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Ich ging fürbaß und wie ich ging,
Da sah ich vor mir liegen
Auf freiem Platz ein großes Schloß,
Die Giebel hoch aufstiegen.
Verschloss'ne Fenster überall,
Ein Schweigen und ein Trauern;
Es schien als wohn' der stille Ted
In diesen öden Mauern.
Heine
Inmitten der flachen farblosen Gegend von Mecheln und Antwerpen liegt das Dorf Berk, zur Zeit des Jahres 1634 eine stattliche Herde von weißen Häusern, die sich um ihren grauen Hirten schaarten: ein Schloß mit drei Thürmen. Niemand wohnte in dem großen stattlichen Gebäude; der Edelmann, der es einst besessen, war längst gestorben und hatte weder Weib noch Kind hinterlassen, auch keine Verwandten, und so sollte das Schloß verkauft werden, aber es wollte sich kein Käufer finden. Es stand da, als warte es recht sehnsüchtig auf jemand; stille traurige Teiche bewachten es mit ihren großen feuchten Augen Tag und Nacht. Wer hätte wohl gedacht, daß in dem kleinsten und letzten Hause des Dorfes selbst eben einer am Fenster saß, der gar zu gern Schloßherr geworden; aber ihm gerade fehlte es an dem Haupterforderniß dazu, nämlich am Kaufgelde. Es war aber ein junger stattlicher Mann. Er hatte den Kopf aufgestützt wie im Trotze, und die schwarzen Augen starrten in den Novembertag hinein und zählten die Schneeflocken, die herangeflogen kamen, der Mund war fest geschlossen, die kräftige Faust ballte sich, unruhig flog der Athem. Der Einsame trug ein weites Wams von grauer Farbe, die bauschigen Kniehosen fielen über schön geformte Beine, die Füße steckten in derben Schuhen und das Hemd puffte sich in lockeren Falten über eine breite Brust. Eine Palette lag auf der Erde, Pinsel dabei, auch ein grauer Filzhut mit rother Feder. Eine Staffelei stand in der Stube, Malertuch und Holzplatten waren auf den schweren Tisch hingeworfen; es mußte wohl ein Maler sein, der da in bitterer Traurigkeit saß. In der Ecke neben dem schwach brennenden Kamin war ein Haufen bemalter Platten und ausgespannter Leinwand wie von einem Besen zusammengekehrt: Kartenspieler, tanzende Bauern, Kessel scheuernde Mägde u. dgl. lagen bunt genug durcheinander. Eine Frau machte jetzt die Thür auf und kam schwerfällig herein. Die trug einen Säugling auf den Armen und zwei andere schmutzige Jungen, die sich eifrig die rothen Nasen wischten, hingen an ihrer Schürze. »Bist Du wieder da, David?« fragte sie mürrisch, »ich hörte Dich nicht kommen. Hast Du Schildereien in Antwerpen verkauft? Ach! Da liegt ja noch das ganze Bündel! Nun Deine Märsche in die Stadt sind auch unnütze Wege. Warum giebst Du die Bilder nicht den Händlern, die damit von Haus zu Haus gehen, da käme doch Geld ein. Aber Du läßt Dir nicht rathen. Die Jungfrau van der Muellen ist auch wieder da; sie will ein fertig Bild haben zu ihres Vetters Namenstag. Aber sie will in Butter zahlen; gieb's nur hin dafür, ich brauche Butter und Du hast doch kein Geld übrig, das weiß ich.« Der Angeredete wies nur mit den Fingern über seine linke Achsel fort nach der Ecke und murmelte: »Sie mag sich in Teufels Namen eins aussuchen, da liegt der Plunder!«
