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Die Gräfin Brigandini ist gekommen, um sich von mir zu verabschieden; da Sie Witwer sind, speisen Sie mit einer Polin, die Sie gelesen hat und Sie bewundert.
Bringen Sie Tammuz mit.
Leonora.
Nergal zeigte diesen Brief Tammuz.
– Das ist eine sehr hübsche Person, diese Gräfin Ynavonyka, und etwas rätselhaft. Sie wollte dich kennenlernen, als sie erfuhr, daß du in Rom warst; Leonora, die so gut geworden ist, daß Merodach sie nicht wiederkennt, hat dich nicht mit ihr zusammentreffen lassen, aus Rücksicht auf die Brigandini.
– Welch zarte Fürsorge sowohl für die Brigandini wie für mich.
– Ja, sie ist beim indischen Finale angekommen: alle Wesen sollen glücklich sein.
– Du hast eine schöne Bekehrung gemacht, denn dein Engel war ein Teufel. Peladan, Das höchste Laster (Roman).
– Ich bin zur rechten Stunde gekommen, als diese außergewöhnliche Frau lieben konnte. Ich glaube nicht, daß es erlaubt ist, sich mit einem andern, sei es ein Bruder, seist du es, an die Geheimnisse der Liebe zu erinnern. Das ist zwar ein Verlust für deine Psychologie, aber von allen Beichten ist die Liebe die, welche am strengsten bewahrt werden muß, wenigstens vom Liebhaber: wer dieses Geheimnis nicht hütet, ist nur ein Tier.
– Gut gesagt! Die vertrauliche Mitteilung ist nur ein Mangel an Zartgefühl, besonders wenn sie einem Menschen ohne Naivität gemacht wird, der kritisch hört, was der andere schwärmerisch erzählt.
Am Abend gingen die beiden Freunde nach der Casa Estense, wo Leonora sie mit lächelnder Anmut empfing, in einfarbigem violetten Kleide, das sie verjüngte und begehrenswert machte.
Die Polin, eine große weiß und schwarze Katze, trat ein, mit möglichst wenig Geräusch, mit drollig geheimnisvollem Wesen: da sie neugierig und mißtrauisch war, hatte sie sich nicht anmelden lassen.
Sie trug ein einfaches Kleid aus schwarzem Atlas, aber ihr Mieder aus schwarzer Gaze bestand aus zwei Schleifen, welche die Brüste umschlossen und hinten von einem großen Knoten nach Elsässer Art gehalten wurden: bei jeder Bewegung sprangen die Brüste unter dem feinen Gewebe. Sie war weiß wie eine echte Slawin mit blauen Augen, roten Haaren und regelmäßigen Zügen.
– Ist es in Ihren Augen ein Titel, wenn man eine Bewunderin ist?
– Es ist einer, Gräfin, aber ich würde das Wort »Liebhaberin« vorziehen, denn ich kann nicht sagen, daß ich Ihre Toilette bewundere, aber ich liebe sie.
– Ah, und warum? fragte sie, sich setzend.
– Weil sie den Eindruck von einer Frau macht, der es gefällt zu gefallen und die den Augen das Vergnügen nicht abhandelt. Ihre Erfindung selbst, denn Sie haben sicher diese Anordnung erfunden, hat das Kostbare, daß sie sich, was sehr bezeichnend ist, verstärken kann: sie ist so ersonnen, daß die Koketterie sich dem Verdienst der Personen anpassen kann.
– Ich werde Sie plagiieren, sagte Leonora. Die sich bewegenden Brüste, in einer Hülle aus Gaze lebend, sind ein glücklicher Fund, fast eine Vertrautheit, aber jedenfalls ein glücklicher Fund, besonders für einen Spaziergang mit dem Geliebten.
– Sie sagen an einer Stelle, es sei ein Unrecht, den Trieb zu verwickeln, ihn zu bekämpfen: denn man erhebe die Erregung nur, indem man sie mit Geist weihe. Der Raffinierte befinde sich im Falle jenes Mannes, der einen fast menschlichen Hund hat, aber der Herr hat diese Menschlichkeit geliefert und sich dadurch vermindert.
