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Generalleutnant von Cramon an den Feldmarschall Conrad

Berlin, 3. April 1925.

HOCHGEBIETENDER HERR FELDMARSCHALL!

Ihr gütiges Schreiben vom 9. d. Mts. hat mir eine große herzliche Freude bereitet. Zwar kam es noch vom Krankenlager, aber äußerlich zeigte es die mir wohlbekannten, markanten schönen Schriftzüge und inhaltlich zeugte es von der alten Klarheit und Schärfe des Geistes. Vielen herzlichen Dank dafür!

Auch der Frau Gräfin danke ich vielmals für die freundliche Antwort.

Mit Ihnen beiden hoffe ich zuversichtlich, daß die weitere Genesung gute Fortschritte macht, damit Sie Mergentheim mit bestem Erfolg gebrauchen können. Nun zu der mehr geschäftlichen Frage!

Selbstverständlich stehe ich Ihnen mit allen Daten hinsichtlich des Durchbruches von Gorlice-Tarnow zur Verfügung. Der verewigte General von Falkenhayn hat es mir seinerzeit zwar sehr übel genommen, daß ich ihm die Urheberschaft des Gedankens nicht restlos zuerkennen wollte und konnte, das kann mich aber auch heute nicht davon abhalten, die reine Wahrheit zu sagen. Wie meine Akten beweisen, und ich auch in meinem Buche ausgeführt habe, sandte ich am 1. April 1915 nach der bekannten Rücksprache mit Euerer Excellenz an General von Falkenhayn nach Mezières das folgende Telegramm: »K. u. K. 2. Armee erneut angegriffen und an verschiedenen Stellen eingedrückt, geht – weil vordere Linie nicht zu halten – in die ungefähre Linie Virava–Uszocker Paß zurück. Die Flügel bleiben in der Höhe der Nebenarmeen. Exc. Conrad ist weitere Unterstützung mehr denn je erwünscht, und zwar entweder durch eine deutsche Division zu seiner Verfügung zum Stützen der 2. Armee, oder durch Offensive stärkerer Kräfte gegen Flanke und Verbindung des russischen Angriffs aus Richtung Gorlice. Offensive auf Ostflügel (Pflanzer) unter augenblicklichen Verhältnissen mit Rücksicht auf Transportschwierigkeiten unmöglich.« – Als Ergänzung zu diesem Telegramm sandte ich am 2. April durch Kurier einen Bericht an General von Falkenhayn, der hinsichtlich Gorlice folgenden Passus enthält: »Als ein durchschlagendes Mittel von größerer Tragweite und um das Vordringen der Russen aufzuhalten, betrachtet Excellenz von Conrad eine energische Offensive gegen die rückwärtigen Verbindungen des Angriffsflügels der russischen 3. Armee aus der Gegend von Gorlice in östlicher oder nordöstlicher Richtung. Da hierzu aber die nötigen österreichischen Kräfte fehlen, ließe eine solche sich nur mit Hilfe stärkerer Truppen bewerkstelligen. Ich habe hier gleich betont, daß eine Bereitstellung der zu diesem Zwecke erforderlichen Kräfte – etwa 4 Divisionen – nach meinem Dafürhalten unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht angängig sein würde, was Exc. Conrad übrigens selbst schon befürchtete.« –

Am 4. April antwortete mir Falkenhayn wie folgt: »Die Frage eines kräftigen Vorstoßes aus Gegend Gorlice in Richtung Sanok beschäftigt mich seit längerer Zeit. Die Ausführung hängt von der allgemeinen Lage und Bereitstellung der nötigen Kräfte – 4 Armee-Korps – ab. Große Schwierigkeit bereitet wahrscheinlich die geringe Leistungsfähigkeit der Bahnen auf Tarnow und über Neu-Sandec. Immerhin wäre es mir lieb, bald von Ihnen einen Vorschlag zu erhalten, wie Sie sich die Operation denken. Angaben über die Leistungsfähigkeit der Bahnen, Möglichkeit, auf dortigen Wegen unsere Fahrzeuge zu gebrauchen, dürfen nicht fehlen.«

