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V.
Fest im Vatikan

An der Tür aus Bronze fuhren die Wagen vor, welche die Geladenen brachten: es war Messe und Gesang in der Sixtina, zum Jahrestage der »Incoronazione del Papa«. Das Publikum war ein Durcheinander wie das von der Straße: ein Gemisch von Kammerfrauen, Priestern, Touristen: die Gastwirte von Rom hatten an ihre Kundschaft Karten verteilt.

Wie einfältig, daß die spanische Mantille, dieses Zubehör des Stelldicheins, dieser Kopfputz der Wollust, diese Livree der Sünde für die Damen Zwang war; daß der Frack für die Männer gefordert wurde, der Frack, das heißt, der allerweltlichste Anzug, die Livree der Gesellschaft und der Hochzeit.

Der Nachfolger Jesu Christi verlangt bei sich für die Frauen die schwarze Spitze der spanischen Hurerei, den Kopfputz der Zigarettenmacherinnen, der Manolas Manola, spanische Grisette in Madrid., das schamloseste Stück Stoff, das es gibt, am besten geeignet für die Kniffe der Sünde; verlangt für die Männer denselben Anzug wie für den Opernball.

Die Nachfolger der Apostel haben dies gefunden, um die Würde des Vatikans zu bezeichnen: den feinen Anzug der Chambres séparées.

Das Vermieten der Mantillen und Fräcke ist eine römische Industrie, um Den zu sehen, der an Gottes Stelle steht.

Da der Papst sich für einen Gefangenen hält, erscheint er seit fünfzehn Jahren nicht in der Peterskirche: wer keinen Frack leihen kann, wer nicht durch ein gutes Hotel in Verbindung mit den Monsignori steht, sieht den Vertreter Christi nicht.

Der Hof von Rom verringert sich zu einem königlichen Hofe, der Papst steigt zum weltlichen Monarchen herab: er will, daß man sich im Quirinal glaubt, wenn man im Vatikan ist.

Ein einziges Gewand ziemt dem Besucher, das des Pilgers: das allein ist christlich; und für die Frauen die Kapuze. Oder der Kittel des Arbeiters hat das Recht, vor dem Vater aller Demut zu erscheinen. Der Segen des Papstes wird den Bürgern vorbehalten, den letzten der Menschen.

– Man muß ein Herr sein oder scheinen, um den sehen zu können, der die Schlüssel des Himmels hält: wie dumm! sagte Poudiel.

In der Türöffnung spreizten sich Karneval-Soldaten und ein kleiner Offizier der schweizer Garde von 1870, ein vornehmer Gardist, in schwarzen und Granatfarben, wachte darüber, daß die Grenadiere von Gerolstein niemanden ohne Karte passieren ließen.

Die Grenadiere waren lächerlich mit ihren Bedientenhandschuhen, ihren großen Stiefeln und ihrem Pallasch. Aber über das Gestell mit veralteten Gewehren erstaunten die Verschworenen: es stand links, fiel auf, dieses Möbel der Leibgarde, mit Waffen geschmückt, die versagen würden.

– Sind die geladen? fragte Nergal.

Der Grenadier der »Großherzogin von Gerolstein« hob die Schultern als Antwort.

Man stieg die lange geneigte Galerie hinauf. Es befand sich eine Garderobe dort: man gab seinen Ueberrock ab und erhielt eine Nummer.

– Zwanglos oder dumm? fragte Tammuz: ein Gestell mit Gewehren und eine Garderobe bei Christus! Du hast recht, Nebo: man müßte hier die Livree zur Kapuze des Pilgers zwingen.

– Hier mit der Menge einzutreten, hat für uns die Kraft einer Ueberraschung, bemerkte Sin.

Im Königsaal befanden sich etwa tausend Neugierige, ohne Sammlung, gestikulierend, laut sprechend, aber im Frack: diese Menge, die von den Karnevalgrenadieren und den barocken Schweizern im Zaume gehalten wurde, schien auf das Oeffnen einer Billettkasse zu warten, nicht auf den Segen des geistlichen Oberhauptes.

Sauertöpfische oder groteske Minister in Jahrmarktsuniform, wie die von England und Spanien, kamen durch eine Seitentür herein, um sich zum Zuge zu formieren. Sie tauschten Zeichen des Einverständnisses mit den Schweizern aus, wie Abonnenten mit der Logenschließerin. Man fühlte, wie mächtig die Dienerschaft in diesem Milieu war: jeder Wächter des Papstes mußte der Spion von jemandem und der Verräter von etwas sein.

