Wilhelm Raabe
Pfisters Mühle
Wilhelm Raabe

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»Kinder«, sagte er, »'s ist meine Devise gewesen: Vergnügte Gesichter! Und wenn ich meine letzte Zeit durch selber keins gemacht, sondern konträr mich als ein richtiger Narr und Brummkopf aufgeführt habe, so denkt nicht daran, sondern denkt an den alten, richtigen, fidelen Vater Pfister von Pfisters richtiger Mühle, wenn ich euch später mal bei einem Liede oder bei Tische oder in einer andern Wirtschaft, oder wenn ihr mal still bei euern lieben Frauen und Kindern sitzet, durch den Sinn gehe. Es ist manch ein Lied hier gesungen und manch eine Rede gehalten, lustig und ernsthaft; manch eine Bowle habe ich hier auf den Tisch gestellt, und manch einer ist auch mal drunter gefallen und gelegen gewesen, und die andern haben weitergesungen und Sonne und Mond ihren Weg unbesehen gehen lassen. Nun, Ebert, mein armer Junge, und ihr andern, liebste Freunde, macht euch gar nichts draus, wenn auch ich jetzo das letzte Beispiel nachahme und unter meinen eigenen Gasttisch rutsche!... Rede mir keiner drein; wie es gekommen ist, weiß ich in meiner jetzigen Verfassung selber nicht ganz genau anzugeben; aber 'n bißchen zuviel habe ich, und es ist ein Glück, daß ich nicht weit nach Hause habe. Der Nachwächter, der mich unterm Arm fassen soll, steht, vom Herrgott abgeschickt, mir hinterm Stuhl und hat schon mehrmals gesagt: ›Na, wenn's nun beliebt, Herr Pfister!‹ – Laß das Tuch von den Augen, Herzmädchen, dich meine ich eben nicht mit dem ›Wächter‹ mein liebes Leben! Denkt an meine Devise, ihr andern! Ja, es beliebt mir durch alle Knochen und durch die ganze Seele. Und weil ich's weiß, daß es mit mir zu Ende geht, so wird es euch ein Trost sein, zu wissen, daß es mir eine Beruhigung ist, daß kein Fremder da unter dem Dach und hier unter den Bäumen sich auf meinen Ruf und Namen setzt, sondern daß mit dem alten Pfister es auch mit der Pfister uralter Mühle aus ist. – Nun höret mein Testament. Ihr werdet's zwar auch aufgeschrieben im Pult finden, und ich hätte auch wohl den Doktor Riechei dazu berufen können, um es euch vor meinem Bett vorzulesen; aber pläsierlicher ist mir pläsierlicher, und der Baum hier über uns soll nicht vergebens zum zweitenmal seine Maienkerzen aufgesteckt haben. Es soll sein, als ob durch ihn mein Garten mir das letzte vergnügte Gesicht zu meinem letzten Willen mache! Denn sintemalen ich stets ein Mann der Ordnung gewesen bin, trotzdem daß die Welt und die Herren Studiosen mich nur als den rechten Wirt zu Pfisters Mühle ästimieret haben, so wird ja auch wohl jetzt alles nach seiner Ordnung zugehen.

›Wer selig will sterben,
Soll lassen vererben
Sein Allodegut
Ans nächstgesippt Blut ;–‹

das ist ein Reim, den die juristischen Herren Studenten mir oftmals auch an diesem Tische zitieret haben, wenn unter ihnen die Rede kam auf ihrer Herren Väter Güter und so ein kleines Konto bei mir. Und so komm her, mein eigen nächstgesippt Blut, mein lieber Sohn und Philosophiedoktor Ebert Pfister, und tritt mit Verstand und Gleichmut, mit einem vergnügten Herzen, wenn auch im Moment nicht fidelen Gesichte, die Erbschaft an von Pfisters Mühle mit allem, was dazu gehört und was zu deinem Vater in Treue gehalten hat in guten und bösen Tagen, durch Sauer und Süß, durch Sommer und Winter, durch Wohlduft und Gestänke. Darauf gib deine Hand nicht mir, sondern der Christine da und dem Samse; oder, noch besser, leg jedem, wie sie da bei dir sitzen, den Arm mal um die Schulter und denke: Ich weiß, wie es der alte Mann meint!

