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II.
Das Abenteuer des Sin

Nachdem Merodach Samas zu Francesca geschickt hatte, dachte er ihn bei der Beratung wiederzufinden. Als er ihn gegen Mitternacht nicht sah, beunruhigte er sich so sehr, daß er den Weg nach dem Palaste Piccolomini einschlug.

Während er in dem Gäßchen zögerte, öffnete sich die Pforte von selbst zu seinem Erstaunen, und das junge Mädchen sagte:

– Ich habe Sie früher erwartet.

– Was haben Sie mit Samas gemacht?

– Ich habe ihn an eine gute Adresse weitergeschickt, an die Prinzessin Edith Odescalchi: sie hat ihn sicher behalten.

– Warum haben Sie das getan?

– Weil Edith durch ihren Gatten über einen »Hut« verfügt und durch ihre Freundin Mercedes über den Kardinal de Castro. Dann weil Sie Dichter mit Liebesquartierzettel schicken, die ich an gastfreundliche Damen adressiere.

– Sie haben mich verraten, Francesca.

– Sie haben mich beleidigt, Merodach! In der Liebe gibt es keinen Vertreter; wenigstens schickt der, der geliebt wird, keinen.

– Ich glaubte, bei meiner Seele, für Ihr Wohl zu handeln.

– Samas liegt zu dieser Stunde in den Armen Ediths, wenn er nicht in den Armen der Mercedes liegt, denn diese beiden Frauen sind zugleich vertraute Freundinnen wie vertraute Rivalinnen, die einander gern die Männer fortnehmen.

– Aber ich kann Sie strafen: ich bin zu fürchten.

– Was wollen Sie noch mehr tun, als was Sie bereits gewagt haben: Sie haben Ihren Platz in meinem Herzen verschenkt, wie man eine Theaterkarte verschenkt.

– Samas ist Ihrer würdig!

– Ich liebe ihn nicht! Ach, du bewahrst deine kostbare Tugend, o Merodach.

– Welche List, sagte der Magier.

– Hatten Sie die Absicht, so bald wiederzukommen? Ueberzeugt, daß Edith oder Mercedes Samas behalten würde, habe ich es verstanden, Sie zum Kommen zu zwingen.

– So, Sie denken ein Herz wie meines zu zwingen?

– Vielleicht habe ich die rechte Stelle getroffen, und ich bereue nicht. Ich habe mich halb nackt zu Ihren Füßen gesetzt, mich damit begnügend, nur betrachtet zu werden, und Ihre anspruchsvolle Tugend flieht mich: die Werke des Hasses werden mich wenigstens beschäftigen! Ich brauche morgen früh nur anspannen lassen, um einige Besuche zu machen: ich zeige Sie an, Sie und Ihre Pläne! Sobald ich die Warnung ausgesprochen habe, stürzt alles ein: Ihre Tugend und Ihr Plan können nichts weiter tun, als nach Paris zurückkehren.

Die Arme gekreuzt, den Kopf gesenkt, erlitt Merodach eine heftige Qual. Welchen Fehler hatte er begangen! Er hatte Francesca ausweichen wollen, um ihr dann nur aus Mitleid Aufmerksamkeit zu zeigen.

Er, der Magier, wurde durch die Liebe eines jungen italienischen Mädchens aufgehalten und gestürzt; er, das Haupt, hatte so schlecht mit seiner strengen Tugend gerechnet, daß er das Unheil verschuldete, während seine Brüder, seine Schüler, klug, geschickt, das Werk vollendeten, ohne ihre Leidenschaft im geringsten zu dämpfen.

Er richtete den Kopf wieder auf, ging auf sie zu; der Sand knirschte unter seinem entnervten Schritt; er betrachtete sie.

Das Gesicht des jungen Mädchens wurde von einem solchen Groll zusammengezogen, daß er nicht mehr daran dachte, sie zu beugen. Heftig ging er nach der Tür, öffnete sie und verschwand. Ein kalter Schweiß badete seine Schläfen; als er außer Bereich der Fenster war, lehnte er sich an die Mauer, wie ein Berauschter.

In dem Augenblick, als Samas unter dem strahlenden Kusse Ediths wankte, fühlte Merodach sich zum ersten Male vom Schicksal in die Enge getrieben. Wenn Francesca sprach, war alles verloren, unwiederbringlich; und er gab sich keiner Täuschung hin: Francesca würde in wenigen Stunden sprechen!

Er ging, ohne einen Entschluß fassen zu können, unfähig, zu beten oder zu denken.

Er kam an ein Kreuz und fiel auf die Knie.