– Die Statisten sind nicht fein, sagte Nergal; in der Oper haben die Aufseher eine bessere Haltung.

– Für Italien ist Gott der Papst, und der Papst, das sind sie: die dreitausend Ameisen des Vatikans, Kardinäle oder Gärtner!

– Welches Vorrecht hat doch die Harmlosigkeit, die nur ihren Traum sieht und an den Karikaturen des Lebens vorbeigeht, ohne darunter zu leiden.

– Unter den niederen Orden ist einer, den man wiederherstellen und entwickeln müßte: den des Pförtners! Der Dienst des Vatikans müßte Mönchen übertragen werden.

– Nein, Laien sind nötig, um den Papst zu bewachen: Edelleute der Kirche, wie die Monarchie sie hatte! Man müßte die Tradition der Tempelherren wieder aufnehmen.

– Und das Gedächtnis Clemens' V. Clemens V. löste 1312 den Templerorden auf.

– Dante, unser großer Schutzpatron, hat sich dafür eingesetzt.

– Ist dieser Stuck, sind diese kläglichen Fresken häßlich genug? Wer kennt diesen Siciolante?

– Der Konstantin des Bernini, mit dem Vorhang aus verdorbenem Glasstein, ist viel indezenter, bemerkte Poudiel.

– Kurz, es hat ein Jahrhundert künstlerischen Gefühls gegeben: dann aber hielt die Dummheit Gottesdienst, von Paul III. bis Leo XIII. Seit Leo XIII. unter die Sudelei von Chartran »Apelles« schrieb, hat er nur noch Verse an den Marianiwein richten können. Chartran, franz. Maler, 1849 geboren, malte ein Bildnis Leos XIII.

– Wo sind Sin und Nebo? fragte Poudiel.

Nergal richtete sich auf.

– Nebo ist mit einer wirklich schönen Frau zusammen, einer Amerikanerin, wette ich. Wahrhaftig, es gibt eine geheimnisvolle Strömung, die uns, die einen wie die andern, in Liebesabenteuer treibt, die um so furchtbarer sind, als sie unserm Plane dienen. Wir sind Rinaldos, die in den Gärten der Armida Tasso, Befreites Jerusalem, 16. Gesang. für das Kreuz arbeiten; wir verwenden die Blumenmädchen des Klingsor im Dienste des Grals: das beunruhigt mich, weil es zu einhellig ist.

– Wenn man über seinen wirklichen Horizont hinaus will, wenn man für einen außerordentlichen Versuch das Kreuz nimmt, muß man darauf gefaßt sein, daß man nicht immer begreift: das Ziel wirft seinen Schatten voraus. Uebrigens werde ich Witwer sein: die Gräfin Brigandini wird ihren sogenannten Gemahl in Berlin treffen. Wir werden also zwei sein, um die Tugend zu verkörpern, Poudiel.

– Die Tugend nennt sich Alta, Ilou und Merodach.

– Der Mönch, der Brahmane und der Magier sind tugendhaft von Beruf: man kann nur ihre Verirrungen bemerken, und Gott weiß, ob das zu befürchten ist.

– Man schreibt Michelangelo das Kostüm der schweizer Garden zu. Ist es glaublich, daß er diesen Helm mit der Gießkannenbrause, mit weißen zurückfallenden Roßhaaren bedeckt, erfunden hat? Und die Form der Partisane? Und sogar das Farbengemisch von gelb und schwarz, das den Tiger, die Grausamkeit, symbolisiert? All das ist armselig, entspricht nicht der Zeit, ist grotesk. Der Schweizer war ein Söldner, der keine Beziehung zur Christenheit hatte, während die militärischen Orden, Hospitaliter oder Templer, die Tradition fortsetzen und schön sind!

