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Nach langen Erwägungen nahm Per eines Tages einige Rollen Zeichnungen und seine Berechnungen und suchte Professor Sandrup in dessen Privatwohnung auf, um ihn zu bitten, sich sein Kanal- und Fjordregulierungsprojekt einmal näher anzusehen. Der Professor riß die Augen auf, setzte schweigend seine Brille auf die lange Nase und brummte unwirsch. Mit der unheimlichen Fähigkeit alter Lehrer, sofort auf die schwachen Punkte einer Arbeit zu stoßen, fand er denn auch bald einen Fehler in Pers Berechnungen der Strömungsgeschwindigkeit.
Per konnte weder den Fehler noch dessen Bedeutung für den ganzen Plan leugnen. Er wurde dunkelrot und brachte kein Wort zu seiner Verteidigung hervor.
Da nahm der Professor die Brille wieder ab. Wohl lobte er das Interesse und den Fleiß, von denen die Arbeit zeugte, gab jedoch Per den dringenden Rat, seine Zeit künftig nicht mehr mit dergleichen zwecklosen Versuchen zu vergeuden, sondern sich dem gründlichen und planmäßigen Studium der vorgeschriebenen Examensfächer zu widmen.
Als Per nach Hause gekommen war, nahm er die Papiere wieder vor und ging sie gewissenhaft durch. Aber es half nichts: Der Fehler ließ sich nicht bestreiten. Er hatte sich gleich zu Anfang seiner Berechnungen der Strömungsgeschwindigkeit eingeschlichen; ihn zu berichtigen würde, wie der Professor gleich gesehen hatte, zur Folge haben, daß der projektierte mittlere Wasserstand an der niedrigsten Stelle des Flusses den Wasserspiegel unter das Niveau des Meeresspiegels senkte. Mit andern Worten, der ganze Plan beruhte auf einer falschen Grundlage und war undurchführbar.
Aufs neue stieg ihm die Schamröte ins Gesicht. Sein stolzes Königreich sah er unrettbar in Schutt und Asche sinken. Länger als eine Stunde saß er tief gebeugt am Tisch, den Kopf in den Händen, regungslos.
Aber plötzlich stand er auf, warf die Zeichnungen, Berechnungen und Entwürfe in die Kommodenschublade, zündete sich eine Zigarre an und eilte in die Stadt, wo er den Nachmittag in einem Billardzimmer verbrachte. Lärmend ging er in Hemdsärmeln umher und spielte mit jedem, der sich anbot. Er war sogar ungewöhnlich treffsicher im Spiel und gewann eine Partie nach der anderen. Niemand sollte es ihm anmerken, daß er am selben Tag eine so schmähliche Niederlage erlitten hatte.
Spät am Nachmittag traf er hier einen Bekannten, der ihm eine übriggebliebene Eintrittskarte zu einem Künstler- und Studentenkarneval am selben Abend anbot. Die Karte war zum halben Preis zu haben. Per kaufte sie sofort.
Am nächsten Abend wartete er mit hochgeschlagenem Mantelkragen in einer der dunkeln und stillen Ecken am Frue Plads. Es schneite in dichten Flocken. Vor ihm auf dem Platz war kein Mensch zu sehen. Der weiße Schneeteppich umgab die Kirche ohne eine einzige Fußspur. Die Statuen von Moses und David vor dem Eingang des Gotteshauses hatten große weiße Perücken bekommen und erinnerten mit diesem Kopfputz und ihren schwarzen Mänteln an Holbergsche Advokaten.
Per wartete auf eine Dame, eine jüngere Frau, die er auf dem Karneval getroffen und mit der er die halbe Nacht getanzt hatte. Er machte sich keine großen Hoffnungen, daß sie kommen würde. Es war sein erstes Liebesabenteuer mit einer wirklichen Dame, und sie hatte ihm auch kein Versprechen geben wollen. Seinen dreisten Vorschlag hatte sie mit einem verlegenen Scherz fast abgewiesen.
Die Turmuhr hatte längst neun geschlagen. Er dachte gerade daran, nach Hause zu gehen, als sich jemand hinter ihm räusperte. Es war ein Dienstmann, der ihn um seinen Namen bat und ihm dann einen Brief aushändigte.
Per eilte unter die nächste Laterne, und während seine Nase gierig den Veilchenduft des Papiers einatmete, las er: »Komme natürlich nicht. Will aber versuchen, Ihnen eine Einladung für nächsten Sonntag bei Fabrikant Fensmarks zu verschaffen. Ich glaube, es fehlen Tänzer.« Der Brief war ohne Unterschrift. Eine Nachschrift fehlte dagegen nicht. Da stand: »Eigentlich bin ich sehr böse auf Sie. Ich hoffe, Sie schämen sich ein wenig.«
Er steckte den Brief in die Tasche und lächelte befriedigt. Er dachte an Lisbeth. Nun konnte er ihr endlich den Laufpaß geben. Seit langem empfand er Widerwillen gegen diese Art Mädchen, die jedem gehörten mit ihren Roheiten und Prellereien, ihren Flöhen und verdreckten Kammern. Ein reicheres, würdigeres Liebesleben sollte jetzt für ihn beginnen. In seiner Phantasie entrollte sich eine bezaubernde Vision von galanten Erlebnissen: gefahrvolle Stelldichein, geheime Droschkenfahrten, versteckte Händedrücke unter dem Tisch, verstohlene Küsse hinter dem Fächer, schüchterne Zugeständnisse.
Per war durch die Skoubogade gegangen und wollte gerade in die Vimmelskaftgade einbiegen, da unterbrach er plötzlich die schönen Vorstellungen mit einem Fluch. Ein kleiner, in einen Zobelpelz gekleideter Herr unter einem großen Regenschirm kam auf demselben Bürgersteig direkt auf ihn zu. Obwohl der Schirm seinen ganzen Oberkörper verdeckte, hatte er ihn sofort an dem schnellen Gang erkannt. Es war Ivan Salomon.
Um ihm nicht zu begegnen, trat Per schnell über den Rinnstein und wollte die Straße überqueren; doch es war zu spät. Ein Ausruf, ein Freudenschrei: »Herr Sidenius! Ist das nicht Herr Sidenius?« zwangen ihn stehenzubleiben.
»Wenn Sie auf dem Weg ins ›Gryde‹ sein sollten«, sagte Salomon, »so rate ich Ihnen ab hinzugehen. Ich komme eben von dort. Heute abend ist es da nicht auszuhalten vor Langerweile. Keiner ist anwesend außer Enevoldsen; aber unser guter Dichter putzt geistesabwesend seinen Zwicker. Er hat offenbar große Schwierigkeiten, irgendwo ein Komma anzubringen. Kommen Sie, gehen wir woandershin! Sie machen mir doch das Vergnügen, mit mir zu Abend zu essen? Sie haben Zeit, nicht wahr?«
Per wußte, daß er hier jeden Widerstand gleich aufgeben konnte. Er würde doch keinen Einwand finden, den Salomon nicht augenblicklich entkräften könnte.
Außerdem hatte er gar keine Lust, nach Hause zu gehen und sich seine gute Laune verderben zu lassen, weil er dort an das erinnert wurde, was im Kommodenschubfach lag. Schlafen konnte er ohnehin nicht. Und wenn der andere ihn durchaus mitnehmen wollte, nun – warum nicht?
