Henrik Pontoppidan
Hans im Glück
Henrik Pontoppidan

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Gleich nach seiner Ankunft in Kopenhagen ging Per daran, sich eine Wohnung einzurichten und seine Geldangelegenheiten zu ordnen, so daß er seine Arbeit in Ruhe und Gelassenheit wiederaufnehmen konnte. Er wollte sich an den Obergerichtsanwalt Hasselager wenden und ihn um ein Darlehen von vierzehn- bis fünfzehnhundert Kronen bitten, das ihm den Lebensunterhalt für mindestens ein Jahr sichern würde. So peinlich es ihm auch war, sich von Leuten abhängig zu machen, deren Ausbeutermethoden und Lebensweise er jetzt mehr als je zuvor verachtete, so wußte er für den Augenblick keinen besseren Rat. Und die Sache mußte schnell erledigt werden – er war voller Ungeduld, wieder an die Arbeit zu kommen.

Als Sicherheiten für das Darlehen wollte er die beiden Patente anbieten, die er nun endlich für seine Wind- und Wellenmotore erhalten hatte – ein dänisches und ein ausländisches. Es hatte sich allerdings für keines von beiden ein Interessent gemeldet. Und er hatte auch nicht die Absicht, ein Hehl daraus zu machen, daß er ihnen keinen besonderen Wert beimaß. Er betrachtete seine Erfindung als erst halb vollendet. Doch er ging davon aus, daß Hasselager, der ja ein ziemlich gewiegter Geschäftsmann sein sollte und die Bedeutung seiner Idee sicherlich verstand, dessenungeachtet dabei auf seine Kosten kommen würde, wenn er ihn mit einem Vorschuß unterstützte.

Der Obergerichtsanwalt empfing ihn auch mit untadeliger Höflichkeit; aber er hatte gerade am Vortag erfahren, daß Pers Verlobung aufgelöst war, und war daher recht zurückhaltend. Eine Weile redeten sie über Pers Pläne und Hoffnungen, vor allem, soweit sie die zukünftige Entwicklung seiner Erfindungen betrafen, und Per fühlte sich verpflichtet, sich ohne Vorbehalte hierüber auszusprechen. Als er schließlich die Darlehnsfrage berührte, wurde der andere noch verschlossener. Mit verbindlichster Kopenhagener Liebenswürdigkeit bedauerte er, daß er nicht imstande sei, ihm in diesem Punkt entgegenzukommen. Er lasse sich prinzipiell nicht darauf ein, Anleihen zu vermitteln, für die keine sogenannte bankmäßige Sicherheit vorhanden sei. Dies sei ein Geschäftsprinzip, das jeder Rechtsanwalt einhalten müsse, wenn er nicht in den Verdacht kommen wolle, daß er sich mit Geschäften befasse, die das Tageslicht scheuten.

Per fragte ihn dann, ob er es für möglich halte, ein solches Darlehen von anderen zu bekommen, von an der Sache interessierten Leuten, die nicht an solche Rücksichten gebunden seien. Hierauf antwortete Herr Hasselager nach kurzem Besinnen und gegen sein besseres Wissen, das glaube er ganz bestimmt. Der große blonde Däne, der sonst nicht ohne Erfolg Max Bernhardts wilde Verwegenheit als Spekulant nachahmte, besaß nicht die Furchtlosigkeit dieses blassen Mannes vor dem Blutvergießen, sondern überließ es lieber anderen, seinen Opfern den Gnadenstoß zu versetzen. In diesem Fall verwies er an den Hofbesitzer Nørrehave, an den Per übrigens selbst schon gedacht hatte. Und schon am folgenden Tag suchte Per diesen als Landwirt verkleideten Großschwindler auf, der standesgemäß in einer vornehmen Villa in Frederiksberg wohnte.

Der dickbäuchige Jüte, der zwar das Gerücht von der gelösten Verlobung vernommen hatte, ohne allerdings daran glauben zu wollen, empfing ihn mit seinem treuherzigsten Lächeln und einem warmen, ja schweißigen Händedruck. Aber Per hatte noch nicht lange geredet, als der Mann verstummte. Seine weißbewimperten Schweinsäuglein untersuchten eifrig und mit Seitenblicken den Ringfinger an Pers rechter Hand. Der plumpe Bauer wurde in seinem vergoldeten Lehnstuhl breiter und breiter, je länger Per sprach. Endlich kreuzte er die Arme über der Brust und erklärte mit großem Nachdruck, er wolle mit der ganzen Angelegenheit nicht das geringste zu tun haben. Per wurde ungeduldig. Er erinnerte den dicken Mann daran, daß er selbst im Frühjahr gemeinsam mit Obergerichtsanwalt Hasselager eine Zusammenarbeit vorgeschlagen habe, und zwar unter Bedingungen, die sein – Pers – Hinwenden an ihn völlig gerechtfertigt erscheinen ließen.

Der Hofbesitzer schüttelte jedoch unbeirrt den Kopf und wiederholte in seinem breiten jütischen Dialekt: »Ich will nichts mit der Sache zu tun haben.«

Per wollte sich jedoch mit dieser Antwort nicht zufriedengeben und verlangte eine Erklärung. Da erwiderte der Hofbesitzer mit der ländlichen Offenheit, auf die sein Geschäftsfreund sicherlich gerechnet hatte, die »Situation« – sein Lieblingsausdruck – habe sich ja total geändert, seit Per, wie er nunmehr erfahren habe, nicht mehr Philip Salomons zukünftiger Schwiegersohn sei. Gleichzeitig zeigte er sich äußerst verwundert über diesen Bruch mit dem reichen Kaufmannshaus, ja versuchte ihn sogar nach den Gründen dafür auszuhorchen.

Da jedoch sprang Per auf, mit einer Miene, als wolle er den Mann förmlich auf den Mund schlagen, und rief: »Kurz und bündig: Ist es wirklich Ihre Absicht, mir eine Anleihe, wie ich sie Ihnen auseinandergesetzt habe, abzuschlagen?«

Der Hofbesitzer fing wieder an zu schwanken. Dieser herrische Ton rief wieder für einen Augenblick jenen furchteinflößenden Respekt hervor, den ihm Per damals mit seinem Auftreten bei Max Bernhardt eingeflößt hatte. Seine dicken Arme rutschten herunter, seine Hände falteten sich über dem Bauch, die Daumen drehten sich herum, und die weißbewimperten Äuglein schauten forschend zu Per auf, während er noch einmal im stillen seine Vorteile ausrechnete und die Möglichkeiten und das Risiko gegeneinander abwog.

»Nein«, kam es endlich nach Abschluß seiner Erwägungen wie ein Tritt mit einem Holzschuh. »Ich will mich nicht mit der Sache befassen.«

Fast noch ehe er die Worte ausgesprochen hatte, ergriff Per seinen Hut und stürzte zur Tür hinaus.

Draußen wurde er ruhiger. Er sagte sich, er hatte kein Recht, sich zu beklagen. An dem kannibalischen Opfertanz um das Goldene Kalb hatte er teilgenommen. War es ein Wunder, wenn das Tier jetzt mit den Hörnern stieß, weil er nicht mehr mitmachen wollte?

Aber was sollte er machen? Geld mußte er herbeischaffen. Er hatte kaum noch hundert Kronen in bar.

Er war in den Frederiksberger Park gegangen. Lange saß er hier auf einer Bank und zermarterte sich den Kopf, um einen Ausweg zu finden. Und die Erfindungsgabe, die seine Stärke als Techniker war, ließ ihn auch in dieser schwierigen Lage nicht im Stich. Als er eine Stunde später aufstand, um nach Hause zu gehen, war sein Plan fertig. Er wollte sich an Oberst Bjerregrav wenden, dem er ja ohnehin einen Besuch schuldete. Doch es war nicht seine Absicht, von ihm selbst Geld zu ergattern. Der Oberst sollte lediglich sein Mittler bei Etatsrat Erichsen sein, bei dem bekannten Mäzen, den er einmal im Hause Salomon gesehen hatte und der – soviel er wußte – bereits früher junge Leute seines Fachs unterstützt hatte. Gerade weil er den Etatsrat im Haus seiner ehemaligen Schwiegereltern getroffen hatte, brachte er es nicht über sich, ihn persönlich aufzusuchen. Im übrigen war es auch wirklich nicht einfach, sich mit solchem Anliegen an einen wildfremden Menschen zu wenden.

Noch am selben Nachmittag saß er im Arbeitszimmer des Obersten, auf demselben kleinen Rohrsofa, wo er vor wenig mehr als drei Jahren voll Hoffnung seine zukünftigen Pläne dargelegt hatte. Der Alte saß zurückgelehnt in seinem Schreibtischsessel und beäugte ihn mit halb mitleidigen, halb neugierig-beobachtenden Blicken über seinen waagerecht sitzenden Kneifer. Von seinem Neffen Dyhring hatte er erfahren, daß religiöse Gegensätze Per veranlaßt hätten, seine Verlobung aufzuheben, und obgleich der Oberst – Gott ja – dieses Motiv höchlichst anerkannte, sah er jetzt in Per doch einen, dessen Verstand infolge eines Unglücks Schaden genommen hatte.

Per entschuldigte sich zunächst, daß er erst so spät den ehrenvollen Besuch des Obersten erwidern könne. Er habe jedoch – wie er sich ausdrückte – »aus persönlichen Gründen« das Bedürfnis gehabt, sich für einige Zeit außerhalb Kopenhagens aufzuhalten. Der Oberst quittierte dieses Geständnis mit rücksichtsvollem Schweigen.