»Herr Jesus, durch dieses Zeichen jedes Heils, berate mich! Dein Reich suche ich, trotz meinen Mängeln und meinen Fehlern. Ich bin Dein Ritter, sieh, ich verzichte auf die grausame oder magische Verteidigung: erlaube, daß diese Leidenschaft sich von mir wendet.«

Und er wartete, überwacht, ohne daß er es sah, von den Wächtern der Stadt.

Plötzlich erhob er sich und ging auf das Pantheon zu. Als er ans Hotel »Nettuno« kam, das geschlossen und erloschen war, läutete er; mit großer Mühe ließ er sich öffnen und in Sins Zimmer führen.

Sin schlief; als er Merodach sah, wurde er bestürzt.

– Erwache und höre! Wir sind verloren, oder vielmehr, unser Plan scheitert, wenn nicht morgen vor acht Uhr ein junges Mädchen, das du niemals gesehen hast, dich liebt und sich dir gibt.

Sin glaubte, der Magier sei toll geworden.

– Ich werde dich bis an den Palast Piccolomini bringen; hier ist der Schlüssel der kleinen Pforte zum Garten, in dem die Prinzessin Francesca, das schönste Mädchen von Rom, voller Zorn wartet; mach, daß sie dich liebt; du hast drei Stunden dafür.

– Entweder bist du toll oder ich träume?

– Kleide dich an: die Zeit drängt. Du mußt ihren Zorn ausnutzen: ich werde dir einen Brief geben, dessen Inhalt du nicht kennst: er würde dich stören. Behalte nur dies: ich erkläre darin, daß ich dich mit sokratischer Liebe liebe, und daß du mich ebenso liebst … Das junge Mädchen muß dich mir, der dich auf infame Art liebt, fortnehmen wollen! Finde sie schön, sprich vom Heil deiner Seele; sei geteilt zwischen meiner Verzweiflung, wenn ich erfahre, daß du mich betrügst, und der Offenbarung der wahren Liebe, welche dir ihr Anblick enthüllt … Der Grund meiner Tugend: du bist es! Ich schicke dich zu deiner Rivalin: hörst du? begreifst du?

– Oh, erwiderte Sin, welches Wesen in der Welt erwacht zu dieser Stunde mit einem gleichen Alp?

– Auf dem ersten Abend der Prinzessin Este beachtete ich Francesca Piccolomini nicht im geringsten: das verletzte sie. Dazu kam der Nimbus, daß seltene und wertvolle Menschen mich zu ihrem Führer erwählt haben: kurz, sie verliebte sich in mich. Als ich eines Abends in Rom umherirrte, kam ich an ihren Palast: sie erschien! Ich ging so weit, daß ich nachts in den Garten eintrat; sie griff mich an, ich widerstand; ich versprach wiederzukommen, ich kam nicht wieder … Ich habe ihr Samas gesandt; sie hat ihn an eine andere Frau weitergeschickt. Beunruhigt, komme ich, um mich zu erkundigen: sie droht mir, uns morgen früh bei Collinet, bei Rusticoli, kurz bei allen, zu entlarven.

– Das wäre die unrettbare Niederlage.

– Ja! Wenn eine Italienerin tödlich beleidigt ist, muß sie sich rächen; aber ihre Rache soll von einer Natur sein, welche mir die Zukunft verbürgt. Wenn ich ihr eine andere Frau vorzöge, würde sie diese erdolchen. Ich ziehe ihr einen Mann vor: sie wird mir ihn nehmen. Das ist die Logik der Leidenschaft … Ich sagte dir schon, daß sie die schönste Jungfrau von Rom ist: darüber herrscht nur eine Stimme. Möge sie dich also nehmen, wenn du sie überzeugst, daß eine wilde Sodomie uns eint.

– Herr, die historische Wahrheit, verbirg sie für immer: welche Folgen, und bei welchem Unternehmen?

Er kleidete sich an, während Merodach schrieb.

– Du wirst dies wieder mitnehmen, bevor du gehst, nach deinem Sieg.

– Ich glaube nicht an meinen Sieg.

– Zweifle, aber handle! Bist du bereit?

Sie machten sich schweigend auf den Weg: Sin schlaftrunken und bestürzt, Merodach düster.

– Ich werde dich bei Tagesanbruch, das heißt, um viereinhalb Uhr morgens, in der nächsten Kirche, in San Pietro in Montorio, erwarten.

– Und wenn ich nicht zurückkehrte?

– Die Ehre der Piccolomini verbietet dir zu bleiben. Zögerst du?