Am 6. April sandte ich wiederum durch Kurier einen entsprechenden Bericht an General von Falkenhayn, und unterbreitete meine Vorschläge, die teils auf den vielfachen Unterredungen mit Euerer Excellenz, teils auf eigenen Erwägungen beruhten. Falkenhayn schloß sich diesen Ausführungen im wesentlichen an, er befahl mich zu einer Schlußbesprechung nach Berlin, und etwa Mitte April begann der Abtransport der deutschen Truppen nach dem Osten. Dies ist der wahrheitsgemäße Hergang, soweit ich persönlich daran beteiligt war. Falkenhayn hat mir gegenüber immer daran festgehalten, daß er unabhängig von der Ansicht Euerer Excellenz, und daher auch unabhängig von meinen Vorschlägen, schon längere Zeit über eine Aktion aus der Richtung Gorlice nachgedacht und in Folge dessen einen Entwurf zu derselben von seinem Stabe habe anfertigen lassen. Auf eine diesbezügliche Unterredung mit Euerer Excellenz in Breslau konnte er sich nicht mehr entsinnen, – ohne direkt leugnen zu wollen, daß dieses Thema vielleicht auch berührt worden sei. Für seine Auffassung spräche doch auch der Umstand, so meinte er, daß er anstatt der von mir vorgeschlagenen 4 Divisionen, 4 Armeekorps entsandt habe.

Alle diese Erwägungen treffen meiner Ansicht nach den Nagel nicht auf den Kopf.

Ich bin nach wie vor der Überzeugung, daß Keim und Wurzel der Gorlice-Schlacht in Teschen liegen; dort brannte ja auch das Feuer am hellsten. Wenn der Offensivgedanke bei der deutschen O.H.L. tatsächlich schon vorher feste Gestalt angenommen haben sollte, bevor mein, auf Grund der Unterredung mit Euerer Excellenz und der dabei gemachten Anregung hinsichtlich Gorlice entsandtes Telegramm einlief, so hätte sie sich zum mindesten das Recht der Erstgeburt durch zu langes Heimlichtun verscherzt. Was man hinterher behauptet, pflegt der Geschichte nicht allzusehr zu imponieren.

Ich stehe also nach wie vor auf dem Standpunkt, daß man Sie, Herr Feldmarschall, mit vollem Recht den Vater der Gorlice-Offensive nennen muß.

Daß dies Kind sich so entschlossen und kräftig auswuchs, daß es die ganze Russenfront ins Wanken bringen konnte, ist ebenso unleugbar Falkenhayns Verdienst, denn er sandte anstatt 4 Divisionen, 4 Armeekorps, allerdings ein Entschluß, den auch nur er verantworten und fassen konnte, was wiederum aus meinem Bericht hervorgeht, der ich die Ansicht vertreten mußte, daß deutsche Truppen auch nicht einmal in der Stärke von 4 Divisionen bei der damaligen Lage abkömmlich sein würden.

Soweit meine Daten und Aufzeichnungen, die aber ein völlig klares Bild der Geschehnisse darbieten. Ich will gewiß nicht leugnen, daß auch Falkenhayn über die Möglichkeit eines Angriffs bei Gorlice nachgedacht hat. So fern lag ja der Gedanke, auch bei dem Führer im Westen, nicht; vielleicht, oder wahrscheinlich wäre er aber nie zur Ausführung gelangt, wenn Euere Excellenz nicht durch mich, als bescheidenen Vermittler, die Anregung gegeben hätten. –

An Kaiser Wilhelm werde ich dieser Tage schreiben und ihm von Euerer Excellenz berichten. Er interessiert sich für alles, und namentlich für Persönlichkeiten von dem Schlage Euerer Excellenz besonders, deren Schicksal er im innersten Herzen bedauert.

Daß seine Ansicht über den verewigten Kaiser Karl nicht die freundschaftlichste ist, dürfte erklärlich sein.

Ich komme nun zum Schluß, wiederhole meine aufrichtigsten und innigsten Wünsche für baldige und dauernde Besserung der Gesundheit, bitte der Frau Gräfin meinen ehrerbietigsten Handkuß zu bestellen und verbleibe in alter Anhänglichkeit, wie bekannter Verehrung

Euerer Excellenz
gehorsamst ergebener
(Unterschrift) Cramon

 

ANMERKUNG: Die von Generalleutnant von Cramon angedeutete Breslauer Unterredung Marschall Conrads mit Falkenhayn hat Conrad, ganz abgesehen von der großen, von Feldmarschalleutnant Metzger in allen Einzelheiten bestätigten Berliner Darlegung, auch mir gegenüber erwähnt. Die Zeitspanne zwischen dem Berliner Vorschlag über Gorlice und dem Eintreffen des Falkenhaynschen Telegramms variierte der Marschall in den vielen Gesprächen, die das Thema – unverändert erschien in ihnen immer die Rolle Falkenhayns – stets deutlicher aufhellten. Meine Darstellung hält sich an die Angabe, die Conrad nach wiederholter Selbstprüfung als die endgültige bezeichnete, an die Cramonschen Ergänzungen, die wieder der Marschall durchsah, und an die Daten Metzgers, der nach seiner eigenen Darstellung auch noch die Angaben Conrads und Cramons verglich und für richtig erklärte.


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