»Guten Tag, Meister Teniers!« kreischte eine altjüngferliche Stimme jetzt von der Thür her, und die lange rothe Nase der reichen Bauerstochter erschien, bald nachher die ganze ehrbare Person. »Ich sehe, bei Euch ist wieder schlecht Wetter, wie gewöhnlich, wenn Ihr von Antwerpen heimkehrt. Habt wohl wenig Absatz gefunden? Ja die Stadtkinder achten nichts, was vom Lande kommt; das wollt Ihr aber nicht einsehen. Ich habe Euch auch immer gesagt, daß Ihr andere Sachen malen sollt, aber es hilft nichts, und so thut Ihr Euch selbst Schaden mit dem gemeinen Zeuge, was Ihr immer malt. Euer Vater malte viel schöner, und Euer Bruder Abraham in Antwerpen versteht es auch besser. Warum in aller Welt malt Ihr statt Eurer dicken Mägde nicht schlanke heilige Jungfrauen, oder spinnende Schloßfräulein und zierliche Cavaliere dazu in goldbenähten Kleidern? Warum mußtet Ihr just in solchem Dorfe Euer Nest bauen, Meister Teniers? Weil Ihr im neunzehnten Jahre schon Ehemann geworden seid, und bald nachher Vater und immer wieder Vater und nun nicht in der theuern Stadt leben konntet mit Weib und Kindern. Was habt Ihr davon? Was hat Euer Eheweib, die arme Katharina Breughel davon? Eure Malerkunst bringt schlechten Verdienst, Euer Weib ist zur alten Frau geworden bei aller Mühe und Arbeit, und Eure Kinder lärmen und essen alle Tage mehr. Was soll daraus werden, Meister Teniers?«
David Teniers hatte während dieser langen Rede nur die Fäuste fester geballt, sonst rührte er sich nicht, antwortete auch nicht. Die Jungfrau van der Muellen rauschte nun in ihrem grünen weißgeblumten Damastrocke giftig an ihm vorüber und steuerte dem Bilderwinkel zu, bückte sich dann und wählte unter den Platten. »Ihr habt da nichts Besonderes!« rief sie mit der wegwerfenden Miene einer Kunstkennerin und hob einzelne Stücke auf und hielt sie gegen das Licht. »Schon wieder eine Trinkstube mit zehn Bauern! Freilich, in der Schenke gefällt's Euch am allerbesten, da kann man Euch ja jeden Abend finden! – Aber warum habt Ihr die fünf Männer da an den Kamin gesetzt und nicht alle zehn um den Tisch? Und der kleine Krug, der soll ausreichen für das wüste Volk? Geht mir, Meister Teniers, den tränkt Ihr selbst mit einem Zuge leer. – Die Gesichter sind auch zu roth und das ganze Bild ist zu schwarz, Ihr habt wohl den Tabacksqualm malen wollen? Und da hier auf dem andern Bilde sieht man ja gar nichts weiter als einen Viehhof, ein dickes Weib steht an der halboffnen Thür und ein Alter mit weißem Bart schiebt den Gemüsekarren. Was hat man davon? Warum habt Ihr den Mann nicht lieber jung und hübsch gemacht? Und wie unordentlich liegt all das Geräth herum, wie kann man z. B. einen Milchtopf auf ein Faß stellen, die Katze wirft ihn ja gleich herunter! Die zwei Enten sind zu mager und das Schaf, die Ziegen und der Hund sehen ganz ungewaschen aus. Schmuziges Vieh läuft draußen genug herum, der Maler ist dazu da, es hübsch reinlich zu malen. Seht, das da gefällt mir schon besser mit den Affen, die essen, nur sind ihrer wieder zu viele auf dem Bilde, und in der Küche sieht's nicht sauber aus. – Aber was ist denn das? Pfui, da habt Ihr sogar eine böse Hexe gemalt, die allerlei Schlimmes braut, und ein garstig Thier, das ihr zuschaut?! Und da hinten kauert noch ein solch scheußliches Frauenbild vor dem Feuer und hält ein Buch in der Hand. Meister Teniers! Was sehe ich da? – da fährt ja eine Nackte mit einem schwarzen Schwein in die Esse hinein! Ei! ei! was habt Ihr für arge Gedanken – eine Nackte! da möchte ja jede ehrbare Jungfrau weglaufen von Euch, soweit sie die Füße trügen.«