Ohne Umschweife berichtete Per dann von seinen finanziellen Schwierigkeiten und legte seine Hoffnungen dar, wie er am besten darüber hinwegkommen könne. Er habe Grund zu der Annahme, sagte er, daß er von Etatsrat Erichsen Unterstützung erhielte, falls er auf den wohlwollenden Beistand des Herrn Oberst rechnen dürfe, dies um so mehr, als er wisse, daß der Herr Etatsrat zuvor schon von anderer Seite zu seinen Gunsten beeinflußt worden sei.

Obgleich sich der Oberst völlig darüber im klaren war, daß er persönlich nichts mehr mit der ganzen Geschichte zu tun haben wollte, äußerte er sich sehr entgegenkommend. Er versprach, über die Angelegenheit nachzudenken und dann Näheres von sich hören zu lassen. Er betrachtete Per als einen Kranken, dem man zweckmäßigerweise nach dem Munde redete. Und Per sah in diesem Augenblick wahrhaftig ziemlich überspannt aus, wie er so dasaß und unablässig schwafelte, ja viel mehr von sich zu erkennen gab, als er selbst wollte. Die vielen aufreibenden inneren Kämpfe der letzten Zeit und die Freude darüber, daß er jetzt endlich sein schlechteres Ich überwunden hatte, riefen in ihm ein naives Bedürfnis nach Vertraulichkeit wach. Auch äußerlich hatte er sich verändert: Er war gelbbleich und mager geworden und hatte tiefe Schatten unter den Augen. Auf Kærsholm hatte er sich außerdem Haar und Bart wachsen lassen.

Als Per weg war, saß der Oberst eine Zeitlang reglos auf seinem Lehnstuhl und versank in melancholisches Nachdenken. Armer Teufel! dachte er, jetzt geht er rettungslos seinem Untergang entgegen . . . Allerdings war es ihm in gewisser Weise eine Genugtuung, daß demnach auch diesmal aus der Reformation nichts wurde, die ihm selbst seinerzeit mißglückt war. Doch um des Vaterlandes willen konnte er sich nicht darüber freuen. In jüngster Zeit hatte er so große Hoffnungen auf Per gesetzt. Er hatte in ihm ein Beispiel für das Wiedererwachen der dänischen Kraft gesehen.

Seine Gedanken verweilten bei dem Neffen, der jüngst dieser Tage einen neuen Coup gemacht hatte. Um sich die Unterstützung seiner Zeitung zu sichern, hatte man Dyhring in den Vorstand einer der größten Aktiengesellschaften des Landes gewählt, was für ihn pro Jahr einige tausend Kronen abwarf, ohne daß er auch nur einen Finger krumm zu machen brauchte. Bald würde er aller Wahrscheinlichkeit nach im Reichstag sitzen. Das Glück dieses Kerls ließ ihn fast verzweifeln an der gerechten Vorsehung. Ohne Tatkraft, ohne Glauben, ohne Vaterlandsliebe kam er unaufhörlich voran, gewann immer mehr Macht, Bedeutung und Ansehen, während der wirklich Auserwählte unterlag. Aber so war es ja immer in Dänemark gewesen. Eine Generation nach der anderen wuchs heran, rotwangig, klaräugig, freimütig und stark. Und eine Generation nach der anderen stieg ins Grab, gebrochen, niedergedrückt – stets überwunden. Es war, als zehre eine verborgene Krankheit an der Kraft der Nation, als sauge sie den besten jungen Leuten das Mark aus und als lege sie das Land bloß für fremde Eroberungen.

 

Per hatte sich ein Zimmer bei einer alten Witwe in einer Villa gemietet, die an einer der kleinen Seitenstraßen hinter dem Frederiksberger Park lag. Er hatte diesen Außenbezirk der Stadt nicht nur gewählt, damit er in der Nähe der Landwirtschaftlichen Akademie wohnte, wo er Vorlesungen hören wollte. Er wollte auch dem Bredegade-Viertel so fern wie möglich sein, das die unangenehmen Erinnerungen der Vergangenheit barg. Sein Zimmer war ein dürftig eingerichtetes Mansardenstübchen, und wie gewöhnlich unternahm er selbst nichts, um es sich in der Stube gemütlich zu machen. Er dachte lediglich daran, sich so schnell wie möglich das Examen zu verschaffen, um wieder aus der Stadt verschwinden zu können.

Voll guten Glaubens an die Zusage des Obersten und fest überzeugt, daß seine finanziellen Schwierigkeiten jetzt erledigt würden, ließ er sich seine Bücher, Zeichnungen und übrigen Habseligkeiten aus dem Hotel holen, wo man sie während seiner Abwesenheit aufbewahrt hatte. Ihm waren schon allerlei gute Ideen zur Verbesserung seiner Wind- und Wellenmotoren gekommen, und eine Aufgabe wie diese hatte ja gegenüber dem Kanalprojekt beispielsweise den Vorzug, daß sie in völliger Einsamkeit und Freiheit durchgeführt werden konnte. Sie machte ihn nicht von anderen abhängig, noch zwang sie ihn zu einer Zusammenarbeit mit Leuten vom Schlage Max Bernhardts und Nørrehaves. Draußen auf dem Lande hatte er auch ganz andere Möglichkeiten, praktische Versuche vorzunehmen, ohne die man auf die Dauer nicht weiterkam. Vielleicht war er dann auch dazu genötigt, ein paar kleine Versuchsmotoren zu bauen . . . Aber alle diese Gedanken mußten vorläufig zurückgestellt werden. Einer der Professoren, an die er sich sogleich gewandt hatte, um sich einen Plan für seine Studien machen zu können, hatte ihm geraten, mit einer Studienzeit von eineinhalb Jahren zu rechnen. Selbst jedoch legte er fest, sich mit der Hälfte der Zeit zu begnügen. Zu diesem Zweck machte er sich von neuem die schaffensfreudige Losung seiner Jugend zu eigen: Ich will!

So hockte er denn wieder in einer armseligen Kammer und kämpfte für das Leben und sein zukünftiges Glück. Wie damals in Nyboder stand er morgens beim Klang der Fabriksirenen auf, und sein Fenster war in der Regel das letzte, hinter dem nachts an dem ländlich stillen Villenweg das Licht erlosch. Obwohl über seinem Ziel, so groß es auch war, nicht mehr jener märchenhaft lockende Goldglanz lag, ging er doch mit einem Eifer und einer Ausdauer wie nie zuvor an die Arbeit, ohne daß ihn die plötzlichen peinlichen Anfälle von Mutlosigkeit hemmten, die früher so häufig bei ihm auftraten. Er erwartete keinen großen materiellen Erfolg von seiner Erfindung, ja er wünschte ihn fast nicht. Es würde ihm Lohn genug sein, wenn er wußte, daß er für das Wohl der Menschheit wirkte. Alles, was er persönlich von der Arbeit erhoffte, war, daß es ihm dadurch möglich wurde, ein ruhiges, fröhliches, tätiges Leben in inniger Verbindung und bestem Einvernehmen mit der zu führen, nach der sein Herz sich sehnte.

Aber auf seine Liebe zu Inger wagte er doch nicht recht eine Zukunft aufzubauen. Jedesmal, wenn sich seine Gedanken mit dem Pfarrhaus von Bøstrup beschäftigten, kam es ihm so vor, als hielte sie ein schwerttragender Engel zurück. Hier mußte man warten. Für das Paradies war er noch nicht würdig genug, ja – seit er sich seines Sündenfalls bewußt geworden war, meinte er oft, er habe nicht einmal das Recht, auf ein so reiches Glück zu hoffen. Vor der Unschuld und dem reinen Herzen hatte er die Augen niederzuschlagen; das war seine Strafe. Er mußte die Hoffnungen verbergen wie der Dieb die Laterne und durfte sich vorläufig nur auf ein Wiedersehen freuen. Bei der Abreise von Kærsholm hatte ihn die Hofjägermeisterin gefragt, ob er nicht vielleicht das Weihnachtsfest bei ihnen verbringen wolle. Und mit ermunterndem Lächeln hatte sie hinzugefügt, daß man sich bestimmt auch im Pfarrhaus freuen würde, ihn wiederzusehen.

Am ersten Sonntag nach seiner Rückkehr begab er sich in die Stadt, um in die Kirche von Vartov zu gehen. Es war ein schöner, sonniger Tag, und er machte sich zeitig auf den Weg, weil er die ganze Strecke zu Fuß gehen und das Fahrgeld sparen wollte. Doch als er in die Allee kam und dem bunten Strom froher Menschen begegnete, die hinauswanderten, um den Sonntag im Grünen zu verleben, setzte er sich doch in eine Straßenbahn.

Eine Viertelstunde vor der Zeit kam er in dem kleinen Betsaal in der Løngangsstræde an. Er war schon ziemlich voll, fast überfüllt. Während in verschiedenen großen Kirchen der Hauptstadt vor halbleeren Bänken gepredigt wurde, drängten sich die Leute stets in dem unansehnlichen Mutterhaus der grundtvigianischen Gemeinde. Zwar war es schon lange her, seitdem die Stimme des großen Kirchenvaters hier erklungen war, aber sein Geist lebte noch in diesem Raum. So kam man aus dem ganzen Land hierher, wie zu einem heiligen Ort, wo sich Gott aufs neue seinem Volk in Gestalt eines brennenden Dornbusches offenbart hatte.