Kurze Zeit später saßen sie auf einem weinroten Plüschsofa in einem neuerbauten eleganten Restaurant eines Hotels, das vor allem von reisenden Landadligen und Offizieren besucht wurde. Ein kostbarer Brüsseler Teppich bedeckte den Fußboden des Lokals, große Spiegel bildeten die Wände, befrackte Kellner bedienten lautlos, und die Gäste, unter denen sich einige Damen befanden, unterhielten sich mit leiser Stimme.
Per fühlte sich im ersten Augenblick etwas bedrückt. Er war es nicht gewohnt, sich in so vornehmer Umgebung zu bewegen. Besonders unangenehm aber war es ihm, mit Salomon hier zusammen zu sein. Der hatte durch sein lautes und anmaßendes Auftreten sogleich die nicht gerade wohlwollende Aufmerksamkeit der Gäste auf sich gezogen.
Vor allem ein Gast – ein Herr, der allein saß und den Per übrigens noch nicht bemerkt hatte – blickte ärgerlich von seiner Zeitung auf. Er war etwa vierzig Jahre alt, eine große, skelettartige, schlaffe, kahlköpfige Gestalt mit einem lang herabhängenden blonden Schnurrbart und einem goldenen Kneifer im eingefallenen Gesicht. Er schaute Ivan Salomon mit einem verächtlichen Blick an; als er aber Per bemerkte, stieg eine leichte Röte in seine wachsbleichen Wangen. Er versteckte sich schnell hinter seiner Zeitung, so daß nichts von seiner Person zu sehen war als ein Paar lange gekreuzte Beine.
»Was wollen Sie essen? Austern vielleicht?« fragte Salomon, zog seine rotbraunen Handschuhe aus und schob sie zwischen die beiden untersten Westenknöpfe. »Haben Sie heute abend auch wirklich frische Schalentiere da?« wandte er sich an den Kellner, der mit einer etwas geringschätzigen Verbeugung bejahte.
Per wagte es nicht, einzugestehen, daß er das vornehme Gericht nicht besonders mochte. Aber andererseits wollte er nicht gern auf ein gutes Abendessen verzichten. Von dem langen Warten in der kalten Frostluft war er hungrig geworden. Ihn verlangte nach Fleisch, Käse und Eiern – nach vielen Eiern.
»Austern sind ganz gut«, antwortete er. »Aber ich sage Ihnen gleich: Ich bin hungrig wie ein Wolf.«
»Bravo! Ausgezeichnet!« jubelte Salomon und klatschte in die Hände. Alle Gäste, selbst die Damen, drehten sich empört nach ihnen um. Auch der goldene Kneifer des einsamen Herrn zeigte sich einen Augenblick über dem Rand der Zeitung. Zum Kellner gewandt, fuhr Salomon fort: »Lassen Sie hören . . . Was haben Sie heute abend sonst noch?«
Der Befrackte zählte eine Reihe von Gerichten auf.
»Wir möchten alles – das ganze Register!« rief Salomon in zügelloser Ausgelassenheit und vollführte mit beiden Armen eine Schwimmbewegung über den Tisch. »Tafeln Sie auf! Ein grand souper! Und ein bißchen fix, mein Lieber! Wir sind hungrig wie die Wölfe!«
Per, der gesehen hatte, daß selbst der Kellner ein hochmütiges Gesicht machte, wußte in seiner Verlegenheit keinen anderen Ausweg, als auf den Ton des anderen einzugehen. Er nahm einen Zahnstocher aus dem Behälter auf dem Tisch, lehnte sich in die Sofaecke zurück und warf einen herausfordernden Blick in den Saal.
Dann wurden die »Schalentiere« auf kleinen Eisstücken und mit einer Flasche gekühltem Champagner aufgetragen. Später folgten wildes Geflügel, Spargel, ein Omelett, Käse, Sellerie und Obst. Per nahm ausgiebig von allem. Er sagte sich, wenn er nun einmal hergekommen war, wollte er auch etwas davon haben. Es war das erste Mal in seinem Leben, daß er so königlich bewirtet wurde.
Salomon selbst nippte nur an den ersten Gerichten, redete dafür aber unaufhörlich. Er war auf sein Lieblingsthema gekommen, die Renaissance. »Das war die große Blütezeit der Menschheit«, erklärte er, »wo Dichter, Künstler, Entdecker, all die großen Begabungen wie Fürsten lebten, wie Könige geehrt und von Königinnen geliebt wurden, während heutzutage die Genies in Dachkammern leben und hungern und kaum noch zur guten Gesellschaft gerechnet werden. Deswegen mangelt es ihren Werken oft an Größe, an der gigantischen Kraft, die unwiderstehlich mitreißt. Vorhin sprach ich von Enevoldsen. Weiß Gott, ich schätze sein Talent sehr hoch. Seine ›Schöpfung‹ betrachte ich als lyrisches Meisterwerk. Und doch – nicht wahr? – Filigranarbeit, bezauberndes Hirngespinst, schöne Statuetten, aber keine Monumente. Drei Tage lang grübelt er über ein Adjektiv. Ihm fehlen die großen Erlebnisse, das ist es! Ach, wenn man reich wäre, reich, reich!« Er warf sich ins Sofa zurück, beide Hände um den Nacken gelegt, einen Fuß unter sich hochgezogen, so daß man ein Stück seines rotseidenen Strumpfes sah.
»Ich glaubte, Sie wären reich«, bemerkte Per trocken, um auch etwas zu sagen.
»Ach, reich . . . Nein, mit Millionen müßte man um sich werfen können. Gold mit beiden Händen hinauswerfen. Die Genies sollten ringsum im Land wie kleine Fürsten leben, umgeben von einem Hofstaat, Jagden, Maskenbälle abhalten, Geliebte haben . . . Denken Sie an Rubens, an Goethe, an Voltaire!«
Wieder beugte er sich über den Tisch, um Pers Glas zu füllen. Und nun versuchte er seinen Gast zu bewegen, über sich selbst und die eigenen Zukunftspläne zu sprechen. Von einem gemeinsamen Bekannten, einem Mitarbeiter am Polytechnikum, hatte er erfahren, daß sich Per – wie seine Studiengefährten allgemein annahmen – mit irgendeiner großen Erfindung trage. Es bekümmerte Salomon, daß er Per bisher nicht dazu hatte bringen können, etwas darüber zu offenbaren, damit er Gelegenheit bekäme, ihm seine Unterstützung anzubieten.
Doch Per war jetzt weniger denn je zu solchen Vertraulichkeiten aufgelegt. Er tat, als verstünde er nichts. Als er mit dem Essen endlich fertig war, zündete er sich eine Zigarre an und lehnte sich in das hohe Sofa zurück, ohne sich länger die Mühe zu machen, die Ergüsse des anderen anzuhören.