Die Menge der Fräcke, der Mantillen, der Soutanen häufte sich plötzlich am Hintergrund des ungeheuern Vorraumes. Ein allgemeiner Zuruf erschallte, die Schweizer und die Garden nahmen Haltung: getragen über den Köpfen, unwahrscheinlich schön, das erhabene Bild der geistlichen Macht, vom Jenseits selbst die Luft erleuchtend, den Karneval des Gefolges wie die Theatralik des Aufzuges austilgend, erschien Leo XIII., ein Sterbender, den die Tiara erdrückte, ein Leichnam, auferstanden, um noch ein Mal zu segnen, mit Mühe an seinem skelettartigen Finger den heiligen Ring festhaltend, eine lebende

Herausforderung des Todes, bleicher als er, eine lebende Herausforderung des Lebens, eigenwilliger als irgend ein Lebender. Seine Heiligkeit ging vorbei, alle Erinnerungen umwerfend, die Meisterwerke übertreffend, unwirklich: man wußte nicht, ob er sich soeben aus dem Grabe erhoben hatte, ein neuer Titurel, um den Gral wieder erstrahlen zu sehen, oder ob er sich hineinlegen wollte.

Den wunderbaren Eindruck empfand niemand so lebhaft wie die Verschworenen: das Erstaunen, die Bewunderung versteinerten sie wie Lots Frauen. Den Segen, den dieser erhabene Leichnam, durch den Glauben wieder belebt, austeilte, indem er sich etwas neigte, während die Tiara auf seinem Haupte schwankte und der Fischerring an seinem Finger rutschte, empfingen sie wie einen Hauch der Unsterblichkeit und auch als eine Herausforderung ihres Willens. Das Wunder des päpstlichen Wesens erschien ihnen unergründlich: sie fühlten eine Art Schrecken. Die Majestät der Kirche, die sie als geistige Ritter liebten, warf sie zu Boden.

Es war nicht die einfach verschwenderische Ausstattung, noch der täuschende Apparat: die Träger schüttelten den Papst ohne Respekt; die Nobelgarden sahen wie schlecht gebaute Reserveoffiziere aus; über die Grenadiere und die schweizer Garden mußte man lachen oder schelten; auf dem Mantel saß Vergoldung und auf der Tiara Diamanten: alles war durchaus nicht dazu angetan, auf solche Wesen zu wirken, und doch erreichte die Wirkung das Erhabene.

Der Kardinal Rusticoli kam, mit dem Pater Alta als Schleppenträger: es war ein seltsamer Anblick für die Verschworenen, daß ihr geistliches Haupt die Schleppe eines Kardinals trug; aber sie sahen nichts mehr nach jener Erscheinung, die sie erschüttert hatte, und in dem Gedränge, das folgte, fühlten sie nur einen Wunsch, dieses lebende Wunder, das Papstgespenst Titurel Leo XIII. wiederzusehen.

Als das Gefolge in die Sixtinische Kapelle gezogen war und die Bevorzugten hereingelassen waren, ging ihr Blick unaufhörlich von der furchtbaren Freske zu dem noch furchtbareren Gespenst; von dem donnernden Christus zu dem erschöpften, aber gebietenden Stellvertreter. Die Persönlichkeit Leos XIII. enthüllte sich: sie begriffen, daß dieser Papst, den sie getadelt, gescholten, verstanden hatte, sich zu zwingen und Zeit zu gewinnen, sich unbeweglich zu machen, damit die notwendigen Ereignisse zur Wirkung des Wortes reiften, das den Vatikan ausfegen sollte, wie Jesus den Vorhof des Tempels ausfegte. Sie begriffen, welche Kraft an gewolltem Abwarten dieser lebende Leichnam berechnete, um die normalen Bewegungen des Schicksals nicht zu stören: alle diese Pfänder, die der Demokratie, der republikanischen Form, dem Geschmack des Jahrhunderts gegeben wurden, waren Köder, erfunden von einer Macht, die vor sich die Ewigkeit hat, und hinter sich das regelrechteste Gefolge von Größe, das die Geschichte aufgezeichnet hat.

Während der wiedererweckte oder sterbende Papst, man wußte nicht, welcher, mit einer grabesartigen Steifheit die Stufen des Altars hinaufstieg, strömten Stimmen, wie kein Theater sie hat widerhallen hören, unkörperliche und mächtige Stimmen, Androgynenstimmen, die in der Dunkelheit an einen Chor von Engeln hätten glauben lassen, unerhörte Stimmen gegen die mit titanischer Kraft und Sammlung gemalte Wölbung eine Motette von Palestrina, einfach wie die Wahrheit, großartig wie ein Wort von Christus.