Mit Müh und Not gelang es Per, sich einen Stehplatz an der einen Wand zu erobern. Durch eine Reihe Fenster gegenüber schien in breiten Streifen die Sonne herein und umgab die in der Nähe des Mittelgangs Sitzenden mit einem Glorienschein. Unter diesen vielen von Glorie umstrahlten Köpfen war einer, der sich im ersten Teil des Gottesdienstes nach ihm umdrehte, ohne daß er es bemerkte. Erst mitten im zweiten Kirchenlied fing er den Blick auf. Er erblickte ein helles Augenpaar unter dunklen zusammengewachsenen Brauen, und er fuhr zusammen, als er seine Schwester Signe erkannte. Neben ihr saßen die jüngeren Brüder, die Zwillinge, Schulter an Schulter. Sie starrten in ein gemeinsames Gesangbuch und hatten ihn offensichtlich noch nicht gesehen.

Per fühlte, wie seine Wangen zu glühen begannen. Er brachte es fast nicht fertig, das Nicken seiner Schwester zu erwidern. Es war ihm gar nicht eingefallen, daß er hier seine Angehörigen treffen könnte. Überhaupt hatte er nicht daran gedacht, daß er sich hier der Möglichkeit aussetzte, von Bekannten gesehen zu werden. Signe allerdings schien kaum überrascht. Sie nickte ihm noch einmal ruhig zu, ohne ihren Gesang zu unterbrechen. – Es war, als habe sie hier Sonntag für Sonntag gesessen und auf ihn gewartet.

Gleich am Tag nach seiner Rückkehr nach Kopenhagen hatte er seine Geschwister in der alten Wohnung der Mutter am Gammel Kongevej aufgesucht. Doch er hatte es allerdings als Erleichterung empfunden, als er keinen zu Hause antraf, und er hatte den Versuch bisher nicht wiederholt. Er wußte nicht, wie er ihnen erklären sollte, daß er nicht mehr verlobt war und was überhaupt mit ihm vorgegangen war.

Der Gesang war vorüber, und der Pastor erschien auf der Kanzel über dem Altar. Per war jedoch nicht mehr fähig, die Gedanken auf die Predigt zu konzentrieren. Auch diesmal erging es ihm nicht viel besser als bei seinem ersten mißglückten Kirchgang vor kurzem in Borup. Wie sehr er sich auch anstrengte, sich zusammenzunehmen – immer wieder spürte er, wie verzweifelt außerhalb des Ganzen er stand.

Auch körperlich fühlte er sich nicht wohl. In den letzten Tagen hatte er mitunter die alten Schmerzen in der Magengegend gehabt, sein Schlaf war unruhig und von verworrenen Träumen belastet gewesen. Die schlechte Luft in der überfüllten Kirche, die Sonne, die ihn blendete, die Anstrengung, die das lange Stehen verursachte, dazu die Spannung, in die er wegen des bevorstehenden Wiedersehens mit Signe und den Brüdern geraten war – all das ließ ihn zuletzt ganz schwindlig werden. Einen Moment lang, es war beim Gebet nach der Predigt, glaubte er, jetzt werde er ohnmächtig.

Als er nach dem Gottesdienst mit seinen Geschwistern vor der Kirche zusammentraf, fühlte er sich ernsthaft krank. Signe sah es sogleich und fragte, was ihm fehle. Im selben Augenblick flimmerte es vor seinen Augen, er mußte in das Küsterhaus gehen, wo er ohnmächtig wurde.

Als er wieder, zu sich gekommen war, brachten ihn die Brüder zu einer Droschke. Er hörte, wie Signe dem Kutscher zurief, er solle zur gemeinsamen Wohnung der Geschwister fahren, und er widersprach nicht. Unendlich kraftlos und müde kam er sich vor und meinte zu sterben. Sobald er zu Bett gebracht worden war, schlief er ein.

Ein paar Stunden später schlug er die Augen auf in einem dämmrigen, niedrigen Zimmer, vor dessen einzigem Fenster das Rouleau herabgelassen war. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, wo er war. Er blickte sich scheu um. – Da stand der Mahagonisekretär der Mutter mit den runden elfenbeinweißen Schlüsselschildern, die ihn anstarrten wie erstaunt aufgerissene Augen. Da war der Korbstuhl, an den er sich vom Sterbezimmer des Vaters her erinnerte. Da der Wäschebehälter mit dem gestickten Sitz, den die Mutter immer so ängstlich gehütet hatte. Hinten auf der Spiegelkonsole lag noch wie zu seiner Kindheit die große afrikanische Muschel, in deren blutrotem Innern die wilden Gesänge des Meeres tönten . . . das gespenstische Sausen, dem er als Kind oft mit soviel Staunen gelauscht hatte und das vielleicht zuallererst seine Träume von der märchenhaft herrlichen Ferne und Fremde geweckt hatte.

Tief atmete er auf, in einem glücklichen, befreienden Gefühl. Ja, nun war er zu Hause. Die wilde Luftfahrt der Träume war zu Ende. Zur Wirklichkeit war er zurückgekehrt. Nun hatte er wieder Fuß gefaßt auf der mütterlichen Erde.

Da die Tür zum Nebenzimmer nur angelehnt war, konnte er seine Geschwister plaudern hören. Das klang so heimatlich, so vertraut. Und nun schlug die alte Tafeluhr drinnen . . . drei helle, zarte, silbern klingende Schläge. Wie gut er diese Töne kannte! Ihm war, als steige seine ganze Kindheit jetzt aus dem Schoß der Zeit. Er entsann sich, daß er als kleiner Junge stets andächtig dieser Uhr zugehört hatte, die jede entschwundene Stunde gewissenhaft zu Grabe läutete, wie die Kirchenglocke die Toten. Später hatte er darüber nachgesonnen, ob mit diesem silberhellen Klang die Seele der sterbenden Stunde ausgelöst wurde und zum Himmel fuhr. Selbst nachdem sich seine Phantasie vom Jenseits abgewendet und ihr Betätigungsfeld auf der Erde gefunden hatte, stimmten ihn diese regelmäßigen, fast mahnenden Stundenschläge oft seltsam feierlich. Im Grunde hatte er sich nie ganz von diesem andächtigen Staunen über die rinnende Zeit frei machen können. Bis zum heutigen Tag konnte er keine Uhr schlagen hören, ohne das Gefühl zu haben, daß ihm eine geheime Botschaft gebracht werde aus der Tiefe der Ewigkeit.

Da fiel ihm der hinterlassene Brief der Mutter ein. Den ganzen Sommer über hatte er ihm auf der Seele gelegen wie ein großes, angstvoll erwartetes Ereignis. Er hatte nicht den Mut aufgebracht, in einem Schreiben darum zu bitten, und er hatte sich doch danach gesehnt, ihn zu lesen. Nun fühlte er sich bereit und wollte die Schwester darum bitten.

Er wollte sie rufen. Im selben Augenblick aber klingelte es an der Wohnungstür. Nach einer Weile hörte man Eberhards Stimme im Nebenzimmer.

Per lag lange da und lauschte dieser Stimme, die so merkwürdig der des Vaters glich. Auch wie der Bruder beim Sprechen im Zimmer auf und ab ging, war so ganz Vaters Art, daß es Per fast unheimlich wurde. Er hörte Signe berichten, was vorgefallen war. Und obwohl beide mit gedämpfter Stimme sprachen, konnte er ihrer Unterhaltung ziemlich gut folgen. Eberhard machte der Schwester in gereiztem Ton Vorwürfe. Es wäre das beste gewesen, sagte er, ihn sofort ins Krankenhaus zu bringen. Wenn man nicht mit Sicherheit wisse, was einem Menschen fehle, sei dies stets das einzig Richtige. Möglicherweise sei es obendrein noch eine ansteckende Krankheit. Wenigstens müsse sofort zu einem Arzt geschickt werden.

Per drehte sich auf die andere Seite; er wollte nichts mehr hören. Einen Augenblick lang kämpfte er mit einem Gefühl, das sich gegen seine versöhnliche Stimmung auflehnte. Dann sagte er sich, der Bruder habe recht. Jedenfalls: das Werk der Versöhnung muß jetzt vollendet werden. Der Augenblick war gekommen, da er durch die Tat beweisen wollte, daß es ihm Ernst sei mit seinem Bußgang.

»Eberhard!« rief er.

Der Bruder trat ein, und kurz darauf kam auch Signe, die sich an das Fußende des Bettes stellte.

»Ich glaube, ihr braucht euch keine Sorgen zu machen«, sagte Per schnell, so als sei er eben über seinen eigenen Schatten gesprungen. »Mir fehlt eigentlich gar nichts. Ich habe mich bloß ein bißchen überanstrengt in letzter Zeit. Jetzt geht es mir schon wieder ganz gut.«

»Na ja, du siehst auch gar nicht so schlecht aus«, meinte Eberhard. Er hatte ihm die Hand gegeben, und seine Stimme war ganz freundlich und teilnahmsvoll. »Aber eine Ohnmacht ist doch immer eine ernste Angelegenheit.«

»Ich bin unpäßlich gewesen – mehr war es bestimmt nicht. Und dann habe ich dummerweise so gestanden, daß mir die Sonne in die Augen schien; das konnte ich noch nie vertragen. Ich fühle mich jetzt wieder gesund.«

»Trotzdem bin ich entschieden dafür, daß der Arzt geholt wird. Wenn er zu Hause ist, kommt er auch ziemlich schnell her.«

»Ja, wenn es euch eine Beruhigung ist, dann – natürlich. Aber wie gesagt, ich glaube nicht, daß meine momentane Unpäßlichkeit etwas mit einer Krankheit zu tun hat. Es war bloß die Sonne . . . und vielleicht die schlechte Luft.«

»Na, über die Ursache will ich mich nicht äußern«, sagte Eberhard ziemlich schroff. »Aber auch in der Beziehung wird der Arzt am besten Auskunft geben können.«

Trotz aller guten Vorsätze konnte es Per nicht lassen, im Gesichtsausdruck des Bruders nach dem Triumph zu spähen, den er mehr als alles andere fürchtete. Aber Eberhard stand mit dem Rücken zum Licht, und zudem war sein Gesicht mit dem vorspringenden Unterkiefer mehr noch als das der Schwester eine starre Ledermaske, in der nur die Augen Leben verrieten.

