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Das Königreich Italien hatte Österreich-Ungarn den Krieg erklärt. Die Kriegsansage war mitten in den Maivormarsch 1915 gefallen, aber die Ereignisse im Osten hielt sie nicht auf. Conrad von Hötzendorf hatte die trübe Genugtuung, seine Psychologie gegenüber einem Bundesgenossen bestätigt zu sehen, den er als Feind im Rücken seit einem Jahrzehnt erwartete. Aber Conrad hatte auch die Nerven, aus seinen psychologischen Erkenntnissen über italienische Volksart und italienischen Soldatencharakter die jetzt nützlichsten Schlüsse zu ziehen. Er dachte nicht daran, die Abrechnung mit Rußland um Italiens willen zu unterbrechen. Den Vormarsch über Lemberg nach Brest Litowsk lenkte er weiter, als näherte sich den Südgrenzen kein Feind. Die Italiener hatten den Zeitpunkt ihres Eingreifens versäumt. Die Karpathenschlacht war eine Krise gewesen, die durch Monate angehalten, durch Monate alle Kräfte der Monarchie restlos gebunden hatte. Aber das Königreich hatte damals noch nicht gewagt, die Maske fallen zu lassen. Entweder war in Rom die wahre Lage nicht erkannt worden oder Cadorna, der Chef des Generalstabes, nannte die italienische Armee nicht fertig, die fast seit Jahresfrist den Augenblick ihres Kampfeintrittes vorbereitet hatte. Nach Tarnow und Gorlice war die militärische Lage der Schlachtfelder erheblich verschoben. Freiherr von Conrad wußte, als die lateinische Nation ihre natürliche und von ihm angesagte Kampfstellung wählte, daß Rußland nicht mehr lange Zeit alle seine Hauptkräfte beschäftigen werde. Er schlug daher Rußland nicht halb, sondern ganz. Für die Italiener hatte er eine ganz besondere Lösung.
An der italienischen Grenze stand auf österreichisch-ungarischer Seite da und dort eine Handvoll Menschen. Der Schleier, der ab und zu mit einem wehenden, aber losen Zipfel vor der anrückenden Großmachtarmee des Gegners auftauchte, war dünn und löchrig. Die Großmachtarmee der Italiener rückte sehr vorsichtig an. Anton Haus, der Flottenadmiral, störte überdies den Aufmarsch nach Möglichkeit. Die Flotte ließ er die Stapelplätze der Häfen bombardieren. Er ließ die Brücken und Bahnen beschießen, die in den norditalienischen Aufmarschraum führten. So verzögerte sich der italienische Vormarsch noch mehr. Die russische Situation mußte indes immer heller und immer entlasteter werden. Wenn dann Cadorna endlich merkte, daß seine Armeen nur durch Schleier aufgehalten wurden, sollte Cadorna die Schleier getrost durchstoßen. Er mochte nach Triest marschieren. Aber Conrad besorgte, daß er nicht nur nach Triest, sondern bis nach Laibach marschieren könnte. Für diesen Fall hatte er Vorschläge an Falkenhayn. Zehn österreichisch-ungarische und zehn deutsche Divisionen wollte er bis dahin ungestört an der Save versammeln. Erst wenn die Italiener weit in den Krainer Bergen vorangekommen wären, wollte er ihnen, die ungeübt im Kriege und der Panik leicht zugänglich wären, eine jähe, gewaltige Schlacht liefern. Vermutlich wäre es ein zweites Custozza geworden. Kein Mann, kein Geschütz, kein Trainwagen hätte aus Krain zurück entkommen müssen. Vielleicht hätte dann Italien, ohne kampffähiges Heer und furchtbar enttäuscht, mit sich reden lassen. Aber der General von Falkenhayn stellte fest, daß er über so viel Divisionen nicht verfügen konnte. Auch stand Deutschland selbst mit Italien noch nicht im Kriege. Es schien, daß noch die Phantastereien des Fürsten Bülow in Berlin den Glauben stützten, daß Deutschland ohne den Krieg mit Italien auskommen werde. Es war die alte Aehrenthalsche Verkennung und Verblendung, durch den Fürsten Bülow und seine Römerfreundschaft jetzt auf das Deutsche Reich übertragen. Eine Gelegenheit wurde versäumt. Conrad richtete sich anders ein.
