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Drittes Buch.
Der Anteil des Eros

 

1.
Das Abenteuer des Samas

Francesca Piccolomini las den Brief. Das Blut stieg ihr ins Gesicht: es war eine Furie, die Samas erschien.

– Was enthält dieses Wort, wissen Sie es?

– Nein, aber Ihre Züge drücken ein heftiges Mißfallen aus.

Sie drehte ihm den Rücken, um noch ein Mal mit leiser Stimme zu lesen.

 

Der Ihnen diesen Brief bringen wird, verdient Ihr Herz, und wird Ihnen alles geben, was ich derselben Dame schulde, der Dantes Liebe gehörte, der Dame der Ewigkeit, der Dame Idee.

Merodach.

 

Samas bewunderte die heftige Italienerin: diese sah nur die Beleidigung und nicht den jungen Mann, der dastand und wartete, ohne von seiner Botschaft etwas zu wissen.

– Merodach setzt großes Vertrauen in Sie: er spricht mir von Ihrem Verdienst, Signor!

– Mein Verdienst ist gering: ich bin nur ein schlechter Dichter.

– Er sagt, ich solle Sie um ein Gedicht bitten.

Samas erstaunte.

– Merodach geruht, mich als seine Fornarina zu betrachten, fuhr sie fort, und erholt sich bei mir von seinen großen Gedanken; er wünscht ein Porträt von mir in Worten: deshalb schickt er Sie, ohne daran zu denken, ob ich würdig bin, Sie zu begeistern.

Samas fuhr fort, über die Unwahrscheinlichkeit dieser Mission zu staunen; aber fürchtend, bei seiner ersten Verwendung einen Fehler zu machen, antwortete er:

– Sie sind schön, und ich bin ungeschickt: wenn die Begeisterung der Muse nicht würdig ist, wird sie wenigstens aus eigenem Antriebe und ohne Anstrengung dichten.

– Gut, ich werde eine neue Feder und Pergament suchen.

– Ich werde eine Kopie von Ihnen mit Worten machen.

– Ja, aber gewähren Sie mir einen Augenblick, um mich zurechtzumachen; betrachten Sie solange die Wände, da hängen gute Gemälde.

Sie lief fort, um an die Prinzessin Odescalchi zu schreiben:

 

Meine Liebe!

Komm in aller Eile. Ich habe Dein Ideal in Fleisch und Blut: Du kannst es mitnehmen, wenn Du willst.

Francesca.

 

Nachdem sie den Brief, größte Eile gebietend, hatte forttragen lassen, wurde sie plötzlich wieder heiter und lächelte: sie hatte für Merodach eine siegreiche Antwort gefunden. Eine ganze Weile belustigte diese Idee sie; dann erinnerte sie sich an Samas, der sich langweilend wartete, bis sie das Kleid wechselte; träge ließ sie sich ein Renaissancegewand anlegen, das sie auf einem Maskenball getragen hatte und warf die Spitze über ihre Schultern.

Ein Blatt schönen Pergaments, eine Gänsefeder und purpurrote Tinte haltend, kam sie zurück.

– Ich habe lange auf mich warten lassen: verzeihen Sie!

– Entschuldigen Sie sich nicht: dieser Boltraffio Schüler Leonardos, schuf in Mailand, 1467-1516. hat mir Gesellschaft geleistet.

Er zeigte auf eine lombardische Madonna, von köstlicher Lieblichkeit, die dem Jesuskinde einen halbgeöffneten Granatapfel reicht.

Sie stellte sich vor Samas auf und warf die Spitze zurück.

Alsbald schrieb er:

Behelmt mit schwerem Haar, das bläulich glänzt;
die Stirne rein, doch trotzig; dicht die Brauen
der leidenschaftlich tiefen Schattenaugen:
die Jungfrau öffnet, über Hals und Schultern,
nur halb den feinen Mund, und lächelt nicht,
den früchtefrischen, blutigroten Mund.
Ihr starker Arm, Liane aus Fleisch, umschlänge
die glänzende Rüstung des heimkehrenden Helden.
So war Vittoria, Marquise von Pescara, so Clorinde,
so war die Tochter Palmas, so Brabantios. Die Dichterin Vittoria Colonna, die Witwe des Marchese von Pescara, die Freundin Michelangelos; Clorinde, das heldenmütige Mädchen in Tassos »Befreitem Jerusalem«; Palma malte seine Töchter Violanta und Lucretia (Museum zu Wien); Brabantios Tochter ist Desdemona.

Francesca betrachtete endlich den Dichter, während er schrieb, fand aber keinen andern Vorzug in ihm, als daß er mit Merodach verbunden war.

Ihr Busen hat den Stolz barbarischer Epochen,
ist würdig, die Hand eines Titanen zu erfreuen.
Das sind die Brüste einer Sibylle von fünfzehn Jahren.
Als die Propheten der Sixtina jung waren,
liebkosten sie ohne Zweifel diesen Körper
der Judith, der Deborah, den die Natur
wie eine Rüstung stark und dunkel machte,
für heldische Liebe, für mächtige Wollust.

Brokat ist ärmlich trotz der alten Mode:
die großen Schwerter sind nackt, die Göttinnen
nur für das sterbliche Auge verhüllt.
Wenn er dich blendet, dieser Körper des Epos,
und dieses Strahlen des Feuers, sei gewiß:
die modernen Formen bergen das Geheimnis
der antiken Schönheit, im Körper von zwanzig Jahren.
Wenn du die Büste siehst, vermute die Statue;
durch die Prinzessin hindurch ahne die Göttin;
beneide den Sterblichen, dem sie erscheinen wird,
diese Kybele, ihre Schleier abwerfend,
olympische Nacktheit, Eva und Juno vereint!

Nachdem er das letzte Wort geschrieben hatte, erhob er sich und brachte Francesca das ausgefüllte Pergament.

Sie las mit aufrichtiger Bewunderung.

– Aber das ist wirklich schön! Es macht mir Vergnügen! Warum kann ich nicht meinerseits Ihnen in irgend etwas gefällig sein?

Eben wollte Samas antworten, da öffnete, sich die Tür und eine Frau von ganz modernem Charakter erschien. Blond, schlank, von feiner und biegsamer Gestalt, lebhaft, mit hellen Augen, bot sie neben Francesca den vollen Gegensatz der Rasse: als beide sich umarmten, bildeten sie die Kontraste des Südens und des Nordens.