Seine Gedanken, vom Wein beflügelt, schweiften wieder zurück zu der Dame auf dem Karneval . . . Frau Engelhardt hieß sie. Während er mit den Augen dem dahinschwebenden Zigarrenrauch folgte, verwandelte er sich in seiner Phantasie in einen luftigen Flor, einen wehenden Alkovenvorhang, durch den ihre reife Gestalt in nackter Schönheit schimmerte. Erst jetzt wurde ihm klar, wie verliebt er war. Wenn er ehrlich sein sollte, mußte er zugeben, daß sich seine Gefühle für sie bis zu diesem Augenblick nicht sonderlich von denen unterschieden hatten, die er stets für schöne und üppige Frauen empfand. Das einzige, was ihn etwas störte, war der Gedanke an ihr Alter. Sie war nicht mehr ganz jung, aber kaum älter als dreißig. Doch selbst wenn es so war! Der Blick ihrer dunkelbraunen Augen, die groß waren wie reife Kastanien, ihre verwegene Haltung in dem reizenden Kolumbinenkostüm, die vollen Schultern, die bebenden Flügel ihrer kleinen Stupsnase all das verriet jugendliches Feuer und heißes Verlangen nach Hingabe, die den Jahren und dem Alter trotzten.
Plötzlich fiel sein Blick auf den Herrn mit dem goldenen Kneifer, der endlich seine Zeitung weggelegt hatte und nun den Kellner rief, um zu zahlen. Als ihre Blicke sich trafen, erhoben sich beide ein wenig zu einem zeremoniellen Gruß.
»Gott, das ist ja Neergaard!« rief Salomon. »Kennen Sie ihn denn?«
»Nein . . . Ich habe ihn gestern zufällig auf dem Karneval getroffen.«
»Wie? Sie waren da? Ich habe Sie gar nicht gesehen.«
»Es war auch schrecklich überfüllt. Sie waren also auch da?«
»Gott, ich war doch der Hamlet! Haben Sie mich denn nicht bemerkt?«
Per erinnerte sich gut, einen schmächtigen schwarzgekleideten Ritter in Gesellschaft einer Dame im Kostüm der Schneekönigin gesehen zu haben, die bei den übrigen Damen Anstoß erregt hatte, teils wegen ihres gewagten Ausschnitts, teils weil sie mit Diamanten geradezu überladen war, die wie regenbogenfarbene Reifkristalle in ihrem weißen Schleier glänzten.
»Sie waren mit einer Dame da?« fragte Per.
»Ja, mit meiner Schwester!«
»Ach . . .«
Der Herr mit dem goldenen Kneifer war inzwischen aufgestanden und gerade im Begriff, mit Hilfe des Kellners seinen Mantel anzuziehen. Mit gewissem Neid betrachtete Per seine sehr korrekte und elegante Kleidung und bewunderte die weltmännische Überlegenheit, mit der er den Kellner Hut und Stock bringen ließ und wie er schließlich nur mit einer Handbewegung Feuer für seine Zigarette forderte. In der vergangenen Nacht hatte Per ein paar allgemeine Redensarten mit ihm gewechselt. Kurz nachdem er zum erstenmal mit Frau Engelhardt getanzt hatte, war Neergaard an ihrer Seite aufgetaucht und hatte sich vorstellen lassen. Seitdem hatte er sie dann stets von weitem beobachtet, so daß Per ihn schließlich für einen Nebenbuhler hielt.
Um aus dem Restaurant hinauszugelangen, mußte Herr Neergaard an dem Tisch vorbei, an dem Per und Salomon saßen.
Letzterer winkte ihm kameradschaftlich mit der Hand zu und rief: »Guten Abend, Neergaard! Guten Abend! Na, wie geht es?«
Neergaards Augenbrauen zogen sich in die Höhe wie in unendlicher Überraschung. Darauf lächelte er entschuldigend und beantwortete den Gruß mit nachlässigem Kopfnicken, ohne auch nur die Zigarette aus dem Mund zu nehmen. Per hingegen grüßte er mit beinahe übertriebener Höflichkeit, wodurch dieser gezwungen wurde, sich noch einmal zu erheben und zu verbeugen.
»Was für ein Mensch ist das eigentlich?« erkundigte sich Per, als Neergaard verschwunden war.
Salomon zuckte die Achseln. »Weiß nicht, was ich sagen soll. Kenne ihn im Grunde nur wenig. Ich treffe ihn bloß hin und wieder auf Gesellschaften. Er war wohl mal eine bedeutende Persönlichkeit. Ist übrigens Jurist, trägt einen angesehenen Namen und hat brillante Verbindungen. Kurz, er hat die besten Chancen gehabt, in unseren kleinen Verhältnissen Karriere zu machen. Da war auch mal die Rede davon, ihn im diplomatischen Dienst anzustellen – bei der Gesandtschaft in London, glaube ich. Sogar der Prinz von Wales soll sich für ihn interessiert haben. Ich weiß nicht, was dazwischengekommen ist! Jedenfalls lehnte er ab. Er ist so eine Art Sonderling. Nun hat er eine äußerst bescheidene Stellung in irgendeinem Ministerium.«
Schon am nächsten Tag erhielt Per die Einladung zum Ball, die ihm Frau Engelhardt versprochen hatte. Nun hatte er vollauf zu tun, seine Garderobe aufzubessern, um bei seinem Eintritt in das Kopenhagener Gesellschaftsleben nicht hinter den übrigen Kavalieren zurückzustehen. Zu diesem Zweck erwies es sich als notwendig, Geld zu leihen. Einer seiner Bekannten aus dem Kaffeehaus führte ihn bei einem ehemaligen Landwirt ein, der sein kleines Kapital Früchte tragen ließ, indem er es an junge Leute gegen eine Vergütung von sechzig Prozent und Sicherheit in Form von Policen, Büchern, Mobiliar, Tauf- und Impfscheinen verlieh. Außerdem verlangte er noch eine feierliche Erklärung, die der Betreffende in Gegenwart von Zeugen und mit der Hand auf der Bibel abgeben mußte.
Madam Olufsen machte große Augen, als sie all die neuen Sachen sah, die man fast täglich aus den großen Geschäften der Stadt ins Haus brachte. Sie sprach mit ihrem Mann oft darüber, was das wohl alles zu bedeuten habe. Per selbst sagte nichts. Überhaupt war er in letzter Zeit sehr zurückhaltend und auch fast nie zu Hause.
Die einzige, die irgendeine Aufklärung hätte geben können, war die schweigsame Trine. Mit dem tausendäugigen Instinkt der Liebe hatte das einfältige Mädchen – soweit ihr Verständnis für solche Dinge überhaupt reichte – schnell erfaßt, was sich hier vorbereitete. Immer häufiger flüchtete sie in diesen Tagen in das Bedürfnishaus, wenn der Kummer sie überwältigte und sie allein sein mußte, um sich auszuweinen.
Dennoch hantierte sie mit fast noch größerer Sorgfalt und Andacht in seinen Kammern herum und kümmerte sich um alles, was ihm gehörte. Besonders über all die neuen Dinge, die sie für seine Bräutigamsausstattung hielt, wachte sie so eifrig, als gelte es ihr eigenes Glück. Sie nähte Zeichen in die feine Wäsche, in die Taschentücher und die seidendünnen Strümpfe und legte sauberes Papier in die unteren unverschlossenen Schubfächer, in denen alles liegen sollte. Am Tage des Balls mußte sie ihm den weißen Schlips binden, die Handschuhe zuknöpfen und beurteilen, ob der neue Frack gut im Rücken sitze und ob ihn das mit der Maschine geschnittene Haar auch kleide. Und als die Uhr halb neun war und die bestellte Droschke nicht kam, mußte sie sich Schaf schelten lassen und in Regen und Dunkelheit ohne Hut und Schal die ganze Adelgade hinunterlaufen, um eine andere zu holen.