– Das ist wahr! Aber zwischen der Sprechweise des Denkers und seiner eigenen Erregung liegt ein Abgrund, den die Frauen nicht kennen, weil für sie sich oft die Lehre aus der Erregung formt, während der Mann das glaubt, was seine Natur ihn hindert auszuführen. Ich glaube, daß die Liebe zu Gott, die Liebe zum Ideal tausend Ellen über dem Geschlechtlichen steht, und doch steige ich dazu herab.
– »Ich steige dazu herab« ist höchst unverschämt, sagte Leonora.
– Wenn Sie dazu herabsteigen, so hat der Trieb, der grobe Trieb ein abscheuliches Ziel: andere steigen dahin empor, weil ihre Seele die Flügel entfaltet.
– Dieses Thema, sagte Tammuz, wird je nach dem Fall behandelt und nach der Persönlichkeit beurteilt. Wenn Nergal verliebt ist, so werde ich es begreifen, da ich Nergal kenne; wenn man mich über die Hurerei befragt, werde ich sagen, daß ich nichts davon weiß: man möge mich erst die Hurer kennen lassen. Soviel der Mann oder die Frau gilt, soviel gilt der Akt. Wenn eine Dirne, welche die Unzucht als Beruf treibt, das Mieder der Gräfin erfunden und aufgepflanzt hätte, so wäre es von ihr selbst erniedrigt worden, um die Männer besser anzulocken; wenn dagegen die Gräfin ihre Netze auslegt, in der Annahme, daß sie gefallen möchte, so folgt sie der ersten Eingebung, enthüllt sich als persönlich in ihren Sinnen, als entartet im Geschmack, aber als aufrichtig im Wollen.
– Ich werde verwirrt, meine Toilette hat zuviel Erfolg, sagte die Gräfin; doch glaube ich, daß in der Koketterie wie in der Kasuistik ein großer Reiz liegt, und eine große Sünde in der Absicht.
– Ich bin bei der rechten Absicht angekommen wie der Buddhist, aber ich habe viel Zeit dazu gebraucht, sagte Leonora.
– Die rechte Absicht setzt das Vertrauen voraus und wird durch aufeinanderfolgende Eindrücke geschaffen. Es ist selten, daß sich zwei Menschen sofort in Uebereinstimmung fühlen: dem geschlechtlichen Einklang geht immer ein Anschlagen voraus. So hat weder die Gräfin die rechte Absicht noch ich. Zwei Seltsamkeiten können ein Ganzes werden, an sich aber sind es nur zwei Eitelkeiten.
– Ja, die Liebe beginnt durch die Eigenliebe und die Lust durch den Appetit.
– Und das ist nichts wert, sagte Leonora: man muß wieder harmlos werden oder es sein, um etwas Wertvolles zu fühlen.
– Ich glaube, Gräfin, sagte Nergal, man tut uns in den Bann.
– Ach, es gibt so schöne Ketzereien.
– Sagen Sie uns Ihre!
– Erzählt eine Frau sich selbst? Wenn sie die Schablone verläßt, erscheint sie schamlos! Für einen Mann, den sie eben getroffen hat, ist eine Frau das Opfer, ihrer Familie, der Ehe, der Gesellschaft oder der Liebe: jemand oder etwas hat sie getäuscht, sie möchte einen neuen Irrtum wiederbeginnen, um zu wissen, ob dieser anders oder ähnlich ist. Ich, ich habe in einem Alter, in dem die Ehe eine Emanzipation ist, einen schönen Offizier geheiratet … Fahren Sie nicht auf: in Rußland hat jeder einen Grad, gehört zum Stamm eines Truppenkörpers und ist eigentlich Kammerherr. Der schöne Offizier liebte »die göttliche Flasche«, Rabelais, Pantagruel. die Zigeunerinnen … Er ist jung gestorben, nachdem er mich neben meinem Klavier in einem verlorenen Lande hatte versauern lassen! Ja, ich hätte dort unten in meiner Steppe geliebt, wie ich nicht mehr lieben werde! Jetzt bin ich eine hübsche Frau, der man den Hof macht, die für gewisse Leute kokett ist, die viel reist: mehr weiß ich nicht über mich selbst.