Per wiederholte, daß er sich natürlich ihren Wünschen fügen werde. Er bat lediglich darum, dann Professor Larsen holen zu lassen, den er schon einmal in einem ähnlichen Fall konsultiert habe.

Doch dieses Ansinnen wurde von Eberhard und Signe gleichermaßen übel aufgenommen. Sie blickten einander an, und Eberhard sagte: »Wir haben ja unseren Hausarzt. Er ist zwar nicht Professor, aber ein Mensch, zu dem wir volles Vertrauen haben.«

»Auch Mutter hatte keinen anderen«, setzte die Schwester hinzu.

Per begriff nicht gleich. Er sagte, es sei ihm unangenehm, von einem anderen Arzt behandelt zu werden als von dem, der ihn schon einmal untersucht habe und daher auch am besten seinen Gesundheitszustand beurteilen könne.

Doch Eberhard gab nicht nach. »Ich will mich über dein Verhältnis zu Professor Larsen nicht äußern«, sagte er. »Aber wir, wir können unseren Arzt nicht kränken, um so weniger, als wir keinen Grund haben, mit ihm unzufrieden zu sein. Außerdem, Professor Larsen geht um diese Zeit überhaupt nicht außer Haus, jedenfalls wohl kaum zu Leuten, die nicht zu seinem festen Patientenkreis gehören. Schon allein aus dem Grunde . . .«

Per verstand jetzt, daß sie seinen Wunsch als unzeitgemäße Wichtigtuerei aufgefaßt hatten, als einen Versuch, sich mit seinen feinen Gewohnheiten zu brüsten. Und diese Verkennung kränkte ihn. Er sagte, falls es ihnen so unangenehm sei, Professor Larsen herkommen zu lassen, wolle er lieber aufstehen und nach Hause gehen.

Als Eberhard merkte, daß es ihm Ernst war, verschwand er mißvergnügt, um dem Mädchen Bescheid zu sagen.

Signe wollte ihm folgen, aber Per hielt sie zurück. »Signe«, sagte er, »du hast doch noch den Brief, den Mutter an mich geschrieben hat, nicht wahr?«

»Willst du ihn jetzt haben?«

»Ja, bitte. Es hat sich ja so seltsam gefügt, daß ich ihn hier lesen kann, wo er geschrieben wurde.«

Schweigend holte Signe ein Schlüsselbund hervor, öffnete eine Schublade im Sekretär und kam mit einem versiegelten Brief und einem Päckchen zurück, das die Uhr des Vaters enthielt.

Erst als Per allein geblieben war, getraute er sich, den Brief anzuschauen. Ein Nebel glitt vor seine Augen, als er die Aufschrift las, die mit der unsicheren Hand der Mutter geschrieben war: »An meinen Sohn Peter Andreas – in einer stillen Stunde zu lesen.« Da brach er das Siegel und las:

»In unseres Herrn Jesu Christi gesegnetem Namen!

Dieses schreibe ich an Dich, mein Sohn, um noch ein letztes Mal, ehe ich meine Augen schließe, zu versuchen, zu Deinem Herzen zu sprechen, das Du verschlossen hast, nicht allein vor Deiner Mutter und Deinem im Herrn entschlafenen Vater und vor allen anderen, die Dir nahestehen, sondern auch vor Gott dem Allmächtigen und vor seiner Gnade durch Jesum Christum.

Ich schreibe dies, obschon ich ja nicht einmal weiß, wo Du lebst. Unablässig verbirgst Du Dich vor uns, und Du hast wohl Deine Gründe dafür. Deine Geschwister sagen, Du seist in weiter Ferne, in Frankreich oder Amerika. Aber wo Du auch bist, eines weiß ich: Auf Gottes Pfaden wandelst Du nicht. Du hast es Dir erwählt, das weltliche Joch zu tragen. Doch es stehet geschrieben: Wer verharret in Trotz und Sündhaftigkeit, für den bleibt das Evangelium verborgen bis an das Ende seiner Tage.

In einer Predigt hat Dein Vater einmal das Gleichnis vom Leben des Gottlosen verwendet. Es ist wie das Eingesperrtsein in einem Kerker, ohne die geringste Öffnung, durch die das Himmelslicht tröstlich hereindringt, ohne anderen Ausgang als eine Falltür, die sich tückisch schließt über einem bodenlosen Abgrund. Mein unglücklicher Sohn! Möge Dir die Wahrheit dieses Bildes abschreckend klarwerden! Oh, begreife doch das Wort: Wenn wir nach dem Fleische leben, werden wir gewißlich sterben; wenn wir aber die Versuchungen des Leibes abtöten durch den Geist, werden wir leben ewiglich. Ja, wenn Du doch lerntest, Dich vor Dir selbst zu fürchten! Dann wäre noch Hoffnung, daß Du den Weg findest zu Deinem Erlöser und Deinen Sinn abkehrst vom Bösen, daß Du um Jesu Blut und Wunden Gnade und Vergebung Deiner Sünden erflehen kannst.

Viel wollte ich Dir noch sagen, mein lieber Sohn, aber meine Hand ist müde, und meine Augen sind matt. So mag denn dies Deiner Mutter letztes Wort in dieser Vergänglichkeit sein: Beuge Dich vor dem Herrn, vor Deinem Gott, mit reuigem Herzen, auf daß der Heilige Geist in Dich gegossen werde durch unseren lieben Erlöser Jesum Christum. Der Barmherzige schaue Dich an in Gnaden, auf daß Du am Jüngsten Tage nicht aus dem Todesschlaf erwecket wirst mit dem schrecklichsten aller Worte: Hebe dich hinweg von mir, Unseliger, ich kenne dich nicht.«

Per lag noch da, den Brief der Mutter in der Hand, als Eberhard eine halbe Stunde später eintrat, um die Antwort des Professors zu überbringen. Beim unvermuteten Auftauchen des Bruders versteckte er hastig den Brief unter dem Laken.

Eberhard blieb an der Tür stehen. Er hatte es eilig und wollte gehen. »Natürlich war es so, wie ich sagte«, verkündete er mit Genugtuung. »Josefine bringt die Nachricht, daß der Professor heute keine Krankenbesuche mehr macht, wenn nicht dringende Gefahr besteht.«

Per antwortete nur mit einem Nicken. Er erfaßte kaum, worauf diese Mitteilung hinauslief. Ihm wurde auch gar nicht sofort klar, daß in Eberhards letzten Worten eine erneute Aufforderung lag, von seinem Verlangen abzugehen. Erst als sich der Bruder umdrehte und ziemlich heftig die Tür hinter sich schloß, kam er richtig zur Besinnung.

Er verstand selbst nicht, warum ihn die Lektüre des mütterlichen Briefes in eine so unheimliche und bedrückende Stimmung versetzt hatte. Er war vorbereitet gewesen auf streng verurteilende, ja schonungslose Worte; aber dieses ganze Geschreibsel ließ ihn völlig kalt. Sein erster bewußter Gedanke, nachdem er den Brief einmal gelesen hatte, war der Wunsch gewesen, daß er diese Abschiedsworte nie in seine Hände bekommen hätte.

Er nahm jedoch die ganze Schuld für seine Enttäuschung auf sich. Vorwürfe machte er sich, weil er die Mahnung der Mutter auf dem Briefumschlag nicht gewissenhafter beachtet hatte. Er hätte den Brief nicht in einem Augenblick lesen dürfen, da er nach dem kleinen Streit mit den Geschwistern noch etwas erregt war. Nun wollte er ihn beiseite legen und ihn in einer besseren »stillen« Stunde noch einmal lesen, wenn er wieder allein in seinem Zimmer war. Denn auch das hatte ihn verstimmt, daß erst Signe und dann einer der Zwillinge sich im Zimmer zu schaffen gemacht hatten, offenbar einzig und allein in der Absicht, die Wirkung des Briefes auf ihn zu beobachten.

Die Uhr im Wohnzimmer schlug vier, und Per dachte schon jetzt mit Sorge daran, wie der Tag ein Ende nehmen sollte. Obwohl Signe und die Zwillinge am Nachmittag ihr Bestes taten, um ihn zu pflegen und zu unterhalten, sehnte er sich nach der Einsamkeit und dem Frieden seines eigenen kleinen Zimmers zurück.

Gegen Abend erschien Eberhard wieder. Er wohnte nicht mit den anderen Geschwistern zusammen, sondern kam nur zu Tisch um drei Uhr, wie er es schon zu Zeiten der Mutter getan hatte. Es rührte Per, daß Eberhard trotz ihres kleinen Streits den langen Weg von Kristianshavn hier herausgekommen war, nur um sich nach seinem Befinden zu erkundigen.

Zu einer vertraulicheren Unterhaltung mit ihm oder Signe kam es jedoch auch jetzt nicht. Per war sich nicht einmal im klaren darüber, inwieweit sie überhaupt über seinen Bruch mit Jakobe Bescheid wußten. Nachmittags hatte er ein paarmal Signe gegenüber die Unterhaltung darauf gelenkt, aber sie hatte in sichtlicher Unruhe jedesmal von anderen Dingen angefangen. Auch Eberhard schien keinesfalls geneigt, sich auf das Thema einzulassen. Per fühlte: Trotz aller Teilnahme und Fürsorge waren sie doch ständig auf dem Posten und neigten vor allem dazu, selbst seine harmlosesten Äußerungen als Versuch auszulegen, sich mit seiner Vergangenheit und seinen Verbindungen zu brüsten.