»Will's Dir ersparen, Hexe!« fuhr hier der Maler in wildem Zorne auf, sprang in die Höhe, packte die Jungfrau van der Muellen um die Hüften, hob sie auf, rannte mit der Kreischenden durch den Hausflur und warf sie draußen vor der Thür mit einem Ruck in den tiefen Schnee. »So! Nun ist mir's gut!« sagte er tief aufathmend, als er zurückkam. Aber da stand sein Weib, weinte und rang die Hände und schrie: »O, Du Hitzkopf, was hast Du gethan? Nun hast Du die reiche Jungfrau erzürnt auf ewig und ihren Vetter, den Müller, dazu, und die ganze große Sippschaft in Mecheln. Sie werden kommen und Dich gefangen nehmen und nach Antwerpen bringen, was fange ich dann an? ich armes Weib mit den Kindern! Sieh, da läuft sie schon hin, die Wüthende, und droht mit geballter Faust!«
Teniers stand eine Weile in tiefen Gedanken. Dann trat er dicht an sein Weib heran und sagte heiter lächelnd: »Sei ruhig, Anna Katharina, uns beiden soll geholfen werden. Ich habe mich schon lange mit einem Gedanken herumgeschleppt; jetzt steht er fertig zur Ausführung da. Es geht so nicht länger, ich halt's nicht mehr aus! Das Herz ist mir centnerschwer und der Beutel leicht wie die Luft; ich muß, ich will sterben … Still, sage ich, Weib, laß mich ausreden. – Ich sterbe nicht wirklich, ich sterbe zum Schein. Schreie den Leuten zu, daß mich vor Aerger über die alte Jungfrau der Tod getroffen, jeder wird's glauben; ich male mir ein weißes Gesicht und lege mich still auf das Lager in die dunkle Kammer, Laß niemand mich anrühren, besonders den Doctor halte mir vom Leibe! Und gieb nun fein acht, dem Todten sagt keiner ein böses Wort mehr nach; da wird es heißen: »Wie schade ist's, daß er starb, der gute Meister Teniers, der geschickte Meister Teniers, der fleißige Meister Teniers, wie hübsch waren doch seine Bildchen! Wir wollen sie kaufen!« Und sie werden sie alle kaufen, sage ich Dir, und werden sie bezahlen, wie sie dem Lebenden sie nie bezahlt hätten, und einer wird sie dem andern aus den Händen reißen. So wird's geschehen, denke an diese Worte, Anna Katharina. Wenn sie aber fertig sind, die Narren, dann wache ich wieder auf und bin ein reicher Mann, und kaufe mir das Schloß mit den drei Thürmen zum Atelier, und wir leiden keine Noth mehr, und Du sollst Butter haben, soviel Du willst. Nun rasch ins Todtenhemd.«
*
Am nächsten Tage standen die Dorfbewohner recht betrübt vor dem kleinen Hause des David Teniers. Drinnen im Hinterstübchen lag der lustige Maler, mit dem sie so oft gelacht oder getrunken, im langen weißen Todtenhemde still und bleich auf seinem Lager. Er war freundlich anzusehen, just als ob er eben schliefe. Vor dem einzigen Fenster hing ein schwarzes Tuch und ein traurig Kerzlein brannte zu den Füßen des Gestorbenen. In dem Winkel kauerten die Kinder und starrten ganz erschreckt das Fremde an, das sie sehen mußten. Anna Katharina saß in ihrem schwarzen Kleide an der Thür der Todtenkammer und drückte, wenn Leute kamen, ihr Gesicht in ein Thränentuch. Und alle strömten herbei und wollten den Meister Teniers im Tode sehen, denn da war eigentlich keiner, der ihn nicht lieb gehabt, den bildhübschen fröhlichen Mann, und den Weibern saß er noch tiefer in den Herzen als den Männern, denn er war freundlich und neckisch mit jeder; freilich verkehrte er mit einer Hübschen immer lieber als mit einer Häßlichen, aber das verdachte ihm niemand. Anna Katharina ließ aber keinen von allen, die da kamen, ins Kämmerlein treten, sie durften nur immer von der Thürschwelle aus zu dem Todten herüberschauen. Die Jungfrau van der Muellen war eiligst nach Mecheln geflohen; die Bauern hätten sie gesteinigt, wenn sie ihnen in den Weg gekommen, denn sie war ja die Ursache dieses jähen Todes.
