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In der hübschen Stadt Utrecht in den Niederlanden war etwa um das J. 1650 kein Bürger so wohl angesehen, wurde so freundlich begrüßt auf den Straßen als der Meister David de Hem, seines Zeichens ein Maler. Er verstand nämlich die Blumen jeglicher Art zu malen, als ob der liebe Gott selbst ihm seinen Farbenkasten dazu geliehen, und ebenso wußte er die Früchte der verschiedenen Bäume und Sträucher mit seinem Pinsel auf das Malertuch oder die Holztafel zu bannen, daß jeder, der sie sah, meinte, er brauche eben nur die Hand auszustrecken, um sie hinweg zu nehmen.
Es war durchaus kein Wunder, daß solche Kunst gewaltiges Aufsehen machte, und daß man also auch den Künstler mit ganz anderen Augen anschaute als die gewöhnlichen Menschenkinder. Wenn der Meister de Hem sich am Fenster seines kleinen mit Weinlaub bekränzten Hauses zeigte, so mußte er gar viel winken und grüßen. Jeder zog sein Käpplein tief ab vor ihm, und das holdselige Lächeln und Nicken der hübschen Frauen und rosigen Mägdlein nahm kein Ende. Ging der stattliche Mann über die Straßen, so liefen alle Kinder zu ihm hin und brachten ihm Blumen oder knospende Zweige und feine Gräser mit der kecken Bitte: »malt mir das!« Dankend und freundlich nahm der Meister alles an und trug die Blätter und Blüten so sorgsam in den Händen und ließ seine großen blauen Augen so treulich Wache halten darüber, als hätte er den kostbarsten Schatz zu hüten. Kam er dann nach Hause, so brachte die alte Magd Brigitta den weiten Steinkrug mit frischem Wasser herbei und der Meister ordnete alsogleich selbst die Pflanzen sorglichst, damit keine die andere verdränge oder gar erdrücke, und stellte dann den Krug in seinem Malerstüblein auf, das allezeit aussah wie ein Blumengarten.
Dies Malerstüblein mit allem, was darinnen stand und lag und hing, war auch eigentlich die höchste Freude des Meisters; seinem Leben fehlte der frische Blumenschmuck. Die lieben Engel hatten die Rose seines Herzens, sein holdes Weib, schon längst in den Himmelsgarten verpflanzt, und der einzige Sohn, den sie ihm hinterlassen, und der jetzt schon ein Bursche von achtzehn Jahren war, zeigte keine sonderliche Neigung, für den Vater eine Freudenblume zu werden. Aeußerlich war er freilich stattlich genug anzusehen, wie Flammen brannten die dunkeln Augen in dem braunen Gesicht, und von dem trotzigen Munde hätte sicher keine Dirne einen Kuß verschmäht. Wenn er lachte und die schwarzen Locken dazu aus der Stirn schüttelte, sah er just aus wie seine todte Mutter, die ein wunderbar schönes Frauenbild gewesen. Vielleicht war's eben deshalb, daß der Vater nicht so streng sein konnte mit dem jungen Gesellen, und Ursache hätte er doch genug dazu gehabt. Der Cornelis war nämlich der ärgste Faullenzer, den die liebe Sonne beschien, die Arbeit in der Malerstube war ihm ein Gräuel. Als er noch Knabe war, ersann er tausend Listen und Ränke, dem Vater und Lehrmeister zu entwischen, um sich draußen mit allerlei wilden Buben zu raufen; seitdem die Kinderjahre aber hinter ihm lagen, machte er gar kein Hehl mehr aus seiner Trägheit, im guten Vertrauen auf des Vaters Nachsicht. Hatte er ein Stündchen gemalt, so legte er leise Pinsel und Palette nieder und huschte fort. Seufzend sah ihm dann der Meister nach. Was half es ihn zurückzurufen, was half es ihn zu schelten? Hatte nicht Cornelis auf alle ernsten Reden dieselbe melancholische Antwort: »Vater, ich fühl's, daß ich Euch nicht gleichkommen kann, und das macht mich unlustig und träge. Macht etwas anderes aus mir als einen Maler!«
Diese Worte wiederholte sich der Meister hundert Mal, wenn er an die Staffelei des Sohnes trat, wo die Farben in wilder Unordnung umhergestreut und Pinsel und Palette recht nachlässig aus den Händen geworfen worden waren. Prüfend schaute er dann das Malertuch an – um endlich wieder an seine Arbeit zu gehen mit erhobener Stirn und dem frohen Gedanken: es steckt doch ein Maler in ihm – aber er schläft noch. »Wer soll ihn aufwecken?« seufzte er freilich auch oft muthlos dazwischen.