Als Per den Ballsaal betrat, hatte der Tanz schon begonnen. Ein Dutzend Paare drehte sich feierlich auf dem Parkett, während etwa ebenso viele an den Wänden entlang standen oder saßen. Unter diesen letzten entdeckte er sehr bald Frau Engelhardt. Sie trug ein Kleid aus feuerroter Seide und bewegte einen großen, mit Schwanendaunen verbrämten Fächer. Neben ihr saß ein kahlköpfiger Herr und wiegte seinen Zylinder auf dem Knie – Neergaard.
Beim Anblick dieses Mannes durchzuckte Per sofort der eifersüchtige Gedanke, daß auch dessen Anwesenheit auf Frau Engelhardts begünstigende Vermittlung zurückzuführen sei, und das verdarb ihm die Stimmung. In der ersten Viertelstunde tanzte er gar nicht, sondern hielt sich in den Nebenräumen auf, wo einige ältere Herren Karten spielten. Erst gegen Ende des Walzers verbeugte er sich steif vor der jungen Frau, ohne ihren Kavalier anzusehen. Sie schien ihn nicht sofort wiedererkennen zu wollen. Endlich stand sie auf, raffte die Schleppe und legte mit einem fast mütterlichen Lächeln ihren üppigen Körper in seinen Arm.
»Was sind Sie bloß für ein undankbarer Mensch«, begann sie in ihrem Kopenhagener Dialekt, als sie ein paarmal durch den Saal getanzt waren, ohne daß Per ein Wort gesprochen hatte. »Sie bedanken sich nicht einmal dafür, daß ich Ihnen die Einladung verschafft habe. Und dabei war das gar nicht so leicht, kann ich Ihnen verraten.«
»Ich bin Ihnen sehr verbunden, gnädige Frau.«
»Wie förmlich! Ist Ihnen etwas gegen den Strich gegangen?«
»Ja – eine Kleinigkeit.«
»Und was ist das – wenn man es einer Dame anvertrauen kann?«
»Wieso ist dieser Neergaard hier? Ich kann ihn nicht leiden. Tun Sie mir einen Gefallen und tanzen Sie nicht mit ihm!«
»Nun, ich muß schon sagen . . . Sie sind wirklich anspruchsvoll.« Sie lachte, lehnte sich aber im selben Augenblick schwerer in seinen Arm.
Auch Per mußte lachen. Dieses geheime Zeichen der Vertraulichkeit, der Duft ihres Haars und ihr halbentblößter Busen an seiner Brust – all das erregte ihn sofort. Sie tanzten viermal die Runde, und als er sie wieder an ihren Platz zurückführte, war Neergaard nicht mehr da. Später sah er ihn am anderen Ende des Saals, wo er einem blutjungen Mädchen mit langen korngelben Flechten, die ihr über den Rücken hinabfielen, den Hof machte.
Unterdessen quälte man sich auf dem Ball müde durch die ersten Tänze. Offensichtlich fand außer den Dienstboten, die von Zeit zu Zeit in den Saal schauen durften, niemand Vergnügen. Erst als die Herren die in den Nebenräumen dargebotenen Erfrischungen entdeckt hatten, kam mehr Stimmung auf. Die Gesellschaft der Herren war im übrigen sehr gemischt und der Ton recht ungeniert, wie das oft in gebildeten Familien der Fall ist, wo erwachsene Söhne fehlen und man sich die Ballkavaliere durch entfernte Bekannte verschaffen muß, ohne eine andere Garantie als die Anschrift aus dem Adreßbuch. Die Eingeladenen fühlten sich dem Hause, das sie besuchten, in keiner Weise verpflichtet. Sie benahmen sich höchst ungezwungen, gähnten, kritisierten, stellten Ansprüche – wie in einem öffentlichen Tanzlokal.
Der Wirt, ein kleiner weißhaariger Mann, der die Namen seiner Gäste selbst nicht kannte, ging ängstlich durch die Zimmer und fühlte sich wie der fremdeste von allen. Mit erzwungenem Lächeln waltete er seines ihm von Frau und Töchtern auferlegten Amtes, die Tänzer zum »Arbeiten« zu bewegen. Sah er einen Herrn beschäftigungslos vor einem der Gemälde im Wohnzimmer stehen oder über Gebühr lange bei den Erfrischungen, dann knüpfte er mit ihm eine Unterhaltung an, die ganz unschuldig mit Äußerungen über bildende Kunst, Theater oder Schlittschuhlaufen begann, aber unweigerlich damit endete, daß er den Betreffenden in den Tanzsaal zurückbrachte und hier irgendeiner älteren Freundin des Hauses vorstellte, deren Ballkarte noch ein paar Lücken aufwies.
Frau Engelhardt hatte Per den Kotillon versprochen. Doch als man gegessen hatte und der Tanz wieder begann, suchte er sie vergeblich im Saal und in den anstoßenden Räumen. Zuletzt fand er sie in einem kleinen, schwach erhellten Kabinett, einem sechseckigen Turmzimmer auf der anderen Seite des Wohnzimmers. Hier saß sie ganz allein in der Ecke eines Sofas, das man erst sehen konnte, wenn man in der Tür stand.
Sie empfing ihn mit sanfter, müder Traurigkeit und sagte, nun sei er ihr gewiß böse; aber sie habe keine Lust mehr zu tanzen. Natürlich sei es zuviel verlangt, daß er auf den Tanz verzichte, nur um sie hier zu unterhalten. Solch ein Opfer werde sie überhaupt nicht annehmen. Er brauche sich in keiner Weise verpflichtet zu fühlen.
Obwohl Per gesellschaftlich noch recht unerfahren war, war er dennoch nicht so einfältig, daß er den Wink nicht verstanden hätte. Er schob einen Stuhl zu ihr heran, und eine Zeitlang saßen sie beide schweigend nebeneinander, während die Musik und das Lärmen vom Tanzsaal stark gedämpft zu ihnen hereindrang, weil zwei bis drei große Räume dazwischenlagen. Da faßte Per plötzlich ihre Hand, die entblößt auf der Lehne des Sofas lag. Und weil sie sie ihm nicht entzog, erklärte er ihr unumwunden, daß er sie liebe, und bat noch einmal um ein Stelldichein. Sie versprach es schließlich, und er beugte sich über ihren weißen Arm und küßte ihn oben am Ellbogen ein-, zwei-, dreimal. Er hatte angenommen, sie würde es ihm verwehren. Sie erklärte wohl auch, sie würde ernstlich böse werden, falls er es öfter täte – doch der feuchte Glanz ihrer Augen und das Schwellen ihres mächtigen Busens straften ihre Worte Lügen.
Nun hörte man jedoch Schritte im Zimmer nebenan. Per hatte gerade noch soviel Zeit, sich in den Stuhl zurückzuwerfen, da wurde auch schon Neergaards lange Gestalt in der Türöffnung sichtbar. Höflich entschuldigend verbeugte er sich, blieb aber mit den Händen auf dem Rücken dort stehen, als überlege er, ob er hereinkommen solle.