– Das ist nichts! Sie haben eine Lieblingsidee, eine Formel für Ihre Wahl: Sie wünschen eine Laura zu sein, oder vielmehr eine der zahlreichen materiellen Leidenschaften von Petrarca.
– Laura hatte Kinder und war ohne Zweifel tugendhaft.
– In dieser Erklärung liegt ein Widerspruch.
– Tugend nenne ich diesen aufrichtigen Entschluß, selbst einer außerordentlichen Versuchung zu widerstehen: ich habe diesen Entschluß nicht.
– Wann ist denn eine Versuchung außerordentlich?
– Wenn man ganz und gar mit dem harmoniert, der sie ausübt.
– Gut, aber man fällt nur nach der Seite, nach der man neigt! Nach welcher Seite neigen Sie?
– Antworten Sie selbst auf die Frage, die Sie stellen.
– Ich, erwiderte Nergal, ich neige augenblicklich zu Ihnen hin.
– Das ist nicht wahr: Sie neigen sich über mein Mieder, und das ist alles! Mit meinen Brüsten beschäftigt, vergessen Sie, daß ich ein Herz habe.
– Wir sind bei den Früchten, Gräfin, und alles kommt uns durch die Augen zu: nicht indem man einander Worte wie Bälle zuwirft, rührt man an die Seele.
– Mir die Seele berühren, das erlaube ich dem, der es kann, rief die Polin; aber sie ist verborgen und tief, diese Seele, und wild. Sie sind ein großer Verführer vor dem Ewig Weiblichen gewesen, Nergal!
– Nein, ich bin geliebt worden, das ist alles! Auf mein Wort, zurzeit habe ich nur noch Erinnerungen und keine Hoffnung.
Man ging in den Salon, und die Slawin trat an den Flügel.
– »Tristan«? fragte die Prinzessin aus der Ecke, wo sie sich mit Tammuz niedergelassen hatte. Die Partitur muß dort sein, und Nergal wird Ihnen die Seiten wenden.
– »Tristan« so spielen, das heißt der Pifferaro bei einem Diner sein: ich möchte ihn lieber so hören, wie sie ihn hören wird, sagte sie mit leiser Stimme zu Nergal.
– Spielen Sie ihn für uns beide.
– Aber es gibt nichts zwischen uns beiden, nicht das kleinste »Leitmotiv«. Sie wollen meine Brüste sich bewegen sehen: das ist alles, was Sie von mir wollen.
Sie wandte sich an die Prinzessin.
– Ich habe gar keine Lust zu spielen, meine Liebe. Ich habe Migräne: ich werde noch einen Kaffee nehmen, und wenn sie nicht vergeht, so drücke ich mich.
Nergal protestierte und folgte ihr, während sie mit kleinen Schritten in den großen Salon marschierte.
– Gräfin, es schmerzt mich beinahe, zu denken, daß Sie verschwinden wollen: ich möchte Sie zurückhalten.
– Wirklich, liegt Ihnen etwas daran? Ja, ich gehe!
Nergal konnte seine Enttäuschung nicht verbergen.
Sie antwortete ihm, indem sie wie ein Gassenbube ein Gesicht schnitt, das besagte: »Sie sind ein Dummkopf.«
– Ich gehe mit Ihnen!
– Meine liebe Prinzessin, sagte sie zu Leonora, ich bin entschieden nicht wohl: ich muß nach Hause gehen. Morgen werde ich vorbeikommen und Sie begrüßen.
– Nergal, Sie werden eine Last haben, mich zurückzubringen.
Sie nahmen Abschied.
Als die Slawin am Arme des Romanciers durch die Tür gegangen war, sagte Leonora:
– Oh! Wie eine Wölfin, die einen Hund angreift! Auf den ersten Hieb! Die Beute ist von zu großem Wuchs, daß man sich beunruhigen müßte: aber welches Betragen!
– Ja, sagte Tammuz, aber das vereint uns endlich.
In der Straße rief Nergal eine Droschke an.
