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Achtes Kapitel.
Die gegenwärtige Krisis der mathematischen Physik.

Die neue Krisis. Treten wir jetzt in eine dritte Phase ein? Stehen wir am Vorabend einer neuen Krisis? Sind die Prinzipien, auf denen wir alles erbaut haben, ihrerseits im Begriff einzustürzen? Seit einiger Zeit kann man diese Frage stellen.

Wenn man mich so reden hört, wird man sicherlich an das Radium denken, diesen großen Revolutionär der Gegenwart, und ich werde auch wirklich gleich darauf zurückkommen. Es ist aber noch etwas anderes. Nicht nur die Erhaltung der Energie kommt in Frage; auch alle anderen Prinzipien sind in Gefahr, wie wir sehen werden, wenn wir sie nacheinander betrachten.

Das Carnotsche Prinzip. Beginnen wir mit dem Carnotschen Prinzip. Das ist das einzige, das sich nicht als eine unmittelbare Folge der Hypothese der Zentralkräfte erweist; es scheint vielmehr wenn nicht geradezu dieser Hypothese zu widersprechen, so doch sich nicht ohne einen gewissen Zwang mit ihr in Einklang bringen zu lassen. Wenn die physikalischen Erscheinungen ausschließlich aus Bewegungen der Atome entstammten, deren gegenseitige Anziehung nur von der Entfernung abhinge, so scheint es, als ob alle diese Erscheinungen umkehrbar sein müßten; wenn alle Anfangsgeschwindigkeiten umgekehrt wären, so müßten diese, immer den gleichen Kräften unterworfenen Atome ihre Bahnen im entgegengesetzten Sinne durchlaufen, ebenso wie die Erde die gleiche elliptische Bahn rückläufig beschreiben würde, die sie jetzt rechtläufig beschreibt, wenn die Anfangsbedingungen ihrer Bewegung umgekehrt würden. Demnach muß, wenn eine physikalische Erscheinung möglich ist, die entgegengesetzte Erscheinung ebenfalls möglich sein, und man muß in dem Strom der Zeit wieder hinaufsteigen können. So ist es aber nicht in der Natur, und gerade das ist es, was uns das Carnotsche Prinzip lehrt; die Wärme kann von einem heißen Körper auf einen kalten Körper übergehen, aber es ist nicht möglich, sie den umgekehrten Weg gehen zu lassen und Temperaturunterschiede wiederherzustellen, die ausgeglichen sind. Die Bewegung kann durch Reibung vollständig zerstreut und in Wärme umgesetzt werden; die entgegengesetzte Umgestaltung kann immer nur teilweise geschehen.

Man hat sich bemüht, diesen scheinbaren Widerspruch auszugleichen. Wenn die Welt der Einförmigkeit zustrebt, so geschieht das nicht, weil ihre letzten, anfangs sehr ungleichen Teile danach streben, immer weniger verschieden zu werden; es geschieht, weil sie sich schließlich vermischen, wenn sie sich nach blindem Zufall bewegen. Für ein Auge, das alle Elemente unterscheiden könnte, würde der Unterschied immer gleich groß bleiben; jedes Staubkörnchen behält seine Ursprünglichkeit und richtet sich nicht nach seinen Nachbarn; da aber die Mischung inniger und inniger wird, so erkennen unsere groben Sinne nur noch Einförmigkeit. Darum streben zum Beispiel die Temperaturen, sich auszugleichen, ohne daß es möglich wäre, sie auf den früheren Zustand zurückzuführen.