Die Entscheidung gegenüber Italien mußte später ausgetragen werden. Wenn Falkenhayn absagte, gab es kein Custozza bei Laibach. Es gab dann lediglich ein Abwarten in der Verteidigung. Allmählich zog Conrad genau so viele Truppen vom Nordosten ab, wie dort entbehrt werden konnten. Er besetzte im Südwesten jene Räume, die der abgezogenen Truppe als zweckmäßigster Verteidigungshalt entsprachen. Unhaltbare Grenzecken gab er preis. Die Italiener kamen, mit ihren Siegen auf leeren Plätzen viel beschäftigt, nur langsam vor. Vier Wochen nach der Kriegserklärung versuchten sie im Karst die erste Schlacht. Die Division Goiginger hielt den Karst gegen die Armee des Herzogs von Aosta. So vorsichtig tastete Cadorna, daß sich jetzt wieder die österreichisch-ungarischen Truppen vorschoben. Conrad war zunächst auf ein beträchtliches Zurückgehen gefaßt gewesen. Jetzt standen seine Truppen dennoch am Isonzo. Aber endlich machte Cadorna Ernst. Er wollte nach Triest. Um jeden Preis. Der Reigen der Isonzoschlachten begann. Natürlich war bei Cadorna in jeder Schlacht und jeder Art die Überlegenheit von Menschenzahl und Waffen. Er hatte eine Million ausgeruhter Truppen. Sie waren überhaupt noch durch keinen Feldzug verbraucht. Er hatte eine unendlich überlegene, völlig moderne Artillerie. Aber die Mauer, die Cadorna am Isonzo anrannte, war aus Stahl. Einmal entschieden diese wochenlangen Schlachten die Ungarn, ein andermal die Alpenländer. Zwischendurch sogar die Tschechen. Vier Schlachten verrollten, beinahe ein Jahr verrann. An seinem Ende stand Cadorna, wo er begonnen hatte. Man schrieb das Frühjahr 1916. Aber Conrad war vorwärtsgekommen.
Conrad war für Erledigungen. Er hatte Eile. Rußland war umgeworfen. Nach der schweren Niederlage der Russen war Serbien erledigt worden. Rußland begann sich im Winter zu erholen, seine frisch gesammelten Truppen stürmten im Dezember 1915, im Januar 1916 wütend in der Bukowina, in neuen Massenschlachten, an der Strypa vor, um die Zerschmetterung Montenegros zu stören und um den Italienern die Arbeit zu erleichtern, um überhaupt die Lage zu ändern und ihre Ungunst zu wenden. Aber Conrad machte reinen Tisch auf dem Balkan. Es gab auch dann kein Ausrasten in einem Krieg unter gefährlichen inneren Bedingungen, in einem Krieg, der alle Kräfte mit Riesenziffern in unerhörter Schnelligkeit verbrauchte, in einem Krieg, in dem die Mittelmächte eine belagerte Festung waren. Die deutsche Westfront hielt zwar hart und stark. Aber sie stand auch starr. Gewaltige Schlachten waren seit dem Stillstand an der Marne, seit dem Stellungskrieg in Frankreich ausgetragen worden. Aber alle Opfer waren vergeblich gebracht auf beiden Seiten: es gab dort nur ein Vorwärtskommen ohne entscheidenden Durchbruch, hier nur ein gelegentliches Zurücknehmen einzelner Frontstücke und kaum wesentlicher Winkel ohne Vernichtung –, die Westfront wurde dann gleich wieder starr, die Entscheidung wurde abermals unsicher und fern. Aber Italien konnte geschlagen werden: gründlich und endgültig. Italien konnte aufs Knie gezwungen werden. Wenn kleine Teile der österreichisch-ungarischen Armee die Heere der Italiener, die sich obendrein natürlich stets noch verstärkten, von Schlacht zu Schlacht vom Karst hinunterjagten, wenn die Italiener im Tiroler Hochland in einem ganzen Halbjahr nichts weiter zustande brachten, als in unterirdischer Minierarbeit einen einzigen Gipfel entzweizusprengen: was mußte erst dann geschehen, wenn sich ein deutsch-österreichisch-ungarisches Heer ernsthaft und mit ganzer Kraft mit den Italienern im Angriff beschäftigte? War Italien vollständig zu Boden geschmettert, wurde Italien zum Frieden, zum Ausscheiden aus dem Kampfe gezwungen, und standen die Heere der Mittelmächte in Norditalien, mit dem auch Frankreich Grenzen hatte, als unumschränkte Herren, so waren die Folgen unabsehbar. Politisch und militärisch. Es gab niemand, der soldatisch den Verbündeten überlegen war. Es gab keine Räume, die man nicht bezwingen konnte. Die Alliierten auf der französischen Walstatt, die, umschlossen von Nord und West, noch die Bedrohung von Südost erwarten mußten, schwenkten dann vielleicht ein, ohne weitere Neigung für zweifelhafte Schlachtentscheidungen. Soviel stand fest: Italien war wichtig. Italien war an der Reihe. Freiherr von Conrad war für Erledigungen. Er sprach mit Falkenhayn.
Falkenhayn hatte einst die Dringlichkeit und Wichtigkeit der Ostfragen eingesehen. Rußland stieß an Deutschland. Falkenhayn war auch für einen serbischen Feldzug gewesen. Deutschland brauchte eine Straße nach Konstantinopel. Aber Falkenhayn war schon, als Conrad den Marsch nach Saloniki vorschlug, gegen das Unternehmen gewesen, denn Saloniki versperrte die deutsche Straße nach Konstantinopel ja gar nicht. Auf Zukunftsmusik und auf Litaneien, was einmal sein könnte, wenn man die Bulgarenfront nicht gegen jederlei Überraschung und ein für allemal deckte, hörte Falkenhayn nicht gern. Auch alle italienischen Programme ließen ihn kühl. Was ihm auf Ersuchen des Freiherrn von Conrad der deutsche Bevollmächtigte im Teschner Hauptquartier, der General von Cramon, darüber erzählte, gehörte zu den Akten. Nichts weiter. Falkenhayn lehnte die deutsche Teilnahme an einem italienischen Feldzug ab. Er war gegen eine Schlacht bei Laibach gewesen. Er war auch gegen einen Angriff auf der Hochfläche von Asiago. Er hielt eine Niederwerfung Italiens nicht für kriegsentscheidend. Da machte Conrad im Januar 1916 Vorschläge: wenn Falkenhayn die Niederzwingung Italiens nicht für kriegsentscheidend halte, aber ein anderes Unternehmen vorschlage, das zur Beendigung des Krieges führen könnte, so wolle er, Conrad, auf seinen Plan verzichten und die frei gewordenen Truppen zu jenem anderen Unternehmen beisteuern. Falkenhayn machte keinen Gebrauch von dem Vorschlage. Und Conrad stand, da eine andere Arbeit im Plan der Mittelmächte überhaupt nicht angesagt war, und so in die eigene Rechnung nicht hätte spielen können, vor selbständigen Entschlüssen.