– Nein, sagte sie, gehen wir zu Fuß, es ist mild. Da die Bewegung meiner Brüste Sie erfreut, werden Sie dieses Vergnügen haben! Ich habe das Vergnügen, Ihnen zu sagen, daß ich Sie längst kenne, seit Ihrem Büch »La Femme de rêve«. Acht Jahre sind es her, daß ich Sie las, in einem Winkel von Rußland: dieses Buch hat mich mir selbst enthüllt! Ich verdanke ihm schöne Stunden und ich gelobte mir, wenn ich jemals diesen Bruder meiner Seele treffen würde, reizend zu ihm zu sein: ich habe mein Wort gehalten, sobald ich es konnte. Ich weiß sehr wohl, was die Prinzessin gedacht hat; aber ich weiß nicht recht, was Sie denken.
– Ich denke an die Poesie dieses Abenteuers, an diesen hübschen Entschluß des Gefühls, dem Dichter einen Traum wiederzugeben zum Tausch für die, welche er gab.
– Mich friert, sagte sie; verzichten Sie auf meinen Anblick, der Ihnen gefällt, oder kommen Sie mit mir, um den Abend in Freundschaft zu beenden.
– Ihr Anerbieten kommt meiner Bitte zuvor.
– Oh, in dieser Zeit, als ich die »Femme de rêve« verschlang, dachte ich, daß es sehr süß sein muß, sich sagen zu können: »Der Schauer, den ich verursache, wird nicht vergehen; er wird erzählt, besungen werden und andere werden bei dieser Beschwörung beben; wie eine Frau, die sich für schön hält, einem wunderbaren Meister Modell stehen möchte, damit ihre Schönheit sie überlebt, so hätte ich für eine Heldin als Modell dienen mögen, um mir sagen zu können, daß von meiner Anmut und meiner Ausstrahlung ein Widerschein bleiben wird.«
– Wie schade, daß Sie nicht mehr diesen guten Willen zum seelischen Modell haben?
– Aus Neugier: als was müßte man Ihnen gegenwärtig Modell stehen?
– Was Sie sind, aber vollständig.
– Ich verstehe nicht: sagen Sie mir im einzelnen, was ich bin, in allen meinen Bänden.
– Sie sind aufrichtig und schwierig, zärtlich und entartet, sinnlich und rein, sprungweise; Sie entziehen Ihre Lippen, einen Augenblick, nachdem Sie sie gegeben haben; Sie sind veränderlich und Sie lieben die Einzelheit.
Sie waren bei dem möblierten Hause angekommen, von dem die Gräfin den ersten Stock bewohnte. Nergal war erstaunt, einen ganz erleuchteten kleinen Salon zu finden, vorbereitete Liköre und diese Nichtigkeiten, die eine Absicht anzeigen.
Sie warf ihren Pelz und ihre Mantille ab und rief wie gegen ihren Willen:
– Ach, ich bin wirklich glücklich, Sie bei mir zu haben.
Sie reichte ihm die Hände, er nahm ihre Arme; sie lächelte und mit der leichten Bewegung eines Kindes, das schmeichelt, ließ sie ihre Brüste schwingen.
In den Augen der Slawin leuchtete für einen Augenblick eine helle Flamme: Nergal zog sie an sich, sie faßte seinen Kopf und näherte ungestüm ihre Augen, die voll wahrer und leidenschaftlicher Kurzsichtigkeit waren.
– Du bist es, Nergal, Traum meines zwanzigsten Jahres, verwirkliche dich.
Sie küßte ihn zitternd auf die Lippen und sagte nachher ernst:
– Du bist es, Nergal! Erkennst du mich?
Indem sie die Gaze fortriß, zeigte sie unter der linken Brust ein schwarzes Mal in Form eines Dreiecks, so wie der Romancier eines der »Femme de rêve« gegeben hatte.
Und als er gesehen hatte, zog sie ihn mit wilder Freude in das dunkle Nebenzimmer.
Jeder begreift die Idealität nach seiner eigenen Natur. Gewöhnlich drücken sich die Frauen im Vorspiel aus. Die Gräfin unterschied sich darin von ihren verliebten Schwestern: sie besaß ihr Ideal zuerst, und dann erhob sich ihre Seele über den befriedigten Körper. Sie war deshalb nicht weniger gefühlvoll.