Ein Tropfen Wein fällt in ein Glas Wasser; wie auch das Gesetz der inneren Bewegungen der Flüssigkeit sein möge, wir sehen bald, daß sie sich mit einem gleichmäßigen rosa Ton färbt. Von diesem Augenblick an kann man das Gefäß schütteln, soviel man will; Wein und Wasser scheinen sich nicht mehr trennen zu können. Dies ist also das Bild der unumkehrbaren physikalischen Erscheinungen: ein Körnchen Gerste in einem Kornhaufen verstecken ist leicht, es dann wiederzufinden und herauszunehmen ist praktisch unmöglich. Das alles haben Maxwell und Boltzmann auseinandergesetzt; der aber, der es am klarsten gezeigt hat in einem Buche, das zu wenig gelesen wird, weil es etwas schwer zu lesen ist, ist Gibbs in seinen Prinzipien der statistischen Mechanik.

Für die, die sich auf diesen Standpunkt stellen, ist das Carnotsche Prinzip nur ein unvollkommenes, eine Art Zugeständnis an die Schwäche unserer Sinne; weil unsere Augen zu grob sind, unterscheiden wir die Elemente der Mischung nicht, weil unsere Hände zu grob sind, können wir sie nicht voneinander trennen. Der von Maxwell erdachte Dämon, der die Moleküle einzeln aussondern kann, würde die Welt leicht zum Rückwärtsgehen zwingen können. Kann sie von selbst zurückgehen? Das ist nicht unmöglich, es ist nur unendlich unwahrscheinlich. Es ist wahrscheinlich, daß wir lange auf das Zusammentreffen der Umstände warten müßten, die das Rückwärtslaufen erlauben würden; aber früher oder später werden sie sich verwirklichen, nach Jahren, deren Zahl mit Millionen Stellen geschrieben werden müßte. Dieser Vorbehalt blieb jedoch ganz theoretisch, er war nicht sehr beunruhigend, und das Carnotsche Prinzip behielt seinen ganzen praktischen Wert. Hier aber ändert sich die Lage der Dinge. Der Biologe hat, mit seinem Mikroskop bewaffnet, seit langem in seinen Präparaten ungeordnete Bewegungen kleiner, suspendierter Teilchen bemerkt, die Brownschen Bewegungen. Er glaubte anfangs, daß es sich um eine Lebenserscheinung handle; bald aber sah er, daß unbelebte Körper mit nicht geringerer Lebhaftigkeit tanzten als andere; er hat die Sache dann den Physikern überlassen, Unglücklicherweise haben sich diese lange Zeit nicht dafür interessiert; das Licht wird konzentriert, um das mikroskopische Präparat zu beleuchten, dachten sie; Licht ohne Wärme ist unmöglich, daher die Ungleichheiten der Temperatur und in der Flüssigkeit innere Strömungen, die diese Bewegungen hervorbringen.

Gouy hatte den Gedanken, näher zuzusehen, und er sah oder glaubte zu sehen, daß diese Erklärung unhaltbar sei, daß die Bewegungen um so lebhafter werden, je kleiner die Teilchen sind, daß sie aber von der Art der Beleuchtung nicht beeinflußt werden. Wenn also die Bewegungen nicht aufhören oder vielmehr endlos neu entstehen, ohne äußeren Quellen der Energie irgend etwas zu entnehmen, was sollen wir glauben? Wir dürfen natürlich nicht auf die Erhaltung der Energie verzichten, wir sehen aber, wie sich unter unseren Augen manchmal die Bewegung durch Reibung in Wärme umsetzt, manchmal die Wärme sich umgekehrt in Bewegung verwandelt, und zwar ohne daß etwas verloren geht, da die Bewegung immer währt. Das ist das Gegenteil vom Carnotschen Prinzip. Wenn es so ist, so bedürfen wir, um die Welt rückwärts gehen zu sehen, nicht mehr des unendlich feinen Auges von Maxwells Dämon; unser Mikroskop genügt. Die zu großen Körper, zum Beispiel solche von etwa ein Zehntel Millimeter, werden von allen Seiten von den sich bewegenden Atomen angestoßen, aber sie bewegen sich nicht, weil diese Stöße sehr zahlreich sind, und das Gesetz des Zufalls verlangt, daß sie sich ausgleichen; die kleineren Teilchen erhalten aber zu wenig Stöße, als daß diese Ausgleichung mit Sicherheit vor sich gehen könnte, und werden fortgesetzt hin und her geschaukelt. Hier ist also schon eins unserer Prinzipien in Gefahr.