– Samas … die Prinzessin Odescalchi … Sie erlauben, Signor.

Und Francesca zog ihre Freundin aus dem Zimmer heraus.

– Bist du toll, Francesca? Was ist denn los? Du zwingst mich, meine Teegäste plötzlich zu verlassen!

– Diesen jungen Mann wirst du zum Essen mitnehmen. Dein Gatte ist abwesend, nicht wahr?

– Mein Gatte ist allerdings abwesend, aber warum?

– Das ist der, den du suchst: ein echter Dichter.

– Warum behältst du ihn nicht? fragte die Prinzessin.

– Ich bin nicht die und er ist nicht der! Erinnere dich deiner vertraulichen Mitteilungen: die erlauben mir, deine Wünsche zu kennen.

– Aber woher kommt er, wohin geht er, was tut er?

– Er kommt aus dem Kreise der Prinzessin Este: gesellschaftlich wird dir das genügen: das übrige wird er dir sagen.

– Was machst du mit diesem Pergament?

– Das ist ein Gedicht, das er soeben zu meinem Lobe geschrieben hat. Komm, er wird ungeduldig, du kannst es in seiner Gegenwart lesen.

Sie kehrten in den Salon zurück.

Die Prinzessin Odescalchi begann zu lesen, während Francesca sagte:

– Ich habe Sie getäuscht: Merodach hat nicht geschrieben, daß Sie mir die Akkorde Ihrer Leier widmen sollen. Ich wußte nicht, daß Sie Dichter sind, aber ich mußte Sie warten lassen, bis meine Freundin kam, ohne mich in Erklärungen zu verlieren.

Mit leiser Stimme fuhr sie fort:

– Durch ihren Gatten ist sie mit dem Kardinal gleichen Namens verwandt, wenn auch weitläufig; sie hat den Pater Collinet zum Beichtvater, um von den Jesuiten unterstützt zu werden; aber sie beichtet noch einmal, wenn sie von diesem Beichtstuhl kommt: für Merodachs Pläne ist diese Frau wichtig! Uebrigens ist sie reizend: wenn ich Mann wäre, würde ich sie lieben. Da ich nicht undankbar bin, will ich sie Ihnen in zwei Worten skizzieren, weil Sie Geduld bewiesen und sich gefällig gezeigt haben. Edith ist romantisch und leidenschaftlich; trotz ihrem pariser Aeußern ist sie abergläubisch und verehrt das Geheimnis; in allem ist sie geschlechtlich, aber stets zartfühlend, fein und niemals gemein; sie stammt aus dem Lande der Seraphita Balzacs Swedenborg-Roman »Seraphita«, den Strindberg ebenso liebte wie Peladan., ist aber viel sinnlicher. Ich glaube zu sehen, daß sie Ihnen gefällt: wenn Sie ihr gefallen, werden Sie, das versichere ich Ihnen, Ihrem Herrn und Meister einen Dienst erweisen. Haben Sie begriffen, Signor?

– Man würde weniger begreifen! Und was soll ich Merodach auf die Botschaft sagen?

– Ihm die Wahrheit, die volle Wahrheit.

Edith kam langsam auf ihre Freundin zu.

– Ich beneide dich, daß du zu solchen Stanzen begeistert hast: das ist ein Ruhm!

Dann wandte sie sich an Samas:

– Wenn ich hoffen dürfte, daß Ihr Geist nicht ganz von diesem Heldenporträt erfüllt ist, würde ich Sie bitten, auch mein Bildnis zu zeichnen. Darf ich Sie entführen, Herr Dichter: Sie werden ein gewöhnliches Essen erhalten und nach dem Kaffee werden Sie mir ein außergewöhnliches Porträt machen. Es erschreckt Sie vielleicht, mit mir zu speisen, wenn man der Tischgenosse der Prinzessin Leonora ist!

– Die Prinzessin Este ist eine außerordentliche Hoheit, aber es gibt andere Reize, als sie besitzt.

– Glauben Sie, daß ich Reiz besitze? Ich werde versuchen, Sie zu begeistern. Adieu, Francesca, wirst du heute abend nicht einen Augenblick kommen, bevor Herr Samas geht?

– Ich werde erst sehr spät kommen.

– Sehr spät, das heißt, gar nicht. Kommen Sie, mein Herr! Wir werden dich erwarten, ohne darauf zu rechnen.

Als Edith mit Samas in ihrem Coupé saß, dachte sie über die seltsame Lage nach; von Francesca beeinflußt, die gewöhnlich beherrscht war und Sprünge nicht kannte, hatte sie gehorcht; Seitenblicke auf den jungen Mann werfend, fragte sie sich heimlich, was dieser Unbekannte für sie bedeute.

– Es ist eine Ueberraschung, hier eine nordische Schönheit zu finden, und noch dazu unter dem Namen Odescalchi, sagte Samas endlich.

– Sie ziehen diese Züge vor?

– Ich ziehe vor, wer mich vorzieht! Von einer andersfarbigen Frau verlange ich nur, daß sie meine Farben auf ihrem Herzen trägt. Doch glaube ich: je weißer die Haut, desto Köstlicheres verspricht sie.

– Doch haben die Braunen mehr Leidenschaft, sind lebhafter und liebreicher, während die sehr Weißen träge sind, fast Egoisten, und wenig geben.

– Um so mehr lassen sie nehmen! Wie ist der Charakter des Kardinals Odescalchi? Ist er nicht ein Menschenfeind, wenn nicht gar ein Frauenhasser?

Dieses Umspringen des Gespräches verwirrte Edith.

– Sie interessieren sich für die alten Eminenzen?

– Ja, die Psychologie der Männer der Kirche interessiert mich, denn ich bereite ein Werk über die Kasuistik vor, ein Buch über die Gewissensfrage: um die Lösungen der Theologen zu verstehen, muß man sich unterrichten, wie der hohe römische Klerus denkt und lebt.

– Ich werde Sie mit Pater Collinet bekannt machen.

– Hüten Sie sich: ich kenne ihn durch die Prinzessin.

– Er hat eine Religion für die Prinzessin Leonora, er, der niemanden liebt, nicht einmal mich, sein Beichtkind.