– Nein, aber ich werde eine seltsame Meinung von mir bekommen, wenn ich Erfolg habe.

Nachdem Sin zu den Fenstern des Palastes hinaufgeblickt und einen Schatten an dem, das erleuchtet war, gesehen hatte, ging er in das Gäßchen und wartete vorsichtig.

Bald klang das Geräusch eines Schrittes auf dem Kies, dann wurde die Pforte halb geöffnet, eine weiße Frauensilhouette erschien.

– Im Auftrage Merodachs, sagte er.

Sie nahm den Brief, zerriß den Umschlag und versuchte beim Mondenschein zu lesen: sie konnte es nicht.

– Treten Sie ein und warten Sie!

Sie verschwand, den jungen Mann im Garten lassend.

Es war eine dieser römischen Nächte, in denen die Liebesworte Shakespeares in der Luft zu schweben scheinen; eine dieser träumerischen Nächte, in denen die überredende und sanfte Luft die Lippen bis ins Herz liebkost.

Auf derselben Bank sitzend, von der vor einer Woche Merodach Francesca betrachtet hatte, streckte sich Sin aus, gelangweilt, unentschlossen, wie ein Edelmann, der aus Grundsatz und Ueberlieferung einem seltsamen Befehl gehorcht.

Gewiß, sie war ihm schön erschienen; aber nicht bis zu dem Punkte, daß sie das Wagnis und, um alles zu sagen, den Ekel seiner Rolle ausglich.

Eine lange Stunde verstrich. Mehrere Male machte Sin einige Schritte nach der Tür, die nur angelehnt war; kaum widerstand er der gebieterischen Regung, dieser abscheulichen Lage zu entfliehen. Dieses Warten, das er sich unmöglich erklären konnte, brachte ihn im höchsten Grade auf.

Es schlug zwei Uhr.

Wahrhaftig, dachte er, ich habe wenig Zeit, zu siegen, und ich bin sehr müde.

Vielleicht wäre er eingeschlafen, wenn Francesca nicht endlich erschienen wäre, die Haare in Unordnung, die Augen fiebernd, ihr Taschentuch in der Hand.

– Wissen Sie, was Sie mir gebracht haben?

– Nein, ich habe dem gehorcht, der alles für mich ist und für den ich alles bin.

– Wie flößt er solche Gefühle ein?

– Indem er sie empfindet: wenn Sie wüßten, wie er mich liebt.

– Ihretwegen hat er mir widerstanden! Und Sie würden mir seinetwegen widerstehen!

– Sie sind sehr schön! Oh, blicken Sie mich nicht an, Prinzessin, lassen Sie mich fliehen. Schon als Kind hat er mich aufgenommen, er hat mich geformt, und trotz meiner Jugend soll ich sein Nachfolger werden.

– Wissen Sie, daß Sie alle beide unrein sind; daß Sie gegen alle Gesetze, die göttlichen wie die menschlichen, verstoßen; daß früher das Schafott diese schändliche Liebe krönte; daß Sie den Menschen wie den Engeln ein Schrecken sind.

– Man liebte mich nicht und er hat mich geliebt!

– Die letzte der Frauen wäre besser gewesen als diese Leidenschaft ohne Namen.

– Da ich nicht zu der schönen, edlen, erhabenen Frau gelangen konnte, habe ich mich dem Manne mit den großen Gedanken, dem wunderbaren Willen hingegeben.

– Sein Wille wird zu dieser Stunde von meinem durchkreuzt.

– Nicht Ihren Willen fürchte ich, sondern Ihre Schönheit! Wie hat er ihr widerstehen können?

– Ja, wie? fragte sie mit einfacher Aufrichtigkeit.

– Wir sind durch abscheuliche Schwüre miteinander verbunden: nichts würde ihn bewegen, sie zu brechen.

Sie betrachtete ihn, etwas herausfordernd.

– Lassen Sie mich fliehen, bat Sin.

– Warum? Fürchten Sie etwa, wie er, daß ich mich an Ihrem Laster vergreife?

– Lassen Sie mich fliehen: Ihr Anblick zeigt mir das ganze Glück, auf das ich verzichtet habe.

– Ach, wirklich, Sie glauben, daß die Liebe einer Francesca mehr wert ist?

– Gnade, nähern Sie sich nicht: Ihr Anblick betört mich, ein Magnetismus geht von Ihnen aus und berauscht mich. Wenn man verdammt ist, bleibt einem nichts mehr, als den Lästerungen treu zu sein.

Er sank auf die Bank nieder und barg den Kopf in den Händen.

Francesca setzte sich neben ihn.