Das Prinzip der Relativität. Wir kommen jetzt zum Prinzip der Relativität; dieses ist nicht nur durch die tägliche Erfahrung bestätigt, es ist nicht nur eine notwendige Folge der Hypothese der Zentralkräfte, sondern es drängt sich dem gesunden Menschenverstand unwiderstehlich auf, und doch wird auch in dieses Bresche gelegt. Denken wir uns zwei elektrisch geladene Körper; obwohl sie in Ruhe scheinen, sind sie, einer wie der andere, durch die Bewegung der Erde fortgerissen. Eine elektrische Ladung in Bewegung ist, wie Rowland uns lehrt, einem Strom gleichwertig. Diese zwei geladenen Körper wirken also wie zwei parallele Ströme in gleicher Richtung, und diese beiden Ströme müssen sich anziehen. Wenn wir diese Anziehung messen, so messen wir die Geschwindigkeit der Erde, nicht ihre Geschwindigkeit in bezug auf die Sonne oder die Fixsterne, sondern ihre absolute Geschwindigkeit.

Ich weiß wohl, daß man sagen wird, es ist nicht die absolute Geschwindigkeit, die man mißt, es ist die Geschwindigkeit in bezug auf den Äther. Wie wenig befriedigt das! Ist es nicht klar, daß man aus dem so verstandenen Prinzip nichts mehr schließen könnte? Es könnte uns nichts mehr lehren, gerade weil es keine Widerlegung mehr zu fürchten hätte. Wenn es uns gelingt, irgend etwas zu messen, so steht es uns immer frei zu sagen, daß es nicht die absolute Geschwindigkeit ist, und wenn es nicht die auf den Äther bezogene Geschwindigkeit ist, so kann es immer die Geschwindigkeit in bezug auf irgendein neues, unbekanntes Fluidum sein, womit wir den Raum ausfüllen würden.

Auch die Erfahrung hat versucht, diese Auslegung des Prinzips der Relativität zu zerstören; alle Versuche, die Geschwindigkeit der Erde in bezug auf den Äther zu messen, haben zu negativen Resultaten geführt. Diesmal war die experimentelle Physik den Prinzipien treuer wie die mathematische Physik; die Theoretiker hätten sie preisgegeben, um ihre anderen allgemeinen Anschauungen miteinander in Einklang zu bringen, aber die Erfahrung hält eigensinnig daran fest, sie zu bekräftigen. Man hat die Mittel gewechselt; Michelson hat die Genauigkeit bis zur äußersten Grenze getrieben; nichts hat geholfen. Um diesen Widerspruch zu erklären, sind die Mathematiker heute gezwungen, ihren ganzen Scharfsinn aufzubieten.

Ihre Aufgabe war nicht leicht, und wenn Lorentz sie bewältigt hat, so gelang es nur durch Anhäufung von Hypothesen.

Die allerscharfsinnigste Idee ist die der Ortszeit. Denken wir uns zwei Beobachter, die ihre Uhren nach optischen Signalen regulieren wollen. Sie tauschen Signale; da sie aber wissen, daß die Übertragung des Lichtes nicht augenblicklich geschieht, müssen sie darauf bedacht sein, sie zu kreuzen. Wenn die Station B das Signal der Station A bemerkt, darf ihre Uhr nicht die gleiche Zeit zeigen, wie die der Station A im Augenblick der Aussendung des Signals, sondern eine Zeit, die um einen konstanten, die Dauer der Übertragung bedeutenden Zeitraum später ist. Nehmen wir zum Beispiel an, daß die Station A ihr Signal abgibt, wenn ihre Uhr Null zeigt, und die Station B es bemerkt, wenn ihre Uhr t zeigt. Die Uhren sind gerichtet, wenn die t gleiche Verzögerung die Dauer der Übertragung bedeutet, und um es zu erproben, sendet die Station B ihrerseits ein Signal, wenn ihre Uhr auf Null steht, und die Station A muß es nun bemerken, wenn ihre Uhr t zeigt. Dann sind die Uhren reguliert.