Die Kunde dieser schmerzlichen Begebenheit drang schnell nach Antwerpen, Mecheln und Brüssel, und bald kamen viele stolze Karossen angefahren und schöngekleidete Männer und Frauen stiegen aus und traten in die Wohnung und fragten nach Teniers' Bildern. Sie boten die höchsten Preise, und einer bot immer höher als der andere, und Anna Katharina mußte aus allen Winkeln die Malereien hervorsuchen und die vornehmen Käufer rissen sich die Bilder fast aus den Händen. Am zweiten Tage schon nach Teniers' Verscheiden stand gegen Abend die kleine Wohnstube so voller Menschen, daß der Doctor aus Mecheln trotz seiner großen Brille und weißen Perrücke nicht durchdringen konnte, sondern am andern Morgen wiederzukommen versprach, um die Leiche zu beschauen. An eben diesem Tage war es, als ein junges vornehmes Fräulein, das mit einem alten stattlichen Herrn von der Antwerpener Straße hergefahren gekommen, sinnend an der halboffenen Thür der Todtenkammer lehnte, sie endlich leise, leise aufdrückte, scheu näher trat und zuletzt dicht an dem Lager stand. Lange, lange blickte sie den Ruhenden an. Sie war wie ein Bildniß anzuschauen. Ein hellblaues Atlaskleid floß schwer bis über die kleinen Füße, dazu trug sie einen rothsammetnen pelzverbrämten Ueberwurf. Die große schwarze Seidenhaube, die sie zum Schutze gegen die Kälte trug, war ihr vom Kopfe auf den Nacken gefallen, und da leuchtete das Rosengesicht frei und viele feine braune Locken fielen an den Kinderwangen nieder. Die Augen waren wie brauner Sammet, auf den man Diamanten gelegt, weich und blitzend zugleich. Sie beugte sich über den Entschlafenen, sah ihn tief an und lange, bis zwei heiße Thränen aus ihren Augen sich lösten und herabfielen auf die hohe schöne Malerstirn. Der schwarze Vorhang am Fenster hatte sich aber ein wenig verschoben und ein Strahl der scheidenden Wintersonne traf das junge blühende Mädchengesicht und der warme würzige Athem säuselte an der Wange des Todten hin, und da mußte denn der Meister ein allereinziges Mal blinzeln. Fast hätte er gemeint, er sei wirklich gestorben und der Engel der Auferstehung neige sich über ihn, so wunderschön sah die Jungfrau aus. Aber er erkannte an dem sanften Schmerzenszug um den Mund, daß es ein irdisches Mägdlein sei, das über ihn geweint, und zog von heiliger Liebe entbrannt heimlich und verstohlen die junge herrliche Gestalt mit seinen Augen hinab in sein warmes gutes Künstlerherz, damit sie darin verbleibe für alle Ewigkeit.