Kaiser Franz Joseph hatte bisweilen seinem ersten militärischen Berater davon gesprochen, daß er eine endliche Abrechnung mit Italien nicht ungern sehen würde. Italien hatte dem Kaiser Franz Joseph in fünfundsechzig Regierungsjahren viel angetan, für Italien hatte man in der Zeit Aehrenthals nichts als Rücksicht gehabt, Italien war dem Kaiserreich trotz Dreibund in den Rücken marschiert. Manche Bitternis war aufgehäuft in Kaiser Franz Joseph. Auch Erzherzog Friedrich hatte dann und wann nach dem italienischen Abrechnungstag gefragt. Für den Kaiser wie für den Armeeoberkommandanten hatte Freiherr von Conrad, dem die Volksmeinung einen Feldzug gegen Italien überhaupt als Lieblingsgedanken zuschob, bisher stets nur die gleiche Abwehr gehabt:
»Es geht jetzt nicht – –«
Aber im Frühjahr 1916 lagen doch die Umstände anders. Eine neue Offensive gegen Rußland hatte wenig Sinn. Vorteil brachte es nicht, wenn man über die erreichten Linien noch ein paar hundert Kilometer weiter ins Zarenreich eindrang. Freiherr von Conrad war gegen ein Marschieren in Fernen ohne Zweck. Ein Angriff der Russen wurde vorbereitet. Aber noch war General Brussilow nicht mit seinen Rüstungen fertig. Und selbst wenn Brussilow angriff: alle Bedingungen waren gegeben, auch diesen Angriff gelassen und ohne Schaden auszuhalten. Man mußte sich nur vorsehen. In Montenegro war die Armee Köveß frei geworden. Untätig lassen konnte man sie nicht. Zeit vergeuden durfte man überhaupt nicht. Wenn das Glück nur halbwegs günstig war, wenn keine Elementarereignisse eintraten, mit denen nüchterne Beurteilung nicht rechnen kann, mit denen der Feldherr nicht rechnen darf, wenn er Maßnahmen überhaupt treffen will, so mußte der Schlag und das Näherkommen an eine Kriegsentscheidung selbst dann gelingen, wenn deutsche Truppen sich nicht beteiligten. Ganz abgesehen davon, daß General von Falkenhayn, wenn er erst die Folgen eines in den Anfängen bereits gelungenen Unternehmens klar überblickte, durch Truppenbeisteuer sicherlich später die Ausweitung des Erfolgs doch unterstützte. Die Verantwortung mochte groß sein. Aber Conrad nahm sie auf sich. Denn wenn er die Situation und die Kraft seiner Truppen bedachte, so konnte er die Verantwortung übernehmen. Aber wenn er die mögliche Kriegsgestaltung erwog, so mußte er die Verantwortung übernehmen. Conrad beschloß den Angriff auf Italien.
Erzherzog Friedrich fragte: »Wird es gehen?«
Conrad erwiderte: »Ja, es geht jetzt.«
Aber es schien dem Freiherrn, als fragte der Erzherzog mehr im Hinblick auf den Angriffsausgang, der für Conrad nicht zweifelhaft war, als mit Rücksicht auf die Gesamtlage des Augenblicks. Conrad aber hatte die Antwort mit Rücksicht auf die Gesamtlage erteilt. Denn er hatte jedwede Voraussicht getroffen.