– Auf welche Schande bin ich bei meiner ersten Liebe gestoßen: ich bin verhöhnt, verworfen, verachtet worden.

Er erhob den Kopf.

– Glauben Sie das nicht! »Geh zu ihr, hat er mir gesagt, aber sei versichert, daß sie die Schönheit ist; daß ihre Seele, für diese Zeit zu groß, einen Abgrund von Kraft und Süße bildet; daß man unwürdig sein muß, um nicht niederzuknien.«

– Mitleid habe ich für Sie, denn Sie leiden wenigstens unter Ihrer Erniedrigung.

– Seit ich Sie gesehen habe, leide ich darunter.

– Sie hätten mich geliebt, an seiner Stelle?

– Lassen Sie mich nicht sprechen. Was nützt es? Wenn ich ihm auch meinen Schwur breche: immer werde ich für Sie ein Gegenstand des Ekels sein.

– Wußten Sie, daß ich Merodach liebte?

– Ich weiß es seit einer Stunde. Er ist zurückgekommen, um mich zu wecken: »Ich habe Gewissensbisse,« hat er mir gesagt; »ich habe ein wundervolles Herz verletzt; ich will mich demütigen; ich kann nicht zögern, so groß ist meine Angst; du allein kannst diese Botschaft überbringen.« Ich bin gekommen: ach, zu meinem Unglück! Künftig werde ich stets Ihr paradiesisches Antlitz wiedersehen: »Jene Frau haßt mich und verachtet mich, jene Frau, deren Fuß ich geküßt haben würde, wenn ich sie vor meiner Beschmutzung kennengelernt hätte.«

– Sie sind jung, Sie sind wenigstens an große Gedanken gewöhnt, Sie können sich wieder erheben.

– Wer wird mir die Hand reichen, die Hand, die mächtig genug ist, um mich aus meiner Sünde zu reißen?

– Ich, erwiderte die Prinzessin.

Sin erhob sich mit einem psychologischen Erstaunen, das für den Ausdruck der Seele galt und große Wirkung übte.

– Sie, Sie, Sie, rief er, ein so guter Schauspieler, wie er sein konnte.

– Ja, ich, wenn Sie für immer auf Merodach verzichten.

– Ich kann nicht … Sie wissen nicht … wie stark diese ruchlosen Verbindungen sind … er würde daran sterben!

– Er würde daran sterben, sagst du? Dann bist du gerettet, denn ich will, daß er stirbt! Und wenn ich dich mit meiner Gunst überhäufen müßte: du wirst nicht wieder zu deiner Sünde zurückkehren.

Sin tat so, als wolle er fliehen: sie lief und schloß die Tür.

Eine grenzenlose Bewunderung für Merodach erfüllte den Geist des jungen Mannes.

– Ich werde ihn morgen vernichten, Ihren Herrn und Meister, ihn, seinen Plan, seine Freunde: einige Worte, in Rom ausgesprochen, und diese fabelhafte Verschwörung, die einen Papst wählen will, der die Kirche rettet, wird nur noch ein Spott sein.

– Ach, was bedeutet die Idee für mich: ich diene einem Manne, und nicht einer Lehre. Bringen Sie seinen Plan zum Scheitern, das ist eine Sache zwischen Ihnen und ihm; aber machen Sie mich nicht treulos, meineidig, hassenswert, noch viel hassenswerter, als ich bin.

– Ihr Name, den ich nicht kenne?

– Sin.

– Sin, da der Mond scheint und die Nacht vorrückt, können wir nicht im Garten bleiben: folgen Sie mir in den Palast.

Er zauderte.

– Fürchten Sie nichts.

– Ich fürchte Ihre Schönheit.

– Sie tut ihren Dienst, wenn sie Sie heilt.

– Nein, Gnade!

– Kommen Sie, sage ich Ihnen, ich muß Ihnen meine Antwort geben.

Auf der Schwelle nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn ins Dunkel, bis in einen kleinen Salon, der vor ihrem Zimmer lag und dessen Läden sie aufstieß, als sie dort eintrat.

Die heftigen Naturen, wie Francesca, sind nur für zwei Arten von Wesen empfänglich: für die Herrschernaturen, zu deren Sklaven sie sich machen, wenn sie sich auch oft empören; für die Schwachen, zu deren Vormund oder Fee sie sich erklären.

Sin war für sie ein Leidender, war weiblich, anmutig, hatte eine zarte Stimme, sanfte Augen; er dachte klar, und seine Stimme steigerte die Bedeutung von allem, was er sagte, durch eine wahrhaft rührende Musik.