»Treten Sie doch näher!« forderte ihn Frau Engelhardt auf.
»Sehnen Sie sich nach Gesellschaft?« fragte Neergaard auf eine Weise, die Per nicht gefiel; es klang beinahe herausfordernd.
»Das gerade nicht. Aber wenn Sie was Amüsantes zu erzählen haben, hören wir gern zu.«
»Ach ja, Sie sitzen mit Herrn Ingenieur Sidenius so trostlos einsam – so von aller Welt verlassen.«
»Ja«, seufzte sie, fächelte sich matt und lehnte sich in die Sofaecke zurück. »Einfach schrecklich . . . ich bin so müde . . . ganz erschöpft vom Tanzen und von den vielen Menschen. Aber Sie? Weshalb tanzen Sie denn nicht? Wo Sie doch heute abend so stark in Anspruch genommen sind!«
»Aber nein, gnädige Frau«, endlich entschloß er sich, das Zimmer zu betreten. »Nun glaube auch ich, man sollte sich in dieser stimmungsvollen Dämmerstunde darauf einstellen, der Welt Lebewohl zu sagen. – Gestatten Sie?«
Er schob einen Stuhl an die Per entgegengesetzte Sofaseite heran. So ergab es sich, daß sich die beiden von Angesicht zu Angesicht gegenübersaßen, ohne sich bisher begrüßt zu haben.
Frau Engelhardt begann auf einmal sehr lebhaft zu reden. Sie kritisierte die Zusammensetzung der Abendgesellschaft, lobte sehr das Souper und tadelte die Toiletten anwesender Damen. Per beobachtete schweigend Neergaard. Auch Neergaard sprach nicht. Er hatte sich nach vorn gebeugt, so daß sein Gesicht nicht länger zu sehen war. Seine Ellbogen ruhten auf den Knien, und die langen Hände, die ein wenig zitterten, spielten mit den Handschuhen.
»Wie langweilig Sie geworden sind, Herr Neergaard«, unterbrach sie sich plötzlich selbst. »Und Sie waren doch immer so unterhaltend! Was ist nur mit Ihnen los? . . . Das hängt natürlich mit irgendeiner Dame zusammen!«
»Mag sein.«
»Das kleine Fräulein Holm – natürlich! Die dürfte ja ganz nach Ihrem Geschmack sein. Herr Sidenius, Sie müssen nämlich wissen, Herr Neergaard war stets so galant, mir zu erzählen, wie sehr er für Hellblonde und Blauäugige schwärmt. Und obendrein ist sie ja auch noch vom Lande«, wandte sie sich wieder an Neergaard. »Lauter Kleeduft, Sommersonne und süße Milch . . . Eine richtige kleine Meierin, wie es ja immer Ihr Wunsch war. – Wann soll die Hochzeit sein?«
Herr Neergaard, der den Kopf gehoben hatte, lehnte sich in seinen Stuhl zurück, legte den Zylinder auf seinen Magen, faltete die Hände darüber und erwiderte mit einem traurigen Seufzer: »Wenn man in mein Alter gekommen ist, tut man wohl am klügsten daran, sich als bereits gestorben zu betrachten. Dann bleibt einem nur noch übrig, für ein anständiges Begräbnis zu sorgen.«
Frau Engelhardt lachte. »Nun sehen Sie wirklich zu schwarz. Was sollen wir armen Frauenzimmer da wohl sagen? Schauen Sie sich den alten Rittmeister Frick da drinnen einmal an! Zweiundsechzig ist der und hält sich beim Tanz noch wie ein junger Leutnant. Ich glaube bestimmt, er macht noch Eroberungen bei den Damen . . . O nein, Männer Ihres Alters haben noch viel Glück zu erwarten.«
Neergaard verbeugte sich vor ihr. »Besten Dank, gnädige Frau, für Ihre an der Bahre gehaltene tröstliche Rede. Ich weiß wohl, heute versteht man – Männer wie Frauen – schon die Kunst, sich bis in ein ziemlich hohes Alter hinein ein täuschendes jugendliches Aussehen zu erhalten, wie man ja auch inzwischen gelernt hat, junge Erbsen, Spargel und anderes Gemüse zu konservieren. Aber solch ein betagter mumifizierter Rittmeister ist mir denn doch zuwider. Nein, man soll beizeiten resignieren und der Jugend geben, was der Jugend ist . . . Da erspart man sich mancherlei Verdruß. Und Verdruß kann man in meinem Alter ja noch zur Genüge haben: Gicht, Verdauungsbeschwerden, Hafersuppe, Gallensteine und den Operationstisch – das sind die wahren Werte, die uns bleiben, wenn wir über die Vierzig sind.«
»Und dann die Erinnerungen«, warf Frau Engelhardt behutsam ein, »die guten Erinnerungen, Neergaard – die vergessen Sie!«
»Die Erinnerungen? . . . Hm! . . . Sind das nicht auch eingeweckte Waren, ein armseliger Wintertrost für den Verlust des Sommers? Nein, reden wir nicht von Erinnerungen! Sie vergrößern nur noch die Qual . . . Sie sind es ja, die uns – wenn wir älter werden – alle Begebenheiten des Lebens nur als immer schwächere und ermüdendere Wiederholungen empfinden lassen.«
»Ach, Sie sind heute abend ganz unmöglich. Aber ich verzeih es Ihnen. Sie sind krank, Neergaard! . . . Sie leben sicher zu unregelmäßig. Sie sollten wirklich mit einem Arzt reden. Ich bin überzeugt, er empfiehlt Ihnen eine Kur in Karlsbad.«
»Vielleicht. Oder eine dieser bekannten, wirkungsvollen Eisenpillen . . . einen Revolverschuß zur Zeit! Als schmerzstillendes Mittel sollen sie unübertroffen sein.«
»Nein, jetzt will ich nicht mehr mit Ihnen reden. Daß Sie auch nicht einen Augenblick ernst sein können!«
Per hatte während dieses Wortwechsels seine Blicke von einem zum anderen schweifen lassen. Der kameradschaftliche Ton hatte in ihm wieder Zweifel an dem Verhältnis der beiden aufkommen lassen. Aber bald beruhigte ihn wieder, was Frau Engelhardt schon in der Karnevalsnacht erzählt hatte, daß sie und Neergaard sich schon von Kindheit an kannten. Außerdem deutete sie mit ihrem Verhalten ihm gegenüber doch nur an – ganz abgesehen von der witzigen Empfehlung eines Kuraufenthalts im fernen Karlsbad –, daß er ihr mit seiner Aufdringlichkeit lästig geworden war.
Doch nun begann es in den Zimmern lebhaft zu werden. Müde und atemlos vom Tanz, ließen sich die Paare an den stets gleich vorzüglich gedeckten Tischen mit Erfrischungen nieder. Der Ball näherte sich seinem Ende. Im staubigen Dunst des Saales wirbelten schließlich nur noch drei oder vier leichtsinnige verliebte Paare umher; sie waren unersättlich und ließen die Musik immer wieder und in ständig schnellerem Tempo den Zapfenstreich wiederholen.