Wollen sie am Orte, im Dorfe bleiben, was ich aber nicht vermute, so kriegt die Jungfer Christine Voigt eine volle Altjungferaussteuer an Bett, Geschirr und Geräte nach Wahl aus ihrer Frauen, deiner seligen Mutter, Nachlaß, Samse Wagen und Pferd und item sein Bett und Notwendiges an Tisch und Gestühl und ein jegliches die Zinsen von einem Kapital, so dreihundert Mark abwirft, so lange sie leben. Das Nähere im Pulte schriftlich – deine sonstigen Verpflichtungen gegen meine zwei allergetreuesten Helfershelfer im Erdenvergnügen ungeschrieben auf deine Seele, Eberhard! Denn wie gesagt, ich glaube nicht daran, daß sie sich hier am Orte halten werden, da es aus und zu Ende sein muß mit meinem, deinem und ihrem Haus, Hof und Garten. Ich täte es auch nicht und lebte unter diesen Umständen fort im Dorfe. Und nun – den schwersten Sack in den Trichter! Nämlich, da mein eingeborner Junge, Namens- und Erbeserbe gänzlich aus meiner und seiner Väter Art schlug und kein Müller wurde, wofür ich jetzt nur dem Himmel danke, so wünsche ich, daß Herr Doktor Adam Asche, meines alten verstorbenen Freundes Schönfärber Asches aus und wieder in die Art geschlagener Sohn und meines Jungen erster Lehrmeister in der Welt, sich auch hier möglichst der Sache annimmt und Pfisters Mühle mit allen Rechten, Werk und Zeug zu einem für alle Parteien gedeihlichen Abschluß verhilft. Denn wenn auch Doktor Riechei den Prozeß gegen Krickerode recht glorreich gewonnen hat, so fällt mir doch grade jetzt des alten seligen Rektor Pottgießers öfteres Wort hier am Mittwochsnachmittagskaffeetisch ein, wenn einer zu einer Ehre gewünscht wurde, der nicht da war. ›Ist kein Dalberg da?‹ fragte er dann jedesmal im Kreise herum unter den Herren Oberlehrern und Kollaboratoren und ihren lieben Damen. Es tat dann nie einer den Mund auf und rief ›Hier!‹ und so auch in meinem Fall. Was helfen mir alle ersiegten Gerechtigkeiten, wenn kein Dalberg und kein Pfister vorhanden ist, sie auszunutzen. So meine ich, Samse und Christine halten sich hier auf dem Altenteil und Adam Asche liegt auf der Lauer und wartet ab, bis ihm die neue Welt und Zeit das Rechte honorig bietet für die Stelle und den Wasserlauf; dann schlägt er ein, und wenn der Doktor Eberhard sein Kapital in seines Freundes neuem Geschäft anlegt, ist's mir auch recht. Für seine Mühe aber vermache ich dem Adam Asche meine Mülleraxt, die er sich über meinem Bette herunterholen soll, wenn sie mich herausgehoben haben, und wobei er manchmal in seinem besagten neuen Geschäft gedenken mag, wie viele Pfister die seit vielen Jahrhunderten mit Ehren in der Faust hielten.«

»Hier, Vater Pfister!« rief mein Freund mit bebender Stimme, dabei mit merkwürdig unsicherer Hand die Hand des Greises fassend, und nun doch, als habe aus der neuen Zeit heraus jemand in eine versinkende hinein auf den fragenden Ruf: »Ist kein Dalberg da?« geantwortet.

»Gedacht hätte ich es wahrhaftig nicht, wenn ich dich in meinen Bäumen über dem Gelage hängen oder auf meiner Wiese im Heu liegen sah, und noch weniger, als ich dich mir mit deiner Wissenschaft zur Hülfe rief gegen Krickerode«, sagte mein Vater kopfschüttelnd, lächelnd.

Die Augen feucht, voll Tränen, doch auch voll wundervoll anmutigen Glänzens, legte Albertine Lippoldes das Kissen hinter dem alten, müden Haupte zurecht, und der alte Mann sah zu ihr auf und streichelte ihr leise den hülfreichen Arm und sagte:

»Ja, Kind, ich habe nicht ganz ohne Nutzen an diesen Tischen hinter meinen Gästen im Dasein gestanden. Zu meinem Vergnügen an der verschiedenen Unterhaltung ist es mir auch ein Vergnügen gewesen, zu lernen und zuzulernen. Und so ist es mir jetzt der beste Trost, daß ich genau weiß, weshalb wir nicht mehr recht aufkommen gegen Krickerode, trotz aller gewonnenen Prozesse. Aus jedweder Unterhaltung im Gastzimmer und hier unter den Kastanien zwischen alt und jung, Gelehrten und Ungelehrten, Bürger, Professor, Bauer und Bettelmann, Weib und Mann, wie das der Herrgott bis zu den Kindern mit dem Kreisel oder im Kinderwagen herunter durcheinander gehen ließ in Pfisters Mühle, habe ich allgemächlich angemerkt, weshalb wir nicht mehr bestehen vor Krickerode. Und, Fräulein Albertine, meines seligen Freundes Schönfärber Asches Junge hat mir das letzte Verständnis dafür eröffnet. Denn das ist derjenige, von dem ich mir am festesten gedacht habe, daß er eher sein Herzblut hergeben werde, als die Wirtsstube und den Garten, die Wiesen, den Fluß und die Sonne von Pfisters Mühle! Denn ich habe ihn ja aufwachsen und hinbummeln sehen und auf meinem Konto gehabt von Kindsbeinen an, und es ist keiner gewesen, auch dein armer seliger Papa nicht, Kind, der mit solchem Sinn fürs Ideale seine Beine unter meine Tische oder sich ganz der Länge nach auf die Bänke oder in die Gräserei gestreckt hat wie meines alten Kumpans Schönfärber Aschen nachgelassener Phantastikus, Adam Asche! Da der Partei genommen hat für die neue Welt und Mode und hergekommen ist und den Kopf nicht nur in die Wissenschaft, sondern auch in die doppelte Buchhaltung, das Fabrikwesen gesteckt und Krickerode nicht bloß für mich ausgespüret, sondern es in anderer Art für sich selber an euerm Berliner Mühlenbach aufgepflanzet hat, so gebe ich klein bei und sage: dann wird es wohl der liebe Gott für die nächsten Jahre und Zeiten so fürs beste halten. Fräulein Albertine, wer dieses strubbelköpfige Geschöpfe in seinem seligen Schlummer am Feldwege unterm Hagedorn bekopfschüttelt und es nachher an der chemischen Wäsche gesehen hat und es heute in seinem Wesen und Treiben, Spaß und Ernst sieht, der muß sich bekennen, der richtige Mensch hat am Ende auch nicht die reine Luft, die grünen Bäume, die Blütenbüsche und das edle, klare Wasser von Quell, Bach und Fluß nötig, um ein rechter Mann zu sein.

Hast es dem Vater Pfister kurios beigebracht, Freund Adam, wie dem Menschen auf dieser Erde alles Wasser auf seine Mühle werden kann; und auf daß du siehst, daß er's dir nicht übelgenommen, wenn du auch mal in betreff von des alten, närrischen Kerls Idealem zu sehr pläsierlich den Gleichmut herauskehrtest, so will er dir jetzt zu deinem Ideal, höchstem Sehnen und schönstem Wunsch, in deinem Schornsteindampf und Waschkesselqualm verhelfen – im heiligen Ernst! Nämlich es ist wohl von vorigen Weihnachten bis jetzt in diesen Oktober zwischen mir und meinem lieben Kinde hier so von Zeit zu Zeit die Rede auf dich gekommen, Doktor, und da habe ich denn, wie gesagt, manchmal behauptet, grade Leute von deinem Schlage würden wohl noch am ersten die Traditionen von Pfisters Mühle auch unter den höchsten Fabrikschornsteinen und an den verschlammtesten Wasserläufen aufrechterhalten; und, Doktor Asche, Fräulein Albertine hat wirklich meiner Meinung beigepflichtet, und – na, was ist mir denn dieses? Paß auf das Geschirr, Samse; da fängt's an, heiß herzugehen unter den Kastanien – dritter Tisch, Reihe rechts!.....«

Wenn je ein Mensch zu Stein auf einem Stuhle geworden war, so war das mein guter Freund Doktor A. A. Asche. Aber nur einen Augenblick starrte er regungslos von dem alten Vater Pfister auf das junge Fräulein; und wenn je ein Mann ein hübsches, tapferes, kluges Mädchen fest in die Arme gefaßt hatte, so war das mein närrischer Freund Adam ebenfalls.

»Ja, es war so auch meine Meinung«, flüsterte das Kind des verlorengegangenen Poeten schluchzend. »Du bist sehr gut gegen mich und meinen Vater gewesen; ich aber habe zuerst dich nicht recht gekannt und nachher nicht mehr gewußt, wie ich dir danken sollte.«

Die Stimme, mit der Adam Asche jetzt nichts weiter als: »Vater Pfister!« rief, klang nicht im Alltagston des Gründers von Rhakopyrgos, und Vater Pfister sagte trübe lächelnd:

»Das ist nicht die erste Hochzeit, die in Pfisters Mühle verabredet worden ist; aber es wird wohl die letzte gewesen sein. Halte dein Weib in Liebe und meine Axt in Ehren, Adam. Räum den Tisch ab, Samse, zieh mir die Decke um den Leib, Christine; und du, mein lieber Junge, schieb den letzten hiesigen Müller und Wirt aus seinem Garten, roll ihn ins Haus. Du hattest gottlob deiner Väter Ehrenstab und Waffe nicht vonnöten bei deinem Kopf- und Handwerk. Halte du in deiner Schule nur einfach diejenigen beim Rechten, zu denen von ihren Vätern her der Ruf von Pfisters Mühle im Liede kommen sollte!«...