Als beide bei Licht einander ins Gesicht sahen, entdeckten sie sich und beurteilten sie sich einen Augenblick außer den unsinnigen Umständen, die sie einander genähert hatten. Er gefiel Francesca, weil er zu ihrer Natur einen offenbaren Gegensatz bildete: sie hielt sich für positiv und fast männlich ihm gegenüber. Dieses Gefühl war gebieterisch, aber von einer so mütterlichen und zärtlichen Art, daß sie zu ihm sagte, als sie sich setzte:

– Auf die Knie! Näher! Beichten Sie Ihre abscheuliche Verirrung.

– Es ist unmöglich, Ihnen das zu sagen.

– Ich verlange von Ihnen keine abstoßenden Einzelheiten: beichten, das ist bereuen.

– Sie wollen mich meineidig machen.

Und er ließ den Kopf sinken.

Sie zog ihn an sich und legte ihm ihre schönen Hände auf den Kopf.

– Ich will Sie retten!

Und plötzlich entwickelte sich, durch eine Gemütserschütterung dieser heftigen, aber großmütigen Natur, eine edle, rührende Idee, auf welche sie stolz war: sie, die schöne Einfältige, würde eine auserwählte Seele leiten, würde sie läutern.

– Ihr Herz hat noch mehr Schönheit als Ihre ideale Person: in meiner letzten Stunde werde ich mich an diese erhabene Regung der Barmherzigkeit erinnern, die eben durch Ihre Augen wie ein himmlischer Blitz gegangen ist. Prinzessin Francesca, aus der Tiefe meines Elends ehre ich Sie, segne ich Sie; aber zwingen Sie mich nicht zu dieser Qual, ein Paradies zu sehen, in das ich nicht eintreten kann: die Liebe eines reinen Herzens und eines wunderbaren Körpers.

– Meine Schönheit ist das Heilmittel, das dich vom Bösen heilen wird, o Sin.

Sie warf eine Schärpe zurück, welche sie über ihrem Busen gekreuzt hatte.

Sin besaß die Kunst, wie geblendet die Augen zu schließen und den Kopf abzuwenden.

– Erblicke, sage ich dir, die wirkliche Wahrheit der Liebe, die echte Form der Wollust, so wie die Natur sie will, nach dem Gesetze Gottes.

Sie berauschte sich daran, die Retterin zu sein, dieses köstliche Wesen zu erneuern; die Wunde ihres Grams schloß sich sanft, sie dachte weniger an Merodach und ihre Rache.

– Sin, sei aufrichtig! Frage deine Unruhe: fühlst du nicht einen Schrecken vor deiner Vergangenheit, die sich ganz erhebt und dich zu Boden drückt, sobald ein wahres Frauenherz sich in Güte für dich öffnet.

– Sie bringen mich zur Verzweiflung: ich werde keinen Frieden mehr haben.

– Ich werde dein Friede sein.

– Nein, Sie können nicht bis zu mir hinabsteigen.

– Hinabsteigen, um das Gute zu tun, heißt hinaufsteigen.

– Ach, wenn ich rein wäre, wie würde ich sagen: nehmen Sie mich, seien Sie meine Fee, meine Schwester und meine Geliebte.

– Ich kann deine Schwester sein, Sin.

– Sie sind zu schön: mein Verlangen würde Sie belästigen! Lassen Sie mich gehen, denn ich bin verdammt! Die Qual, den Engel zu sehen, wenn man der Hölle gehört, ist zu schrecklich!

– Verzichte auf Merodach!

– Dann werde ich allein sein.

– Nein, ich werde da sein.

– Wie ein gutes Werk, aus Mitleid: das ist mehr, als ich wert bin, aber ich könnte mich nicht damit begnügen.

– Nun, Sin, ich werde Ihnen eine Geliebte wählen.

– Sie sind die einzige Frau in der Welt, die es je für mich geben wird.

– Du sprichst gut, Sin: wenn dein Meister, den ich verwünsche, diese Worte ausgesprochen hätte, wäre ich glücklich gewesen.

– Leider habe ich nicht seinen Geist, sein Ansehen.

– Du kommst ihm darin nahe, da er will, daß du ihn ersetzest.

So überredete sie sich, daß sie ihre Leidenschaft vom Meister auf den Jünger übertragen könne.

– Ach, ich sühne wirklich in einem Augenblick mehr als in einem Jahrhundert der Hölle! Ich will gehen, und habe nicht die Kraft dazu: Francesca, aus Mitleid jagen Sie mich fort.