Die russische Front wollte er keinen Augenblick lang so sehr geschwächt sein lassen, daß Gefahr überhaupt entstehen konnte. Pflanzer-Baltin hatte erst die Neujahrsschlacht in der Bukowina siegreich und in keiner Phase auch nur unsicher ausgefochten. Die Zahlen der Armee Pflanzer sollten unverrückt bestehen. Die anschließende deutsche Armee Bothmer war kräftig und zuverlässig. Nicht minder zuverlässig und kräftig war Böhm-Ermollis Nachbarheer. Der General von Linsingen hatte den Oberbefehl über zwei Armeen. Linsingen gebot zunächst über ein Heer, das aus deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen bestand. Es reichte bis Pinsk hinauf. Er hatte südlich davon noch ein zweites Heer unter seinem Befehl, die Armee des Erzherzogs Joseph Ferdinand, eine der besten und zugleich eine der stärksten, die das Armeeoberkommando überhaupt zu vergeben hatte. In alle Schützengräben fahren konnte der Chef des Generalstabs freilich nicht, um sich von Richtigkeit und Ordnung der Dinge dort zu überzeugen. Es war nicht sein Amt. Es war Amt der Armeekommandanten und ihrer Stabschefs. Es reichte kaum die Zeit zu all den tausend anderen Geschäften. Aber alle Verantwortlichen, deren Pflicht der Ausbau und die Sicherung ihres Abschnitts war, konnte er nach Teschen zitieren. Er prüfte Generalstabschef um Generalstabschef, einzeln von Armee zu Armee. Er verlangte genaue Darstellungen. Er verlangte Einzelheiten. Er fragte nach der Sicherung kritischer Stellen. Sie verbürgten sich alle für den Ausschluß jeden Zwischenfalls. Aber der Freiherr wollte nicht nur Österreicher und Ungarn hören. Er forderte das Urteil der verantwortlichen deutschen Generale ein, die seinem Befehl unterstanden. Generalleutnant von Stolzmann, Stabschef der beiden Armeen Linsingen, gab warme, beruhigende Versicherungen in Teschen. Generalleutnant von Stolzmann schildert die Unmöglichkeit eines russischen Durchbruches. Er schildert sie nicht nur, er wünscht geradezu den Angriff herbei, um die Unmöglichkeit zu erweisen. Er verbürgt sich für die Zuverlässigkeit der beiden Armeen und für die Sicherheit der Linien, sowohl bei Linsingen selbst, als auch bei Erzherzog Joseph Ferdinand.
»Herr, wenn das so ist,« erwidert ihm Conrad, »dann muß ich beruhigt sein.«
Conrad hat auf alle Fälle noch zwei Divisionen als Armeereserve hinter die Truppen des Erzherzogs geschickt. Sie sind als fliegende Hilfseinsätze gedacht: sie sollen hinter der Front, wenn es wirklich zu schweren Kämpfen käme, wenn irgendwo Hilfe nötig würde, beliebig verwendet werden. Aber die Erzherzogarmee wird sie kaum brauchen. Auch sind im fernsten Gedanken die Deutschen noch da. Wenn sie schon gegen Italien nicht mittun wollen, so werden sie gewiß, wenn es wirklich nicht anders gehen sollte, mit ein paar Divisionen einspringen. Die Rüstung gegen Italien wird befohlen. Sie wird mit größtem Nachdruck betrieben. Eine Armee von Technikern arbeitet in Südtirol. Reibungslos verläuft die Vorbereitung. Alles ist in bestem Rollen.
Aber eines Tages meldet sich noch Falkenhayn. Er verabschiede sich. Er reise soeben mit dem Hauptquartier nach Mézières. Conrad stutzt: Mézières? – Was will er mit Mézières? Die Offensive gegen Verdun beginne. In Stunden …
Verdun? – –
Freiherr von Conrad wußte nichts von Verdun. Der General von Falkenhayn hatte bis zu dem Augenblicke, da er mit dem deutschen Kaiser und dem ganzen Stab schon in das neue Hauptquartier abreiste, dem Freiherrn nicht ein Wort von seinem Vorhaben, nicht ein Wort von seinen Vorbereitungen gesagt, obgleich der General von Falkenhayn natürlich häufig genug den Freiherrn von Conrad sah und sprach, obgleich zum wenigsten die Verbindung zwischen Teschen und Pleß stets ohne Unterbrechung war. Vieles wird Freiherrn von Conrad plötzlich klar: vermutlich auch darum unterblieb damals der Marsch nach Saloniki – – und auch darum kein Anteil an der italienischen Offensive, die Falkenhayn ihn nach ehrlicher Ansage in voller Unkenntnis der deutschen Absichten rüsten ließ. General von Falkenhayn hatte also aus dem Zusammenarbeiten der beiden Generalstäbe bereits ein klares Auseinanderarbeiten gemacht. Jetzt war es fast sicher, daß in Italien nicht bloß ein großer Erfolg, sondern mit verdoppelten Kräften vermutlich die Kriegsentscheidung zu holen gewesen wäre. Denn die Kräfte waren also da. Die Bedingungen für die italienische Offensive hatten sich freilich nicht verändert. Aber Conrad sah ein, wie leicht gerade diesmal für Falkenhayn das Mitgehen gewesen war. Verdun war menschenraubender; es war kostspieliger und schwieriger. Verdun war wesentlich zweifelhafter als Asiago. Conrads Abschiedswort an den General von Falkenhayn hatte kühle Höflichkeit:
»Ich wünsche Ihnen zu Ihrem Vorhaben alles Gute.«
Aber im Innern versprach er sich nichts vom Wert des Verdunschen Unternehmens. Nichts von diesem Angriff gegen die Festung, der – mit General Metzger war er eins über die zweifelhaften Aussichten für einen Erfolg – aus dem wenig geeigneten »inneren Winkel« der Verduner Front vorgetragen werden sollte – –
Falkenhayn hatte Conrads Bedenken gefürchtet. Conrads Ideen waren bisher noch immer die besseren gewesen. Aber jetzt wollte Falkenhayn endlich einer eigenen Idee nachgehen, wobei es noch Leute gab, die behaupteten, daß der Verduner Plan überdies im Kopf des Stabschefs der Kronprinzenarmee, im Kopfe Knobelsdorffs gereift sei. Hochmütig und unaufrichtig hatte Falkenhayn überhaupt geschwiegen. Er hatte wiederum nicht gelogen: er hatte wiederum nur geschwiegen. Conrad stand bloß vor einem neuen moralischen Eindruck. Keineswegs vor einem Dilemma. Theoretisch wäre die italienische Offensive vielleicht noch aufzuhalten gewesen; wenn dies überhaupt einen Sinn und einen Anlaß gehabt hätte; moralisch und praktisch war sie nicht mehr aufzuhalten. Die Truppen standen bereits in den Südtiroler Aufmarschräumen. Die Armee der Techniker und Straßenbauer hatte dort Tag und Nacht gearbeitet, die Stimmung der Truppen war ein Begeisterungsrausch. Trient ein Heerlager des Jubels. Die Regimenter waren nicht mehr zu zügeln. Die russische Front lag still. Für ihre Sicherheit hatten die Führer sich verbürgt. Sie lag in bester Hut. Und der Angriff auf Asiago begann.