In dieser Beziehung irrte sich Per allerdings auch nicht. Weder Eberhard noch Signe hatten großes Vertrauen in die Aufrichtigkeit seiner Bekehrung setzen wollen – dazu kam er ihnen noch viel zu hochmütig vor. Daß seine Verlobung mit der Tochter dieses jüdischen Bankiers aufgehoben war, hatten sie von anderen gehört, und hierauf bauten sie große Hoffnungen. Wie es aber genauer damit stand, wußten sie nicht; und Signe ihrerseits wollte auch gar nichts wissen, weil sie überhaupt nichts weiter von seinem Leben zu erfahren wünschte als dasjenige, was sich auf die Familie und den Glauben bezog.

Am nächsten Vormittag kam dann der Professor, um ihn zu untersuchen. Der kleine Mann mit dem wunderlich einfachen, ja schmuddligen Äußeren und der merkwürdigen Umgangssprache war äußerst ungehalten. Kaum daß er sich erinnern wollte, Per schon gesehen zu haben! Und er sagte auch gleich, er sei selber krank und hätte eigentlich gar nicht ausgehen dürfen, eine Äußerung, die sein blaugraues Gesicht und die dicken blauschwarzen Säcke unter den Augen auf unheimliche Weise bestätigten.

Nach der Untersuchung wurde er etwas zugänglicher. Er setzte sich auf einen Stuhl neben dem Bett und meinte: »Was wolln Sie eigentlich von mir wissen? Ihr Speiseschrank nimmt einen zu großen Platz bei Ihnen ein, und Sie haben eine miserable Blutzirkulation – aber das sagte ich Ihnen wohl schon das letztemal.«

Per erwähnte, diese plötzlichen nervösen Störungen müßten doch wohl eine bestimmte Ursache haben; er fühle sich ja sonst nicht krank und habe – das könne man doch wohl sagen – sogar einen ungewöhnlich guten und kräftigen Körperbau.

»Einen guten und kräftigen Körperbau? Urwüchsige Bullenkraft, wie? Na ja, wenn Sie zufrieden sind! Rate Ihnen aber trotzdem, stellen Sie keine zu großen Ansprüche an die ›urwüchsige‹ Kraft. Das verträgt sie nicht. Das habe ich Ihnen wohl auch schon letztes Mal gesagt! Wir dänischen Männer mit unseren ausgeweiteten Mehlbrei- und Wassersuppenmägen, wir taugen nicht für die Hast dieser Zeit. Wir sind wie die Bauerngäule, die im altmodischen Zuckeltrab ganz gut laufen, so mit baumelnden Schweifen; aber bei einem Wettlauf, zum Teufel, da kippen sie um. Kommt eben nicht bloß auf die Schulterbreite an, mein Bester! Oder auf ein paar wohlgebildete Beinmuskeln! Heutzutage kommt's eben auf Eisen im Blut und Phosphor im Gehirn an! Und dann auf die Nerven, die nicht in überflüssigem Fett begraben sein dürfen, guter Freund! – Wie gesagt, baun Sie nicht zu sehr auf Ihre Konstitution! Damit ist kein Staat zu machen.«

»Gerade jetzt brauche ich aber meine ganze Arbeitskraft«, sagte Per und bat den Professor, ihm ein Rezept für Kräftigungsmittel zu geben, die er unter diesen Umständen für die besten halte. Der Arzt schüttelte jedoch melancholisch den Kopf.

»Kräftigungsmittel? Ich kenne keine!«

»Als ich zuletzt mit Ihnen sprach«, fuhr Per fort, »rieten Sie mir zu kalten Brausebädern, Gymnastik und zu einer Abhärtungskur insgesamt.«

»Na schön, irgendwas muß man doch sagen. Und schaden kann so was wohl nicht, aber es wäre bestimmt besser für Sie gewesen, wenn ich Ihren geehrten Groß- und Urgroßvätern solche Kur verschrieben hätte. Denn es sind doch die dicken Federbetten und die durchgeschwitzten Wolljacken unserer selig Dahingegangenen und dazu noch die süßen Suppen und das Tabakgequalme unserer Vorfahren, das ganze fromme Leben in den Studierstuben, was sich da an uns rächt. Sie sind natürlich Pfarrerssohn, nicht wahr? Entnehme ich aus Ihrem Namen, müssen Sie wissen. Und ich kenne aus Erfahrung die Gerichte in unsern idyllischen, kinderreichen Pfarrhäusern, wo das Tischgebet meistens einen soliden Fleischgang ersetzen muß. – Na, haben Sie denn die Brausebäder wenigstens einigermaßen regelmäßig genommen?«

Per erwiderte, er habe in jüngster Zeit unter Verhältnissen gelebt, die eine systematische Abhärtung sehr erschwerten.

»Sagen Sie doch lieber, daß so eine kalte Dusche nicht nach Ihrem Geschmack ist. Ist ja auch verständlich. Ist ja wirklich nicht angenehm, wenn man nicht von Kindesbeinen an dran gewöhnt ist; gestatten Sie, Verehrtester, daß ich Ihnen noch mal in den Rachen sehe?«

Per öffnete den Mund.

»Ja, dachte ich mir doch. Die meisten von Ihren Backenzähnen sind weg! Wahrscheinlich waren Sie schon ziemlich ausgewachsen, ehe Sie mit dem weltlichen kleinen Gnadenmittel, genannt Zahnbürste, Bekanntschaft machten. Ich selbst war über zwanzig. Bis dahin begnügte ich mich auf Väterweise getrost damit, mir jeden Abend den Mund mit einem Vaterunser auszuspülen. – Na, na, wolln uns nicht weiter in die alten jammervollen Schäden vertiefen . . .«, unterbrach er sich plötzlich selbst und preßte die Hand mit schmerzlichem Aufseufzen in die Seite.

Per hätte sich bestimmt ernsthaft über diese Worte geärgert, wenn ihm nicht klargewesen wäre, daß der Arzt ein todkranker, leidender Mann war, der in seiner Qual wohl kaum richtig wußte, was er sagte. Daher ließ er sich nicht von den trostlosen Äußerungen des Professors beunruhigen; er sah, daß er während der ganzen Zeit mehr von seinem eigenen Zustand in Anspruch genommen war.

Eine Frage richtete er aber doch noch an ihn. Er sagte, soweit er merke, passe das städtische Leben und die Stadtluft nicht recht für ihn. Ob der Herr Professor nicht glaube, daß es vorteilhafter sei, wenn er in Zukunft soweit wie möglich auf dem Lande lebe?

»Ja, meinetwegen! Gehn Sie ruhig auf die Weide! Da sind wir nun mal zu Hause. Für das Steinpflaster taugen wir in dieser Generation noch nicht. Und vielleicht noch nicht mal in der nächsten. – Na ja, bleiben Sie jetzt aber ein paar Tage liegen, bis Ihre geehrten Nerven wieder ein bißchen Ruhe haben. Abends einen Eßlöffel Bromkalium kann ich Ihnen wohl auch erlauben. Ansonsten, mein lieber Leidensgefährte, wollen wir unsere verdickten Gedärme mit Geduld tragen! Wir werden hoffentlich nicht wieder damit auferstehen im Jenseits.«

 

Per hatte keine Ruhe, länger als bis zum nächsten Morgen im Bett zu bleiben. Und nach weiteren vierundzwanzig Stunden ging er in seine Behausung zurück. Kurz darauf begannen die Vorlesungen und Übungen auf der Landwirtschaftsschule, und er ging wieder ganz in seiner Arbeit auf.

Über den Frederiksberger Park und die ihn umgebenden Straßen kam er jedoch nur selten hinaus, außer am Sonntag, wenn er zum Kirchenbesuch in die Stadt fuhr. Noch immer hatte er eine Scheu vor der Innenstadt und mied soweit wie möglich Begegnungen mit alten Studienkollegen und Bekannten. Einmal hatte er in der Straßenbahn einem früheren Studienfreund gegenübergesessen, und dessen überraschtes Starren und unsicheres Lächeln des Wiedererkennens hatte ihn so nervös gemacht, daß er aus lauter Angst, der Mensch könne ihn anreden, schon vorzeitig ausgestiegen war.

Mit seinen neuen Studienkollegen auf der Landwirtschaftsschule knüpfte er keine Kontakte an. Er besuchte hin und wieder seine Geschwister; einmal hatte ihm Eberhard auch einen Gegenbesuch abgestattet; aber zu wirklicher Vertrautheit kam es noch immer nicht. In der Vartov-Gemeinde ließ er sich vorsichtshalber nicht mehr blicken. Er suchte die weniger vollen Kirchen auf. Im übrigen betrachtete er sich nicht eigentlich als Grundtvigianer, ja er war sich gar nicht recht klar darüber, was diese Bezeichnung in kirchlicher Sicht eigentlich bedeutete. Selbst in seinem Glauben war er ein Einsamer, ein Suchender. Und auch der Brief der Mutter, den er nun in verschiedenen Stimmungen gelesen hatte, steigerte nur seine Unsicherheit. Noch immer konnte er das Unbehagen nicht überwinden, das er von Anfang an über dieses Schreiben empfunden hatte. Schließlich mußte er sich dazu zwingen, nicht daran zu denken, um nicht von neuem in Zweifel zu geraten.