Er beugte sich auf die Knie des jungen Mädchens; als Antwort legte sie ihm, sanft mütterlich, die Hände auf den Kopf. Er küßte sie, zuerst mit gespielter Schüchternheit, dann mit aufrichtiger Zärtlichkeit, denn es war ein edles Gefühl, das Francesca belebte, die Idee der Erlösung, die Idee des Heils, das heilige Mitleid; auch die Frömmigkeit, denn bei der sehr katholischen Italienerin sprach die Religion mit, die göttliche Begleiterin aller Gefühle, um sie vollends zu berauschen: sie dachte für diesen Menschen, der sich um die ewige Seligkeit brachte, die Priesterin zu werden.

Sin vergaß alles, sowohl seine Rolle wie Merodach wie das Heil seiner Brüder, ganz dem köstlichen Gefühl dieser vollkommenen Liebe hingegeben, die ihn beglückte; mit der Bewegung eines schmeichelnden Kindes erhob er den Kopf und ließ ihn an diesen prächtigen Busen gleiten, der bebte.

Daß sich dieses Verlangen in ihm regte, hielt Francesca für den Anfang einer Bekehrung.

– Gesegnet sei meine Schönheit, wenn sie dein Heil ist! Meine Schönheit führe dich wieder in das Gesetz der Harmonie, meine Schönheit möge dich läutern! Du suchst meine Brust, Kind, mein Kind, weil du durch mich zur wahren Freude geboren werden und zum Heil zurückkehren sollst. Sag ein Wort, ein einziges, und meine Brust wird sich an deine brennende Stirn legen. Verzichtest du?

– Ich darf nicht, Francesca! Ich bin schon meineidig geworden! Oh, künftig, welche Qual! Warum bin ich gekommen, ich Unglücklicher?

Francesca warf ihr Morgengewand zurück und entblößte, ohne sich zu zieren, mit ernster Würde, ihre Brüste.

Aufs höchste erstaunt, wußte Sin einen Augenblick nicht, was er zu einem solch reinen Willen sagen sollte. Dann stürzte er sich über diese Brüste, sie mit der Aufregung eines Mannes ergreifend, der über dem Abgrund hängt und sich an einen Vorsprung klammert, um sich zu retten.

Lächelnd ließ sie ihre dichten Haare fließen und sowohl über sich wie über ihn strömen, ohne mit den Liebkosungen, die sich beschleunigten, aufzuhören.

– Sin, mein süßes Kind, wenn du mich verläßt, wirst du in der ersten Kirche, die offen ist, die Messe hören; du wirst zu Gott für mich beten, damit er mir den Reiz gibt, der nötig ist, um dich zu retten und dich zu bewahren, denn ich hänge übermäßig an dir. Wenn der Priester vom Altar steigt, wirst du ihm in die Sakristei folgen, um ihm einfach zu beichten, wie ein guter Christ! Versprichst du mir das? Armer Geliebter, wie du Hunger und Durst nach wahrer Liebe hast.

Und durch die Liebkosungen verwirrt, durch so viel edle Ideen gerührt, überließ sie sich ihm, ein heiterer Pelikan; sie glaubte Sin so gut von der schlimmen Verirrung zu retten; den Rausch ihrer Sinne nicht mehr von dem ihrer Barmherzigkeit unterscheidend, betrachtete sie ihn, wie er an ihren Brüsten hing, und murmelte wie im Traume:

– Mein Kind … mein Kind …

Ohne sich zu wehren, duldete sie, daß Sins fieberhafte Hände ihre Aermel zurückstreiften, um ihre Arme freizumachen; sie überließ sich ihm mit dem ruhigen Gewissen eines Wesens, das einer höheren Pflicht gehorcht, einer Pflicht, die es sich selbst vorgeschrieben hat. In der glühenden Liebkosung konnte sie die Reue eines Verirrten sehen, der sich an der endlich gefundenen und herrlich offenbarten Wahrheit berauscht.

Plötzlich warf die Morgenröte ihren fahlen Blick durch die Fensterläden, daß die Lampen erbleichten.

– Sin, das ist die entscheidende Stunde! Deinen Schwur hast du geschworen, mit deinen Händen, mit deinen Lippen, auf meinen Brüsten: du bist mein!

– Oh, rief er, der Gedanke, der mich erfüllt, Engel, ist eifersüchtiger Natur. Was hast du Merodach von dir gegeben?

– Nichts! Seine Lippe hat nur meine Stirn berührt; seine Hand hat nur meine Hand gedrückt.

– Aber was hat er von deiner Schönheit gesehen?

– Ungefähr, was du siehst!

– Meine Augen wollen, was seine Augen gesehen haben.