– Sie, das Beichtkind von Collinet!

– Ich kenne Sie zu wenig, um mich erklären zu können.

– Das würde unnütz sein: Collinet heißt für Sie Vater Chaperon.

– Welche Ansicht haben Sie denn?

– Daß Sie eine sehr kluge und sehr unabhängige Frau sind, die sich nicht ziert und aufrichtig gegen sich selbst ist.

Sie waren angelangt. Der modern eingerichtete Palast entfaltete einen in Italien unbekannten Komfort.

– Diese großen Säle von einst scheinen nur eine Fortsetzung der Straße zu sein: aus einem einzigen habe ich die drei Zimmer gemacht, die ich wirklich bewohne: hier ist das erste, in dem Sie auf mich warten wollen, während ich meinen Hut ablege.

Es war ein kleiner Salon, ausgepolstert und pariserisch, aber ohne Ueberfüllung, von einem etwas spitzen und feinen Geschmack, in dem sich hellgetönte Lackfarben mit schillernden Seiden mischten.

Samas hatte den Eindruck, fern von Rom und Italien zu sein; sich nicht zu Hause fühlend, empfand er in sich nur diese wollüstige Neugier, die eine sehr hübsche Frau einflößt, wenn sie leicht zugänglich erscheint.

Gleichzeitig zögerte Edith, ohne Eifer, ohne Vergnügen, eine dieser Toiletten anzulegen, die fast eine Gunst bedeuten, die dem Auge bewilligt wird.

Beide handelten gegen ihre erste Regung, als Worte hinter dem Vorhang gewechselt wurden und eine junge, lebhafte Frau, wie zum Ball gekleidet, den Salon mit Windeseile durchschritt und in das andere Zimmer ging, laut sagend:

– Ich bin es, Edith: ich komme, um dich zum Essen zu bitten, bevor ich in die Argentina gehe.

Samas verstand es, von dieser Neuangekommenen seinen Vorteil zu ziehen: er wußte, daß keine Frau sich freiwillig den Mann entführen läßt, an dem sie festhält, sei es auch nur aus Eigenliebe.

Als Edith ihre Freundin in tief ausgeschnittenem Kleide eintreten sah, hatte sie einen Verdacht, daß sie Samas' wegen komme, trotzdem das unwahrscheinlich war; sie zögerte nicht mehr und zog ein grünes Kleid an, das ihr Teint vertrug; das Mieder, durch ein Kreuzen von Schals gebildet, machte mit einer Agraffe eine Dinertoilette und erweiterte sich nach Bedarf in einen tiefen Ausschnitt; die Gazeärmel hörten am Ellbogen auf.

– Wie schön du dich machst, sagte die Freundin.

– Ich habe einen auserlesenen Gast, einen französischen Dichter: hast du ihn nicht gesehen, als du durch den Salon kamst?

– Nein, aber dann störe ich dich! Wo hast du diesen Dichter gefunden?

– Du störst mich nicht! Bei den Piccolominis: es ist ein Freund der Este.

– Man sagt, sie sei in einen andern Dichter verliebt: auch ein Franzose, glaube ich. Es gibt in dieser Saison viel französische Dichter in Rom.

– Aber nicht für jedermann: sie sind sehr begehrt.

– Ah! rief die junge Frau, ihren Ballumhang und ihre Spitze zurückwerfend.

Klein, allerliebst und rundlich, die Haut von einem hellen Ocker, das Auge glänzend, der Mund rot, die Zähne blendend, Fuß und Hand wundervoll, die Gelenke fein und stark, hatte die Portugiesin, die Nichte des Kardinals de Castro, das Aussehen eines Kindes und den Reiz einer Zigeunerin: eine Taschen-Carmen, eine geborene Manola, berühmt durch die Flammen, die sie entfachte. Sie hatte diesen Uebermut, der auf die meisten Männer sinnlich wirkt. Ihr Anblick versprach Wollust und beschwor das maurische Spanien. Ihre Freundschaft mit Edith kam von einer geheimen Rivalität, als ob jede einen Wettkampf der Rasse verkörpere: ein seltsamer Wetteifer trieb sie dazu, einander in ihren Intrigen zu stören, ohne einander zu verraten. Man sagte, man brauche sie nur zu vereinigen, um eine daraus zu machen, so groß sei ihre Eifersucht.

Als Tochter eines norwegischen Holzhändlers hatte Edith es nötig, sich auf die Freundschaft einer Prinzessin zu stützen. Abgesehen von ihrem Zweikampf, den die Koketterie immer wieder erneuerte, verteidigten sie einander als wahre Verbündete, als loyale Mitschuldige!

Als die beiden in den kleinen Salon zurückkehrten, las Samas in Ediths Augen einen Entschluß, ihm zu gefallen.

– Signor Samas, Sie treffen es glücklich: meine vertraute Freundin, Mercedes de Castro, speist mit uns, bevor sie in die Wohltätigkeitsvorstellung geht.

Samas grüßte.

– Darf ich Ihnen für dieses Kleid einer Elfe oder Nixe danken; glauben, daß Sie es für mich tragen?

– Augenscheinlich! Aber wenn ich Ihnen gefallen wollte, würde ich mich heute abend nicht bemühen.

– Sie bildet sich ein, sagte die Portugiesin, daß alle Leute die Orange lieben: manche ziehen den Sorbet vor.

– Da ist meine Art bestimmt, sagte Edith, aber realistisch und nicht genau.

– Haben Sie bemerkt, fragte Mercedes, daß seelisch niemand nach seinem Register singen will? Edith möchte für leidenschaftlich gelten, während sie eine gefühlvolle Natter ist.

– Sorbet, Natter: was noch?

– Ich glaube, sagte Samas, daß die Prinzessin einen schönen See voll Geheimnis und tiefer Freude zur Seele hat, für den, der lange hineinzublicken versteht.

– Wer denkt denn heute daran, in eine Seele zu blicken? Man blickt einen Nacken an, aber man beunruhigt sich wenig über ein Herz.

– Was ist der Busen wert, wenn es nicht das Schlagen des Herzens ist, das ihn bewegt?

– Sie empfinden wie ein Dichter, Signor Samas! Geben Sie Mercedes Ihren Arm: man meldet uns, daß aufgetragen ist.