Der Meister de Hem war Blumenmaler geworden, weil er nicht anders gekonnt; er war gleich, wie alle die echten und rechten Blumenmaler, mit den Augen und dem Herzen dazu auf die Welt gekommen. Schon als Wochenkind hatte er nach den Gelbveigelein gegriffen, die seine Mutter am Busentuch getragen. Später war's, als ob ein Engel im Traum ihm heimlich gelehrt die verschiedenen Gestalten der Blätter und Blüten nachzuformen, denn seine schönsten Zeichnungen mit schwarzer Kohle entstanden seltsamer Weise gleich nach dem Erwachen an der Wand, wo sein Bett stand. Die Eltern schickten ihn auch bald zu einem Maler in die Lehre und den ersten gemalten Veilchenstrauß brachte er seinem sterbenden Vater auf das Bette, der keinen Frühling mehr sehen sollte. Das erste Bild, das von ihm gekauft und gut bezahlt wurde, war der Blumenstrauß, den sie seiner todten Mutter im Sarge in die Hände gegeben, und den der Sohn unter bitterm Herzeleid conterfeit hatte. Seitdem lebte er allein in der Welt der Blumen, einer stillen schönen Welt, die selbst da nichts von ihrem Zauber verlor, als die Liebe zur holden Anna in sein Herz zog. Ach diese liebliche Menschenblume, die endlich als sein Weib an seiner Brust blühen durfte, welkte fast noch schneller, als jene andern, und es war ihm hier nicht einmal die Macht verliehen, sie auf sein Malertuch festzubannen, wie die andern Blüten! Allein den Trost gaben ihm auch bei diesem Verluste nicht die Menschen, obschon das Haus des Meisters dazumal nicht leer wurde von Mitleidigen, selbst nicht der Knabe, der die Augen und das Lächeln der Gestorbenen geerbt: – die Blumen allein verstanden es, seinen Schmerz zu sänftigen. Sie wiederholten ihm leise, aber in der süßesten Weise in tausendfacher Art unablässig jenes große Trostwort: »Auferstehen«.
Der Cornelis schien nicht viel von den Blumen wissen zu wollen; ein rothwangiger Apfel war ihm lieber, als der köstlichste Strauß, und für eine reife Traube hätte er den ganzen Blumengarten aus der Malerstube mit Freuden ins Wasser getragen. Alles, was lebte und sprang, hüpfte und kroch, war vielmehr seine Welt, die Blumen erschienen ihm zu still und unbeweglich, und ihre geheimnißvolle Sprache verstand er nicht. Mit rechter Unlust versuchte er sich an den Rosen, Lilien und Kornblumen, die ihm gegen die Arbeit des Vaters doch alle Zeit todt und starr erschienen, und hatte bald Tage und Nächte keinen andern Gedanken als den, das Malerhandwerk aufzugeben.
Das bekümmerte freilich den Vater nicht wenig. Er konnte die Vorstellung nicht ertragen, daß sein einziger Sohn kein Meister in der herrlichen Kunst, der er sein Leben und Sein geweiht, werden solle, und er redete ihm immer wieder von neuem zu, es weiter zu versuchen, und ließ ihm dabei, um ihn nicht zu ermüden, mehr Freiheit denn je.
Das benutzte denn auch der Cornelis redlich; halbe Tage lang schlenderte er im Freien umher und kam am Abend fröhlicher heim, als er ausgegangen. Und der Vater und Lehrherr hätte ihn niemals schelten können, wenn er ihn ins Haus treten hörte, eine lustige Weise auf den Lippen, daß die alte Brigitta ihre Kammerthür weit aufmachte, um die frischen Töne auch recht zu hören. Vor den Vater trat er dann hin in wunderlichem Schmuck. Verschiedenfarbige Falter hatte er an sein Käppchen gespießt und auf dem Wams steckten Libellen und Käfer aller Arten. Gar anmuthig wußte er zu erzählen, wo und wie er diesen oder jenen der fliegenden Gesellen erhascht. Konnte er doch auch stundenlang auf dem Rücken im Grase liegen, um ihrem Treiben zuzuschauen und sie gelegentlich zu fangen, All dies Gezücht war ihm nicht nur lieber, als die Blumen, sondern auch lieber als die Menschen, und Cornelis de Hem war fast 19 Jahre alt geworden, ohne daß er jemals einem Mägdlein ins Gesicht geguckt. Er hatte oft seinen Vater sagen hören, daß sie den Blumen zu vergleichen seien in ihrer Lieblichkeit und Frische, und eben deshalb war ihm vielleicht die Lust vergangen sie näher zu betrachten. Machten ihm doch die Blumen allein Plage genug.