– Ja, ich begreife die Eifersucht, aber sei ruhig, er ist aus meinem Gedanken entschwunden wie ein böser Traum; und wenn du mir gehorchst, wirst du ihn sogar aus meiner Erinnerung verjagen.

– Wie sollte ich dir nicht gehorchen? Du gibst dem Sünder das Paradies statt der Züchtigung! Die Gnade, die du mir antust, rettet mich eher als jede Strenge! Welches Wort käme der Beredsamkeit deines Körpers, dem Beweise deiner Brüste, dem Vortrag deiner Arme gleich? Ein Duft der Freude steigt von deiner Schönheit in mein Herz und bringt es zum Blühen.

– Dank sei Gott, daß meine Schönheit dir die Wahrheit in der Liebe und die heilige Wollust enthüllt hat! Sieh diese Blumen: sie freuen sich an deinen Küssen, weil sie die Natur darstellen, das Werk Gottes; die harmonische Natur hat diese Formen geschaffen, die ich dir für deine Liebkosung überlasse, und deine Liebkosung macht mir Freude.

– Dank sei dir, daß du deine Barmherzigkeit nicht abgemessen, sondern freigebig mir die Arme geöffnet, deine nackten Brüste überlassen hast: die, die haben mich gerettet! Dein Busen wurde mein Licht! Du siehst, ich spreche schon von meiner Sünde wie von etwas Fernem, Totem, Verabscheutem.

– Ach, das süßeste der Geständnisse, das ist deine Reue! Da deine Lippen es ausgesprochen haben, nehme ich es auf: mögen sie sich zu meinen Lippen erheben, und sei dieser Kuß das Zeichen einer vita nuova.

Im Kuß liegt ein vielfaches Geheimnis: er wird auf einer äußerst beschränkten Fläche ausgeführt, keine Liebkosung erfordert weniger Materie, keine besitzt solch tiefe Harmonien; er erweckt alle Fähigkeiten und faßt die Wollust zusammen, als wirkliche und plastische Dynamik des Eros. Wenn ein einziges Mal im Theater ein wahrhafter Kuß vor den Zuschauern genommen oder empfangen würde, gäbe es einen stummen Protest des Neides; okkulten Gesetzen gehorchend, würde das unbewußte Publikum gereizt werden, wenn es sieht, was seine Unvollkommenheit ihm zu leben verbietet; was selbst die Kunst niemals hat darstellen können, nicht einmal unter der so teuflisch kühnen Schärfe von Rops.

Der Tag war gekommen.

– Oh, rief sie, du kannst jetzt nicht mehr fortgehen, und ich bin berauscht, und ich möchte weder gegen meine Aufgabe verstoßen noch gegen die Pflicht, die ich mir selbst schulde.

Dieses edle Mädchen so weit zu treiben, daß es sich ihm hingab, widerstrebte Sin: er wollte dieses köstliche Geschenk nicht der niedrigen Vorstellung eines Lasters, des häßlichsten von allen, verdanken.

– Ich will die schreckliche Vergangenheit vergessen; Francesca, ich datiere von dir, du hast mich erneut; sprich auch du nicht mehr von meiner jammervollen Verirrung.

– Was gedenkst du zu tun? Welches Pfand wirst du mir von deiner Heilung geben? Wirst du für immer die schändlichen Bande brechen?

– Diese Bande sind schon gebrochen, aber du kannst nicht wollen, daß ich aus einem Unternehmen, das so erhaben ist, austrete. Der, den du verabscheust und den ich heute verurteile, ist abgesehen von seiner Schuld ein großer Geist: ich werde also der Gefährte des Werkes bleiben, wie ich gelobt habe; aber ein reiner Gefährte, der dir seine ganze Liebe geben wird, dir, der Beatrice, der heiligen Lucia.

– Es sei! Wenn ich an dir zweifelte, würde ich mich verkleinern: ich will glauben! Doch werde ich von meinem Vater verlangen, daß du hier im Palaste weilst. Es gibt hier viele alte Pergamente, fast Archive: du wirst sie ordnen. So wirst du unter meinem Dache leben, unter meinem Schutze, und mein Schutz, das ist meine Liebkosung.

– Der Deine, ganz und für immer, erwiderte er und erhob sich.

– Die Deine, ganz, sagte sie, mio creato!

Sie war rührend und vornehm, mit ihren aufgelösten Haaren, und ihre Haltung war beherrscht und ruhig, trotz ihrer Unordnung.

– Bist du wirklich gerettet, bist du für immer gepanzert gegen eine Wiederkehr der Vergangenheit?