Bei Tisch, zwischen den beiden Frauen, empfand Samas ein wirklich lebhaftes Vergnügen, als er fühlte, wie diese beiden Wünsche, ihm zu gefallen, sich über ihm kreuzten. Edith wollte augenscheinlich den Sieg davontragen und ihr Blick sagte: »Wählen Sie mich, so werde ich nicht zögern.«

– Wirklich, Prinzessinnen, ich glaube nicht, daß Sie je so schön sein können, als wenn Sie vereinigt sind! Die langen Formen der einen heben die runden der andern hervor; die Schlankheit hier steigert die Rundlichkeit dort; die Wärme der einen Haut belebt die Reinheit der andern.

– Wenn Sie diesen Apfel vergeben sollten, fragte Mercedes und reichte ihm einen Pfirsich.

Samas nahm ihn, befühlte ihn, von der einen zur andern blickend, um ihn mit einer lebhaften und anmutigen Bewegung durchzubrechen und gleichzeitig jeder eine Hälfte zu reichen.

– Ihr Onkel, der Kardinal, muß ein interessanter Mann sein?

– Wollen Sie ihn kennen lernen? fragte Mercedes. Er hat einen Charakter, der das Weltall erschreckt, nur mich nicht; ich erlange von ihm, was ich will, denn ich belustige ihn, trotzdem er wegen nichts tobt und mich zum Teufel schickt.

– Sie können etwas von ihm erlangen, und ich dürfte auf Ihre Hilfe rechnen?

– Ja, sagte Mercedes ernst.

– Sie können ihr glauben, sie ist aufrichtig, versicherte Edith. Signor Samas studiert die großen Würdenträger der Kirche, erklärte sie, für ein Buch über die Kasuistik.

– Die Kasuistik, sagte Mercedes, ist das Mittel für eine Frau, sich mit einem Priester zu ergötzen. Das Register, die Erklärung, die Einzelheit, das Beispiel der Sünde: ein entzückender und kitzliger Stoff! Der Gedanke hat den Wert der Tat, sagt mein Onkel, der Kardinal: Signor Samas, Sie haben Ediths Arme mit Wohlgefallen betrachtet, also haben Sie die geliebkost.

– Ich habe auch Ihren Busen betrachtet zur selben Zeit, sagte Samas. Also hat der Gedanke nicht den Wert der Tat: ich sehe mich nicht, von jeder eine der Brüste haltend, wie eben die Hälfte des Pfirsichs! Nein, das würde gemein und türkisch sein.

– Aber sagen Sie mir, ob Sie die größere Sünde in der einfachen, wenn nicht reinen, Hingabe finden oder im Markten Stück für Stück.

– Sie drückt ihren Gedanken, den ich wohl verstehe, nicht ganz aus, sagte Edith. Es handelt sich darum, ob eine Frau, die sich hingibt, sich nehmen lassen oder selbst nehmen muß.

– Der Traum, sagte Samas, nachdem er überlegt hatte, was Edith meinen könnte, wäre eine Frau, die sich durch die Zärtlichkeit hinreißen läßt, ohne sie zu unterbrechen.

Man brachte eine Depesche: sie zeigte an, daß Odescalchi am nächsten Abend zurückkehrte. Edith las sie schweigend und betrachtete Samas mit einem zärtlichen Entschluß.

– Die Kasuistik läßt sich in vier Ausdrücken fassen: Tugend, Liebe, Wollust und Laster. Tugend, das ist die Enthaltsamkeit; Liebe, das ist die Wahl des Wesens im Seelischen wie im Körperlichen; Laster, das ist die oder der erste beste.

– Wo endigt die Liebe, wo beginnt die Wollust?

– Wo die Seele noch über das Vergnügen entscheidet.

– Ich glaube, sagte Mercedes, die größte Freude des Mannes ist, sofort so behandelt zu werden, als sei er schon früher geliebt worden. Sie hören nicht zu, Signor.

– Verzeihung, ich betrachtete die Kamee der Prinzessin Edith.

Diese nahm sie ab und reichte sie ihm.

– Sie ist antik und von schöner griechischer Arbeit. Aber Sie trinken nicht!

Als sie sich überbeugte, öffnete sich ihr Kleid über dem Halbschatten der Brüste.

– Sie betrachten nicht die Kamee, sondern den Busen Ediths: sind Sie weniger Künstler als sinnlich, und außerdem ein Heuchler, ein Schüler des Tartüff?

– Wollen Sie, daß ich sage: Prinzessin, das Halbdunkel zwischen Ihren Brüsten reizt meine Sinne: ich wäre Ihnen unendlich verbunden, wenn Sie mir mehr zeigten.

– Ja! Ich, ich würde diesen Wunsch anhören, und ich würde darauf antworten, indem ich ihn erfüllte oder durch ein schönes »Nein« ablehnte.

– Eine Frau, bemerkte Edith, fühlt, was bei dem Manne vorgeht, der sie anblickt, und der Takt fügt noch einen Reiz hinzu, den der Draufgänger verlieren würde. Man kann nicht sagen »bitte, einen Kuß«, wie man »bitte, Brot« sagt. Um nicht grob zu sein, muß der Mann die Diskretion übertreiben: an der Frau liegt es, diese Zurückhaltung zu belohnen, wenn sie dazu kommt, die Erregung, die sie verursacht, selbst zu empfinden.

– Ich begreife weder den Angriff noch die Verteidigung, weder die Forderung noch die Erwiderung: in der Liebe gibt es Uebereinstimmung oder es gibt nur eheliche Pflicht oder Laster, keine Zärtlichkeit noch Wollust.

In den kleinen Salon zurückgekehrt, nahm die Portugiesin eine feine Zigarette aus einem goldenen Etui.

– Ich rauche und gehe.

– Warte, sagte Edith, ich habe Befehle zu geben: leiste unserm Gast Gesellschaft.

Mercedes stieß den Rauch durch die Nasenlöcher: das war eine Herausforderung.

– Wenn Sie mich begleiten wollen? Wir würden nach Tivoli gehen; es ist heute abend Mondschein.

Und sie kam auf ihn zu, um ihn zu reizen, mit einer plötzlichen Beredsamkeit der Hüften, in einem Spiel der unkeuschesten Spanierin.