*
Und nun ging's wie in einem hübschen Feenmärchen. Die Bilder waren verkauft, Meister Teniers aber wurde nicht begraben, der weise Doctor gab's nicht zu, machte sich viel zu schaffen mit ihm, wendete ihn um und um, rieb ihn oben und unten, bespritzte und beschmierte ihn und wahrlich nach drei Tagen erstand, Dank sei's der Kunst des gelehrten Medicus! der Maler von den Todten. – Hatten aber die Menschen seine Bilder begehrt, als er stumm und starr auf dem Schragen lag, so wollte man von dem wunderbar Erstandenen noch viel mehr haben, und nicht allein aus den Niederlanden selbst liefen zahllose Bestellungen für ihn ein, nein, auch aus dem fernen Deutschland, aus Spanien, ja sogar aus dem Mutterlande der Kunst, aus Italien. Da mußte freilich David Teniers sehr fleißig sein, um alle seine Verehrer zu befriedigen und er war es auch, hatte er sich doch überhaupt seit jenen Stunden des Scheintodes gar sehr geändert. Wohl sah man ihn heiter und freundlich, doch nie mehr so toll und ausgelassen wie vordem, wenn er die Sorgen seines gedrückten Lebens in solchem Rausche zu vergessen trachtete. Auch war er geduldiger mit Weib und Kindern. Diese Sanftmuth, dies ernstere, in sich gekehrte Wesen hatte aber allein jener Engel ihm gebracht, dessen Thränen einst auf seine Stirn gefallen. – Gleich beim Beginn seines zweiten neuen Lebens hatte er die glänzende Erscheinung seiner Frau zu schildern versucht und nach dem Fräulein geforscht; Anna Katharina wollte nichts gesehen haben, sondern gab kurz zur Antwort, es seien an jenem Nachmittage so viele vornehme Leute aus Brüssel, Gent und Antwerpen bei ihr versammelt gewesen, daß sie keine einzelne Gestalt im Auge behalten. Damit mußte sich der Meister genügen lassen und übertäubte das heimliche Verlangen seines Herzens mit Arbeit, die allezeit Balsam war für viele, viele Schmerzen. Auf seine größeren Bilder verwandte er viele Zeit und Mühe, dagegen warf er für seine ungeduldigsten Verehrer in einem Nachmittage die geistvollsten saubersten Skizzen zusammen, die bald unter der allgemeinen Bezeichnung » Après dîners« überall bekannt wurden. Gar mancher Sammler und Kunstfreund der damaligen Zeit glaubte einen Schatz zu besitzen in solchem Bildchen und bezahlte dafür einen gar hohen Preis. Alle diese Werke aus Teniers' erster Periode sind in der Weise der Rubens'schen Schule behandelt, warm, frisch und kräftig. Erst in der späteren schönsten Zeit seines Lebens, von der wir nachher reden wollen, erhielten seine Bilder jenen leuchtenden Ton, jene Wärme, die den Glanz und die Ruhe einer befriedigten Seele verriethen. In kaum einem Jahre war der Maler David Teniers Herr des stillen Schlosses mit den drei Thürmen: sein Lieblingstraum war erfüllt. Jubelnd zog er dort ein, und dies heißersehnte prächtige Atelier, diese weiten kühlen Gemächer blieben bis zu seinem Tode sein liebster Aufenthalt. Nur selten sah man den Meister in Brüssel oder Antwerpen, obgleich beide Städte alles aufboten ihn dauernd zu fesseln. Die Bewohner von Berk aber hingen an ihrem neuen Schloßherrn mit doppelter Liebe und waren gar stolz auf den Vorzug, den er ihrem bescheidenen Dorfe gab.
So waren seit jener seltsamen folgereichen Todesprobe fast sieben Jahre hingezogen, da starb Teniers' Weib. Ihr Verlust war ihm zumeist hart um der Kinder willen; die beiden jüngsten bedurften der Mutterpflege noch gar sehr, und es waren eben sehr tolle Buben, die dem Vater viel zu schaffen machten. Deshalb ließ er denn auch zwei Monate nach Anna Katharina's Tode durch Ausrufer – denn das war damals das einzige Mittel zu Bekanntmachungen aller Art – an den Straßenecken und auf den Märkten von Antwerpen und Brüssel kund thun, daß er, Meister David Teniers, im Schlosse mit den drei Thürmen in Berk eine ehrsame brave Wittwe oder ältliche Jungfrau begehre als Pflegerin und Hüterin seiner Kinder und treue Schaffnerin seines Hauses. Bald darauf klopfte es eines Morgens an sein Zimmer und eine hohe Frauengestalt, in der schlichten Kleidung einer niederländischen Jungfrau aus dem Bürgerstande, trat herein mit einem Bündelchen unter dem Arm und sagte schüchtern und erröthend: »Laßt mich Eure Kinder pflegen, Meister Teniers, ich will sie werth halten und Euch treu dienen, so Ihr Geduld haben wollt mit mir!« Da ließ Teniers seine hellen Maleraugen fest haften an dem lieben schönen Frauenantlitz, und als das Mädchen immer höher erglühend sich abwandte vor seinem Blick, da schrie sein Herz auf vor Lust: er hatte den »Engel der Auferstehung« erkannt, den Engel, dessen Thränen sein Herz geläutert.