Und wirklich zeigen sie die gleiche Zeit im gleichen physischen Augenblick, aber unter der Bedingung, daß die beiden Stationen feststehend sind. Im entgegengesetzten Fall wird die Dauer der Übertragung in den beiden Richtungen nicht die gleiche sein, da die Station A zum Beispiel der optischen Störung, die von B ausgeht, entgegenkommt, während die Station B vor der von A ausgehenden Störung flieht. Die auf diese Weise gerichteten Uhren zeigen also nicht die wahre Zeit; was sie zeigen, könnte man Ortszeit nennen; die eine wird gegen die andere nachgehen. Es liegt aber nichts daran, da wir kein Mittel haben, es zu bemerken. Alle Erscheinungen, die zum Beispiel in A entstehen, verspäten sich, aber sie tun es alle gleichmäßig, und der Beobachter wird es nicht bemerken, weil seine Uhr nachgeht; also hat er, wie es das Prinzip der Relativität verlangt, gar kein Mittel zu wissen, ob er in absoluter Ruhe oder in Bewegung ist.

Das genügt leider noch nicht und man braucht ergänzende Hypothesen; man muß annehmen, daß die in Bewegung befindlichen Körper eine gleichmäßige Kontraktion in der Richtung der Bewegung erleiden. Der eine Durchmesser unserer Erde ist zum Beispiel infolge der Bewegung unseres Planeten um 1/200 000 000 verkürzt, während der andere Durchmesser seine normale Länge behalten hat. So sind die letzten kleinen Unterschiede ausgeglichen. Dann ist noch eine Hypothese über die Kräfte nötig. Die Kräfte, was auch immer ihr Ursprung sein mag, die Schwere sowohl wie die Elastizität, werden in einem bestimmten Verhältnis vermindert in einer Welt, die von einer gleichmäßigen Translationsbewegung ergriffen ist; oder vielmehr, dieses würde für die Komponenten, die auf der Fortbewegungsrichtung senkrecht stehen, eintreten, während die parallelen Komponenten sich nicht ändern.

Kommen wir also auf unser Beispiel von den zwei elektrisch geladenen Körpern zurück; diese Körper stoßen sich ab, gleichzeitig aber sind sie, wenn alles in einförmiger Fortbewegung mitgeführt wird, zwei parallelen Strömen gleicher Richtung äquivalent, die sich anziehen.

Diese elektrodynamische Anziehung wird also von der elektrostatischen Abstoßung abgezogen, und die gesamte Abstoßung ist geringer, als wenn die beiden Körper in Ruhe wären. Da wir aber diese Abstoßung, um sie zu messen, durch eine andere Kraft ins Gleichgewicht bringen müssen, und alle anderen Kräfte im gleichen Verhältnis vermindert sind, so bemerken wir nichts davon. So scheint alles in Ordnung zu sein. Sind aber alle Zweifel verschwunden? Was würde geschehen, wenn man mit anderen als Lichtsignalen verfahren könnte, deren Ausbreitungsgeschwindigkeit von der des Lichtes verschieden wäre? Wenn man, nachdem man die Uhren nach dem optischen Vorgang gerichtet hätte, diese Regulierung mit Hilfe dieser neuen Signale erproben wollte, so würde man Unterschiede feststellen, die die gemeinsame Fortbewegung dieser beiden Stationen zutage treten ließen. Und sind derartige Signale undenkbar, wenn wir mit Laplace annehmen, daß die allgemeine Schwere sich millionenmal so schnell fortpflanzt wie das Licht?

So wurde das Prinzip der Relativität in der letzten Zeit tapfer verteidigt, aber die Heftigkeit der Verteidigungen selbst beweist, wie ernsthaft der Angriff war.