– Ich bin nicht Don José, o Carmen! Sie selbst sind auch nicht Carmen, sondern eine zu interessante Eigensinnige, damit ich mit ihr das Spiel spielen möchte, das die Eigenliebe verletzt. Ich habe die lebhafteste Zärtlichkeit für Edith: ich möchte lieber deren Hand in meiner haben als die Königin von Saba in meinem Bett.

– Wenn ich nicht begreife, so wird das nicht Ihr Fehler sein: vielleicht haben Sie unrecht?

– Ich verliere meine Vorstellung beim Kardinal.

– Sehen Sie mich gut an, Herr Kavalier, ich bin toll, phantastisch und selbst Carmen, aber ich bin eine Castro: da ich geruht habe, Ihnen den Hof zu machen, reiche ich Ihnen die Hand, trotzdem ich abgelehnt wurde. Ich habe Sie so gut wie geduzt: Sie sind mein Freund!

Das wurde flott gesagt und die kleine ausgestreckte Hand drückte Samas' Hand mit Festigkeit.

Zu Edith, die wieder eintrat, sagte sie:

– Meine Liebe, ich habe verloren! Dieser Mann ist keine Marionette, die sich wie eine Wetterfahne der Begierde beim ersten Hauche einer Frau dreht. Ich beneide dich vielleicht: laß ihn nicht leiden, denn ich würde ihn gern trösten. Und Sie, Herr Kavalier, küssen Sie die Hand einer Freundin, wenn die Herrin es erlaubt.

Sie ging mit einer seltsamen Würde, die ihrem früheren Treiben widersprach.

Edith lächelte Samas an:

– Ich habe alles gehört: ich bin wirklich stolz und etwas gerührt, und ich entführe Sie in mein Boudoir, wo ich träume und allein lebe.

Es war ein noch kleineres Zimmer als der Salon, und noch mehr gepolstert, in Marineblau, das durch den diskret mit Silber durchwirkten Tüll hindurchschien: die kalte und blasse Einrichtung beschwor eine träumerische Seele, die eher zart als stark war.

Sie führte ihn zu einem Plaudersofa, setzte sich mit ihm und nahm seine Hände mit dem Zögern einer Katze, die sich herauswagt:

– Sie haben mir eines dieser Vergnügen bereitet, die für eine Frau außerordentlich sind: wenn ich Ihnen innerlich nicht noch zu fern wäre, würde ich Sie küssen. Aber ich komme zu Ihnen, haben Sie nur Geduld! Mercedes hat es Ihnen gesagt, ich habe eine träge Seele: sprechen Sie zu mir, wollen Sie, Samas? Sagen Sie mir Ihre Gedanken. Oh, dieses Leiden, sein Herz nicht entblößen zu können vor dem Wesen, das man gewählt hat, den Geliebten belügen zu müssen wie den Gatten. Das Weib hat das Bedürfnis, unaufhörlich zu beichten; Dinge, die ihr das Herz beschweren, den Geist bewölken, abzuwerfen. Immer heucheln, selbst in der Sünde! Nicht in dieser Minute sagen können: »Ich fühle mich nicht mehr als die Deine, achte diese Unfruchtbarkeit.« Also, denken Sie davon, was Sie wollen: ich bin glücklich, mit Ihnen allein zu sein. Ich werde Sie so lange wie möglich bei mir behalten, und wenn Sie mich um einen Kuß bäten, würde ich in meiner Inkonsequenz gehorchen: ich würde ihn als den Preis meiner Unbesonnenheit geben, aber er würde ehelich und peinlich sein.

– Habe ich etwas verlangt, Edith? Ich habe Sie betrachtet: die Zärtlichkeit meiner Augen müssen Sie wenigstens ertragen.

– Die ist mir lieb, sie erwärmt mich: es ist so süß, begehrt zu werden.

– Dann überlassen Sie meinen Augen doch mehr.

– Alle sprechen so, alle, und alsbald erfolgt die abscheuliche Verwandlung: der Mann begehrt nicht mehr mich, das Wesen, das ebensoviel aus Seele wie aus Leib besteht; er will eine Sache, eine einzige Sache, die niedrigste von allen, an welche die Frau von Zartgefühl nur jenseits des Taumels denkt, wenn ihre Einbildung und ihr Herz bereits entflammt sind. Falls meine Freimütigkeit Sie von mir entfernt, um so schlimmer: warum sollte ich Ihnen verbergen, daß ich Liebhaber gehabt habe, mehrere, aber jeden nur ein einziges Mal? Ich werde den Schrecken vor ihrer Vergewaltigung nicht los, vor ihrer tierischen Dummheit, nur das zu wollen, was das Tier will … Ich, ich habe Vergnügen daran, den Hals eines Mannes zu betrachten, eine stolze Haltung, oder eine solche Weiblichkeit der Hand: der Mann aber findet bei der Frau nichts zu detaillieren, er sieht die Beute und dringt auf sie ein. Tief zufrieden, hier mit Ihnen zu sein, bin ich unruhig, nervös, da ich den Augenblick voraussehe, wo es nötig sein wird, sich zu verteidigen wie bei der Plünderung einer Stadt, oder den Geliebten zu erdulden, wie man den Gatten erduldet … Wenn Sie wie alle sind, sobald Sie mit einer Frau allein bleiben, haben Sie die fixe Idee, daß Ihre Mannesehre darin besteht, sie herumzustoßen, sie wie ein gehetztes Wild in die Enge zu treiben: wenn Sie nur dieses Absurde, ein Männchen, sind, gehen Sie fort und verzeihen Sie mir, daß ich kokett gewesen bin; bestrafen Sie mich nicht!

Und fieberhaft, mit Tränen in den Augen, entsetzte sie sich vor den Erinnerungen, welche sie demütigten und eine dumpfe Empörung in ihr weckten.

– Ja, fuhr sie fort, zuerst ist es ein Frommer, der das Ende Ihres Fächers küßt, ein fanatischer Anbeter: wenn Sie aber einen Riegel vorschieben, sind Sie mit einem Wilden eingeschlossen … Ich habe gesündigt, aber jedes Mal wurde ich bestraft! Ich habe mehrere Male gesündigt, weil ich den Schrecken des Geliebten bei der ersten Umarmung begriff: jeder hat mich nur ein einziges Mal besessen. Das ist alles, was ich zu meiner Verteidigung sagen kann. Ja, ich bin besudelt worden, aber ich habe mich auf der Stelle wieder erhoben: wenn ich zurückgefallen bin, so geschah es, weil ich, dumm wie ich war, einen andern Mann mit mehr Zartgefühl zu finden glaubte.