Der Herbst brach an. Der wilde Wein blutete überall an den Villenwänden, und im Frederiksberger Park segelten rote und gelbe Blätter auf den schattigen, dunklen Kanälen. Schnell hatte Per eine besondere Vorliebe für diese stilvolle kleine Parkanlage gefaßt, zu der er von seiner Behausung aus nur gut hundert Schritte zu gehen hatte. Besonders gern wanderte er frühmorgens durch den Park, wenn erst wenige Spaziergänger da waren. Dann schlug ihm noch die frische Herbstnacht von den großen, freien Rasenflächen entgegen; der Tau lag wie ein silbernes Spinngewebe auf dem Gras, und stille Schwäne glitten auf dem schwarzen Wasser der Kanäle an ihm vorüber, mit einer Haltung und einem Ausdruck, als seien sie verzauberte Märchenprinzessinnen.

Währenddessen vergingen die Tage, und noch immer hatte er von Oberst Bjerregrav kein Wort gehört. Dies begann ihn zu beunruhigen. Seine geringen Geldmittel waren verbraucht, ja er hatte sogar ein paar Kleidungsstücke versetzen müssen, um den Arzt bezahlen zu können. So schrieb er denn an den Obersten, um sich in Erinnerung zu bringen, und am nächsten Tag bekam er auch eine Antwort. Der Oberst teilte ihm kurz mit, daß er sich nach gründlicher Überlegung nicht imstande sehe, sich der Sache anzunehmen, derentwegen sich Per an ihn gewandt habe.

Per blieb verstört sitzen, in der Hand den Brief. Es dauerte lange, bis ihm aufging, daß der Oberst ihn zum Narren gehalten hatte. Er konnte dem Alten nicht einmal wirklich böse sein. Wie man in den Wald hineinrief, so schallte es heraus! Er machte sich nur selbst Vorwürfe: Einen anderen hatte er vorschieben wollen, um den eigenen Stolz zu bewahren. Wahrhaftig, es war nicht angenehm, zu einem fremden Mann zu gehen und um Geld zu bitten. Für ihn, der davon geträumt hatte, Herr und Bezwinger seiner Mitmenschen zu werden, war es wirklich eine üble Sache, mit Betteln anfangen zu müssen; aber das war nun einmal sein Lohn. Gott ließ seiner nicht spotten! Er ersparte ihm diesen demütigenden Bittgang nicht. Auch in diesem Punkt mußte er also voll Buße tun für die Sünden der Vergangenheit.

Etatsrat Erichsen hatte sein Büro am Højbroplads, im ersten Stock eines großen Eckhauses zum Kanal hin. Per schritt eine Weile vor dem Eingang auf und ab, um sich noch einmal zu überlegen, womit er anfangen und was er überhaupt sagen wollte. Auch auf der Treppe zögerte er noch einen Augenblick. In einem düsteren Saal, dessen eine Ecke durch eine Barriere abgeteilt war, saßen etwa zwanzig Schreiber an großen Doppelpulten. Ein junger Mann trat auf ihn zu und fragte nach seinem Anliegen. Per bat, den Etatsrat sprechen zu dürfen.

Der Angestellte maß ihn mit verwunderten Blicken. Der Herr Etatsrat sei nicht zu Hause, sagte er. Der Herr Etatsrat befinde sich im Ausland und werde erst in einigen Monaten zurückkehren. Ob er etwas ausrichten solle?

Per hatte sich schon zur Tür gewandt. Um nicht seinen Namen sagen zu müssen, ging er ohne Erklärung hinaus.

Als er wieder unten an der Tür stand, fragte er sich: Was jetzt? Vor ihm lag der bunte Obst- und Blumenmarkt im hellen Septembersonnenschein. Frauen von der Insel Amager mit ihren großen Hauben machten sich zwischen den Körben breit und lockten Käufer an. Die Gärtner hielten da mit ihren Karren in langen Reihen, und es wurde schwunghaft gehandelt unter vielem Geschrei, Gekeife und Gelächter. Inmitten dieses herbstlichen Überflusses überkam Per eine Angst, wie er sie noch nie zuvor gespürt hatte – eine Angst vor der Erniedrigung – nicht der Seele, sondern des Körpers, die Angst vor den Dämonen des wirklichen Lebens: dem Hunger, der Kälte, dem Schmutz. Er dachte an die zwanzig Kronen, die er sich durch den Verkauf von Kleidungsstücken noch verschaffen konnte. Das reichte vielleicht für eine Woche oder für zwei. Und was dann?

Er nahm seine ganze Willenskraft zusammen und schlenderte langsam nach Hause. Jetzt mußte er also einen anderen Ausweg suchen, er wollte nicht verzagen. Welche Entbehrungen ihm auch bevorstanden, welche Demütigungen ihm auch beschieden waren – er empfand dennoch keine Reue und keine Versuchung, umzukehren und sich aufs neue den Herren dieser Welt zu unterwerfen. Daß der Weg zu Gott ein Weg der Prüfungen war, das war nicht neu für ihn; das hatte er schon gehört, als er noch auf dem Schemel neben dem Bett seiner Mutter saß. Wenn er trotzdem jetzt so überrascht und erschrocken war bei der Aussicht, wegen seines Glaubens leiden zu müssen, dann mußte das ja seine Ursache darin haben, daß er diese Worte bisher nur als hohltönende Phrasen aufgefaßt hatte. Und so war es wohl auch. Überhaupt, ihm wurde klar, daß es Pastor Blomberg, der in seiner Verkündigung so tief empfundene, treffliche Ausdrücke für die Freude und den Gewinn durch das »Leben in Gott« finden konnte, an Überzeugungskraft mangelte, wenn von Opfern und Leiden die Rede war. Doch es war höchste Zeit, daß er daran erinnert wurde, daß die Worte von den »dornenvollen Pfaden« und »wunden Füßen« buchstäblich zu nehmen waren. Und dies schreckte ihn auch nicht, weil er im voraus spürte, daß ihn das alles nur Gott näherbringen und viel mehr klarwerden ließ, was ihm jetzt noch verborgen war oder ihn ängstigte oder unsicher machte.

Trotzdem – er mußte sich Mittel für seinen Lebensunterhalt beschaffen, und einen Augenblick lang dachte er wieder an den Hojägermeister und dessen Frau. Aber nein! Lieber alles andere! Diese Leute waren nicht diskret, es wäre nicht zu vermeiden, daß die Geschichte Inger und ihren Eltern zu Ohren kam. Und was für Vorstellungen würden die sich machen, wenn er zum Dank für erwiesene Gastfreundschaft plötzlich um ein Darlehen bat. Außerdem, das Ergebnis seines Versuchs, den er beim Hofjägermeister schon riskiert hatte, ermunterte ihn nicht gerade zu einer Wiederholung. Bloß, was sollte er tun? Eine Bittschrift an Etatsrat Erichsen war sicher auch zwecklos, und den Versuch, eines der technischen Büros der Stadt zum Ankauf seiner beiden Patente zu bewegen, hatte er schon ohne Resultat unternommen.

So beschloß er, die Zeit abzuwarten und sich vorläufig mit dem durchzuschlagen, was er sich durch Verkauf oder Verpfändung seiner überflüssigen Garderobe und anderer Wertgegenstände, die er jetzt nicht mehr brauchte, verschaffen konnte. Er wollte mit der Möglichkeit rechnen, daß die Entwässerungsanlage bei Kærsholm genehmigt wurde, und dann konnte er ganz einfach einen Vorschuß verlangen. In einem Brief als Antwort auf sein Dankschreiben hatte die Hofjägermeisterin zwar die Angelegenheit nur erwähnt, aber doch geschrieben, sie habe noch immer große Hoffnungen. Gleichzeitig hatte sie ihre Einladung erneuert, er möge das Weihnachtsfest auf Kærsholm verleben.

Nun vergingen einige Wochen. Inzwischen war der Oktober gekommen, und noch zeigte sich keine Aussicht auf Hilfe. Trotzdem gab Per die Hoffnung nicht auf, daß sich alles zum Guten wenden werde. Er konnte einfach nicht glauben, daß Gott ihn noch tiefer in den Staub treten wolle. Um mit seinem Geld so lange wie möglich zu reichen, gönnte er sich zuletzt kaum noch die nötige Nahrung. Es galt ja auszuhalten, zumindest bis er sein Examen abgelegt hatte. Dann würde er wohl irgendeine Anstellung finden, wo er sich als privater Landvermesser niederlassen und seine Zeit abwarten konnte. Doch ohne Examen, Geld oder Verbindungen hatte er nur die Aussicht, zu verhungern oder sich durch Arbeit recht und schlecht durchzuschlagen.

Die Tage vergingen in Unruhe und Spannung – dunkle, regnerische Herbsttage. Jeden Vormittag, wenn die jütische Post ankam, stand er am Fenster und spähte nach dem roten Rock aus. Von Kærsholm mußte die Erlösung kommen. Noch immer stand er mit der Hofjägermeisterin im Briefwechsel. Ihr war es offenbar eine Genugtuung, Vermittlerin zwischen ihm und dem Bøstruper Pfarrhaus zu sein. Zwar schickte sie ihm nie direkt einen Gruß von Inger, ließ ihn aber doch deutlich wissen, daß ihn ihre junge Freundin nicht vergessen habe und daß sie oft miteinander über ihn sprächen. Auch über das Entwässerungsprojekt schrieb sie jedesmal, aber mit immer mehr Vorbehalten. Es seien ein paar Versammlungen von Grundeigentümern abgehalten worden. Ihr Mann habe sich der Sache mit Eifer angenommen; aber »es herrscht leider große Uneinigkeit«, schrieb sie zuletzt, »und die Aussichten sind zur Zeit nicht allzu gut«.