Sieben Tage später ist er nach schwerem Leiden in unser aller Gegenwart sanft und friedlich eingeschlafen, mein liebe Vater, der gute, fröhliche Vater Pfister. Nachher haben Adam und Albertine geheiratet, und Vater Schulze hat seine Einwilligung zu meiner Verlobung mit Emmy, wie ich vermute, mit Vergnügen, selbstverständlich jedoch nicht ohne absonderlichstes Gesperr, Gezerr und Gespreize erteilt.

Wo bleiben alle die Bilder? – – –

Freund Asche hat wieder einmal seinen Nachmittagsschlaf auf meinem Sofa beendet; wir sind mit ihm nach Lippoldesheim hinausgefahren und sind am Sonntag abend wieder nach Hause gekommen. Wo bleiben alle die Bilder? Hier halte ich das letzte des bunten Buches fest; für das Schicksal des Blattes Papier, auf welches es gemalt wird, übernehme ich auch diesmal keine Verantwortung. – –

Die zwei Frauen sitzen in der Veranda von Lumpenburg-Lippoldsheim unter der Klematisblüte und im Kinderlärm; die beiden Männer wandern am Ufer der Spree, wie vordem zwischen dem Weidengebüsch am Ufer von Vater Pfisters Mühlbach.

Noch ein Mann wandelt von der Villa her auf uns zu und überbringt uns zarten Wunsch in nicht grade ausgelassen vergnügter Art:

»Die Herrens möchten zum Tee kommen.«

Das ist Samse. Er und Christine gehören vollständig zu uns; wir können uns weder Lippoldesheim noch unser Heimwesen in der Stadt Berlin noch die Bilder, die einst waren, ohne die zwei vorstellen – denken.

Wir gehen zum Tee unter der Veranda. Nebenan klappert und lärmt die große Fleckenreinigungsanstalt und bläst ihr Gewölk zum Abendhimmel empor fast so arg wie Krickerode. Der größere, wenn auch nicht große Fluß ist, trotzdem daß wir auch ihn nach Kräften verunreinigen, von allerlei Ruderfahrzeugen und Segeln belebt und scheint Rhakopyrgos als etwas ganz Selbstverständliches und höchst Gleichgültiges zu nehmen.

Aus der Wiege des jüngsten Asche schallt plötzlich ein heftigeres Geschrei, und Vater Asche spricht:

»Der versteht's auch! Nun hör ihn nur und richte dich auf Ähnliches ein, Knabe Telemachos. Höre nur das intensive Bedürfnis der Krabbe, ihren Willen zu kriegen! So was hilft. Das ist kein Knüzäma oder Wimmern, keine Ololügä oder Weinen, kein Klauma, keine Oimogä, kein Odürmos – dies ist das Richtige: eine Blächä, Geblöke, ein Orügmos, Geheul, kurz eine Korkorügä, die dem Lümmel sofort zu seiner Mutter Brust verhelfen wird. Da ist sie ja schon mit aufgehobenen Armen und fliegendem Hyakinthosgelock. Na, Pfister, ich denke, der Junge wird ferner gut werden, nicht aus der Art schlagen und seinem Alten keine Schande machen.«

»Bei allen Göttern von Hellas, wie kommst du aber zu dieser Nomenklatur des Menschen- und Kindergeschreis, von den Hyakinthoslocken deiner Albertine ganz abgesehen, Adam?«

»Ja, siehst du (der junge Molch und Reklamerich hat sich an meiner Frau so fest verbissen, daß sie nicht sieht und hört), weißt du, das Handwerk ist doch zu stinkend, und selbst eine solche Hausidylle wie die unsrige reicht gegen den Überdruß nicht immer aus. Es ist eben nicht das Ganze des Daseins, alle Abend aus der Wäsche von alten Hosen, Unterröcken, Ballroben, Theatergarderobe und den Monturstücken ganzer Garderegimenter zu der besten Frau und zum Tee nach Hause zu gehen. Da habe ich mir denn das Griechische ein bißchen wieder aufgefärbt und lese so zwischendurch den Homer, ohne übrigens dir hierdurch das abgetragene Zitat von seiner unaustilgbaren Sonne über uns aus dem Desinfektionskessel heben zu wollen.« –


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