So war denn sein zwanzigster Geburtstag herangekommen und mit ihm der Frühling, und Cornelis hatte sich den ganzen Tag so recht nach Herzenslust im Freien umhergetrieben. Langsam schlenderte er gegen Abend heim. Es war gerade ein Sonntag. Von der Schenke her klangen Pfeife und Fiedel, auf dem grünen Platze stampften Burschen und Dirnen lustig den Boden im Tanze, die Musikanten saßen auf einem Fasse neben der Thür. Die Obstbäume lachten in voller Blüte. Rings um die Tanzenden standen Zuschauer oder saßen auf niedern Holzbänken in Gruppen beisammen. Der dicke Wirth ging hin und wieder mit dem Kruge, seine derben Jungen rauften sich in der Hausthür, die Wirthin mit der Magd stand am offenen Fenster mit aufgestreiften Aermeln, allerlei Trinkgeschirre zum Gebrauch wieder herrichtend. Ein rosenrothes Licht schwamm über allen. Dem Cornelis kam die Lust an, den Tanzenden eine Weile zuzuschauen. Er stellte sich unter dem nächsten Baume auf. Zwar saßen dicht vor ihm allerlei geputzte Frauen und Mägdlein, aber er hatte kein Auge für sie. Nach kurzer Zeit war er jedoch des Schauens müde und wendete sich hinweg zu gehen. Da kam es, daß er den Kopf ein wenig neigte und so sah er plötzlich seitwärts unter sich eine große haarige Raupe ihren langsamen Weg wandern. Ohne sich zu besinnen, streckte Cornelis die Hand aus, um das Geschöpf hinweg zu nehmen; als er sie berührte, hörte er einen Schrei – den die Raupe unmöglich ausgestoßen –: er hatte einen rosigen Frauenhals berührt. Mit einer Geberde des Schreckens fuhr er zurück, die Raupe fiel in's Gras, und wie im Traume sah sich Cornelis einem Paar Mädchenaugen dicht gegenüber. Mädchenaugen! Er allein wußte nicht, was das sagen will! Die Augen gehörten zu einem weiß und rothen jungen Angesicht, und es war unmöglich, dies nicht auch zu betrachten. Die Fülle dunkelblonden Haares ließ sich auch durchaus nicht übersehen und ebenso wenig der schlanke weiße Hals, der das Köpfchen trug und die runden Arme. Als die Augen des Cornelis diesen Hals streiften, den die kluge Raupe zum Pfade erwählt, da stieg in ihm der Gedanke auf, daß ein Meister, der solch köstliches warmes Fleisch zu malen verstünde, mit blauen Adern darin, doch wohl der größte sein müßte.
Das Anschauen und Denken währte aber kaum so lang, wie eine Minute währt, dann kam der Cornelis wieder zu sich, weil eine helle Stimme zu ihm sagte: »Ich danke Euch, daß Ihr mir das häßliche Thier hinweg genommen, ich fürchte mich vor dergleichen Gezücht gar sehr!«
Dann wandte sich die volle köstliche Gestalt zögernd und erröthend von ihm und er sah sie unter einer Schaar von andern Frauen verschwinden.
Da wanderte er langsam heim, aber zum ersten mal in seinem Leben war er gegen den Vater still und wortkarg, und wenn er auch in der folgenden Nacht recht gut schlief, so stand er doch auf wie ein Träumender und saß vor seiner Staffelei, als ob er wirklich malen wollte. Seine erste Frage an den Meister war: »Ist es wohl sehr schwer, rosiges Fleisch zu malen?«
»Von mir kannst Du es nicht erlernen,« gab der Befragte zur Antwort, schier verwundert, den Wildfang eine Frage thun zu hören über die Kunst der Malerei. »Willst Du gern Heiligengestalten malen lernen, obgleich das nicht halb so freudebringend sein mag, als die Blumen zu conterfeien, so will ich Dich alsbald nach Antorf oder Brügge schicken; dort leben tüchtige Meister genug, die den Sohn des de Hem wohl als Schüler aufnehmen möchten, sobald er versprechen wollte fleißig zu sein.«
»Ich will mir's überlegen, Vater!« sagte der Sohn darauf. Er überlegte sichtlich in den nächsten Tagen und Wochen, denn er war ernsthaft und zerstreut; leider überlegte er aber mehr draußen, als in der Malerstube. Durch alle Straßen und Gassen wandelte er auf und nieder und schaute verstohlen zu allerlei blumenbesetzten Fensterlein hin. Doch trotz alles Schauens fand er die eine nicht, die er heimlich suchte. Der Cornelis wurde aber deshalb nicht lebensmüde, er verlor auch seinen Appetit nicht, sein Unmuth machte ihn nur noch fauler als zuvor, und das wollte nicht wenig sagen. Stundenlang konnte er jetzt mit dem Pinsel auf dem Malertuch hin und wieder fahren ohne einen ordentlichen Strich zu thun, und sein größtes Vergnügen war, verschiedene weiße, rothe und gelbe Farben so lange zu mischen, bis sie einen weichen Fleischton gaben, – just wie jenes Stückchen Mädchenhals, auf dem die Raupe spazieren gegangen. Am liebsten hätte er sich ganz allein mit dieser Erinnerung in den Wald gelegt und Gräser und Blumen über sich zusammenwachsen lassen.
Das erste Liebesgefühl macht den Menschen fast allezeit zum weichen Träumer. Jene wunderbare Wandelung und Erhebung, von der die Poeten so viel zu reden wissen, geschieht immer erst, wenn die heimliche süße Hoffnung auf Gegenliebe ins Herz schleicht, die höchste Anspannung aller Kräfte aber zeigt sich da, wo der Kampf beginnt um den Besitz des geliebten Gutes. So viel war sicher, Cornelis de Hem erfuhr noch keine Wandelung.