Um das Maß voll zu machen, erhielt Per in diesen Tagen einen eingeschriebenen Brief, der ihn auf langen Umwegen erreichte und unter anderem auch schon in Kærsholm gewesen war. Der Brief kam aus Rom von dem jungen Künstler, der auf Bestellung der Baronin dort seine Büste modelliert hatte. Der Bildhauer schrieb, die Büste sei jetzt in Marmor fertig und könne jederzeit abgeschickt werden. Er habe, so erklärte er, der Baronin schon vor längerer Zeit mitgeteilt, daß die Büste fertig sei, und sie höflich aufgefordert, ihm das verabredete Honorar zu schicken. Aber zu seinem Erstaunen habe er seinen Brief von ihrem schwedischen Gutsverwalter mit dem Bescheid zurückbekommen, die Frau Baronin könne sich nicht entsinnen, je eine solche Bestellung gemacht zu haben, und im übrigen sei sie auch gar nicht dazu berechtigt gewesen, ohne zuvor die Einwilligung ihrer Vormünder einzuholen. Daher bat nun der Bildhauer ihn, der doch den Zusammenhang der Angelegenheit am besten kenne, als Vermittler aufzutreten und ihm zu seinem bitter notwendigen Honorar zu verhelfen.

Per war durch diesen Brief höchst peinlich berührt, nicht so sehr durch die Aufforderung selbst, sondern weil er Erinnerungen an eine Zeit wachrief, die ihm jetzt zu seiner tiefsten Erniedrigung zu gehören schien. Er wurde schamrot, wenn er an diese Büste mit seiner frechen Imperatormiene dachte, und er wünschte, er hätte dem Mann das Geld schicken können, nur um ein Recht zu haben, ihn zu bitten, sein »Kunstwerk« zu zerschlagen und es als unnütze Scherben auf die Straße zu streuen. Nun sah er sich jedoch gezwungen, den höflichen Brief vorläufig unbeantwortet zu lassen, weil ein Ersuchen an die Hofjägermeisterin oder ihren Mann in dieser Frage vielleicht seiner Sache schadete, von der in diesem Augenblick sein eigenes Wohlergehen völlig abhing. Sie konnten ihm eine derartige Einmischung in die Angelegenheiten der Baronin leicht übelnehmen, vor allem, weil die Hofjägermeisterin vor ihm die Unzurechnungsfähigkeit ihrer Schwester nie ganz zugegeben hatte.

Wieder vergingen ein paar Wochen, und Ende November stand Per vor der Katastrophe. Stück für Stück war aus seinem Kleiderschrank verschwunden, und auch den größten Teil seiner Bücher hatte er verkauft, ja sogar an den beiden Diamantknöpfen, die er damals von Jakobe bekommen hatte und ihr gelegentlich zurückschicken wollte, mußte er sich jetzt vergreifen. Er verkaufte sie zu einem Spottpreis. In ein paar Tagen war die Miete für sein Zimmer fällig. Außerdem hatte er beim Kellner des Wirtshauses, wo er aß, Schulden gemacht.

Vor lauter Unruhe konnte er in letzter Zeit nicht mehr arbeiten. Auch die schlechte Ernährung hatte ihn geschwächt. Zum ersten Mal in seinem Leben war die rote Farbe von seinen Wangen verschwunden. Bei seinen Geschwistern ließ er sich die ganze Zeit über nicht blicken. Er wußte selbst recht gut, daß er schlecht aussah, und er fürchtete sich vor ihren Fragen.

In seiner Not hatte er sich zu einem neuerlichen Versuch bei Etatsrat Erichsen aufgerafft, aber mit dem gleichen Mißerfolg wie das erste Mal: Der Etatsrat sei auf der Reise krank geworden und werde erst nach Weihnachten zu Hause erwartet. So mußte er also zum Äußersten greifen und sich an einen Geldverleiher, an einen Wucherer wenden. Eines Tages las er die gleichlautenden Bekanntmachungen in kleinem Druck durch, mit denen sich diese Menschenfreunde in den Zeitungen täglich in Erinnerung brachten. Und er entschloß sich zuletzt für einen Mann namens Søndergaard. Dieser Name klang in seinen Ohren vertrauenerweckend, weil in seiner Vaterstadt eine ordentliche alte Bäckersfrau gewohnt hatte, die so hieß.

Da Per wußte, daß man mit Wucherern am besten abends zusammentraf, wartete er bis sechs Uhr und ging dann in die Stadt.

Herr Søndergaard, der sich Makler nannte, wohnte in einer der stillen Gassen um das Rathaus, die man zur Abkürzung des Weges benutzte, wenn man es eilig hatte, deren Namen aber die wenigsten kennen. Per mußte auch mehrfach fragen und die Eckschilder lesen, um die richtige Straße zu finden. Es war ein schmales, menschenleeres Gäßchen mit einer einzigen Laterne, die genau vor dem gesuchten Haus stand. Er trat auf den Fahrdamm hinaus und blickte zum zweiten Stock empor, wo Herr Søndergaard wohnen sollte. Es gab nur drei Fenster, und in ihnen allen war Licht. Der Mann war also offensichtlich zu Hause.

Ein rotlockiges Mädchen von sechs bis sieben Jahren machte auf, das heißt, sie hielt die Tür angelehnt und schaute ihn mit ihren großen blauen Puppenaugen an. Und weil sie nicht verstand, was er sagte, fragte sie auf kindliche Weise, ob er mit ihrem Vater sprechen wolle. Dann hob sie sich auf die Zehen, um die Sicherheitskette abzuhängen, und brachte ihn in einen Raum, eine übliche Kopenhagener Kleinbürgerwohnstube mit einem Teppich unter dem Tisch, Bildern an den Wänden und einem Album und billigen Nippsachen auf der Anrichte.

Per war angenehm überrascht. Hier sah es gar nicht so unheimlich aus. Auf einem Schreibtisch am Fenster stand eine Lampe mit einem roten Seidenpapierschirm. Zwischen den Bildern über dem Sofa sah man sogar einen Geistlichen im Ornat und die Photographie einer Dorfkirche. Nun kam Herr Søndergaard selbst aus dem Nebenzimmer – eine massige Gestalt mit rotgrauem Vollbart. Er wirkte im ersten Augenblick etwas unsicher. Es fiel ihm offensichtlich schwer, Per zu beurteilen, der im Halbdunkel an der Tür stehengeblieben war und selbst spürte, daß er mit seinem vollen dunklen Bart und dem bis an den Hals zugeknöpften Regenmantel recht fremdartig in dieser Umgebung wirkte. Herr Søndergaard bat ihn schließlich, Platz zu nehmen, und fragte, womit er dienen könne.

Sie setzten sich.

Herr Søndergaard war gerade vom Abendessen aufgestanden, hatte noch nicht ganz fertig gekaut und roch aufdringlich nach Käsebrot. Per ging sofort auf die Sache los, nannte die Summe, die er leihen wollte, erläuterte seine zukünftigen Aussichten und gab Rechenschaft über die Sicherheit, die er stellen konnte. Ferner erbot er sich, weil sich diese Sicherheit nur auf seine beiden Patente bezog, sein Leben für eine Summe versichern zu lassen, die der Größe des Darlehens entsprach. Herr Søndergaard schwieg. Er saß in seinem Lehnstuhl am Schreibtisch, und jetzt, da ihn Per im hellen Lampenschein sah, machte er keinen so vorteilhaften Eindruck mehr. Aus einem rotgefleckten Gesicht mit fetten, schwammigen Wangen quollen ein Paar gelbe Augen, die einen sehr unangenehmen, starren, aufdringlichen Blick hatten. Er schien auch ziemlich reichlich zu Abend gegessen zu haben. Jeden Augenblick hüpfte sein runder Bauch unter kräftigem Aufstoßen in die Höhe, und er gab sich nicht die geringste Mühe, es zu verbergen.

Per faßte das Schweigen als gutes Zeichen auf und redete von den Bedingungen für das Geschäft. Doch statt hierauf zu antworten, fragte ihn der andere, welche Bürgen er habe.

»Bürgen? Wollen Sie eine Kaution?«

Herr Søndergaard quittierte Pers Erstaunen mit ungläubigem Lächeln. »Nanu, daran haben Sie wohl überhaupt nicht gedacht. Ja, irgendeine Sicherheit sollte man eigentlich haben. Und wenn Sie so gute Aussichten haben, wie Sie sagen, dann kann es Ihnen doch nicht so schwerfallen, einen Namen zu beschaffen oder zwei. – Wieviel, sagten Sie, wollen Sie leihen?«

»Tausend Kronen.«

»Und für wie lange?«

»Ich dachte, für ein Jahr. Bis dahin, hoffe ich, bin ich ganz bestimmt imstande, die Summe mit den laufenden Zinsen zurückzuzahlen.«

»Ja, Herr, die Zinsen werden im voraus abgezogen«, sagte Herr Søndergaard leichthin und nahm ein großes Buch, das auf einem Nebentisch lag. Es war das Kopenhagener Adreßbuch.

Das Mädchen, das Per geöffnet hatte, war unterdessen mit einer Puppe unter dem Arm ins Zimmer gekommen. Sie hatte sich kurz an den Vater gelehnt, der mit Stolz seine fette Hand über ihren roten Lockenkopf gleiten ließ. Als er sie loslassen mußte, um in dem Buch zu blättern, kletterte sie auf seinen Schoß und beobachtete von hier aus Per mit der zufriedenen Selbstgefälligkeit eines verzogenen Kindes.