»O, Du, – Du bist es, die den Todten erweckte!« rief er mit einer Stimme voll Jubel und heißer Liebe. »Mädchen, wie heißt Du?«
»So habt Ihr mich damals gesehen?«
»Ja, ja gewiß, Du holdseliges Bild, Du bist mein eigen geworden seit jener Stunde, mein heiliges Eigenthum für alle Ewigkeit!«
Und er erzählte ihr alles, sein Leid, seine Kämpfe, sein Sterben und Erwachen.
Da stürzte das schöne Weib an sein Herz und weinte selige Thränen. Und kaum fünf Wochen nachher waren sie Mann und Frau und lebten glücklich wie die Engel im Himmel.
Aber wie nannte sich das liebliche Frauenbild? Isabelle de Frene, eines reichen Rathsherrn zu Antwerpen einzig Töchterlein.
Es hat ja zu allen Zeiten, dem lieben Gott sei Dank gesagt dafür, Frauen gegeben, die um ihrer Liebe willen alles vergessen, alles entbehren, alles opfern konnten, die des Weibes selige Bestimmung, sich hinzugeben und zu dienen dem geliebten Manne, im vollsten höchsten Sinne erfüllten. Isabelle gehörte zu jenen segenbringenden Geschöpfen. Früh mutterlos, von schwärmerischer Gemüthsart, hatte sie stets eine unendliche Verehrung für den gottgesegneten Malerstand im tiefsten Innern getragen, ein Maler schien ihrer Seele ein heiliges Wesen, dem anzugehören die höchste aller irdischen Seligkeiten sein müsse. Sie gelobte in ihrem reinen Sinn, wenn Gott sie der Gnade würdigen sollte, eines solchen Mannes eheliches Weib zu werden, wolle sie ihr Herz vor seine Füße legen, damit er sanfter daher wandle, aber auch ihre Hände rühren und ihre Augen offen halten für ihn und über ihm, daß ihn das Leben nur leise berühre, daß für ihn kein Schatten sei, nur Licht, keine Arbeit, nur frohes freiwilliges Schaffen. Wie sie damals als kaum sechzehnjähriges Mädchen in die schlechte Hütte eines Meisters trat, dessen Namen sie von ihrem Vater nur mit Bewunderung hatte nennen hören, als sie die rohe niedere Umgebung, die Armuth sah, die den Genius gefesselt hielt wie die Kette den Gefangenen, und das verblühte Weib, das wie eine Kerkermeisterin anzuschauen war, und endlich das schöne bleiche Antlitz des Todten selbst, da zog ein Gefühl in ihre Brust, das sie mit Namen noch kaum zu nennen wagte, ein Gefühl, das ihr heiße Thränen erpreßte. Sie liebte den, der da still auf dem Todtenbette lag, und verlor den Geliebten in demselben Augenblick, denn es war ja ein Gestorbener, wie sie meinte. Aber dennoch schwur sie, dieser Liebe treu zu bleiben, um dem Seligen dermaleinst begegnen zu dürfen im Himmel. Als die wunderbare Kunde von Teniers' Auferstehung nach Antwerpen drang, warfen Freude und heimlicher Kummer die schöne Isabelle auf ein langes Krankenlager, von dem sie nur erstand, um ihren stillen Schwur treu zu erfüllen. Ihre große Schönheit, ihr Reichthum, das Ansehen ihres Vaters lockte zahllose Bewerber herbei, darunter Männer von hohem Rang und Namen; das wunderbare Mädchen wies sie alle ab, blieb bei ihrem kränkelnden Vater, erheiterte seine letzten Lebensjahre, pflegte ihn