Falkenhayn für sich gesät. Im ganzen war die Lage, wie die Entscheidung schwierig: angeblich drängten Bulgaren und Türken. An ihrer Bereitschaft, gelegentlich abzuspringen, mochte Wahres sein. Hindenburg hatte erklärt: alles werde bleiben, wie bisher. Dann kam es also den Deutschen nur auf den Schein an. Den Schein wollte Freiherr von Conrad gern gewähren. Auf den Schein verzichtete er, seit er führte. Auf eines aber verzichtete Conrad nicht: auf seine Macht, solange er auf seinem Posten stand. Auf seine Macht, durch die er, unbekümmert um Ruhm und Glanz, die Kräfte der Monarchie mit seinem Geist als Waffen führte.
Er unterschrieb den neuen Vertrag. Der deutsche Kaiser sollte den Oberbefehl haben. Aber Conrad fügte eine Klausel ein. Sie lautete:
»Wenn vitale Interessen der Monarchie gefährdet sind, hat Kaiser Franz Joseph das Recht des Einspruches.«
Conrad bestand auf der Realität seiner Macht. Die Öffentlichkeit mochte glauben, was sie wollte; im ungarischen Parlament mochten sie reden, was ihnen beliebte. Die Ungarn redeten gern besonders viel, besonders laut, selten mit Sinn. Aber wenn die deutschen Führer Dinge wollten, deren Ausgang Conrad mißtraute, wenn die deutschen Führer einmal durchaus nicht hören wollten, was er, Conrad von Hötzendorf, widerriet, so waren eben die vitalen Interessen der Monarchie gefährdet. Conrad von Hötzendorf erhob dann Einspruch durch Kaiser Franz Joseph. So blieb es wirklich, wie es gewesen war.
Alle gaben sich zufrieden. Kaiser Wilhelm war der Bundesfeldherr. Kaiser Franz Joseph war einverstanden mit Conrads Ordnung: dem deutschen Glanzbedürfnis kam Kaiser Franz Joseph entgegen, aber die wirkliche Entscheidung über die Heere und Unternehmungen der Monarchie blieb gleichwohl bei ihm. Hindenburg und Ludendorff waren fortan die neuen Männer, die für die Menge die Szene beherrschten. Die Klausel Conrads billigten sie nur als Geheimklausel. Es war ein Sonderabkommen zwischen Deutschland und der Monarchie. Die Bulgaren und die Türken durften kein Sterbenswort erfahren. Darum durfte auch in der Monarchie niemand erfahren, daß Conrad unangetastet stand. Es war ein Spiel auf Kosten von Conrads äußerer Geltung. Er sah ihm mit Gleichmut zu. Das deutsche Hauptquartier hatte den Schein der unumschränkten Gewalt. Das deutsche Hauptquartier hatte den Schein der Führung. Auch Hindenburg und Ludendorff gaben sich – »im Interesse der gemeinsamen Sache« – mit dem Schein zufrieden.
Indes gerät der rumänische Feldzug ins Rollen. Die grundlegenden Pläne der Operation waren ausgearbeitet, da Hindenburg und Ludendorff an die oberste deutsche Stelle gelangen, sie finden sie bereits fertig vor. Der Marschbefehl ergeht an die Divisionen. Falkenhayn hat sich verabschiedet, nicht ohne Freiherrn von Conrad, dem er in der Angelegenheit des Oberbefehls so eifrig zugeredet, solange er den Oberbefehl noch für sich erhoffte, erstaunt zu fragen, warum er sich denn nur in die neue Ordnung gefügt. Er schied als ein Intrigant geschickter, kaltherzig skrupelloser Formen. Aber selbst der Intrige fehlte jeder Zug von Größe. Doch nicht der Größe entbehrte das Unheil, das er über Reich, Volk, Mittelmächte und aller Zukunft gebracht.
Da er aber am Kriegsplan mitgebaut, da er so Bescheid weiß, bekommt er gegen Rumänien eine Armee. Alles geschieht jetzt blitzartig. Im Flankenstoß säubern die Bulgaren die Dobrudscha. Falkenhayn dringt in die Walachei. Die deutschen Truppen schlagen sich, wie immer und überall. Ihnen ebenbürtig die österreichisch-ungarischen Verbände, die Gebirgsbrigaden, die den deutschen Divisionen angegliedert sind. Und jetzt ist der Augenblick gekommen, ins Herz Rumäniens einzudringen. Was von Anbeginn feststand, geschieht: die Donauarmee geht über den großen Brückentrain mit Monitorenhilfe bei Sistow über den Strom, alles erfüllt sich, wie es der Grundplan vorgesehen hat. Hindenburg drückt dies im vertraulichen Telegramm an Freiherrn von Conrad so aus:
»Ich weiß, wieviel ich der verständnisvollen Mitarbeit Eurer Exzellenz an unserer großen, gemeinsamen Sache zu verdanken habe.«
Der Vormarsch erreicht und nimmt Bukarest. Der ganze rumänische Feldzug rollt ab wie ein Akt strafender Gerechtigkeit. Ein Ereignis geht spurlos, fast unbemerkt vorbei im Lärm und Rausch der Siege. Es ist eins der wichtigsten im Kriege.
An einem ungewöhnlich linden, von Sonne matt durchhellten Novembertag stirbt in Schönbrunn der alte Kaiser Franz Joseph.