Der Angriff auf Südtirol, zwischen Brenta und Etsch, war ein militärisches Meisterstück. Ein technisches Kunstwerk in der Vorbereitung und im Ansatz, in der Leitung und in der Durchführung. Jede Einzelheit war vorher berechnet, das meiste für diesen Feldzug neu erfunden und neu erbaut. Der Aufmarsch hatte sich auf Straßen vollzogen, die noch in keiner Karte eingezeichnet waren. Die Artillerie feuerte aus neuen Rohren und aus raffiniertester Gruppierung. Im schwierigsten Gelände, in den Alpen, wurde der Gegner Tag um Tag geworfen und geschlagen. Überall stand er in überhöhender Stellung. Überall wurde er heruntergestürzt. Niemand war bisher so vernichtend geschlagen, so unzweideutig besiegt und getrieben worden, wie diesmal Cadornas Heer. Man stand endlich knapp vor der Ebene. Noch ein Querriegel vor dem Asticotal war zu sprengen: dann war man unten – da schlug die Stunde von Luck.
Brussilow trieb seine neuen Heere zum Angriff in Wolhynien vor. Seit dem Spätsommer 1915 hatte er gerüstet, neue Heereskörper geschaffen, alte Truppentrümmer unverdrossen neu gefügt. Das Riesenreich mußte noch einmal hergeben, was innerhalb seiner weiten Grenzen, was in Europa und in Asien noch irgend marschieren konnte. Über Wladiwostok kam verbündete Artillerie ins Land. Neue Offiziersschulen, neue Unteroffiziersschulen wurden aufgestellt. Die Einfuhr von Munition staute Städte von Magazinen auf. Im Sommer 1916 oder im Herbst dieses Jahres wollte Brussilow erweisen, ob Rußlands Kraft nach Galizien und Polen, nach den Karpathen und Gorlice wirklich gebrochen war oder ob sein Rest von Einsatz noch entscheiden konnte. Die Heeresleitungen der Verbündeten kannten die Rüstungen der Russen genau. Sie wußten auch, daß Brussilow noch längst nicht so fertig war, wie er selbst es sich vorgeschrieben hatte. Aber vor Asiago ging es schneller und stürmischer zu, als alle Welt erwarten konnte. Asiago wurde für Brussilow ein Glockenzeichen. Denn Notschrei gellte um Notschrei vom Rand der italienischen Ebene, darin Cadorna sammelte, was er zusammenbringen konnte. Es waren Truppen, deren Mut nicht erheblich durch die Armeebefehle gehoben wurde, in die der italienische Feldherr seine Entschlossenheit und die Erwartung des Vaterlandes legte. Aber als Italiens Retter rief niemand jetzt Cadorna an, Italiens Retter hieß, so unbequem der russische Name in römische Ohren ging, jetzt General Brussilow. Daß er zur Entlastung weit vor der Zeit, die er sich selbst gesteckt hatte, schließlich doch angriff, war für Freiherrn von Conrad kein Blitz aus heiterem Himmel. Etwas mußten die Russen tun in der italienischen Not. Freiherr von Conrad rechnete sogar, daß da und dort ein Zurückdrücken seiner Front nicht unmöglich wäre. Er erkannte einen Preis an, den er, wenn er erst in Italien stand, gern bezahlte. Der Angriff war erwartet. Aber für Brussilow selbst und für den Freiherrn von Conrad mußte der Schlag von Luck dann eine Überraschung sein.