Das erklärte sie Nergal, in dem jetzt erleuchteten Bette, wo sie einander mit heidnischer Ruhe anlächelten.
– Die Begierde bringt in mir eine unerträgliche Angst hervor: mir scheint, daß alles mir entschlüpfen will. Sie können sich nicht vorstellen, wie ich mich geängstigt habe bis zu dem Augenblick, da ich Sie in meinen Armen hielt. Erst dann habe ich die Ruhe wiedergewonnen, die Ihre Begegnung mir geraubt hatte. Ich wußte, daß ich Sie nicht enttäuschen würde, wenn ich mich hingab, ich habe der Idee der Eile gehorcht: das Feuer konnte das Haus verzehren, irgendein Ereignis dazwischenkommen. Als Sie in meinem Bett waren, habe ich aufgehört zu fürchten. Jetzt bin ich sicher, Ihnen angenehm zu sein, von der Zehe bis zum Haare; jetzt weiß ich, daß Sie mir köstlich sind. Nun, da unser ganzer Körper nackt ist, seien wir es auch mit der Seele … Ich störe Ihre geschlechtlichen Kreise! Die Frau, die sich hingibt, läßt sich in Wirklichkeit nehmen: sie ist die schwache Frau, sie hat nachgegeben. Ich stelle die Tatsachen wieder her: Sie haben mir nachgegeben. Ich habe Sie buchstäblich entführt: ich habe immer Furcht vor feindlichen Umständen. Jetzt werden Sie mir nicht so leicht davonfliegen. Sie sagen in einem Ihrer Romane, es sei eine Freude für die Frau, den Körper des geliebten Mannes zu sehen: das ist jetzt meine Ansicht, meine schamlose Ansicht. Sich hingeben, kann schuldig sein; sich schlecht hingeben, ist dumm. Nichts in der Welt scheint mir so einfältig zu sein, wie sich dessen schämen, was man mit Begeisterung getan hat.
Nergal antwortete:
– Wenn Sie unser Abenteuer zu meiner größten Freude ersonnen hätten, es wäre nicht anders gewesen. Der Mann des Gedankens, sei es Stolz, sei es nervöse Empfindlichkeit, wird von den Schwierigkeiten gereizt; und der gewöhnliche findet, um zu schmeicheln, nichts anderes als sich zu ergeben. Es gibt Besseres, es gibt diese Umkehrung der Rollen, dieses seltsame und köstliche Gefühl, von einer verliebten Pantherin entführt und verschlungen zu werden. Wenn die Wasser der Begierde mit ihrer Erregung aufgehört haben, wenn die Begierde nur noch ein ruhiger See ist, den die Brise kaum noch kräuselt, schüttelt der von der Wollust immer etwas verletzte Gedanke seine Flügel und läßt sie die Luft schlagen, wie ein großer Vogel nach dem Gewitter: dann hört man sich leben, vernimmt sein Fühlen.
Sie schmiegte sich an ihn und legte den Kopf auf seine Brust.
– Willst du, daß ich einen wunderbaren Traum habe? Du liebst mich nicht, nein, du liebst mich nicht, und du wirst mich niemals im absoluten Sinne lieben; aber du findest Gefallen an meiner Liebe, und ich möchte die sein, der du das gibst, was du nicht für deinen Gedanken bewahrst. Ich möchte die Geliebte sein, die immer wartet, ohne zu murren; die lächelt, wenn er zurückkehrt, selbst wenn sie gelitten hat.
– Das ist nicht mehr psychologisch: die Welt der Leidenschaft enthält alles, nur nicht die Aufopferung; eine Leidenschaft ist gebieterisch, weil sie Leidenschaft ist.