Der junge Mann, der vor Begierde bebte, kniete nieder.

– Segne mich, Francesca, meine Beschützerin.

Sie legte ernst ihre Hände Sin auf den Kopf und zog ihn an sich.

– Von allem, was in mir edel und zärtlich und leidenschaftlich ist, sei deine neue Tugend geschaffen.

Und wie sie der niedergesunkene Sin plötzlich umfaßte, gab das Band, das die Taille gürtete, nach, die leichten Stoffe entfalteten sich, von ihr abfallend; sie hielt sie vor sich hin, und schien so eine Statue der schamhaften Venus oder der Venus Urania zu sein.

Er, Pygmalion zu Füßen seiner Galatea, war von aufrichtiger Begeisterung erfüllt, war wirklich bezaubert: er achtete diesen Körper, der sich nicht verteidigte, und ging, glücklich, dankbar.

Wie ein Schlafwandler fand er seinen Weg in den Korridoren wieder, ohne zu fürchten, daß er bemerkt werden könnte, sich durch sein schönes Abenteuer beschützt fühlend. Er stieg in den Garten hinab und öffnete die Tür des Vicolo. In der Straße blieb er einen Augenblick stehen: zwischen seinem unerhörten Erwachen, seiner namenlosen Mission und diesem ganzen Finale entzückter Freude flatterte sein Gedanke hin und her.

Vor San Pietro in montorio bemerkte Sin Merodach, der auf das Oeffnen der Kirche wartete.

– Nun? fragte der Magier, sich beeilend.

– Die Mission ist erfüllt: laß deine Sorge fahren, Francesca ist keine Feindin mehr.

– Ich hatte also richtig berechnet, wie ihre Seele reagieren würde.

– Wunderbar: du bist groß!

– Wie ist es zugegangen?

– Das, Merodach, gehört mir! Es war Gefahr für das Werk: ich habe sie beschworen, als treuer Gefährte, als guter Ritter. Wenn ich jetzt das Glück dort gefunden habe, wo die Pflicht allein mich hinführte; wenn die verhaßte Aufgabe sich in ein entzückendes Abenteuer gewandelt hat; wenn ich die Prinzessin Francesca Piccolomini liebe, so ist das ein Geheimnis zwischen dem Schicksal und mir.

– Meine Frage, wundervoller Bruder, war nur eine Wißbegierde des Gelehrten.

– Und meine Antwort ein Zartgefühl des Künstlers.

– Du bist nun der Fünfte, der verliebt ist.

– Meine Schwäche bezahlt für deine Tugend.

Man öffnete die Kirche.

– Gehen wir Gott danken, sagte Merodach.

– Ich besonders werde ihm danken, und ich werde beichten: wie Merkur, nachdem er die Züge des Sosias angenommen, sich mit Ambrosia das Gesicht reinigt Molière, Amphitryon, III, 9., werde ich meine Seele waschen, nachdem ich die schändlichen Züge des Lasters von Sodom angenommen habe, um geliebt zu werden.

– In deinen Worten liegt eine unmerkliche Bitterkeit. O Sin, hast du nicht in deiner Aufopferung einen sofortigen Gewinn gefunden? Würde die Prinzessin Francesca deine Geliebte geworden sein, wenn ich nicht ein Mittel ersonnen hätte, das dir augenblicklich ihr Herz öffnete? Ja, du hast dich in Böses, in Häßliches verkleiden müssen; aber unter dieser Maske, wegen dieser Maske bist du geliebt worden.

– Du hast immer recht, Merodach; aber der Beginn einer Leidenschaft ist unendlich empfindlich! Was du als Mittel wägst, ehre ich als Ziel: aus dem, was du verworfen hast, werde ich meine Freude machen, vielleicht ohne es nach seinem Wert zu schätzen.

– Geh: du hast die heiligste Sache gerettet, du hast ungeheure Verdienste angehäuft! Da ich die Gefahr verschuldet habe, hast du meine Ehre gerettet und meinen Fehler wieder gutgemacht: ich bin dir persönlich verpflichtet. Hab Dank, Bruder, aus der Tiefe der Seele und von der Höhe des Geistes.

Und der Magier überließ Sin seiner Andacht.

Erschöpft von dieser Nacht der Angst, erreichte er sein Hotel. Sein Geist schmerzte infolge der Qualen, die er ausgestanden hatte. Das Mittel, durch die Leidenschaft zu handeln, an Wirkung und Verschwiegenheit so wunderbar, erschien ihm gefährlich, war schwieriger zu gebrauchen, als er geglaubt hatte.


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