Das Newtonsche Prinzip. Sprechen wir jetzt von dem Newtonschen Prinzip über die Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung. Es ist innig mit dem Vorhergehenden verbunden, und es scheint wohl, als ob der Sturz des einen auch den des anderen nach sich ziehen müßte. Auch dürfen wir uns nicht wundern, hier dieselben Schwierigkeiten wiederzufinden.

Ich habe schon weiter oben gezeigt, daß die neuen Theorien dieses Prinzip preisgeben würden.

Die elektrischen Erscheinungen entstehen nach der Theorie von Lorentz aus der Ortsveränderung kleiner geladener Teilchen, Elektronen genannt, die in ein Mittel geworfen werden, das wir Äther nennen. Die Bewegungen dieser Elektronen bringen Störungen in dem angrenzenden Äther hervor; diese Störungen verbreiten sich nach allen Seiten hin mit der Geschwindigkeit des Lichtes, und andere Elektronen, die anfangs in Ruhe waren, werden ihrerseits in Bewegung gesetzt, wenn die Störung die Teile des Äthers erreicht, die sie umgeben. Die Elektronen wirken also aufeinander, aber es ist keine direkte Wirkung, sie vollzieht sich durch die Vermittelung des Äthers. Kann es unter diesen Umständen einen Ausgleich zwischen Wirkung und Gegenwirkung geben, wenigstens für einen Beobachter, der nur von den Bewegungen des Stoffes Kunde erhält, das heißt von den Elektronen, dem aber die des Äthers, die er nicht sehen kann, unbekannt bleiben? Augenscheinlich nicht. Wenn die Ausgleichung selbst genau wäre, so würde sie nicht gleichzeitig sein. Die Störung breitet sich mit endlicher Schnelligkeit aus, sie erreicht also das zweite Elektron erst, wenn das erste längst wieder in Ruhe gekommen ist. Dieses zweite Elektron erleidet also nach einiger Verzögerung die Wirkung des ersten, aber es wird sicher in diesem Augenblick keine Gegenwirkung auf dieses ausüben, da sich in der Umgebung des ersten Elektrons nichts mehr rührt.

Die Untersuchung der Tatsache erlaubt uns, noch Genaueres festzustellen. Denken wir uns zum Beispiel einen Hertzschen Erreger, wie man ihn zur drahtlosen Telegraphie benutzt; er sendet Energie nach allen Richtungen, Wir können ihn aber mit einem parabolischen Spiegel versehen, wie es Hertz mit seinen kleineren Erregern gemacht hat, um alle erzeugte Energie nach einer einzigen Richtung auszusenden. Was geschieht nun nach der Theorie? Der Apparat wird zurückweichen, als ob er eine Kanone, und die Energie, die er ausgestrahlt hat, eine Kugel wäre, und dies widerspricht dem Newtonschen Prinzip, weil unser Geschoß hier keine Masse hat, es ist keine Materie, es ist Energie. Es ist übrigens das gleiche bei einem mit einem Reflektor versehenen Leuchtturm; denn das Licht ist nichts anderes als eine Störung des elektromagnetischen Feldes. Der Leuchtturm müßte zurückweichen, als ob das Licht, das er entsendet, ein Geschoß wäre. Welche Kraft muß diesen Rückstoß hervorbringen? Es ist die, die man den Maxwell-Bartholdischen Druck nennt; er ist sehr klein, und man hat viel Mühe gehabt, ihn mit den allerempfindlichsten Radiometern nachzuweisen: es genügt aber, daß er vorhanden ist.

Wenn alle von dem Erreger ausgehende Energie auf einen Empfänger fällt, so wird dieser sich verhalten, als ob er von einem mechanischen Stoß getroffen worden wäre, der in gewissem Sinne den Ausgleich des Rückstoßes des Erregers darstellt; die Gegenwirkung wäre der Wirkung gleich, aber sie wäre nicht gleichzeitig; der Empfänger wird vorrücken, aber nicht im gleichen Augenblick, wie der Erreger zurückweicht. Wenn die Energie sich endlos ausbreitet, ohne einen Empfänger zu treffen, so wird der Ausgleich nie stattfinden.