Draußen fuhren die Wagen vor. Frau Engelhardt ging am Arm ihres Mannes herum und verabschiedete sich. Er war ein großer, wohlbeleibter, gutmütig aussehender Großhändler, der den Abend am Spieltisch zugebracht hatte. Als sie an Per vorüberkamen, blieb Frau Engelhardt zu dessen größtem Entsetzen stehen und stellte die Herren einander vor. Und der Ehemann reichte ihm die Hand und murmelte einige höfliche Worte. Doch Per war so verlegen, daß er ihm nicht in die Augen sehen konnte.
Warum hat sie das nur getan? dachte er später. Im selben Augenblick hörte er sie sehr laut mitten im Gedränge vor der Ausgangstür zu ihrem Mann sagen, offenbar in der Absicht, daß er es hören sollte: »Also nächsten Dienstag mußt du nach London, Liebling?«
Der Großhändler bejahte die Frage. Per errötete und lächelte. Und dann lächelte er abermals und wurde blaß. Seine Augen folgten unverwandt den vollen weißen Schultern und dem Kleid aus feuerroter Seide. Ja, nun begann für ihn das Leben.
Gegen drei Uhr gingen Per und Neergaard gemeinsam durch die mondhelle Nacht nach Hause. Per hatte die Begleitung des anderen nicht gesucht, doch als Neergaard ihn beim Hinausgehen gefragt hatte, wo er wohne und ob sie nicht zusammen gehen könnten, weil sie doch denselben Weg hätten, wollte er nicht ablehnen. Er faßte den Vorschlag als endgültige Anerkennung seines Sieges im Kampf um Frau Engelhardt auf – als eine Art Friedensangebot. Außerdem fiel es ihm schwer, der weltmännischen Höflichkeit zu widerstehen, die ihm der andere trotz des großen Altersunterschieds beständig erwies.
Neergaard redete über die Abendgesellschaft und über Zerstreuung im allgemeinen; Per jedoch war viel zu sehr mit sich selbst und den Geschehnissen des Abends beschäftigt, als daß er mehr als die Worte selbst verstand. Obwohl strenger Frost herrschte und sie nur langsam vorankamen – Neergaard war ein wenig unsicher auf den Beinen –, ging Per mit aufgeknöpftem Mantel. Der Siegesrausch erhitzte ihn. Lächelnd blies er dicke Tabakwolken in die helle Nacht.
Vor dem Kanal an Holmens Bro bogen sie ab und gingen auf der linken Straßenseite weiter, Kongens Nytorv zu. Sie kamen an der Nationalbank vorüber, deren wuchtige viereckige Masse wie ein gewaltiger Sarkophag in den Sternenhimmel ragte. Ein Wächter in rotem Mantel stand am Eingang.
Nach einer Weile hielt Neergaard vor einem der alten schmalen und unansehnlichen Häuser an, die hier an der breiten Verkehrsstraße noch hatten stehenbleiben dürfen.
»Hier wohne ich also. Herr Ingenieur, machen Sie mir doch das Vergnügen und kommen Sie mit hinauf. Trinken Sie ein Glas guten Wein mit mir! Es ist ja noch nicht spät.«
Per besann sich einen Augenblick, doch willigte er ein. Er hatte das Bedürfnis weiterzubummeln und noch gar keine Lust, nach Hause zu gehen. Seit dem Tag, da er seine Pläne und Berechnungen in das oberste Kommodenschubfach geschlossen hatte, graute es ihn in seinen Kammern, als habe er unter dem Fußboden eine Leiche vergraben.
Wenige Minuten später saß er behaglich in einer Sofaecke hinter einem großen Tisch, auf dem eine hochfüßige Lampe mit grünem Seidenschirm brannte. Während Neergaard im Nebenzimmer Getränke holte, musterte Per den geschmackvoll und elegant eingerichteten Junggesellensalon und dachte bekümmert an seine eigene kleine und armselige Behausung. Wie sollte er da eine Dame wie Frau Engelhardt empfangen? – Hier bedeckte ein Teppich den ganzen Fußboden. Mahagonimöbel mit Intarsien, Vasen und vergoldete Armleuchter, offenbar alles alte Erbstücke. Und drüben an der Wand über dem Schreibsekretär schimmerte im Halbdunkel eine ganze Heerschar kleiner und großer Porträts: Gemälde in vergoldeten Rahmen, Daguerreotypien, Silhouetten, kleine Elfenbeinmedaillons, Lithographien, Handzeichnungen und moderne Photographien . . . ein Schattenzug des dahingegangenen Neergaardschen Geschlechts.
Bei näherer Betrachtung sah freilich alles ein wenig vernachlässigt aus. Der Teppich war ziemlich verschlissen, der Möbelbezug verschossen. In den Glasscheiben des großen schönen Bücherschranks, der voll langer Reihen gebundener Bücher stand, entdeckte Per ein paar Sprünge.
Aber jetzt kam Neergaard mit einer langhalsigen Flasche und zwei grünen Pokalen. Er setzte sich Per gegenüber in einen Lehnstuhl und schenkte mit großer Sorgfalt ein.
»Es freut mich, Sie kennengelernt zu haben«, sagte er und erhob das Glas. »Ich erlaube mir, auf Ihr Wohlergehen zu trinken, Herr . . . Herr Hans im Glück!«
Per sah ihn an – etwas überrascht und unangenehm berührt durch diese allzu direkte Anspielung auf das Ereignis des Abends. Da Neergaard ihm aber als Sieger zu huldigen beabsichtigte, wollte er sich nicht beleidigt zeigen. Er nahm sein Glas und goß den Wein hinunter.
»Übrigens, diese nicht gerade sehr witzige Bezeichnung ist keineswegs meine eigene Erfindung«, fuhr Neergaard fort und putzte seinen Kneifer. »Ich zitiere nur einen Ihrer Freunde . . . den kleinen Salomon, den ich neulich mit Ihnen zusammen sah. Er bewundert Sie sehr. Außerdem ist der Name meiner Meinung nach nicht sehr schmeichelhaft. Ein altes Sprichwort sagt ja, das Glück sei der Vormund der Toren. Und ein ehrwürdiger lateinischer Schriftsteller schrieb über das Glück, es sei der Vater des Kummers.«
Per dachte: Ja, tröste du dich nur! Das gönne ich dir gern.
»Klänge es nicht wie ein häßliches Paradoxon«, fuhr der andere fort, »so würde ich behaupten, als die Glücklichsten erscheinen mir die Unglücklichen. Sie haben die Genugtuung, das Schicksal anklagen, den lieben Gott beschimpfen und von der Vorsehung Rechenschaft fordern zu können. Wer dagegen vom Glück begünstigt ist, kann nur sich selbst anklagen, wenn ihm ein Unglück zustößt.«
»Wieso denn ein Unglück?« bemerkte Per lächelnd und betrachtete den Rauch seiner Zigarre.