Die Russen durchbrachen die verbündeten Linien. An der Einbruchsstelle standen zwei Divisionen. Hinter ihnen standen jene zwei weiteren Divisionen, die als Reserven bereitgehalten wurden. Die Russen hatten die Schlacht mit einem Trommelfeuer begonnen, das in solch riesigem Ausmaß die Ostfront jetzt zum erstenmal erlebte, und Brussilow hatte die Infanterieschlacht unter den fortspielenden Geschützen mit Methoden fortgesetzt, die noch unbarmherziger, als der Großfürst in den Karpathen, die eigenen Truppen nicht nach Regimentern, sondern nach Divisionen opferten. Der ganze Kampf spielte sich in Sandgelände auf Kaolinerde ab. Das Trommelfeuer wirbelte auf der ganzen Front eine einzige, ungeheuerliche, undurchdringliche Wolke von Kaolinstaub auf. Das schließlich in Riesenschwaden hochgewirbelte und hochgeballte Kaolin, das selbst in die Verschlußstücke der Gewehre und Maschinengewehre eindrang, so daß sie vielfach unbrauchbar wurden, war zugleich der Mantel des russischen Einbruchs. Die 70. ungarische Honveddivision versagte. Indes wurden die Nachbarabschnitte der Einbruchsstelle gleichfalls unter Trommelfeuer gehalten. Nördlich der Honveds versagten die Truppen der 2. Division. Ihre Nerven hielten nicht stand. Ähnliches hatten sie an der Ostfront bisher nicht erlebt. Kurz: der Einbruch gelang zunächst völlig, der Widerstand der beiden angegriffenen Korps zerbrach, obgleich von Übermacht nicht die Rede sein konnte, da den beiden angegriffenen Korps nur zwei russische Korps als Angreifer gegenüberstanden. Fraglich blieb jetzt, ob der Einbruch technisch zu verriegeln, ob die Moral der Truppen stark genug war, den Widerstand nach den ersten Schrecknissen abermals unüberwindlich aufzurichten.
Erzherzog Joseph Ferdinand operierte nicht sehr glücklich mit seinen Hilfseinsätzen. Die Korpskommandanten Martini und Szurmay befehligten die durchbrochenen Frontabschnitte. Jeder der Korpskommandanten hatte für den Fall der Not dicht hinter seinen vordersten Truppen eine ganze Brigade zur Verfügung gehabt: zwei Brigaden besaß der Erzherzog noch als Armeereserve. Dem Drängen der Korpsführer nach den letzten Hilfseinsätzen gab Joseph Ferdinand vielleicht zu schnell nach. Aber es zeigte sich bald, daß hier nicht nur die unsichere Technik das Entscheidende für den ganzen Ausgang war. Unterwühlte Moral hatte die Front bei Luck zerbrochen.
Erzherzog Joseph Ferdinand war ein Kopf voll Begabung. Er hatte das Blut der Toskaner, die bisweilen bizarre, doch fast ausschließlich begabte Naturen in das Kaiserhaus gepflanzt hatten. Aber diesem toskanischen Blut gesellte sich Undiszipliniertheit häufig. Erzherzog Joseph Ferdinand hatte bislang nur den umsichtigen, entschlossenen General verraten, Mackensen, unter dem er focht, hatte die ausgezeichnete Haltung bestätigt. Vor Lublin war Joseph Ferdinand im Jahre 1915 vielleicht ein wenig schneller vorgestürmt, als nötig war. Ehrgeiz hatte ihn getrieben, die Stadt mit österreichisch-ungarischen Truppen als erster zu erreichen. Mackensens Truppen waren ruhig stehengeblieben, statt mitzugehen: so hatte sich der Erzherzog, mit der Spitze seiner Truppen vorgeprellt, eine leichte, an sich belanglose Schlappe geholt. Freiherr von Conrad billigte Ehrgeizunternehmungen nicht. Er verurteilte sie. Obgleich er den Antrieb des Prinzen verstand, verzeichnete er ihm den ersten Fehlschlag. Von da ab führte Joseph Ferdinand wieder sicher, kraftvoll, in guter Ordnung. Vor Luck stand er seit vielen, vielen Monaten unter Befehl und Aufsicht des Generals von Linsingen. Sein beweglicher Geist begann, sich Abwechslung zu wünschen. Er vergaß ganz, daß Krieg und Sterben keine Veranstaltung der Unterhaltung sei, er begann, Langeweile zu empfinden. Er unterbrach sie durch kleine musikalische Abende. Allmählich wurden sie zu einem kleinen Kabarett. Bei der Truppe wollte er gern volkstümlich sein. Er sah es gern, daß in den Schützengräben der fröhlichen vierten Armee die Wiener Schrammeln aufspielten. Joseph Ferdinand fraternisierte mit jedem Leutnant. Erzherzog und Leutnant zogen bei Wein und Zitherklang über die Generale her. Sie schickten täglich vom Armeeoberkommando ihre gelöffelte Weisheit herüber. Voran dieser Conrad, der von den Truppen im Felde verlangte, daß sie selbst in Kampfpausen exerzieren sollten … Die Witze schwirrten auf, kein General blieb ungeschoren. Die kecksten Witze machten schließlich die Leutnants, der Erzherzog lachte, der Stab lachte. Es war ein Kommando der Sorglosigkeit, wurde es immer mehr. Wenn Joseph Ferdinand von Tafelrunden und Tafelfreuden ermüdet war, zog er auf Jagd hinaus. Jagd war ein fürstliches Vergnügen. Der Erzherzog teilte seinen Armeebereich in Jagdbezirke ein.