Man wird vielleicht sagen, daß der Raum, der den Erreger vom Empfänger trennt, und den die Störung durchlaufen muß, um von einem zum anderen zu gelangen, nicht leer ist, daß er nicht nur von Äther, sondern von Luft angefüllt ist, oder, sogar in dem interplanetaren Raum, von einem feinen, jedoch noch wägbaren Fluidum; daß diese Materie gleich dem Empfänger den Stoß erleidet im Augenblick, wo die Energie sie erreicht, und ihrerseits zurückweicht, wenn die Störung sie verläßt. Dies würde das Newtonsche Prinzip retten, aber es ist nicht wahr. Wenn die Energie, indem sie sich ausbreitet, immer an irgendeine materielle Substanz gefesselt bliebe, so würde die in Bewegung befindliche Materie das Licht mit sich führen, und Fizeau hat bewiesen, daß dem nicht so ist, wenigstens bei der Luft; dies haben Michelson und Morley seitdem bestätigt. Man kann auch annehmen, daß die Bewegungen der Materie im eigentlichen Sinne durch die des Äthers genau ausgeglichen werden; das würde uns aber zu den gleichen Bedenken führen wie vorhin. Das so verstandene Prinzip kann alles erklären, weil es uns, wie auch die sichtbaren Bewegungen sein mögen, immer freisteht, hypothetische Bewegungen zu ersinnen, die sie ausgleichen. Wenn es aber alles erklären kann, so kann es uns nicht dazu dienen, etwas vorauszusehen; es erlaubt uns nicht, zwischen den verschiedenen hypothetischen Möglichkeiten zu wählen, weil es alles zum voraus erklärt. Es wird also nutzlos.

Außerdem sind die Voraussetzungen, die man über die Bewegungen des Äthers machen muß, nicht sehr befriedigend. Wenn sich die elektrischen Ladungen verdoppeln, so wäre es natürlich, anzunehmen, daß die Geschwindigkeit der verschiedenen Ätheratome sich gleichfalls verdoppelt; aber zur Ausgleichung müßte sich die mittlere Geschwindigkeit des Äthers vervielfältigen.

Darum habe ich lange Zeit geglaubt, daß diese dem Newtonschen Prinzip widersprechenden Folgerungen der Theorie eines Tages aufgegeben werden würden; aber die neuesten Experimente über die aus dem Radium hervorgegangenen Elektronen scheinen sie eher zu bestätigen.

Das Lavoisiersche Prinzip. Ich komme jetzt zu dem Prinzip von Lavoisier über die Erhaltung der Massen. Dieses Prinzip kann man nicht antasten, ohne die Mechanik zu erschüttern. Und doch glauben jetzt manche, daß es uns nur deswegen wahr erscheint, weil man in der Mechanik nur mäßige Geschwindigkeiten betrachtet, daß es aber nicht mehr wahr wäre für Körper, die mit einer der Lichtgeschwindigkeit nahekommenden Geschwindigkeit bewegt werden. Und diese Geschwindigkeiten glaubt man jetzt verwirklicht zu haben; die Kathodenstrahlen und die Strahlen des Radiums sollen aus sehr kleinen Teilchen oder Elektronen bestehen, die sich mit Geschwindigkeiten bewegen, die zwar kleiner sind wie die des Lichtes, die aber etwa ein Zehntel oder ein Drittel davon betragen mögen.

