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– Sie, Sie, kleine Marquise, in Rom, rief Prinzessin Leonora aus, indem sie ihren Wagen auf dem Korso halten ließ.
Madame de Trinquetailles Peladan, Das höchste Laster. war, obgleich verblüht, hübsch geblieben, trug eine ausgesuchte Toilette und lachte immer.
– Wie lange haben wir uns nicht gesehen, rief sie aus. Ich könnte mich nicht mehr als Liebe verkleiden. Sie, Leonora, Sie haben den Stil und das rettet einen: Sie sind immer die Prinzessin, ich bin nichts weiter als die kleine verbrauchte Frau.
– Sie scherzen! Doch, was machen Sie in Rom?
Sie verzog das Gesicht zu komischer Traurigkeit.
– Es gibt ein Alter, wo wir nachlaufen.
– Ach, Sie sind gebunden?
– An einen belgischen Attaché, einen Burschen von ausgezeichneter Fähigkeit.
– Schicken Sie Ihren Kutscher zurück, sagte Leonora, und kommen Sie mit mir, es ist mein Empfangstag, und vorher möchte ich Sie beichten lassen: das wird mich interessieren.
– Und Sie, immer allein … Sie werden mit dem Pagen enden, wie ich angefangen habe.
– Ihre Orakel sind schrecklich, aber wenig sicher.
– Ich bin neugierig auf die römische Liebe.
– Sie ist sehr verschieden von der pariser. Es gibt Treue in der Untreue. Die Italienerin behält ihren Geliebten lange: das Verhältnis wird offiziell.
– Stendhal hat das erzählt. Aber das Kennzeichen der römischen Frau?
– Tragödin. Sie spielt das Drama wie die Französin die Komödie. Die Italienerin macht Szenen, um sich zu erregen: der Zorn verbindet sich bei ihr innig mit der Wollust. Sie lastet mit dem ganzen Gewicht ihres Müßiggangs auf dem Geliebten; sie untersucht alles, nimmt ihn in Anspruch, plagt ihn mit Kleinigkeiten; im Gegensatz zur englischen Frau, die sich nicht erinnert, ihre Röcke abgenommen zu haben, sobald sie auf den Beinen steht; die den »Wollust-Lunch« erfunden hat. Hier in Rom macht man viel Lärm um nichts, und es herrschen die Offiziere in den schönen Mänteln.
Während sie sprachen, verglichen die beiden Frauen einander.
Leonora schien vertrocknet, Nase und Lippen waren dünner geworden, die Brüste mager, die Hüfte eckig; die Marquise hatte Fett angesetzt, jede Feinheit war aus dem Gesicht verschwunden, und ihre Haut einer Blondine legte sich in Falten und zeigte Flecken.
Künftig mußte sie gefällig sein, um geliebt zu werden, während die Prinzessin noch zur Einbildungskraft sprach. In diesem Augenblick, wo die verschwundene Jugend sie gleich machte, hatte die Enthaltsame noch ein Ausstrahlen, während die Dirne ihre Bedeutung verlor.
– Eine Frage brennt mir auf den Lippen, sagte die Marquise, die übergroße Treppe des Palastes hinaufsteigend. Sie haben keinerlei Erfahrung gemacht? Sie haben, wie Sie sagten, nur Ihren Gatten erduldet, und nur ein Mal?
– Ja, sagte Leonora.
– Wenn ich Mann wäre, genügte das, um mich toll verliebt zu machen: Sie sind zu bewundern, aber nicht zu beneiden.
Sie nahmen ihre Hüte ab. Die Marquise puderte sich vor einem Spiegel.
– Sie haben also immer geliebt, fragte die Prinzessin; die vierundzwanzig Anfangsbuchstaben der Vornamen: Günther nach Arthur, und Rüdiger nach Johannes?