– Niemandem, schloß sie, habe ich diese traurigen Geständnisse gemacht; aber Sie sind besser und stehen geistig viel höher als diese rohen Offiziere, diese Hoheiten der Straße und diese wilden Prälaten. Die Liebe des Mannes, das ist nicht die Lust, das ist die Vergewaltigung. Ich habe mich niemals hingegeben, niemals: ich habe mich versprochen, bin entgegengekommen, habe mich angeboten: aber immer hat man mich schließlich vergewaltigt, geschändet! Auch Sie werden sofort ein scheußliches Tier werden, mit den Augen eines Mörders, mit den Händen eines Polizisten, mit den Roheiten eines Henkers …

Sie schluchzte.

Samas beugte sich über sie und sprach sanft, mit ruhiger und ernster Stimme.

– Warum haben Sie mir diese traurigen Dinge gesagt: Sie nehmen mir das Verdienst, ich selbst zu sein! Sie werden glauben, daß ich mich ändere, um Sie zu gewinnen, während ich nur meiner Neigung, zart und gut zu sein, folgen werde, denn so bin ich! Erlauben Sie mir, Ihre Tränen mit meinen Lippen zu trocknen.

Sie entzog ihm ihr Gesicht: Samas bestand mit keiner Bewegung darauf. Da wandte sie sich zu ihm, ihm ihr überströmtes Antlitz hinstreckend. Er trank ihre Tränen, sich bemühend, daß seine Liebkosung sanft und nicht fleischlich sei.

Ueberrascht und entzückt von dieser Gelehrigkeit und dieser Zurückhaltung, zog sie ihn an sich und behielt seine Hände in ihren Händen.

– Was Sie beim Manne gefunden haben, traf ich meinerseits bei der Frau. Alle wollen sie zuerst Künstelei, eine Theaterlüge, und dann eine zusammengefaßte Wirklichkeit. Unpersönlich in ihrer Erregung, waren sie zuerst das Weltkind, dem man die Rolle des jungen Liebhabers vom letzten Erfolge hersagen mußte, und dann das Weibchen, das die Wollust für eine Gymnastik hält.

Edith begann wieder:

– Geliebt werden, heißt verstanden werden: nicht nur in den wenigen Worten, die man ausspricht, und in den großen Zügen seines Charakters; auch in seinen Phantasien, in seinen Nerven, in dem, was man selbst nicht versteht.

Geliebt werden, heißt in seinen Manien, in seiner intimsten, oft absurdesten Art anerkannt werden; heißt einen guten Willen finden, der über nichts erstaunt, den nichts ermüdet.

Geliebt werden, heißt sein Kleid öffnen, ohne Liebkosungen erdulden zu müssen, die man nicht mehr will oder noch nicht will; heißt seine Seele öffnen und Perlen wie Kröten ausschütten.

Geliebt werden, heißt sich ganz so geben können wie man ist, vor einem Andern, mit einem Andern.

– Das sind alles ausgezeichnete Definitionen, die sich auf eine einzige zurückführen lassen: die Liebe ist die persönliche Barmherzigkeit, das bis zur Leidenschaft getriebene Wohlwollen, das mühelose Identifizieren durch Anziehung; und da die Sinne der Frau empfindlicher sind als die des Mannes, so muß ihr Wille im vertraulichen Verkehr gelten, muß ihre Freude allein die Wollust regeln.

– Ach, wenn Sie diese Grundsätze befolgen könnten!

– Ich werde sie leicht befolgen! Es sind die, welche meine Natur und die Erfahrung mir bestimmt haben: wenn ich so bin, werde ich aufrichtig und ich selbst sein.

– Aufrichtig, sind Sie das? Mich dünkt, ich ahne ein Verlangen, meine Schultern zu sehen. Das kann zugestanden werden. Entblößen Sie sie, mein Freund. Ihr Verlangen gefällt mir: wenn Sie etwas mehr sehen, als ich auf dem Ball zeige, was für ein Verdienst erwerbe ich mir, nachdem ich Ihnen diese häßlichen Dinge meiner Seele gesagt habe?

Samas entfaltete die Schals des Mieders und entdeckte einen Busen, der so lebendig war, daß Erstaunen in seine Augen kam.

– Zuweilen betrachte ich mich mit Wohlgefallen: eine Frau freut sich, schön zu sein, wie ein Mann sich freut, stark zu fühlen.

Und ganz rosig, die Augen auf ihre Brüste gesenkt, lächelte sie ihn an.

– Auf die Knie, kreuzen Sie die Arme wie ein Schüler bei einer Predigt: ich will, daß meine Schönheit Sie blendet.

Sanft drückte sie die wirklich rosigen Spitzen der Brüste Samas in die Augen.

– Eine köstliche Idee! Köstliche Edith, welche Feinheit Ihre Sinne einschließen: ich bin stolz darauf, was Sie mich erleben lassen.

– Ach, Sie verstehen auch diesen Stolz, sich zu sagen: man weiß vielleicht, daß ich liebe, aber man weiß nicht, wie ich liebe. Wenn ich so erfinde, verscheuche ich meine Schreckbilder, vergesse ich meine Erinnerungen.

Sie ließ ihren Gürtel aufspringen, schlug ihren Halskragen nieder und sagte, Samas' Hände haltend:

– Sehen Sie die Brüste blühen, die Ihnen gehören werden: sie entfalten sich unter Ihrem Blick. Meine Nerven richten sich nach Ihnen: Sie werden sie nicht verletzen. Lassen Sie die Frucht meines Herzens reifen: alles übrige wird Ihnen als Zugabe gegeben werden.

– Das sind zwei Kugeln lebendigen Lichtes!

– Sie werden deine Hand und deine Lippen in Erstaunen versetzen: meine Haut ist so fein, daß sie mich verwirrt, wenn ich sie berühre. Oh, ich bin heute abend glücklich.

Sie erhob sich, ging einige Schritte, kam zurück.

– Ein Blitzen hat in Ihren Augen geleuchtet, Samas: warum?