treulich Tag und Nacht und drückte ihm endlich sanft die Augen zu. Nach seinem Tode gedachte sie den Schleier zu nehmen als fromme Nonne. Da hörte sie wenige Tage vor ihrer Abreise in das Kloster der Barmherzigen zu Brügge, woselbst sie ihr Noviziat anzutreten begehrte, von jenem Aufruf David Teniers'. Ein beseligender Gedanke durchzuckte sie und vernichtete mit einem Schlage alle ihre so sorgsam aufgebauten Pläne. Sie wollte die Magd des Geliebten werden, seine Kinder pflegen und seine Wege ebnen helfen durch treues unablässiges Sorgen und Schaffen in seinem Hause. Ohne einem menschlichen Wesen ihren Vorsatz zu verrathen, verschwand sie aus Antwerpen und erschien, wie ich schon erzählte, in dem Schlosse mit den drei Thürmen, um neues Leben und neue Seligkeit dorthin zu tragen.
Von der Stunde an, seit David Teniers dies Weib besaß, nahm seine Kunst einen neuen, wahrhaft wunderbaren Aufschwung; alle seine besten Bilder entstanden in jener himmelblauen Zeit der höchsten geistigen und leiblichen Befriedigung. Eine Fülle prachtvoller Werke blühte unter seinen Meisterhänden und den Augen der schönen Isabelle auf, z. B. jene vielgerühmte: »Morgenvorbereitung zu einem ländlichen Fest«. Im Vordergrunde des Bildes stehen mächtige Kessel, Fässer und Lebensmittel. In der Landschaft selbst sieht man verschiedene malerische Gruppen fröhlicher Menschen vertheilt, die ein Frühstück einnehmen. In dem Ganzen herrscht eine hinreißende Heiterkeit und Frische. Kenner entzückt der zarte und harmonische Silberton, mit dem das Ganze trotz aller Manichfaltigkeit und Wärme der einzelnen Localfarben durchgeführt ist, sie rühmen an diesem Gemälde besonders die Feinheit der Luftperspective in der Abtönung und die Leichtigkeit und den Geist in der Touche. Auch eine köstliche Dorfkirmeß, deren Hintergrund Teniers' Schloß mit den drei Thürmen bildet, zeichnet sich durch den lebendigen und verschiedenen Ausdruck der Fröhlichkeit, bequeme Anordnung, seine Touche und köstlichen Luftton aus. Ferner ein großer reicher italienischer Jahrmarkt, die Antwerpener Schützenprocession, Zigeuner, eine weltbekannte Wachtstube mit einem Trommler, und zahllose Dorfgenrebilder. Auch aus der heiligen Geschichte entstanden zu dieser Zeit großartige Werke, wie das große Altarblatt in der Dorfkirche zu Meerbeck bei Mecheln, die Versuchung des heiligen Anton, die 19 Märtyrer von Gorcum in der Barfüßerkirche zu Mecheln. David Teniers malte auch die vielgenannten sieben Werke der Barmherzigkeit, welche er aber in die Bauernwelt verlegte, in jene Bauernwelt, die ihm nun einmal so lieb geworden. Zu den Meisterwerken Teniers' zählt man auch die Darstellung Petri, der den Herrn gegen die Magd verläugnet; man rühmt vorzüglich die delicate Behandlung und das treffliche Impasto des Bildes. Ebenso die bekannte Dornenkrönung Christi, in welchem Bilde Zeichnung, Ausdruck, Färbung, Helldunkel und Touche gleich meisterhaft und bis ins kleinste Detail studirt sind.