In Utrecht war es Sitte geworden, daß die Leute, die ein eignes Stück Gartenland besaßen, wo sie Blumen zogen, dem berühmten Meister von Zeit zu Zeit köstliche Blumensträuße in die Malerstube trugen. Auch selbst gezogene, auserlesene Früchte aller Art brachte man ihm in der Hoffnung, bald diese Erdbeeren, Kirschen oder Trauben auf dem Malertuche wiederzuerkennen. Fast allmorgendlich in der Sommerzeit klopfte es an die Thür des Meisters, und es war fast rührend zu sehen, wie bald ein stattlicher Bürger mit eigenen Händen einen schweren Korb köstlichen Obstes brachte, bald ein erröthendes blödes Kind ihm einen Riesenstrauß entgegenhielt, oder ein altes Mütterchen eintrat und ihren Gelbveigeleinstock auf das nächste Bild gemalt haben wollte, oder ein Gärtner um ein Plätzchen bat für eine Prachtmelone. Und alle gingen zufrieden heim, alle hatten das Lächeln des Meisters gesehen und seinen Händedruck empfangen, warteten nun geduldig auf die Erfüllung dieser stummen Verheißung und sahen in ihren Träumen schon ihre Lieblingsblüten oder Früchte, genau wie sie leibten und lebten, dargestellt durch den kunstvollen Pinsel des berühmten Meisters de Hem.
Der Juli schaute schon mit seinen warmen Augen ins Land, da klopfte es eines Morgens recht rasch und keck an die Malerstube, die Thür öffnete sich und das hübscheste Mägdlein, das jemals diese Schwelle überschritten, trat ein. Cornelis stieß einen Ruf der Ueberraschung aus: – es war ja die Schöne mit der Raupe! Sie trug einen Steinkrug sorglich in den Händen mit den ausgesuchtesten Blumen gefüllt, den sie aber beinahe hätte fallen lassen, als sie den Cornelis ansah. Hell erglühend trat sie vor den Meister hin, verneigte sich sittig und stammelte: »Meine Mutter ist Eure Nachbarin geworden und sendet Euch den ersten Strauß aus unserm Garten für Eure schönen Bilder.«
Als nun der Meister die duftende Gabe freundlich angenommen und ihr dabei gesagt, daß er den Dankesgruß der Frau Nachbarin selbsteigen zu bringen gedächte, zögerte das Mägdlein noch zu gehen, zupfte an ihrer Tasche, sah dann verstohlen zu dem Cornelis hin, der verlegen aufgestanden war, und fragte endlich auf ihn zeigend: »Der da ist wohl Euer Farbenreiber?«
Da flog ein recht bitterböser Blick aus dunkeln Augen wie ein Feuerfunke zu ihr herüber, der Meister aber antwortete lachend: »Nein, Jungfräulein, das ist mein Sohn und Schüler!«
»Nun, so erlaubt, daß ich ihm die Hand reiche zum Dank; er ist's, der mir vor sechs Wochen die häßliche Raupe vom Halse geschafft!«
Und während sie ohne eine Gegenrede abzuwarten zu dem Jüngling hinging, begleitete sie ein tiefer Blick aus den warmen Maleraugen des Meisters. Der Blick wanderte von der rosigen Jungfrau zu dem heißerglühenden Sohne, der eben die Hand des schönen Kindes gefaßt, und – Meister de Hem wußte mehr von den Herzen jener beiden lächelnden Kinder, als diese selbst.
Aber er sagte wohlweislich kein Wörtchen, als das Töchterlein der Nachbarin die Malerstube verlassen, Cornelis schwieg auch, und so hörte man eine lange Weile nur die Fliegen summen an den Scheiben. Nachher fuhr der Sohn plötzlich auf; »Farbenreiber!« murmelte er ingrimmig, nahm Pinsel und Palette zur Hand und fing mit einem male zu malen an, als solle die kleine Holztafel noch selbigen Tages an einen Käufer abgeliefert werden.
Meister de Hem aber lächelte heimlich. Das Gelbveigelein, das eben unter seiner Hand erblühte, erschien wie in Gold getaucht. War's ein Wunder? Ein froh hoffendes Vaterherz half ja malen.