– Du glaubst mir nicht? Dann laß mir dir alles sagen. Ich bin viel gereist: wie Diogenes suchte ich einen Menschen, den ich lieben konnte. Es ist unglaublich, wie wenig mögliche Leute es in dieser Welt gibt: der eine ist schön, aber dumm; der andere ist klug, aber häßlich. Ich brauche drei Dinge: die Berührung muß sehr angenehm sein; die Seele zart aber fest, denn ich habe eine Neigung zur Seltsamkeit und zur Uebertreibung; endlich muß die Ueberlegenheit der Art sein, daß ich sie fühlen kann. Soll ich dir verhehlen, daß ich Versuche gemacht habe, die unglücklich ausfielen? Du ahnst es! Aber diese Versuche sind nicht bis ans Ende gegangen, keiner: wenn du mich eines Tages liebst, wird dieser Gedanke dir Freude machen. Darin liegt keine Tugend, sondern ein Zorn, daß ich mich immer wieder täuschte. Ja, ich habe tiefe Gefühle, hohe Geister gefunden: wenn aber ihr Körper meinen berührte, stürzte ich davon, so weit ich konnte: lieber wäre ich auf die Straße hinuntergesprungen. Ich habe also meine Versuche durch Ekel gesühnt. Meine Eile, mein Ungestüm, meine Hysterie, meine Schamlosigkeit, ich gestehe es, war die fieberhafte, maßlose, schreckliche Furcht, du, den ich bewundere und doch begreife, der ein großes und gutes Herz hat, du könntest nicht den Körper haben, den ich liebkose und der mich anzieht. Ich habe dich so gefunden, daß ich dich lieben kann. Um dir zu gefallen, wird mir nichts zuviel sein, wenn du nur zu gewissen Stunden da bist, wie jetzt, nackt und bei mir. Alles, was eine Frau kann, werde ich können; meine Seele wird deinem Befehl gehorchen und sich nach deinem Willen formen, wie mein Körper sich an deinen schmiegt, sich deinem anpaßt. Ich liebe dich schon mit einer Demut, von der du kein Ende sehen wirst: ich bin bereit, mich zu demütigen, zu leiden, alles zu tun, wenn deine Brust nur meiner Zärtlichkeit günstig bleibt; wenn ich nur das Recht habe, deine Wollust zu sein, wenn nicht dein Traum, dein Gefährte, da ich nicht deine Hälfte, nicht, nach einem Wort, das ich von dir gelernt habe, dein Paredros Paredros, griech., Tischgenosse, von ???åäñá, Sitz. sein kann.
– Liebe Tatania, erwiderte er, sie streichelnd, alles kann erklärt werden, nur die Schicksale nicht! Bin ich das deine? Die Ueberraschung deiner Liebe hat mich beinahe verhindert, dich zu empfinden; du hast mich buchstäblich betäubt mit Zärtlichkeit und Wollust; erst wenn ich dich verlassen habe, werde ich sagen können, was du mir bist. Du entzückst mich, deine bleiche Nacktheit erfreut meine Augen; du bist ideal weiß und geschmeidig, eine Schwester der Katzen in der Grazie; was deine schwingenden Brüste verheißen haben, hat dein Schoß gehalten; dein Leib ist ebenso ephebenhaft, wie deine Beine venusartig; es gibt keinen Fehler in deiner Schönheit und die Natur deiner Seele, ebenso stolz wie angstvoll, fordernd und verzichtend, paßt zu meiner sinnlichen und hochmütigen, unabhängigen und doch zur Gewohnheit neigenden Seele. Ich suche eine Dissonanz, ohne sie zu finden.
Plötzlich richtete sie sich auf und sprang mit der Geschmeidigkeit eines Tieres aus dem Bett, um mit einem Tablett voll verschiedener Flaschen zurückzukehren.
– Das ist ein orientalisches Märchen, sagte Nergal, als Tatania ihm Erfrischungen bot.
Sobald er getrunken hatte, sagte sie:
– Ich habe einen Entschluß gefaßt, schon vor langer Zeit: ich habe bei mir selbst Eros ein Gelübde abgelegt, meine Brüste nicht mehr zu entblößen, sobald ich einen Mann gefunden, vor dem mir die Nacktheit süß wird. Ich werde dieses Gelübde halten.