»Wieso?« fragte Neergaard, durch dessen Worte während der ganzen Zeit ein Unterton des Mitleids klang, wofür Per jedoch kein Ohr hatte. »Ich glaube, Sie haben mich nicht richtig verstanden, Herr Ingenieur! Obwohl ich Paradoxa verabscheue, halte ich das Glück für das allergrößte Unglück, das heutzutage einen Menschen treffen kann, weil . . . ja weil es uns in neunhundertneunzig von tausend Fällen an der Fähigkeit mangelt, es so auszunutzen, daß es uns nicht schadet, sondern zum Nutzen gereicht. Wir verstehen es nicht mehr, mit dem Märchenhaften auf vertrautem Fuß zu stehen – das ist es! Wir fühlen uns am Tisch des Glücks wie ein Bauer an der Tafel eines Königs. Wenn es darauf ankommt, ziehen wir alle die gewohnte Wassergrütze und die Pfannkuchen unserer Mutter allen Herrlichkeiten des Schlaraffenlandes vor. – Sie kennen sicherlich das Märchen von dem Schweinehirten, der die Prinzessin und das halbe Königreich gewinnt. Es endet für meine Begriffe genau da, wo es anfängt, interessant zu werden, wenigstens für erwachsene Leute. Wir würden dann nämlich sehen, wie dieser Bauernjunge in Samt und Seide einhergeht und vor lauter Glück bleich und mager wird. Wir würden erleben, wie er im seidenen Bett der Prinzessin liegt und vor Sehnsucht nach den schenkeldicken Armen der Melkerin Maren weint. Denn daran ist überhaupt nicht zu zweifeln. Er wird keine frohe Stunde mehr haben, ehe er nicht wieder seine Holzschuhe trägt und Krone und Zepter mit der Mistgabel seines Vaters vertauscht hat.« Neergaard hatte seinen Kneifer aufgesetzt und sich in den Stuhl zurückgelehnt, die langen Hände unter dem gesenkten Kopf gefaltet. Seine müden Augen schauten Per zugleich forschend und teilnehmend, ja fast bekümmert an, als er fortfuhr: »Bei all unserer dänischen Phantasterei haben wir uns doch alle eine unveränderbare Vorliebe für das Gewohnte, Erprobte bewahrt. Mögen wir auch in unserer Jugend dem Außerordentlichen und dem Abenteuer entgegengestürmt sein . . . in dem Augenblick, da das Wunderland wirklich seine Tore öffnet und die Königstochter uns vom Balkon aus zuwinkt, geraten wir in Anfechtungen und sehen uns nach der Ofenecke um.«
»Sie haben gewiß recht«, sagte Per. Noch immer blickte er mit einem Lächeln dem Rauch seiner Zigarre nach. »Im allgemeinen mag das zutreffen. Aber es gibt Ausnahmen.«
»Unter Tausenden nicht eine. Vielleicht sogar unter Zehntausenden nicht eine. Sie selbst werden noch erfahren, was für ein gewaltiger Zauber im Heimischen und Gewohnten liegt, selbst wenn wir es auch hassen mögen. Sehen Sie sich zum Beispiel hier einmal um! Da schleppen wir einen wachsenden Ballast von Erbstücken unserer Familie mit uns herum, der sich um uns auftürmt wie eine chinesische Mauer und von dem wir uns doch nicht trennen können. Wir leben in einer Gruft von Familienerinnerungen und haben schließlich kein anderes Empfinden mehr als Pietät.«
»Mag sein, doch das kann nicht auf alle Menschen zutreffen«, entgegnete Per. »Ich zum Beispiel werde kaum in diese Versuchung geraten. Was ich nämlich aus der Vergangenheit mit mir herumschleppe, hat bequem in meiner Westentasche Platz!«
»Da gratuliere ich Ihnen! Trotzdem – was hilft es? Die Zaubermacht Elternhaus liegt ja nicht allein im Materiellen. Die sinnlosen Ermahnungen unseres vielleicht längst verstorbenen Vaters oder die Vorurteile unserer schlichten Mutter behalten bis ins hohe Alter hinein Einfluß auf unsere Handlungen. Und dann gibt es zu allem Überfluß auch noch die lieben Geschwister und die besorgten Onkel und Tanten.«
»Was mich betrifft, bin ich auch in dieser Hinsicht so glücklich daran, daß ich all das gar nicht kenne.«
»Da muß ich Ihnen von neuem gratulieren. Aber ein Elternhaus haben Sie doch wohl gehabt . . . wahrscheinlich sogar eins dieser wegen ihrer Gemütlichkeit berühmten dänischen Pfarrhäuser. Ich schließe das nämlich aus Ihrem Namen.«
Per überhörte diese letzte Bemerkung und erwiderte, nähere Angehörige kenne er nicht und habe er nie gekannt.
»Wirklich? Sind Sie etwa . . .«
»Ja«, unterbrach ihn Per absichtlich, »ich bin nur ich selbst.«
»Sieh an!« Neergaard beugte sich vor, seine Hände lagen auf den Seitenlehnen des Stuhls. Wie eben erwacht blickte er ihn an. »Dann hat der kleine Salomon also nicht so ganz unrecht. Ihnen haftet wirklich etwas Märchenhaftes an. Keine Familienrücksichten! Keine Plackereien mit Geschwistern! Keine wohlmeinenden Onkel und Tanten . . . Frei wie der Vogel unterm Himmel!«
Per schwieg bestätigend.
Neergaard sank wieder in den Lehnstuhl zurück, für einen Augenblick trat tiefe Stille ein.
»Sie scheinen wirklich ein ungewöhnlich bevorzugter Mensch zu sein, Herr Sidenius. Wenn ich nicht so alt und hinfällig wäre, würde ich fast in Versuchung geraten, Sie zu beneiden. Frei und sorglos in jeder Hinsicht! Mit einem Appetit auf das Leben wie eine Schwarzdrossel in einem Kirschbaum! Ja, so sollte es sein! – Und doch, wozu das alles? Jene Fesseln, mit denen wir Menschen nicht geboren werden, legen wir uns im Laufe unseres langen Lebens selbst an. Wir sind und bleiben Sklaven. Wir fühlen uns nur heimisch in Ketten und Banden. – Hab ich nicht recht?«
»Offen gestanden, ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen«, erwiderte Per und blickte zur Uhr auf dem Bücherschrank, die ein Viertel über vier zeigte. Die einförmige Unterhaltung begann ihn zu ermüden – er war auch ein wenig bedenklich geworden wegen seiner leichtfertigen Reden.
Es verging eine Weile, ehe Neergaard antwortete. Noch immer schaute er Per gespannt und interessiert an.