*
Seit jenem Tage ging es zwischen den beiden Nachbarshäusern gar freundlich zu. An jedem Morgen kam die schwarzäugige Ursula und brachte Blumen und Früchte und allabendlich pflegte der Meister de Hem hinüber zu wandern, um mit der ehrsamen Wittwe und dem muntern Töchterlein zu plaudern, auch wohl auf und nieder zu wandeln mit ihnen in dem zierlich gehaltenen Garten. Großes Wohlgefallen schien er zu finden an den beiden. Mafrouw Vanderbeeck war erst durch den Tod eines Vetters in diesem Frühling Besitzerin eines Häuschens in Utrecht geworden, und im April von Brügge mit ihrem einzigen Kinde herübergesiedelt. Mit nicht geringem Stolz vernahm sie, daß sie die Nachbarin des berühmten Blumenmalers geworden, von dessen herrlichen Bildern man in den ganzen Niederlanden so viel redete, und sie hätte willig ihre Blumenbeete kahl gepflückt um seinetwillen. Der Cornelis benahm sich wunderlich. Kam die Ursula in die Malerstube, so grüßte er sie kaum; sie nickte überhaupt nur recht obenhin zu ihm herüber und trat dann gleich an die Staffelei des Meisters um zuzuschauen. Jeden Pinselstrich verfolgte sie mit den Augen, auf jedes Pünktlein achtete sie, das er aufsetzte. Manchmal holte sie tief Athem, wie jemand, der vor Bewunderung schier außer sich geräth, manchmal schlug sie die Hände in einander und brach in laute Freudenrufe aus über das Aufblühen und Werden vor ihren Augen. Wenn sie nun so ganz versunken dastand, ließ der Cornelis keinen Blick von ihr. Zu verwundern war das eben nicht, denn es gab in der That genug zu schauen an der Ursula. Der junge Leib war so schlank und anmuthig, das Mieder umschloß die Brust so züchtig, der obere Rock von hellerer Farbe war so zierlich geschürzt über dem dunkeln Untergewande, die kleinen Füße standen so fest und trotzig da, der rechte Arm war leicht in die Seite gestemmt und der Ellnbogen mit dem Grübchen wandte sich just dem Cornelis zu. Die Linie vom Ansatz des Kopfes hinab zum Nacken, den das schneeweiße Tuch nur in der Mitte, wo die Raupe gewandelt, ein wenig frei ließ, erschien ihm gar zu schön. Auf den starken blonden Flechten saß die weiße Haube der Mädchen von Brügge und stand zu dem feinen rosigen Gesicht, das so gern lachte, wunderbar gut. Ueber eines ärgerte sich nur der junge Maler, daß sie nämlich kein einzig mal herüberblinzelte zu ihm, und heiß und heißer stieg in seiner Seele der Wunsch auf, so malen zu können wie der Vater, damit Ursula genau so hinter seiner Staffelei stünde, wie jetzt hinter der des Meisters.
Lange durfte die Kleine aber nie in der Malerstube bleiben: Mafrouw Vanderbeeck war fleißig und hielt das Töchterlein zu jeglicher Arbeit an, und Ursula war ein gehorsames Kind. Ehe sie forthuschte, streckte sie jedesmal dem Meister herzig die Hand entgegen, an dem Cornelis und seiner Staffelei rannte sie jedoch immer nur eilfertig und geringschätzig vorbei. In der Thür schaute sie aber doch regelmäßig noch einmal zu ihm hin, und der junge Maler vergaß auch immer seinen Kummer über diesem einen süßen Blick. Sonst hatte er sich keinerlei Bevorzugung von ihr zu rühmen, weshalb er auch ungern ins Nachbarhaus ging; frohe Zeit hatte er nämlich dort nicht. Mafrouw betrachtete ihn mit gewaltig strenger Miene, und Ursula redete nur immer von seinem Vater. Sie fragte nach dessen Bildern, erkundigte sich eifrig, wie weit diese oder jene Blume aufgeblüht, die sie am Morgen entstehen gesehen unter dem Pinsel des Meisters, wollte wissen, was er alles gemalt, bevor sie ihn gekannt, und was er noch malen werde und so weiter. Noch bösere Dinge fragte sie mit schalkhaftem Lächeln: was er selber im Laufe des Tages geschafft und wie viel Pinselstriche er in einer Woche wohl zu machen pflege. Und als er ihr einmal unmuthig zur Antwort gegeben, daß er ihr lieber wünschte erzählen zu können, wie er ein Pferd getummelt, oder welch kunstvolles Geräthe er geformt, oder welch tüchtiges Schwert er gemacht, da sah sie ihn groß an und sagte: »Das wird doch wohl Euer Ernst nicht sein. Der Malerstand ist doch der höchste, herrlichste auf Erden. Und wenn ein rechtes Mägdlein die Wahl hätte unter hundert Freiern und ein Maler ist unter ihnen, so wird sie die reichsten und schönsten fortgehen heißen um dessenwillen.«
»Würdet Ihr das thun, Ursula?«
»Gewiß und wahrhaftig würde ich keinen lieben, der nicht ein tüchtiger Maler ist.«