Die deutschen Verbindungsoffiziere sahen dieses Treiben nahe genug und Tag um Tag. Sie gingen im Armeeoberkommando Joseph Ferdinands ein und aus wie des Erzherzogs eigene Offiziere, sie gehörten dem Kommando an. Sie sahen alles, sie hörten alles: der Oberbefehlshaber General von Linsingen wußte also haarklein alles, oder hätte es wissen müssen. Aber der General von Linsingen griff bei der ihm unterstellten Truppe gleichwohl nicht ein. Er inspizierte, doch sah er nichts. Oder wollte nichts sehen. Vielleicht schien ihm auch die Prinzenschaft des Kommandanten bedenklich. Vielleicht konnte er über Erziehung in höfischer Anschauung nicht hinweg. Er wußte zwar, wo Freiherr von Conrad wohnte, und er konnte es längst gemerkt haben, daß dem Freiherrn selbst eine kaiserliche Hoheit gleichgültiger war, als die Sache. Indes – der General von Linsingen fand keine Gründe zur Beschwerde. Der Stabschef des Erzherzogs kam gegen den Prinzen nicht auf. Linsingens Stabschef, Generalleutnant von Stolzmann, hielt große Reden in Teschen, doch vom Erzherzog erzählte auch er nichts. Linsingen wußte alles. Er drückte die Augen zu. Der Geist des Erzherzogs drang in die Truppe. Sie verweichlichte. Die Stäbe schätzten das Wohlleben. Die Generale im Frontbereich führten nicht immer die Befehle aus, die das Armeekommando hinausgeschickt hatte. Der Armeegeneralstabschef erhob Einspruch bei Erzherzog Ferdinand gegen solch merkwürdige Haltung. Aber der Erzherzog nahm weder den Einspruch tragisch, noch den Ungehorsam der Generale. Die Generale im Frontbereich verlernten nicht bloß, Befehle auszuführen, sie verlernten auch, Befehle zu geben. Darum versagte, als der Einbruch von Luck geschehen war, alles Denken in der Leitung. Darum vergriffen sich die Bestürzten in der Führung und Verwendung der Reserven. Der Kommandant des X. Korps berichtete im entscheidenden Zeitpunkt trotz wiederholter Befehle nicht an die Armee. Das Armeekommando mußte ihn suchen lassen. Den Befehl zum Gegenangriff an bedrohter Stelle gab er unklar. Er verwässerte ihn. Er hatte nicht die Energie, den Befehl als Befehl weiterzugeben. Ein anderer General war in den Stunden schwersten Gefechts nicht aufzufinden. Im Nervenschok war er davongegangen. Einen Tag lang ließ er seine Truppe ohne Führer. Unklarheit und Verwechslung über den gleichen Gegenstand, über gleiche Anordnungen herrschte bei den Stäben. Korpsbefehle und Divisionsbefehle widersprachen einander. Indes die Widersprüche aufgeklärt wurden, drangen die Russen weiter. Die Truppen glitten den Generalen aus der Hand, die Generale der Armeeleitung. Niemand war der Situation gewachsen. Bei Truppe und Lenkern hatte die Moral gelitten. Sie alle waren erschlafft. In der Schlacht selbst konnte die Haltung Joseph Ferdinands vielleicht kein Vorwurf treffen, kein entscheidender Fehler kam von ihm. Aber der Geist der Truppe, die im ersten Augenblick zusammenbrach, der Geist der Generale, die alle Zucht verlernt hatten, war geschaffen und vorbereitet durch Joseph Ferdinands Geist. Unverantwortlich war die Haltung des Erzherzogs in den Monaten vor Luck gewesen. Aber die Verantwortung traf nicht minder den General von Linsingen.
Im Ablauf von Tag und Nacht war die Schlacht von Luck entschieden. In einer einzigen Nacht ergaben sich 89 000 Feuergewehre den Russen. Eigentlich war die ganze vierte Armee zertrümmert. Kein Traum hätte Brussilow solche Erwartung vorgespiegelt. Weit mehr als die Rettung Italiens mußte erreicht sein. Vor Luck war alles eine zerschlagene Front, an der sich nur einer sofort zurechtfand: der General von Linsingen. Er hatte der Reservedisposition, der Aufstellung von Hilfsbrigaden unmittelbar hinter den Frontabschnitten, über die ihn das Kommando der vierten Armee befragt hatte, ausdrücklich zugestimmt. Er hatte das Vorleben der ihm unterstellten Armee mit angesehen und nichts dagegen unternommen. Er jagte selbst gern. Im ersten Teil der Schlacht gab er Befehle, die allgemeine Redensarten enthielten. Seine Beschlußfassung dauerte jeweils mehrere Stunden, obgleich die Hughesapparate ein sofortiges Eingreifen ermöglichten. So waren seine Befehle jedesmal, wenn sie erst bei der Armeeleitung eintrafen, durch die Ereignisse weit und tragisch überholt. Dem Stabschef der vierten Armee gelang es erst zum Ende der Schlacht, daß er den Stabschef des Generals von Linsingen telephonisch sprechen konnte. Ausweg und Hilfe zu schaffen vermochte im Augenblick der General von Linsingen nicht. Bisher hatte er an die Adresse des Armeeoberkommandos nicht gedacht, aber jetzt telegraphierte er: »Ich bitte um einen Wechsel des Führers und Generalstabschefs der vierten Armee!« Kommentarlos ging die Depesche an Kaiser Franz Joseph weiter. Erzherzog Friedrich deckte Joseph Ferdinand nicht. Erzherzog Joseph Ferdinand wurde fortgeschickt. Aber Freiherr von Conrad verlangte, daß wenigstens auch der Stabschef des Generals von Linsingen entlassen werde. Ihn traf, genau wie Linsingen, die halbe Schuld. Falkenhayn fand es peinlich, einen deutschen General wegen Unfähigkeit oder Fahrlässigkeit sichtbar seines Postens zu entheben. Man gestand dann ein, daß man den Schlag von Luck mitverschuldet hatte. Falkenhayn schickte den Generalleutnant von Stolzmann fort. Dies merkte niemand. Auch begannen sich um jene Zeit von offizieller deutscher Seite, allerdings nur im Vertrauen, Gerüchte zu verbreiten, daß der ganze russische Zwischenfall überhaupt nur auf jene unglückselige italienische Offensive zurückzuführen sei, von der man im deutschen Generalstab gar nichts gewußt habe. General von Falkenhayn verwechselte hier die Unaufrichtigkeit vor Verdun mit der Aufrichtigkeit vor Asiago. Aber Freiherr von Conrad kümmerte sich jetzt weder um Prestigerücksichten bei der Entlassung deutscher Generale, noch um Gerüchtverbreiter. Jetzt gab es Wichtigeres zu tun. Vor allem mußte der russische Vormarsch zum Stehen gebracht werden.