Diese Strahlen können sowohl durch ein elektrisches wie durch ein magnetisches Feld aus der Bahn gebracht werden, und man kann, indem man diese Abweichungen vergleicht, gleichzeitig die Schnelligkeit und die Masse der Elektronen messen (oder vielmehr das Verhältnis ihrer Masse zu ihrer Ladung). Als man aber sah, daß sich diese Geschwindigkeiten der des Lichtes näherten, erkannte man, daß eine Korrektion nötig sei. Diese Moleküle können, da sie elektrisch sind, ihren Ort nicht verändern, ohne den Äther zu erschüttern; um sie in Bewegung zu setzen, muß man einen doppelten Widerstand besiegen, den der Moleküle selbst und den des Äthers. Die ganze oder scheinbare Masse, die man mißt, setzt sich also aus zwei Teilen zusammen: die wirkliche oder mechanische Masse des Moleküls und die elektrodynamische Masse, die den Widerstand des Äthers darstellt.

Die Rechnungen von Abraham und die Experimente von Kaufmann haben nun gezeigt, daß die eigentliche mechanische Masse Null ist, und daß die Masse der Elektronen, oder wenigstens der negativen Elektronen, ausschließlich elektrodynamischen Ursprungs ist. Das zwingt uns, die Definition der Masse zu ändern; wir können nicht mehr die mechanische und die elektrodynamische Masse unterscheiden, weil dann die erstere ganz verschwinden würde. Es gibt keine andere Masse als die elektrodynamische Trägheit; dann aber kann die Masse nicht mehr konstant sein, sie nimmt zu mit der Geschwindigkeit, und sie hängt sogar von der Richtung ab. Ein mit beträchtlicher Geschwindigkeit bewegter Körper setzt Kräften, die ihn von seiner Bahn abzuleiten streben, nicht dieselbe Trägheit entgegen, wie denen, die ihn in seiner Bahn zu beschleunigen oder zu verzögern streben.

Es gibt wohl noch einen Ausweg: die letzten Elemente eines Körpers sind Elektronen, von denen die einen negativ, die anderen positiv geladen sind. Die negativen Elektronen haben keine Masse, das sei zugestanden; aber die positiven Elektronen scheinen, nach dem wenigen, was man von ihnen weiß, viel größer zu sein. Vielleicht haben sie außer ihrer elektrodynamischen Masse eine wirkliche, mechanische Masse. Die wirkliche Masse eines Körpers wäre dann die Summe der mechanischen Massen dieser positiven Elektronen; die negativen Elektronen würden nicht mit zählen; die so definierte Masse könnte noch konstant sein.

Leider ist uns auch dieser Ausweg versperrt. Erinnern wir uns an das, was wir über das Prinzip der Relativität gesagt haben und über die Anstrengungen, die gemacht werden, es zu retten. Und hier ist es nicht nur ein Prinzip, das es zu retten gilt, es sind unzweifelhafte Ergebnisse der Michelsonschen Experimente. Wie wir weiter oben gesehen haben, war Lorentz, um Rechenschaft von diesen Resultaten zu geben, zu der Annahme genötigt, daß alle Kräfte, was auch ihr Ursprung sei, in einem in gleichförmiger Translationsbewegung befindlichen Mittel im gleichen Verhältnis vermindert werden; das ist noch nicht ausreichend; es genügt nicht, daß dies für die wirklichen Kräfte der Fall ist, es muß auch ebenso sein für die Kräfte der Trägheit. Es müssen also, sagt er, die Massen aller Partikeln von einer Fortbewegung im gleichen Maße beeinflußt sein, wie die elektromagnetischen Massen der Elektronen.

So müssen die mechanischen Massen nach den gleichen Gesetzen variieren, wie die elektrodynamischen Massen; sie können also nicht konstant sein.

Brauche ich noch zu bemerken, daß der Sturz des Lavoisierschen Prinzips den des Newtonschen nach sich ziehen würde? Dieses letztere drückt aus, daß der Schwerpunkt eines isolierten Systems sich in gerader Linie bewegt; wenn es aber keine konstante Masse mehr gibt, so gibt es keinen Schwerpunkt mehr, ja man weiß nicht einmal mehr, was das ist. Darum habe ich weiter oben gesagt, daß die Experimente über die Kathodenstrahlen die Zweifel von Lorentz inbetreff des Newtonschen Prinzips zu rechtfertigen scheinen.