Er war ganz blaß geworden bei diesen Worten. Da zog sie ihn in den Garten, zeigte ihm tausend Dinge, an denen eigentlich weiter nichts zu sehen war, rief ihn unaufhörlich zu Hülfe vor einem Käfer, einer Raupe, einer Spinne, die noch lange nicht daran dachten, sie zu berühren, und lief endlich mit strahlendem Gesicht dem Meister de Hem entgegen, der in die Gartenthür trat. Kam der Vater, so verschwand der Sohn. Er flüchtete sich dann in die Malerstube und schaute mit verschränkten Armen hinüber in den Nachbarsgarten, wo der Meister mit den Frauen saß. Gut war's, daß seine Blicke nicht zu zünden vermochten, sie wären drüben alle elendiglich verbrannt. Cornelis begriff nicht, wie der ernste Vater so großen Gefallen finden konnte an der neckischen Dirne, und noch weniger, wie dies ruhelose Mägdlein still zu seinen Füßen sitzen und seiner Rede zu lauschen vermochte, ohne an Spinnen, Käfer und Raupen zu denken. Oft schalt er sich, daß er so viel an die Ursula dachte, die ihn ja nur auslache und meistere, es gäbe doch sicher hübschere Dirnen in Utrecht. Nein, es gab doch keine, die lieblicher zu lächeln wußte, das erkannte er schon am nächsten Morgen, wenn sie mit dem Blumenstrauß in die Malerstube trat. Einmal, als er von ihr ging, gab sie ihm freundlich die Hand und sagte halb bittend halb schelmisch: »Seid fleißig, Cornelis, daß Ihr ein ordentlicher Maler werdet!«
Das fuhr ihm recht ins Herz, und wär's nur eben nicht dämmerig gewesen, er hätte gemalt, bis ihm die Finger erlahmten. Fleißiger wurde er aber doch, das Herumlaufen hörte auf, er hielt ganze Vormittage in der Malerstube aus. Sah ihn aber die Ursula einmal wieder besonders hochmüthig an, so konnte er dennoch wieder stundenlang müßig darüber nachgrübeln, oder seinen Grimm darob im Freien verlaufen. In solch einer Stimmung begegnete ihm eines Tages einer seiner Zechgenossen, hielt ihn auf und fragte ihn lustig, wie ihm denn seine junge künftige Stiefmutter gefalle. Und als der Cornelis ihn darauf anstarrte wie im Traume, gab ihm der andere einen Stoß und sagte lachend: »Stellt Euch nur nicht wunderlich an, Ihr müßt doch am besten wissen, daß der Meister um die hübsche Ursula aus Brügge freit. Es verargt ihr auch niemand, daß sie ihn nimmt, wenn er gleich ihr Vater sein könnte.«
Da war's, als schlüge ein Blitzstrahl nieder vor dem Cornelis. Er taumelte nach Hause wie ein Trunkener und überlegte unterwegs nur, ob er seinen Vater und Lehrmeister erwürgen sollte oder erstechen. Wie er aber in die Malerstube kam und die verlassene Staffelei des Meisters im Dämmerlicht stehen sah, starben alle Rachepläne eines jähen Todes und er schlug die Hände vor das Gesicht in recht bitterer Pein. Tausend Gedanken wogten auf und ab in ihm, aber nur ein einziger großer Schmerz stand still in seinem Herzen. Also beide hatten sie ihn betrogen, Vater und Ursula! Seines Bleibens war hier nicht länger: fort wollte er und noch diese Nacht.
Er ging hinauf in die Schlafkammer und schnürte sein Bündel. Da kam der Meister nach Haus. Einen Strauß von Astern brachte er dem Sohne herauf: »Das schickt Dir die Ursula,« sagte er. »Morgen früh müssen wir Abschied nehmen von ihr, sie geht nach Brügge für den Winter zu ihrer Muhme; einem lästigen Freier gedenkt sie zu entlaufen.«
»Einem Freier?«
»Ja! Einem reichen, schmucken Fant, der einen Stoßdegen trägt und ein Barett mit wallenden Federn darauf.«
»Und sie will ihn nicht?«
»Sie gab ihm zur Antwort, sie wolle sich nur einem Manne zu eigen geben, der ihr ein lebendiges Bild male; worauf der verliebte Geck sich hoch und theuer vermaß, ihr solch ein Ding zu machen – die Kunst der Malerei sei Kinderspiel. Cornelis, ich hätte wohl Lust mit ihm in die Schranken zu treten um solchen Preis, ich will ein Bild für sie versuchen von Blumen und Früchten, die leben!«
»Aber ihr nicht allein, ich auch!« rief plötzlich Cornelis und richtete sich hoch auf. – Mit Staunen sah ihn der Vater an. Was war geschehen mit dem Jüngling? Wie ein gereifter Mann stand er da, die herrlichen Augen erfüllt von Begeisterung, ein Leuchten der Siegesahnung auf der prächtigen Stirn. – »Nicht gegen ihn, den elenden Prahler, werde ich aber kämpfen, sondern gegen Euch, Meister de Hem, und Ursula heißt der Preis!«
Und fort stürzte er mit seinem wunden Herzen hinaus in die stille Nacht.