»Was ich damit sagen will? . . . Nun, wir finden Freunde, nehmen gewisse Gewohnheiten an und lassen uns im Laufe der Zeit auf alle möglichen Verpflichtungen ein. Gar nicht zu reden von dem Kleister zwischen Mann und Frau, von Zuneigung, Liebe, Begierde oder wie Sie es nennen wollen. Selbst so ein freier Vogel wie Sie muß doch zugeben, daß die Frau Fangarme hat, die sich – auch wenn sie weich sind – wie eiserne Fesseln um den Mann legen können.«
»Aber das ist doch keineswegs unangenehm«, antwortete Per und lachte. »Und am wenigsten, wenn sie richtig fest zudrücken.«
»Hm, Sie sind noch jung. Und trotzdem – gesetzt den Fall, es passiert Ihnen, daß irgendeine Frau, die Sie rein erotisch anzieht, selbst wenn Sie sie vielleicht verachten . . . eine Dirne, vielleicht eine Amme, die Sie in Ihrer jugendlichen Unschuld küßten . . . kurz, jemand, an den Sie durch die Macht der Gewohnheit oder durch alte Erinnerungen gebunden sind . . . gesetzt den Fall, Sie wissen, daß diese Frau Sie hinter Ihrem Rücken kaltblütig betrügt. Wie würde ein freier Vogel wie Sie sich dann verhalten?«
Worauf will er nur hinaus? dachte Per. Laut entgegnete er: »Was ich tun würde? Ich würde natürlich eine andere nehmen.«
»Sehr gut. Aber wenn nun auch diese andere Sie nicht befriedigen würde – und das riskiert man doch immer –, was dann?«
»Dann nähme ich eine dritte, eine vierte, eine fünfte. Mein Gott, es gibt doch Frauen genug auf dieser Welt, Herr Neergaard!«
»Ja, das ist wahr . . . das ist wahr!«
Er wiederholte diese Worte mehrmals, wobei er die Augen für eine Weile schloß, als habe er soeben die Lösung des Welträtsels gefunden.
Per deutete seinen Aufbruch an. Er fand, daß die Unterhaltung anfing, zu persönlich zu werden. Es war auch spät geworden. Schon fuhren ein paar eilige Bäckerwagen durch die Straße und kündigten den erwachenden Morgen an.
Doch Neergaard wurde jetzt plötzlich von einer sonderbaren Munterkeit erfaßt. Von neuem füllte er Pers Glas und bat ihn, die vorgerückte Stunde nicht zu beachten.
»Ich bin wirklich sehr glücklich, daß ich Sie kennengelernt habe, Herr Sidenius. Sie sind ein ungewöhnlich frischer, vergnüglicher Mensch. Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich hätte Lust, Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten.«
Was nun? dachte Per.
Es möge ihm im ersten Moment vielleicht etwas sonderbar erscheinen, begann Neergaard; aber nach dem, was er jetzt von ihm wisse, nähme er es sicher nicht feierlicher, als die Angelegenheit es verdiene. Einer seiner Freunde, ein naher Angehöriger, werde bald sterben. Er sei unheilbar krank und habe nicht mehr lange zu leben . . . sei krank an Leib und Seele. Nun, das habe weiter keine Bewandtnis. Kurz, dieser Mann, der unverheiratet sei, könne sich nicht darüber klarwerden, was er mit seinem Nachlaß anfangen solle, der allerdings aus nichts weiter bestehe als aus einigen Möbeln, ein paar mittelmäßigen Bildern und einigen Büchern – ungefähr so, wie es hier aussähe. Der Familie wolle er es nicht hinterlassen. Er wolle nicht, daß die Sachen irgendwo aufbewahrt und als Erinnerungsstücke pietätvoll behandelt würden. Der Kranke habe die Bedingung gestellt, daß alles ohne Ausnahme versteigert, verkauft und in alle Winde zerstreut werde. Das sei bei diesem armen Mann in letzter Zeit zur fixen Idee geworden. Und da seine Familie wohlhabend sei und sich verständlicherweise seinen Wünschen widersetzen werde, weil die meisten seiner Besitztümer alte Erbstücke seien, so habe er davon gesprochen, sie einem zu vermachen, dem er damit nützen oder doch eine frohe Stunde bereiten könne.
»Und so kommt mir der Einfall: Darf ich Sie nicht vorschlagen? Ich bin überzeugt, er wäre auf denselben Gedanken gekommen wie ich, wenn er Sie kennte. Sie sind genau so, wie er oft sein wollte: frank und frei und unbekümmert. – Nein, ich bitte Sie, schweigen Sie, wenn Sie etwas gegen meinen Vorschlag einzuwenden haben. Wir sprechen dann nicht mehr darüber. Wie gesagt, die Angelegenheit ist nicht weiter von Bedeutung . . . es handelt sich höchstens um ein paar tausend Kronen, wenn die Schulden und anderen Verpflichtungen abgegolten sind.«
Er ist sicher betrunken, dachte Per und hielt es nicht der Mühe wert, etwas einzuwenden. Er faßte das Ganze als Scherz auf.
»Ja, das wäre gar nicht so übel«, erwiderte er. »Geld kann man ja schließlich immer gebrauchen. – Trotzdem, jetzt ist es Zeit, nach Hause zu gehen. Besten Dank für den Abend!«
»Weshalb wollen Sie denn schon gehen? Bleiben Sie doch noch! Aber es ist so schwül hier. Wir wollen das Fenster öffnen!« Neergaard erhob sich nervös und riß ein Fenster auf, so daß die kühle Luft ins Zimmer strömte und am Lampenzylinder eine lange rußende Feuerzunge auflecken ließ.
»Setzen Sie sich doch! Wir sind ganz melancholisch geworden. Die Flasche ist noch nicht leer, und der Wein ist gut!«
Per ließ sich aber nicht länger überreden. Die steigende Erregung des anderen wurde ihm unheimlich. Er bemerkte nun erst, wie fahl Neergaards Gesicht geworden, wie feucht seine Hand beim Abschied war und wie sie zitterte.
Was für wunderliche Menschen es doch in der Welt gibt, dachte Per, als er auf die Straße trat und nun festen Schrittes, eine frisch angezündete Zigarre zwischen den Lippen, durch die Stadt ging, wo sich jetzt überall das Leben regte. Er mußte an die nächtliche Szene mit dem großen Fritjof im »Gryde« denken. – Sobald man mit ihnen unter vier Augen ist, sehen sie Gespenster; die Gräber tun sich vor ihnen auf, und sie halten ihre eigenen Leichenreden.
Hier und da fegte ein Mann im grauen Morgennebel die Straße. Kleine Kellerlokale hatten geöffnet, vereinzelt auch ein Zigarrenladen. Die Laternen brannten nicht mehr. Doch aus allen Bäckerläden schimmerte Licht, und der Duft frischgebackenen Brots strömte durch die Lüftungsklappen der großen Fenster.
Vor einem solchen Laden blieb Per einen Augenblick stehen und wurde Augenzeuge einer Szene zwischen einer feschen Bäckermamsell, die auf einer Trittleiter stand und große Kuchenplatten auf ein Regal legte, und einem halbnackten Gesellen, der auf dem Ladentisch saß und mit den Beinen baumelte. Per konnte nicht hören, worüber sie sprachen, doch das breite Grinsen des Gesellen und die erheuchelte Erbitterung, mit der sich das Mädchen mit dem Fuß seine Hände vom Leibe zu halten suchte, machten alle Worte überflüssig.
Per lächelte, während er in Gedanken mit Frau Engelhardt in gleicher Weise tändelte. Ja, jetzt war die Nacht zu Ende, das Leben erwachte von neuem, und sogleich übte das Liebesverlangen seine Macht auf die Menschen aus. – Nun ertönten die Fabriksirenen. Er lauschte andächtig. Zuerst hörte er ein paar draußen auf Nørrebro, dann eine in Kristianshavn. Schließlich erklangen sie von allen Seiten – ein hundertstimmiges Hahnengeschrei, der Achtuhrgesang einer neuen Zeit, die einst alle Spukgestalten der Finsternis und des Aberglaubens unwiderruflich unter die Erde verbannen würde.