– Weil sich Ihre Brüste unmerkbar bewegen, wenn Sie gehen.

Sie neigte sich an sein Ohr und sagte ihm ganz leise:

– Wenn Samas nicht lügt, wenn er das ist, was er scheint, wird Samas geliebt werden … Sich aufhaken, ist hübsch, aber sich wieder zuhaken, nein: ich will mein Nachtgewand anlegen. Muß ich mich einriegeln?

– Ihr Mißfallen ist der sicherste Riegel.

– Wenn das doch wahr wäre!

Es gibt eine solche Vertrautheit zwischen der Sache und dem Wesen, daß die Sache sich bei der Berührung mit dem entsprechenden Wesen belebt. Zwischen der Frau und dem Stoff, zwischen ihrem Körper und der Seide, dem Batist, besteht eine Gemeinschaft von Kräften, die sich gegenseitig vermehren.

Samas hörte das Rauschen der sich entkleidenden Edith: das Schreien der Seide, das Pfeifen des Schnürbandes, das Knarren des feinen Schuhwerkes und dessen durch den Teppich gedämpftes Fallen, die auf die Stangen rollenden Ringe, bis auf die so leichten Geräusche des Kristalls und des Porzellans vom Waschtisch: alle diese einzelnen Töne klangen zu einer Idee von Kostbarkeit und Vergnügen zusammen.

Die äußerste Pflege des Körpers, sehr verschieden vom Luxus, ist eine Fähigkeit, die sich bis auf die Moral ausdehnt: eine Frau, die zwei Stunden braucht, um ihren Körper zu säubern, kleidet sich in zehn Minuten: das bedeutet eine Art Idealität. Die arabische Frau, die Orientalin außerhalb des Harems, macht auf den Mann des Abendlandes keinen Eindruck: ihrer etwas animalischen Schönheit fehlt diese Delikatesse, diese fortwährende Besserung, welche die christliche Frau auf ihre Schönheit anwendet, und auf sich selbst, weil ihre Einbildungskraft sich darin gefällt, ihren Körper als etwas Kostbares zu betrachten. Deshalb kann sie, wenn sie sich hingibt, viel mehr geben als irgend eine Bäuerin, auch wenn diese eine lebende Statue ist.

Edith kam zurück, die Füße nackt, die Arme nackt, sich in violette Seide hüllend, einem Wesen der Feenmärchen ähnlich.

– Samas, fühlen Sie nicht Unbehagen, im Gehrock zu stecken? Ich habe dort Gewänder. Oh, denken Sie nicht an den Prinzen, an eine plötzliche Rückkehr, haben Sie Vertrauen zu mir: ich bin nicht unbesonnen. Mein Interesse bürgt Ihnen für mich und für Sie, wie Figaro sagen würde.

– Die modernen Formen passen schlecht für die Liebe: sie sind häßlich, gleichen aus. Ich fühle auch darin wie Sie, Edith.

– Dann gehen Sie, Freund, und hüllen Sie Ihre Wirklichkeit in etwas Traum.

Samas schritt in den dritten Raum, der Ediths Boudoir war und in ein Badezimmer mündete. Er atmete den Duft der begehrten Frau, dieses wirkliche Nichts, das durch alle Parfüms hindurchdringt und das denselben Wohlgeruch so verschieden macht, je nach den Personen. Er zog das Hemd an, das sie eben abgelegt hatte, einen großen Bademantel aus schwarzer Seide, ein Trikot, das wie für ihn bereit lag: so wurde er ein Wesen von einst, eine Gestalt der Dichtung.

Als er so erschien, tat Edith einen Ausruf.

– Ah, mein Freund, wie schön Sie sind!

Sie streichelte seinen Hals, der auffiel; sie entblößte den Arm, den sie weiß und weiblich fand.

– Seien Sie meine angebetete Puppe, lassen Sie mich für einen Abend ganz glücklich sein, indem ich mich Kindereien hingebe.

– Ich gehöre Ihnen, Edith, Ihre Freude ist meine Lust.

Sie holte eine Schere und schnitt die Aermel aus schwarzer Seide ab und liebkoste ihm die Arme, eifrig, lächelnd, fast lachend vor Freude.

– Mein Busen hat einen Wunsch: soll ich nachgeben?

– Du sollst, Edith.

Sie entblößte ihm die Brust und bohrte die Spitze ihrer nackten Brüste hinein.

Gegen seinen Willen umfaßte er sie mit seinen Armen und sein Mund stammelte gegen Ediths.

– Oh, sei vollkommen: noch nicht!

Sie schlang die Arme um den Hals des jungen Mannes und lehnte schmeichelnd ihren Kopf daran.

– Siehst du, heute abend sind wir unbekannt für einander: wir entdecken uns! Mein Busen hat dich entzückt: ich liebe deinen Hals, deine Arme. Ich fühle sehr wohl, daß wir in lebhafte Berührung kommen müssen, sonst würden wir leiden: wie einander liebkosen, ohne daß die Gebärde deutlich, brutal wird.

Und dann flüsterte sie, nach ihrer Art, ein Geheimnis zu sagen, mit sehr leiser Stimme ihm ins Ohr:

– Hast du mich gesehen, als ich mich für die Nacht zurechtmachte?

– Nein, Edith.

– Ich bin noch sehr schön, nicht eine Melusine, die in einen schrecklichen Fisch endigt. Du sollst alles kennen lernen, was, kostbar oder nicht,

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künftig dein sein wird: aber warte, bis ich die Form finde, es dir zu zeigen. Meine Seele, die möchte ich dir zeigen: du wirst dabei viel kleine Einzelheiten, Empfindlichkeiten, Wunderlichkeiten sehen, aber doch etwas Verdienst. Beurteile mich nicht nach heute abend: es sind die Saturnalien, die Zeit der Zügellosigkeit, für die Sklavin, die ich war. Oh, wie wenig Augenblicke! Wenn ich dich erwartet hätte, um wieviel größer die Freude! Aber ich erwartete dich nicht … Ich spreche allein und schlecht und die ganze Zeit: ich bin glücklich. Ich werde dir den Hof machen: willst du? Gib mir deine Hand, damit ich sie küsse … Mein Gott, wie gut es tut, sich selbst sein zu können, frei, absurd, einfältig, verrückt oder entartet, aber ich, ich! Und ich verehre dich, daß du mich gewähren lassest, ich selbst zu sein, ohne dich zu erregen, ohne zu ermüden, entzückendes Herz.