*
»Es sind zwei Kämpen aufgestanden über Nacht, die Euer holdseliges Töchterlein dem kecken Freier abzuringen trachten,« sagte der Meister zu Frau Vanderbeeck, als sie am folgenden Morgen mit Ursula herüber kam, um Abschied zu nehmen. »Cornelis und ich begehren mit dem Pinsel in der Hand um Ursula zu streiten. Ist's den beiden Frauen genehm?«
Die Mutter sagte fest »ja«, die Tochter nickte hastig und versuchte zu lächeln, mit thränenschweren Augenlidern. Wie aus alter Gewohnheit schlich sie hinter die Staffelei des Meisters, aber diesmal sah sie nicht, wie schön er die Schneeglöcklein malte und die blauen Veilchen, alles zitterte vor ihr und schwamm wie in einer Wasserflut. Endlich sagte die ruhige Stimme der Mutter: »Es ist Zeit, mein Kind, wir müssen gehen!«
Da brachen die Thränen des Mägdleins unaufhaltsam hervor; es war, als sollte ihr das Herz brechen; krampfhaft preßte sie die kleinen Hände auf die wogende Brust, dann aber plötzlich wandte sie sich und stürzte in die Arme des Meisters, der sich tröstend zu ihr niederbeugte.
»Malt nicht gar zu gut!« flüsterte sie, nur ihm allein verständlich – dann noch einen Blick für Cornelis, ein zitternder Händedruck – und die schwere Thüre der Malerstube schloß sich hinter der lieblichen Gestalt.
*
Der Sommer war wiedergekommen, aber noch keine Ursula. Alles glühte, strahlte und lebte, Himmel, Erde und Menschen. Vor dem heißen Kuß der Sonnenstrahlen konnte sich niemand retten. Nur in der Malerstube des Meisters de Hem, die nach Norden gelegen, war es kühl und schattig wie im Herbste. Vater und Sohn hatten allda den Winter über fleißig gearbeitet, der Meister war nicht fleißiger als sonst, allein der Sohn um so unermüdlicher, daß der Vater ihn zuweilen anreden mußte, um an dem Tone seiner antwortenden Stimme zu hören, daß es wirklich der einst so faule Cornelis sei, der jetzt an der Staffelei schaffe. Jeder arbeitete an einem großen Bilde, beide wußten für welchen Preis, beide verhängten aber ihre Staffeleien dicht, wenn sie die Stube verließen, damit der andere keinen Blick auf die Arbeit werfe. Sonst schienen sie die Rollen getauscht zu haben. Der sonst so ernste Meister war froh und heiter, redete oft ein munteres Wort, warf einen Scherz hin, summte auch wohl gar ein Liedchen zwischen den Lippen. Cornelis schaute finster darein, sang und lachte nicht mehr, arbeitete oder schaute in der Dämmerung hinüber in den verschneiten Nachbargarten und dachte an jenen letzten Kuß, den Ursula dem Vater gegeben, an jenes Geflüster mit ihm, das ihm sein ohnehin so schweres Herz noch schwerer gemacht. Aber er fragte nie; der Name »Ursula« kam weder über des Vaters, noch über des Sohnes Lippen.
Heute, am 1. Juli, war ein wichtiger Tag. Ein Bote hatte die Nachricht gebracht, daß Frau Vanderbeeck mit ihrem Töchterlein des nächsten Tages wieder in Utrecht einziehen werde; drüben im Nachbarhause wurde von der alten Magd gelüftet und gefegt. Der Meister hatte den letzten Pinselstrich gethan und im Weggehen zu seinem Sohne gesagt: »Schau Dir das Bild an, wenn Du willst.«
Da war nun Cornelis allein. Mit zitternder Hand riß er die Hülle herab von dem Werke des Vaters. Ein »Ach!« der tiefsten Verwunderung entrang sich seiner Brust. Vor der Pracht, die sich ihm zeigte, vergaß der Maler, daß er das Bild seines Nebenbuhlers anstaunte. Da prangten die köstlichsten Früchte zwischen üppigem, theilweis welkendem Laubwerk, in reizender Regellosigkeit in einer Nische dämmerig dunklen Gemäuers hingebreitet. Wie lachten die schwellenden Trauben, die saftstrotzende Melone, der buntstreifige Kürbiß! Zerknickt hatte sich eine reife Kornähre darüber gelagert, und im Vordergrunde blinkten in einem zierlichen Nestchen zarte weiße Eier, der schützenden Sorgfalt entbehrend, denn davor lag, kalt und todt, das Vöglein, das es gebaut, auf dem Rücken, die Glieder in starrem Krampfe zusammengezogen. – Welch' eine Wahrheit, welch' eine Harmonie der Farben und Lichter, welche Vollendung in der Form, welche Grazie in der Gruppirung! Durch den feinen Gegensatz verschiedener Motive welch' ein fesselndes ergreifendes Bild still waltenden Lebens neben irdischer Vergänglichkeit!
Immer entzückter starrte Cornelis auf dies Meisterwerk hin. Wie ärmlich erschien ihm sein Bild dagegen, jener wunderliche Steinkrug Ursula's mit dem Asternstrauß darin, den sie ihm durch den Vater gesandt. Aber seltsam, es überkam ihn keine Wehmuth darob, kein Neid zog in seine Seele beim Anblick dieser herrlichen Schöpfung, ein süßes Behagen durchströmte ihn, und mehr und mehr fesselte ihn der Gedanke, dem sein Vater Ausdruck verliehen. Unwillkürlich belebte sich die stumme Scene vor seinen Augen mit allerhand Gethier, das herbei kroch, seine Nahrung zu suchen oder in der heimlichen Einsamkeit Verstecken zu spielen; er sah bunte Falter fliegen, Libellen streiften seine Stirn, er hörte Bienen summen und kecke Käfer und Raupen krochen leise über seine Hand. Wie im Traume nahm er den Pinsel zur Hand, wie im Traume berührte er das Malertuch, das Bild seines Vaters, und malte.