Sie lehnte sich ernst, ohne Verlegenheit, an den Rand des Bettes. Die Würde ihrer Worte widersprach ihrer Gebärde: sie schlang eine Hand um Nergals Hals und mit der andern glättete sie träumerisch ihre Hüfte.
– Der Mann hat mehrere Horizonte vor sich, und mehrere Ziele: für die Frau gibt es nur die Liebe und die Familie, und für gewisse Frauen gibt es nur die Liebe. Wenn sie fehlt, ist es furchtbar! Wenn einem ein Wesen gehört, ein köstliches Wesen, möge die Erde sich nach ihren Gesetzen drehen: die Frau hat den göttlichen Gesetzen genügt, fügt sich in den Kreislauf und hat sich nur zu drehen, glücklich oder unglücklich, aber als lebendiges Geschöpf und dankbarer Satellit.
Sie glitt an seine Seite, legte sich auf den Bauch, barg den Kopf in die Hände und murmelte:
– Die rauschende Freude ohnegleichen, die ich mir denken kann, kennst du sie? Es ist keine Liebkosung und es sind alle Liebkosungen, es ist an sich nichts Erstaunliches, aber wird es in der Liebe: das ist zusammen schlafen. Welche Wonne, sich schon schläfrig fühlen und doch die dauernde Liebkosung der Berührung fortsetzen! Und das Erwachen, das glückselige Erwachen: man sieht den Geliebten schlafen, man hält den Atem an, wie ein Augur die Träume erspähend, die über seine Stirn ziehen. In der Bibel steht dieser Ausdruck: er schlief mit ihr. Wer das geschrieben, hat wahrhaftig gelebt.
Nergal betrachtete sie, wie sie ausgestreckt da lag, den Bogen ihrer Lenden und die schöne Verjüngung ihrer Beine zeigend; sie war so zärtlich und so ernst, es gab einen solch guten Willen zur Liebe in diesem seltsamen aber köstlichen Geschöpf, daß sein Herz schmolz; er zog sie an sich und sagte aufrichtig:
– Tatania, ich glaube, ich liebe dich.
Bei diesen Worten seufzte sie lange, wie wenn ein Druck aufhörte, und eine tiefe Dankbarkeit ging von ihr aus; sie weinte süße Tränen, denn sie lächelte, Kindertränen, stille und reine. Ihr leidenschaftlicher Körper schien sich zu sammeln, ihre Haut war nicht mehr nur zart, die Seele überströmte die Materie, die Rührung besiegte die Wollust, der Gedanke hemmte die Liebkosung. Sie erhob sich wieder, kauerte nieder, faltete die Hände und hielt eine Art Danksagung, sprach leise ein altes Gebet aus ihrer ersten Jugend. Als sie sich bekreuzigt hatte, streckte sie sich mit Würde neben ihn, ergriff seine Hand, küßte sie und behielt sie in ihren Händen.
– O mein Herr und Meister, flüsterte sie und lehnte den Kopf an die geliebte Schulter und sprach nicht mehr und rührte sich nicht mehr.
Für Augenblicke hob sie das Augenlid, das bald zurückfiel, und ihre Hand drückte liebend Nergals. Nach und nach schlummerte sie ein. Nackt und keusch schlief sie jetzt unter dem Auge des Dichters, der gerührt war von diesem kindlichen Vertrauen, von dieser Freude, die er einflößte. Er begriff die köstliche Seele, welche die Unruhe der Persönlichkeit verbarg: nur der Führer hatte ihr gefehlt. Er dachte nicht mehr an die Brigandini, nur der Schatten von Istar Peladan, Istar (Roman). glitt vorbei wie ein Vorwurf der Vergangenheit; aber die Tote verschwand vor der schönen Lebenden, die in einem Traume lächelte.
Er betrachtete sie lange.
Als die Sonne unter den Vorhängen hindurchblickte, erhob er sich.
Tatania stieß einen wilden Schrei aus und richtete sich auf.
– Du gehst? Es ist wahr: du mußt gehen.
Tatania fiel aufs Bett zurück, zugleich einschlummernd wie geängstigt.
– Ich gehe, aber jetzt bin ich sicher: Tatania, ich liebe dich.