Conrad befahl in Italien sogleich das Selbstverständliche. Die vorstürmenden Truppen wurden zurückgenommen. Was im Süden entbehrlich war, warf er nach Nordost. Auf der Hochfläche von Asiago beherrschte er noch mit dem Rest seiner Truppen den Gegner. Er ging genau dorthin, wo er bleiben wollte. Die Truppen würden genau in jene Linie zurückgenommen, die in der Vorstoßrichtung die beste Verteidigung gewährte. Denn eine Zeit mußte kommen, wo man sie als Ausfallstor noch einmal brauchte. Conrad ließ sich nicht verwirren. Er überstürzte nichts. Im Durchschnitt gab er entlang der ganzen Hochflächenfront vor Asiago und Arsiero kaum einen Streifen von vier Kilometern preis. In Südtirol war das Gebiet der Monarchie restlos zurückgenommen. Man blieb sogar auf Feindesboden stehen. Geschlagen waren die Italiener kläglich. Ob sie aber auch Brussilow erlöst hatte, ob sie selbst die Besiegten waren: für die Gesamtlage hatte der Angriff keine Entscheidung gebracht. Er war umsonst unternommen worden. Die Gesamtlage war jetzt im Sommer wesentlich ungünstiger, als im Frühjahr. Rumänien konnte den Krieg erklären. Die Kriegserklärung war zweifellos, wenn in der Ausstrahlung der Lucker Ereignisse die Bukowina verlorenging. Aber selbst Luck war, wenn man die Russen nur zum Stehen brachte, trotz aller Folgen noch nicht so schlimm, daß das Schicksal der Mittelmächte auch nur gefährdet erschien. Denn jetzt mußte sich zeigen, ob das alte, wirkliche Rußland noch lebte, ob Brussilow wirklich durchdrang oder ob sein Ansturm verebbte, ob nicht auch diese letzte, verzweifelte Riesenanspannung der Russen nicht doch hoffnungslos zum Schlusse zusammenbrach, weil das alte, mächtige, einstige Rußland in Wahrheit schon längst zerschlagen war.
Jetzt mußte man erkennen, ob das Blut der Monarchie sinnlos verströmt war in Galizien, in Polen, vor Tarnow und bei Gorlice. Unterführer hatten Unheil anrichten können, aber umzustürzen war der mächtige Grundbau zweier Jahre nicht. Ohne die Verfehlung der Unterführer wäre auch der Sommer 1916 ein Siegessommer geworden, trotz Falkenhayn und seiner sinnlosen Politik der Unehrlichkeit, trotzdem er sogar die Ostfront noch geschwächt hatte, indem er Truppen der Armee Bothmer in sein Verduner Abenteuer zog. Falkenhayns Unaufrichtigkeit vermehrte jetzt nur die Verlegenheit. Falkenhayns Unaufrichtigkeit verhinderte nur, daß man nicht gleichwohl in Italien vorwärtsschreiten konnte, daß man nicht Truppen reichlich in der Nähe hatte, um selbst einem Elementarereignis in Wolhynien sogleich die Stirn zu bieten. Luck wäre gekommen auch ohne Asiago. Die Ereignisse waren ohne unmittelbaren Zusammenhang. Denn zu Kriegsbeginn hatte die Monarchie mit 38 Divisionen gegen 60 russische Divisionen gerungen. Diesmal aber hatte man 36 zu 42 gekämpft. Pflanzer hatte oft und oft gegen dreifache, selbst vierfache Übermacht standgehalten. Diesmal schlug er sich sieben zu zwölf. Nie war für die Monarchie seit Kriegsbeginn an der Ostfront das Zahlenverhältnis günstiger. Luck kam als ein Elementarereignis. Conrad nahm es hin als Fatum. Über das Fatum mußte man sich wieder erheben.
Noch war man nicht am Ende. Nichts weniger, als am Ende: selbst wenn der neue Gegner an die Tür pochte. Die Stimmung war ernst; sie war nicht verzweifelt. Was Conrad täglich erwartete, kam. Das Königreich Rumänien erklärte im August den Krieg.