»Ich kann Ihren Namen hier nicht finden«, sagte Herr Søndergaard nach einigem Suchen.

»Ich hielt mich letztes Jahr im Ausland auf«, erläuterte Per.

»Ach so – Sie waren im Ausland . . .« Die gelben Augen glitten wieder in die Höhe mit einem mißtrauischen, forschenden Blick, der Per dicht über den Buchrand hinweg traf. Dann senkten sie sich wieder.

»Hier steht ein B. Sidenius, emeritierter Propst. Gehört der zu Ihrer Familie?«

»Nein.«

»Dann ist hier ein F. Sidenius, Buchhalter. Ist der . . .?«

»Nein.«

»E. Sidenius, cand. jur., kgl. Assessor. Ist das vielleicht auch kein Verwandter von Ihnen?«

Per zögerte mit der Antwort. »Doch«, sagte er dann.

»Ist vielleicht sogar ein näherer Angehöriger?«

»Es ist mein Bruder.«

»Na, können Sie den denn nicht dazu bringen, für Sie zu bürgen? Dann ginge die Sache vielleicht in Ordnung.«

»Nein, das kann ich nicht«, erwiderte Per ganz entschieden und wurde verwirrt.

»Aha, das können Sie nicht.« Die Augen zeigten sich wieder hinter dem Buchrand. »Sie stehen vielleicht in keinem näheren Verhältnis zu dem genannten Herrn?«

»Jedenfalls kann ich ihn nicht um derartige Gefälligkeiten bitten.«

»Nicht? – Ja, dann wird wohl aus der Sache auch nichts werden«, sagte Herr Søndergaard in verändertem Ton und klappte das Buch zu.

Es folgte eine Pause. Per blieb sitzen. Er hatte Angst davor, nun ohne die geringste Hoffnung weggehen zu müssen. Das Dunkel der Straßen und die Einsamkeit seines Zimmers lag hinter ihm wie ein gähnender Abgrund. Aber sich in dieser Sache an Eberhard wenden – nein, nein, das war unmöglich! Das konnte er nicht.

Dann sagte er, er begnüge sich auch mit fünfhundert Kronen, ja mit noch weniger. Er erbot sich außerdem, alles, was er noch an Kleidung und Büchern besaß, als Pfand zu setzen. Aber Herr Søndergaard spielte jetzt den Überlegenen. Er fiel ihm mit einer beleidigenden Bemerkung ins Wort über Leute, die sich einbildeten, auf ihre glatte Visage hin Geld borgen zu können. Schöne Aussichten! Das fehlte gerade noch! Da konnte ja jeder von der Straße heraufkommen, sich eine goldene Nase machen lassen! Schöne Aussichten hatten sie nämlich alle, Teufel noch mal. Nein, solide Bürgen oder Pfand auf wirkliche Wertgegenstände – sonst sei bei ihm nichts zu machen.

Da stand Per auf und ging.

Nach Hause wollte er nicht. Unentschlossen grübelte er hin und her. Was sollte er nun machen? In ihm tobte ein mörderischer Kampf. Sein Selbstbewußtsein empörte sich gegen Gott, aber gleichzeitig sprach eine strenge, gebieterische Stimme in ihm: Du erkennst ja doch die Gerechtigkeit deines Urteils an. Wo gesündigt wurde, muß gebüßt werden. Tue also Buße! Hier stehst du vor der Probe. Dies ist das Nadelöhr, an dem du nicht vorbeikommst, wenn du Frieden finden willst.

Ohne selbst zu wissen, wie, war er durch die Gäßchen zum Kongens Nytorv gekommen, wo sich festliches Leben trotz Nebel und Schmutz regte. Fuhrwerke überquerten den riesigen Platz nach allen Richtungen. Aus dem Theaterfoyer strahlte ein Lichtermeer. Auch das Hotel gegenüber war taghell erleuchtet. Schaufenster und Straßenlaternen streuten lichtes Gold über das nasse Pflaster. In seinem übernervösen Zustand und dieses städtische Treiben gar nicht mehr gewohnt, blieb er einen Augenblick wie betäubt stehen. Das Wagengerassel empfand er wie einen Bleiklumpen in seinem Ohr. Der Boden bebte unter ihm. Ein »Achtung!« weckte ihn. Eine Droschke fuhr so dicht an ihm vorbei, daß die Räder seinen Ärmel streiften und ihn mit Straßenschmutz bespritzten. Beim Laternenschein sah er im Vorbeifahren drinnen ein Paar in Abendtoilette sitzen. Die Dame in einem hellblauen Seidenkleid wendete ihm ihr diamantblitzendes Ohrläppchen zu. Der Herr trug Uniform und hatte die Brust voller Orden. Ein anderer Wagen kam von der entgegengesetzten Seite. Darin saß ein junges Paar und küßte sich.

Per schlenderte langsam weiter. Immer weiter entfernte er sich von seiner Behausung. Widerstandslos wurde er, wie von der Hand des Versuchers, in die Store Kongensgade geführt, in die Nähe des Hauses seiner ehemaligen Schwiegereltern. Wieder sprach die Stimme in ihm: Drehe um! Bleibe beizeiten stehen! Du gehst deinem Untergang entgegen! – Doch Per ging immer weiter.

Er bog um eine Ecke und befand sich nun in der kleinen Querstraße, in der das »Palais« lag. Dann stand er dem Haus gegenüber, auf der anderen Straßenseite im Schatten. Er sah, daß man drinnen eine Gesellschaft gab. Die brennenden Kronleuchter konnte er durch die schweren Seidenvorhänge an den Fenstern noch erkennen.

Aus Angst, irgendwie Aufmerksamkeit zu erregen, ging er ein Stück zur Bredegade hin, kehrte aber gleich wieder um. Und wiederum klagte er Gott an und sagte: Das alles habe ich dir geopfert! Hier stehe ich wie ein ausgesperrter Hund, frierend, von Straßenschlamm bespritzt . . . und doch willst du dich nicht barmherzig zeigen!

Plötzlich zog er sich tiefer in den Schatten an der Mauer zurück. Er hatte gesehen, daß sich drüben das Hausportal öffnete. Ein regenschirmtragendes Männchen kam heraus. Wer war das? Ivans eiliger Schritt war es nicht. War es Eybert, Jakobes alter Verehrer? Lächerliche Eifersucht flammte in ihm auf . . . Da erkannte er beim Laternenschein ein krummnasiges Profil, einen graugesprenkelten Kinnbart, ein Paar große, nach innen gewandte Füße . . . Aron Israel.

Wie ein Blitz durchfuhr es ihn: Hier war die Rettung! Aron Israel würde helfen! Daß er nicht an ihn gedacht hatte! »Die Güte in Person«! Ihm machte es sicher nichts aus, daß er nicht mehr Philip Salomons Schwiegersohn war. Schon vor seiner Verlobung mit Jakobe hatte er ihm ja soviel Teilnahme erwiesen und ein so ehrendes Vertrauen in seine Zukunft erkennen lassen. Zu ihm konnte er frei sprechen.

Per folgte ihm in die Store Kongensgade. Aber die Stimme in seinem Innern ergriff wieder gebieterisch das Wort und sagte: Geh nach Hause! Was kann seine Güte helfen? Du kennst jetzt Gottes Forderung an dich. Erfülle sie! Du kannst nicht anders! Tag für Tag wird dir sein Gebot lauter ins Ohr dringen, und du findest keine Ruhe, ehe du nicht seinem Befehl folgst oder dich von neuem vor ihm verschließt. Schiebe die Entscheidung nicht hinaus! Gerade weil du so stolz bist, weil du so empfindlich in dieser Frage bist, feilsche nicht um eine neue Frist! Rasch ans Werk! Gott wartet.

Schon hatte er seine Schritte verlangsamt. An der Ecke des Kongens Nytorv stellte er die Verfolgung ein. Wie ein zum Tode Verurteilter schaute er dem kleinen Mann nach, der hinter der Laterne und der Uhr im Grøngade-Viertel verschwand.

Da ging er langsam den weiten Weg nach Frederiksberg hinaus. Es war nach neun Uhr, als er zu Hause anlangte. Er machte kein Licht, und er wollte auch nicht zu Bett gehen. Er setzte sich an seinen Tisch, legte den Kopf in die Hände und blieb fast die halbe Nacht im Dunkeln sitzen, ohne sich zu bewegen.

Am nächsten Vormittag ging Per zu Eberhard. Und der Bruder tat nichts, um ihm das schwere Geständnis zu erleichtern. Schweigend und mit verschlossenem Gesicht saß er da und ersparte ihm keine einzige Erklärung. Aber er weigerte sich nicht, Per zu helfen. Von einer Kaution wollte er jedoch nichts hören, und außerdem wünschte er sich, die Sache noch genauer zu überlegen und mit den anderen Geschwistern zu beraten, weil es ja – wie er sich ausdrückte – am natürlichsten und am meisten im Sinne der Eltern sei, wenn ihm die Anleihe von ihnen allen gemeinsam gegeben werde.

Per versuchte nicht, Einwände zu machen. Das Ganze war ihm auf einmal so seltsam gleichgültig geworden. Von dem Frieden und der seligen Erhebung der Seele, die er nun von seiner Unterwerfung erwartet hatte, spürte er nichts. Im Gegenteil. Ihm war, als habe er sich noch nie so niedergeschlagen und leer, so von allen guten Mächten verlassen gefühlt wie in diesem Augenblick.


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