Dieser Gesang aus einer andern Welt verband sich unglaubhaft mit den gebrochenen Gebärden des Papstgespenstes, das wiederkehrte, um bei hellem Tage seine Messe zu sprechen; und dieser Gesang war die Antwort, die für den sterbenden, das Hochamt verrichtenden Priester paßte.

Vernichtend war der Eindruck, den diese unwirkliche Messe machte, zwischen diesen Wänden, auf denen sich die Rhythmen des Zornes und der Ungeduld wanden, und den Kastraten, den Beschwörern der ersten Engel, den lebendigen Harfen der männlichsten Melodie.

Merodach und Ilou waren in ihren innersten Gefühlen ergriffen. Was sie auch beobachtet hatten: die Spinnen des Gewölbes, die eisernen Klammern in der Freske, daß der Altar die Hölle verbarg, daß der Rauch der Wachskerzen seinen Schmutz auf das Meisterwerk absetzte, daß die Feier wie eine königliche Audienz aussah, daß die Wachen und Kämmerer sich schlecht hielten: alles schwand. Sogar das lebhafte Interesse, eine Hälfte des Heiligen Kollegiums gruppiert zu sehen, und die Bemühung, deren gemeinsamen Geist zu fühlen, alles fiel angesichts des gespensterhaften Geistes, der vor Michelangelo die Messe zelebrierte, während die Kastraten sangen.

Sie suchten sich nicht mit den Augen, denn sie fühlten sich mit der Seele, wie man sich mit dem Ellenbogen fühlt; sie sprachen in ihrem Innern ein unbesiegbares »Credo«, ein Credo, in dem der Geist, seine Unabhängigkeit von der Erziehung zurückerobernd, zu dem Gott seiner Jugend zurückkehrt, aber stark, bewußt, unüberwindlich in seinem Glauben. Diese hellsehenden Köpfe erhielten eine Bestätigung ihrer Gedanken und jeder von ihnen wiederholte sich mit den Varianten seines eigenen Geistes: »Die katholische Kirche ist der Weg, das Leben und das Licht.«

Welches Wort nähert sich oder gleicht in dieser Welt dem, das durch Leo XIII. verkörpert, durch Michelangelo illustriert, durch die engelhaften Stimmen dieser paradiesischen Sänger ausgehaucht wurde?

Die Zivilisation verband sich hier dem Glauben: Säulen des Herakles, der Kunst, der Poesie, der Frömmigkeit; das Christentum erschien ihnen als die Grundbedingung des Guten und des Lichtes in dieser Welt; in ihren Augen perlten Tränen und in einer heiligen Uebererregung verehrten sie die Kirche, deren Genies und Heilige, deren Gepränge und deren Werke, als geblendete Künstler, begeisterte Gläubige, bewußte Reformatoren.

Geteilt waren sie zwischen dem Stolz ihrer Aufgabe und den vernichtenden, den fabelhaften Folgen dieses wahrhaft göttlichen Abenteuers: durch ihre Kühnheit mußte die menschliche Anstrengung ein Stück vom Himmel auf die Erde stürzen, die Gnade erzwingen, die Vorsehung umstoßen, um in einer großen Erregung aller menschlichen Gärungstoffe die göttliche Taube erscheinen und ihr Reich beginnen zu lassen.

Die neun Verschworenen des Heiligen Geistes erhoben ihr Herz zu Gott, mit einer Kraft des Aufschwungs, die sie erleuchtete. In diesem Augenblick vergaßen sie das Leben und sich selbst: diese Denker waren Seher geworden und begeisterten sich. Als Leo XIII. die Gemeinde segnete, sahen sie ihn selbst nicht mehr: ihr Gedanke hatte seinen Flug genommen, über die außerordentlichsten Wirklichkeiten hinaus.

Als die schöne Amerikanerin, die Nebo begleitete, ihn fragte: »Wollen Sie morgen den Tee bei mir nehmen?« fuhr der Platoniker auf wie ein Schlafwandler, den man weckt. Die Prinzessin Este mußte Tammuz aus seiner Versunkenheit reißen. Merodach und Ilou bemerkten, daß sie allein waren und daß die Wachen auf sie zukamen.

Gesammelt, sprachen sie nicht miteinander; sie hatten das Abendmahl in Gestalt ihres erhabenen Planes genommen; voller Entzücken verlängerten sie in sich die abnehmenden Schwingungen ihrer Einsegnung; schweigend gingen sie, sich geweiht und gelobt fühlend.


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