Aus all diesen Resultaten würde, wenn sie sich bestätigen, eine ganz neue Methode hervorgehen, die hauptsächlich durch die Tatsache charakterisiert würde, daß keine Geschwindigkeit die des Lichtes übersteigen könnte Denn die Körper setzen den Ursachen, die ihre Bewegung zu beschleunigen suchen, einen Widerstand entgegen; und dieser Widerstand würde unendlich werden, wenn man sich der Geschwindigkeit des Lichtes näherte., ebenso wie auch keine Temperatur unter den absoluten Nullpunkt fallen kann. Für einen Beobachter, der selbst in einer ihm unbewußten Bewegung mitgeführt wird, könnte ebenfalls keine scheinbare Geschwindigkeit die des Lichtes übersteigen, und dies wäre ein Widerspruch, wenn man sich nicht daran erinnerte, daß sich dieser Beobachter nicht der gleichen Uhren bedient, wie ein feststehender Beobachter, sondern solcher Uhren, die die »Ortszeit« zeigen.

Wir stehen damit einer Frage gegenüber, die ich hier nur auf werfen will: Wenn es keine Masse mehr gibt, was wird dann aus dem Newtonschen Gesetz?

Die Masse hat zweierlei Bedeutung; sie ist gleichzeitig ein Koeffizient der Trägheit und eine anziehende Masse, die als Faktor in die Newtonsche Anziehung eintritt. Wenn der Koeffizient der Trägheit nicht konstant ist, kann es die anziehende Masse sein? So lautet unsere Frage.

Das Mayersche Prinzip. Wenigstens blieb uns noch das Prinzip der Erhaltung der Energie, und dieses schien dauerhafter zu sein. Muß ich daran erinnern, wie es seinerseits in Mißkredit gebracht wurde? Das Ereignis hat mehr Aufsehen gemacht als die vorhergehenden und ist in aller Gedächtnis. Seit den ersten Arbeiten Becquerels und besonders seit die Curies das Radium entdeckt hatten, sah man, daß alle radioaktiven Körper eine unerschöpfliche Quelle der Strahlung seien. Seine Tätigkeit schien ohne Veränderung während Monaten und Jahren zu bestehen. Dies war schon ein Verstoß gegen das Prinzip; diese Strahlungen waren in der Tat Energie und von dem gleichen Stück Radium gingen sie ununterbrochen aus. Aber die Energiemengen waren zu gering, um gemessen zu werden, wenigstens glaubte man das und beunruhigte sich nicht allzusehr.

Das Bild änderte sich, als Curie darauf verfiel, das Radium in ein Kalorimeter zu bringen; man sah nun, daß die unaufhörlich erzeugte Wärmemenge sehr beträchtlich war.

Die vorgeschlagenen Erklärungen waren zahlreich; in einem derartigen Fall kann man aber nicht sagen je mehr, desto besser. Bevor nicht eine von ihnen über die anderen gesiegt hat, können wir nicht sicher sein, daß eine von allen gut ist. Seit einiger Zeit jedoch scheint eine dieser Erklärungen die Oberhand zu gewinnen, und man kann begründetermaßen hoffen, daß wir den Schlüssel zu dem Geheimnis in der Hand halten.

Sir W. Ramsay hat zu zeigen versucht, daß das Radium sich verändert, daß es einen ungeheuer großen, aber nicht unerschöpflichen Vorrat von Energie enthält. Die Umwandlung des Radiums würde danach millionenmal mehr Wärme erzeugen als alle bekannten Umwandlungen. Das Radium würde in 1250 Jahren erschöpft sein; das ist sehr kurz, aber wir sehen, daß wir wenigstens sicher sein können, für einige Jahrhunderte auf dem gegenwärtigen Stand zu bleiben. Inzwischen bestehen unsere Zweifel fort.


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