– Ja, ich habe die Liebe geliebt, und nicht einen Mann; ich habe meine Begierde im Andern und in mir geliebt, ich habe die Küsse, die Liebkosungen geliebt. Wie eine Fromme, die nicht glaubt, das Gepränge der Kirche liebt, liebe ich die Wollust, um den anständigsten Ausdruck zu gebrauchen. Ich habe genommen, was man mir bot: wenig Seele und viel Materie. Sie denken, daß ich nichts Anderes wünschte, und Sie täuschen sich. Frei, darauf nicht zu antworten oder sie zu verraten, wird jede Frau durch die großen Gefühle geehrt: aber wohnen die in den kleinen Leuten? Glauben Sie, daß Sie einen Mann des Durchschnitts, der an den Klub, den Pferdestall, den mühelosen Alkoven gewohnt ist, der nie einen Dichter gelesen hat, in einen Seladon verwandeln können? Circe machte die Männer zu Tieren, und das können die Frauen: aber nicht einmal die Dichtung zeigt uns eine Zauberin, die Tiere in Helden verwandelt. Das Männchen ist schmutzig; in der Liebe bleibt es sich gleich. Da die Frau unbestimmt ist, kann ihre Leidenschaft ins Unbegrenzte wachsen: angeregt, sich zu erheben, erhebt sie sich zuweilen. Wir sind unserer Liebhaber wert, sie geben unser lebendiges Maß.
– »Sage mir, womit du dich befriedigst …«
– »Und ich werde dir sagen«: auf der Reise des Lebens muß man sich aus Feingefühl nichts in den Kopf setzen, um lieber vor Hunger zu sterben, als schlecht zu essen. Machen Sie nicht Ihrem Willen die ganze Ehre Ihrer Tugend, Leonora!
– Ja, ich kenne das Temperament, aber die Neugierde ersetzt bei vielen das Temperament: ich habe es verstanden, sie zu unterdrücken und mich zu bescheiden.
– Nun, ich wünsche Ihnen, Leonora, daß Sie eines Tages nicht Ihre stolze Enthaltsamkeit verabscheuen. So lange man schön ist, kann man weise sein: man sagt sich, »ich will nicht«. Sobald man sich aber sagen muß, »ich würde gern wollen, aber ich kann nicht mehr«, oh, dann wird der Roman, die Dichtung, die Sie lesen, Sie mit Wut erfüllen.
Man meldete den Doktor Spinelli.
Es war ein schöner Mann von salbungsvollem Ton, beim römischen Patriziat sehr beliebt, da er einen hellen Blick hinter seiner goldenen Brille hatte.
– Ich komme vor der Zeit, Prinzessin, um Ihnen eine Neuigkeit zu verkünden: Ihre älteste Freundin hat soeben zum sechsten Male einen römischen Bürger geboren.
– Hier ist eine meiner ältesten Freundinnen; aber ich glaube nicht, daß sie daran denkt, ihr Land zu bevölkern.
Spinelli grüßte und begann wieder:
– Die Gräfin Amidei.
– Ich habe einen jungen Mann dieses Namens gekannt, als ich ein junges Mädchen war, und er hat Bianca del Agnolo geheiratet! Bianca! Ach, ich erinnere mich: wie fern liegt das! Peladan, Das höchste Laster (Roman).
– Sobald sie wiederhergestellt ist, wird sie kommen, sagte Spinelli.
– Es gibt eine Gesundheitslehre der Berufe, oder vielmehr eine Krankheitslehre, aber der Priester wird mit Unrecht zu den Stubenhockern gerechnet: könnten Sie nicht, als Arzt des römischen Klerus die Krankheit des Monsignore bezeichnen?
– Ich würde mir selber sehr überlegen sein, wenn ich eine solche Monographie übernehmen wollte, Prinzessin. Aber es gibt Eigenheiten. Der Monsignore ist kein Schlemmer, im Gegensatz zur hohen französischen Geistlichkeit, noch ein Lüstling, im Gegensatz zur spanischen; er glaubt Gott recht nahe zu sein, einem gütigen Gotte, bei dem er zugleich Höfling wie Küster ist. Der römische Priester verkündigt dem Weltall die Wohltaten der Religion: er unterscheidet nicht zwischen dem Credo und seiner Person. Die Gewohnheit, die höchsten Reliquien zu tragen, hat ihm etwas Königliches mitgeteilt; er ist der Edelmann Christi, da er der Kämmerer des Papstes ist; die Nähe Seiner Heiligkeit fälscht ihm die Entfernung, die zwischen Seiner Heiligkeit und Gott und ihm besteht; er ist ein Bestandteil der heiligen Mysterien; daher seine Trennung vom Mystizismus und seine ungezwungene Haltung. Der Vatikan ist ein Hof, der dem Paradies vorangeht: das ist ihnen versprochen worden, wie den Beamten eine Pensionierung.
– Wie im Morgenlande, wo die Lateiner in drei Jahren entarten, müßte man die Umgebung des Papstes immer wieder erneuern.