Wie lange er so stand, er wußte es nicht, die Zeit flog dahin. Aber mit einem Schreckensrufe ließ er den Pinsel fallen, denn Stimmen wurden laut; der Träumer erwachte jählings. Er blickte um sich: Ursula stand am Arme des Meisters vor ihm.
Ein verklärtes Lächeln stand auf der Stirn de Hem's. »Wählt, mein Kind!« sagte er mild zu dem bebenden Mägdlein, »ich denke, das Fruchtstück, vor dem Cornelis steht, dürfte Euch gefallen. Seht nur, wie die tolle Brut darauf ihr Wesen treibt, man möchte sie hinwegscheuchen mit der Hand. Nie sah ich dies Gezücht mit größerer Meisterschaft gemalt. Das lebt, summt, huscht und fliegt in Wahrheit, junger Meister!«
Staunend blickte Ursula auf das Bild. Wahrlich, da lebte und webte es von Insekten aller Art, Frösche und Eidechsen lauerten ihnen auf und naschhafte Mäuse krochen in den Winkeln herum. Aber recht in der Mitte des Bildes, im hellsten Lichte, auf einem krausen Weinblatte, dem Beschauer gerade gegenüber, keck mit halbem Leibe aufgerichtet – was war das? »Ach, die Raupe! Cornelis, helft!« schrie Ursula auf und hing an seinem Halse.
Der glückliche Cornelis fand sich an der Brust des Vaters wieder. Lange hielten die beiden stolzen Gestalten sich umfaßt, lange schauten sie sich wortlos in die Augen – endlich sagte Cornelis leise: »Soll ich mein Glück mit einer Lüge erkaufen?«
Darauf erfolgte die Antwort: »Ich bin Dir eine Belohnung schuldig; belogen und betrogen wir alle Dich doch gemeinschaftlich viele Monden lang.«
»Und der Freier mit dem Stoßdegen?«
»Mußte nur erscheinen, um endlich einen tüchtigen fleißigen Maler zu machen aus meinem trägen Sohne.«
»Und jener Kuß am Scheidemorgen?« rief Cornelis laut.
»Gab Ursula dem Manne, der Euer Vater war!« sagte da eine süße Stimme ihm ins Ohr.
»Aber das heimliche Wörtchen, das Ihr ihm zugeflüstert?« fragte er wieder, sie fest an sich drückend mit seligem Lächeln.
»Nun, ich bat ihn, um Euretwillen nicht allzuschön zu malen, denn ich traute Euch nicht allzuviel, Cornelis! Und seht, wie er Wort gehalten, der liebe Meister! Jenes Steinkrüglein dort mit den Astern, hübsch ist's wohl, aber er kann's doch tausend mal besser, wenn er will!«
»Dem heiligen Lucas sei Dank!« rief der Meister das Paar umschlingend, »es steckt doch ein de Hem in meinem Jungen! Fortan arbeiten wir vereint, Cornelis – die beiden de Hem!«
Und so geschah es auch. Der Cornelis hat seine Ursula nicht allein sein Lebelang vor Raupen und Spinnen geschützt, in welcher Gestalt sie auch heranschleichen mochten, sondern ist dabei ein tüchtiger Maler geworden, wie die mancherlei Bilder beweisen, die noch auf unsere Zeit gekommen. Fruchtstücke aller Art besonders sind mit seinem Namen bezeichnet. Am liebsten aber schmückte er doch die herrlichen Werke seines Vaters mit seinen Lieblingsgeschöpfen, und in der Gestaltung und Nachbildung solcher flatternder, kriechender Gebilde war er ein unübertroffener Meister. Ueber eine de Hem'sche Fliege mit ihrem grünlichen Goldschimmer und zart geaderten Flügeln mußte selbst, so meinten die Zeitgenossen des Cornelis, der liebe Gott seine Freude haben.
Wen es aber gelüstet jenes berühmte Bild mit der kecken Raupe zu sehen, der mache sich auf den Weg nach Dresden und durchwandere daselbst die stolzen Räume der Gemäldegallerie. In einem der kleinen Seitencabinete, das einige alte werthvolle Niederländer beherbergt, z. B. etliche kleine Zachtleven und ein Paar Hemskerken, prangt auch das köstliche Fruchtstück de Hem's. – Je näher man es beschaut, desto überwältigender tritt die Schönheit des Blätterwerks, die Herrlichkeit der Früchte hervor. Und dazwischen fliegt, summt, huscht und kriecht das Wespen-, Bienen- und Libellenvolk umher. Dem staunenden Bewunderer gerade ins Gesicht aber schaut, in halb gehobener Stellung, jene kecke Raupe, deren glückliches Urbild einst auf dem schönsten Mädchennacken gewandelt.