Teniers' Ruhm zog viele junge und ältere Schüler herbei, unter ihnen gar vornehme und große Herren, wie z. B. den Prinzen Juan d'Austria, aber man munkelte doch, daß der Meister diesen auffallenden Zudrang zu seinem Atelier hauptsächlich einem wunderbar schönen Bilde verdanke, das den Beschauern hinter Glas und Rahmen zur Besichtigung viele Stunden am Tage überlassen ward. In der linken Wand der Künstlerwerkstatt war nämlich ein großes rundes Glasfenster, das in die Wohnstube des Meisters ging. Hinter dieser Fensterscheibe mit feinem grünlichen Glas saß nun immer, tagaus tagein, das Weib Teniers', Isabelle de Frene, einst das schönste Mädchen Antwerpens. Sie arbeitete oder unterwies die Kinder, schaute auch wohl froh und zärtlich auf die Staffelei ihres Ehemannes herüber und so hatte Teniers diesen prächtigen Kopf in matter und doch warmer Beleuchtung immer und immer vor sich und arbeitete deshalb um so rascher und begeisterter.
So vergingen Jahre, die Kinder waren große Menschen geworden, und so wurde auch das Bildchen hinter dem Glase allmählich farbloser. Feine Linien kamen in das Gesicht, die edle Nase trat schärfer hervor, kleine Runzeln zogen sich um die Augen, silberne Streifen durch die schweren braunen Haare, die sich längst unter das schwarze Schneppenhäubchen versteckt hatten, und endlich saß eine liebe mildblickende alte Frau hinter dem Fenster und schaute zu einem alten Manne hin, dessen Auge und Hand allein noch verriethen, daß er einst jung und feurig gewesen. Die eleganten Cavaliere waren freilich verschwunden, die jungen Schüler aber, unter ihnen ein Alshoven, Tillburg, van Harp, de Hort u. s. w., schauten mit wahrhaft zärtlicher Ehrfurcht in dies klare Frauenantlitz, das für jeden ein mütterliches Lächeln hatte, und Meister Teniers nannte diesen Kopf noch immer sein bestes Bild. Eines Tages aber hing ein schwarzer Vorhang vor dem runden Fenster – er blieb fortan dort immer und immerfort, und lange lange Zeit arbeitete der Meister nicht in seinem Atelier. Er malte überhaupt nach dem plötzlichen und sanften Tode seiner getreuen Gefährtin nur noch wenig und der schöne Ton seiner Bilder verschwand: trüb und grau wurde ihre Färbung. So schwer er aber den unersetzlichen Verlust empfand, der ihn getroffen, so blieb Teniers' Gemüth doch heiter; sein kerniger Humor, dieser Grundzug seines Wesens, der sich so klar in den meisten seiner Bilder wiederspiegelt, verließ ihn nicht. Die Portraitmalerei beschäftigte ihn nun mehr als früher und seine Leistungen waren auch hierin bedeutend. Eines Tages ließ sich noch ein reicher Anwalt von dem berühmten Teniers malen, und da der Meister sich zum Schwarz immer des gebrannten Elfenbeins zu bedienen pflegte, die Elfenbeinasche ihm aber ausgegangen, brach er mit der größten Kaltblütigkeit seinen letzten Zahn ab und brannte ihn zu Kohle. »Mehr kann ich für die Kunst nicht weiter thun!« sagte er scherzend. »David Teniers darf jetzt den Pinsel mit Ehren ruhen lassen – und sich selber auch.«
Am nächsten Morgen fand ihn sein Lieblingsschüler Alshoven todt, aber verklärt lächelnd auf seinem Lager. Aber dies Mal blinzelte der Meister nicht wieder, so heiß auch die Schmerzensthräne aus den Augen des treuen Schülers auf seine Stirn fiel.
In der Frauenkirche zu Berk wurde David Teniers im Jahre 1690 begraben.