– Neue Menschen in diesem alten Triebwerk? Das würde eine heillose Verwirrung geben! Sie würden sich entrüsten, ohne zu begreifen, daß man ein solches Unternehmen nicht reformiert.
– Jedoch, wenn ein Papst käme, der seine ganze Macht gebraucht.
– Die Kraft der Trägheit, einer Jahrhunderte langen Trägheit würde ihn unbeweglich machen. Medizinisch ist das Papsttum eine alte Person, die ihre Lebensweise nicht mehr wechseln kann, es müßte ihr denn die öffentliche Meinung eine neue Atmosphäre schaffen. Es ist noch nicht lange her, daß der Papst von der weltlichen Macht befreit wurde, und man ruft noch bei den Festen »Viva el papa re!«
Ein junges Mädchen, dessen braune Schönheit an die »Dame im Schleier« erinnerte, die in einem Kabinett des Pittipalastes strahlt Raffael, Dame im Schleier, Florenz., trat mit einem solchen Leben ein, daß die Marquise rief:
– Da ist ein lebendiges Meisterwerk!
Leonora umarmte das schöne Kind.
– Dieser Glanz ist meine liebe Freundin! Leider wird sie von einer dummen Heirat bedroht: ein Offizier des Königs will sie in seinen Mantel rollen.
– Sie ersetzt Ihnen die arme Corysandre Peladan, Das höchste Laster., sagte die Marquise.
– Wie ein alter Kardinal brauche ich eine Nichte.
– Aber, Tante, die Welt besitzt doch einen Mann, der meiner würdig ist: wenn ich ihn treffe, wird er vielleicht mich nicht seiner würdig finden.
– Ich möchte diesen Menschen kennen: Sie sind das schönste Exemplar des Weibes, sagte der Doktor.
– Das schönste Tier, Doktor: ja, ich weiß, daß ich dumm bin.
– Nein, Kind, sagt die Prinzessin, du bist Weib!
– Was könnte ich sonst sein? Ich erhebe mich nicht zum Ueberirdischen, aber ich kann Glück geben und empfangen. Ich bin schön, denn jeder sagt es; ich bin aufrichtig, das sage ich selbst: wer auch mein Gatte sein wird, er wird mit seiner schönen Dummen nicht zu beklagen sein.
– Wen Sie wählen, wird Ihr Gatte sein, sagte Spinelli.
– Nein, erwiderte Leonora, ich kenne jemand, der ihr widerstehen würde.
– Was macht dieser außerordentliche Mann?
– Er ist Magier.
– Man ist nicht Magier, man beschäftigt sich mit der Magie wie mit der Münzenkunde.
– Lassen wir das, erwiderte Leonora. Ja, Francesca, wenn ich noch liebenswert wäre, würde ich meinem Geliebten dich zeigen, falls ich ihn prüfen wollte.
Ein Diener brachte eine Karte, die Leonora mit Erstaunen las, denn sie trug nicht einen Namen, sondern diese Worte mit Bleistift: »Der Engel, der sechs Flügel hat, ändert sich niemals.« Peladan, Geist der Liebe: »Dieser Engel, der sechs Flügel hat und sich nie ändert, von dem uns die Kabbala spricht, ist das gesegnete Paar, das seine dreifache Harmonie hat verwirklichen können: ›zwei Körper und dasselbe Verlangen, zwei Herzen und derselbe Schlag, zwei Geister und derselbe Gedanke‹.«
– Ja, ja, sagte sie; welches Zusammentreffen!
– Merodach, rief die Marquise, als der Magier erschien.
Die Prinzessin war mit lebhafter Neugier auf ihn zugegangen.
– Seien Sie willkommen, Geist! Sie haben nicht vergessen?
– So wenig, meine Schwester, daß ich über Ihren Kredit verfügt habe, aus dem einzigen Grunde, weil ich mich erinnerte.
– Sie haben sich weniger verändert als Alta, sind aber ebenso düster. Und ich bin ziemlich gealtert, bin fertig.
– Gealtert, ja; fertig, im Gegenteil: ich fühle, daß Sie besser geworden sind, und Sie müssen fühlen, daß ich herzlicher bin.
– Es sind hier drei Personen, die nichts von unsern Ergüssen verstehen.
– Sie erkennen mich nicht, fragte die Marquise.