– Du Schöne, Aufrichtige, die gelitten hat, ich achte das Kind, das du bist, und es freut mich, dich zu erfreuen! Du brauchst nur dein Kleid zu öffnen, um mich zu blenden; nur dein Herz zu zeigen, um mein Herz zu rühren.

– Ich möchte mit dir kämpfen und die Stärkere sein: deine Arme sind nicht kräftiger als meine: nichts Brutales ist in dir. Komm her, du mußt deine Wange auf meine Knie legen: dein Gesicht brennt. Wisse es: in jeder Minute eroberst du mich etwas mehr. Du bist so schön, denn du hast die wahre Kraft über dich selbst.

– Du bist so schön, Edith, daß die Bewunderung die Begierde zähmt. Meine Augen laufen über vor Freude! Ich bin zu erregt, um es dir in lyrischer Rede zu sagen, also einfach: dein Körper hat drei Charaktere. Die Linie ist die des endenden Florenz, die Linie von Parma; deine Haut ist so weiß, wie Italien es nicht gekannt hat; dein Fleisch ist elastisch, es ist nicht indifferent, es nimmt auf, es gibt dem Druck nach, ist trotzdem fest. Diese wundervolle Empfindlichkeit der Epidermis ist einer der Gründe für deine scheinbaren Seltsamkeiten.

– Diese Knie werden sich vor dir beugen, Samas: sie sind stolz, deine Stirn zu tragen.

Sie streckte die Hand aus nach den Blumen auf einem Tischchen, nahm eine Rose und entblätterte sie, kindlich trillernd, über dem bereits geliebten Haupte.

– Deine Augen, Samas, wie deine Augen mich verherrlichen; welche Reflexe von Schönheit sie mir zurückwerfen! Kann ich sie wirklich entflammen mit dieser heiteren Begierde, denn du bist heiter, in deiner Begierde, nicht leidend? Sag' es mir! Willst du, daß ich dir eine Statue verwirkliche? Welche? Willst du die Venus Kallipygos, den Hermaphrodit der Villa Borghese? Wenn ich will, daß du auf alle meine Launen eingehst, werde ich all deinen Einfällen gehorchen!

Mitternacht schlug in einer kleinen Standuhr aus meißner Porzellan.

– Samas, köstliches Geschöpf, das mir gehören wird, die Probe ehrt dich! Wenn ich sie weiter fortsetze, würde ich fürchten, dich zu ermüden: nimm mich, wenn du mich nehmen mußt, damit du mir bleibst. Wenn du die Kraft besitzest, während du Hunger nach meinem Leib und Durst nach dem Wasser meines Mundes hast, diese Entbehrung zu ertragen, wirst du meine Seele noch mehr gewinnen: du wirst mir gefolgt haben, selbst im Absurden, ohne dich zu erinnern, daß es Mitternacht ist, daß wir beinahe nackt sind, daß ich dir nicht mehr entwischen kann; daß diese Blume, die vor uns bebt, nicht der Hand entgeht, die sie bricht. Antworte noch nicht! Damit du genau weißt, welcher Körper dir künftig gehören wird, siehe, ich werde mich ganz enthüllen: wähle zwischen meinem ganzen Herzen von morgen an und meiner ganzen Schönheit sofort.

Sie ließ die Seide sich öffnen und erhob sie wie Flügel: blendend von Weiße, blond und perlmutterfarben, erschien sie.

Die Scham ist eine große Sache, geboren aus dem christlichen Gefühl, ein Schleier des Willens über den wirklichen Schleiern. Man versteht, daß die keusche Susanne erschrickt, als sie die Bocksaugen der Greise bemerkt; man versteht, daß eine Frau vor Angst schreit, wird sie von einem Gleichgültigen überrascht: aber in der Liebe wird die Scham dumm und drückt nur das bürgerliche Gefühl aus. Der Ausschnitt des Gesellschaftskleides ist eine Art Prostitution, weil er sich an jeden beliebigen wendet. Bis zur Liebe gibt es nie zuviel Scham; aber in der Liebe: glücklich die, welche ihre völlige Nacktheit im Auge ihres Geliebten spiegeln kann; das Hemd, selbst dicht, würde nichts an ihrer Sünde ändern.

Edith blieb lange so vor dem entzückten Samas. Als er sich endlich aufrichtete, ließ sie den Vorhang wieder über sich fallen.

– Nun? fragte sie.

– Ich will dein Herz, Edith, ich gehe.

– Entweder bist du sehr geschickt oder du bist ein Engel. Komm hierher ins Licht, damit ich deine Augen sehe.

Sie tauchte ihren klaren Blick in den des jungen Mannes: entzückt nahm sie seinen Kopf in ihre Hände.

– Den ersten Kuß: ich gebe ihn dir, und ich bin ganz darin, mein süßer Herr und Meister.

Und langsam näherte sich ihr fruchtartiger Mund den fieberhaften und trockenen Lippen Samas', um sich darauf zu legen, aufrichtig, hingegeben, für immer.

Unter der Ueberraschung dieser so lange erwarteten Liebkosung erbleichte und wankte er.

Sie bekam Angst.

– Was habe ich getan? murmelte sie.

Sie zog ihn in ihr Schlafzimmer, fürchtend, daß er ohnmächtig würde. Sie konnte ihn ans Bett lehnen und ließ ihn darauf fallen. Ueber ihn geneigt, erspähte sie mit Angst sein Gesicht: sie sah es sich wieder erheitern und lächeln.

– Du hattest recht, mir zu sagen, ich solle fortgehen: deine Wollust hat mich umgeworfen.

– Ich wäre toll geworden, wenn du gegangen wärest: du bist mein Traum, mein Leben und meine Schimäre. Willst du mich neben dir haben, oder soll ich dich betrachten, wie du dich ausruhst: das würde noch eine Freude sein!

– Ich will dich noch sehen.

Sie warf ihr Gewand ab.

– O Erscheinung, verwirkliche dich! Phantom, berühre mich! Edith, Wunder und Rausch!

– Für immer, Samas.

– Edith, für immer.

Und die Schönheit, die Jugend und die Wollust verwirklichten sich in diesem Augenblick.


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