– Doch, aber Ihre Seele hat sich nicht vervollkommnet: Sie sind dieselbe geblieben.
– Doktor Spinelli, meine Nichte …
– Sie hatten früher eine wundervolle Nichte, einen Engel.
Das Gesicht des Magiers verdüsterte sich. Die Beschwörung von Corysandre Peladan, Das höchste Laster. hatte ihn buchstäblich verhindert, das raffaelische junge Mädchen zu sehen. Er schüttelte diese Erinnerung ab und wandte sich wieder an die Prinzessin.
– Ich betrauere mit Ihnen Sarkis Peladan, Das höchste Laster.: er war allwissend, ohne doktrinär zu sein.
– Ich habe ihn beweint, sagte sie: er war das Ideal des Vertrauten für ein Wesen meiner Art.
– Ich weiß, was ein Wesen Ihrer Art braucht, und ich kann es Ihnen geben.
– Ich bin neugierig, aber ungläubig.
Wenn zwischen zwei Wesen ein geschlechtliches Verlangen bestanden hat, bleibt eine geheime Verbindung, welche die Wiederbegegnung erweckt; und wenn die damals verletzte Eigenliebe sich abfindet, wird die Vertrautheit sofort wieder hergestellt. Die Prinzessin und der Magier widmeten sich in diesem Augenblick ein gegenseitiges Vertrauen.
– Sie kennen diesen seltsamen Menschen längst, fragte Francesca die Marquise, auf Merodach zeigend.
– Ja, mein Kind! Setzen Sie sich nichts in den Kopf: eher könnten Sie darauf warten, daß der Papst Sie zum Tanze führt.
– Warum ist er so tugendhaft, wenn er kein Priester ist?
– Er ist Erzpriester, aber von einer besonderen Priesterschaft, die ich Ihnen nicht erklären kann: er ist Magier.
– Das ist ein Zauberer! Er ist verdammt!
– Zauberer, ja; verdammt, nein!
– Sie beschäftigen sich mit den okkulten Wissenschaften, sagte der Doktor Spinelli.
– Ich beschäftige mich mit orientalischer Archäologie, und folglich mit alten Systemen. Wenn man die persische Religion kennt, ist man noch kein Magier; wenn man die Gesetze des Manu studiert, kein Brahmine; wenn man die christlichen Inschriften liest, kein Monsignore.
Der neue Gesandte von Portugal trat mit seiner Frau ein, einer Kreolin, die einsilbig war und deren Augen von Geilheit sprachen.
Als Doktor Girolamo gemeldet wurde, machte Spinelli seine Verbeugungen und ging.
– Wenn der Eine kommt, geht der Andere, sagte die Prinzessin zu Merodach; aber dieser ist kein weltliches Mitglied des Jesuitenordens …
Der zweite Arzt zeigte eine Salbung des Wesens und ein Mißtrauen der Blicke, die wahrhaft priesterlich waren.
– Wie geht es Seiner Eminenz Bramata?
– Es geht, Prinzessin, das ist alles, was man hoffen kann.
– Der Kardinal Bramata ist doch Inhaber von Santa Maria Maggiore, fragte der Magier. In einer Kapelle, rechts vom Hochaltar, soll es eine Jungfrau von Sankt Lukas geben. Wenn der Priester beim »Dominus vobiscum« den Dienst tut, zeigt seine rechte Hand auf einen Pfeiler, in dem während der schlimmen Zeit das Brustbild der Jungfrau eingemauert wurde, das der Evangelist Lukas in verzücktem Zustand ausgeführt hat. Dieses unschätzbare Gemälde ruht nicht allein in seinem Versteck: kostbare Manuskripte, christliche Apokryphen begleiten es.
– Woher wissen Sie das?
– Von Katharina Emmerich.
– Diese Hellseherin!
– Diese Hellseherin hat gesehen.
– Ich glaube nicht, daß Seine Eminenz auf diesen Glauben hin die Picke des Maurers bestellt. Sehen Sie, lieber Herr, Rom liebt die Wunder nicht, noch die Hellseher: denken Sie daran! Sie könnten eher einen Muselman davon überzeugen, daß Sie eine Inschrift einem Schatze vorziehen, als einen römischen Prälaten bestimmen, sich über verzückte Worte aufzuregen. Das Uebernatürliche wird hier kaum geduldet. Auf Befehl des Papstes wird Gott verboten …