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Münchens wissenschaftliche Bedeutung ist nicht so augenfällig wie seine Stellung in den bildenden Künsten, in Musik, Theater und Dichtung. Aber im Besitz der zweitgrößten und besten Bibliothek in Deutschland (die Hof- und Staatsbibliothek hat 900 000 Bände, wozu die Universitätsbibliothek, die junge, aber sehr gut ausgestattete Bibliothek der Technischen Hochschule, das an Seltenheiten sehr reiche Konservatorium der Armee u. a. kommen), des großartigsten paläontologisch-geologischen Museums der Welt, einer der besten Mineraliensammlungen, eines ausgezeichneten Herbariums, der für Kunststudien viele gute Dinge enthaltenden Sammlungen der Glyptothek, des Nationalmuseums, des Münzkabinetts, des Ethnographischen Museums, der großen Archive, bietet München den wissenschaftlichen Studien treffliche Hilfsmittel und Anregungen. An der Universität und der Technischen Hochschule, der Tierarzneischule, der Kriegsakademie lehren Männer, die zu den Zierden der deutschen Wissenschaft gehören. Es gab Jahrzehnte, wo Chemie, Physiologie, Zoologie, Paläontologie, Ingenieurwissenschaften, Zweige der Medizin und Juristerei in München den Mittelpunkt ihrer Lehre und Forschung hatten. Diese Dinge verschieben sich immer rasch. So ist jetzt der Glanz der Münchner Wissenschaft blässer als vor dreißig Jahren. Aber noch immer wird in München sehr tüchtig gearbeitet. Man braucht nur an die Historische Kommission und an das prachtvolle chemische Laboratorium zu erinnern. Und alle die Münchner Hochschulen werden mit jedem Jahre besser besucht. Im Vergleich mit den Mitteln, die Berlin zur Verfügung stehn, bietet und leistet München überraschend viel. Zugleich hat es den großen Vorteil, daß es noch nicht so großstädtisch zerstreuend auf Professoren und Studenten wirkt wie Berlin. München gewährt noch immer durch seine einfach-behaglichen Lebensformen ein genußreiches Zusammenleben und -arbeiten, wo Berlin die Menschen isoliert, übersättigt oder abhetzt. Berlin hat in den letzten Jahrzehnten öfter die Erfahrung gemacht, die in Paris alt ist, daß hinberufne Gelehrte aufhörten zu produzieren, sobald sie in der Hauptstadt akklimatisiert waren. Das Münchner Leben bringt Gelehrte, Dichter, Künstler mit allen andern Ständen in die engste Verbindung. König Maximilians Tafelrunde, die Liebig und Geibel, Sybel und Kobell vereinigte, ist nichts künstliches gewesen, sondern sie war nur die königliche Form für eine in der Münchner Auffassung von Verkehr eingeborne Abneigung gegen bloße Standes- und Gattungssonderungen. Der enge Verkehr der ältern und der jüngern Künstler ist anerkanntermaßen von ebenso großem Vorteil für die Münchner Kunst gewesen wie die Unterweisung in Malklassen und Ateliers. Daß die behagliche Geselligkeit am Biertisch, der nirgends in der Welt so verführerische Stätten bereitet sind wie in München, viele vom ernsten Arbeiten abzieht, ist unzweifelhaft wahr, es gilt das übrigens mehr von den Jüngern der Wissenschaft als der Kunst. In einer Geschichte der deutschen Kunst, die den Rahmen und den Hintergrund der Ereignisse berücksichtigt, werden immer einzelne Münchner Bierlokale genannt werden, in denen sich berühmte Gruppen junger Künstler bildeten, so wie die französische Literaturgeschichte Pariser Kaffeehäuser historisch gemacht hat. In der Corneliusschen Zeit war es der Stubenvoll, und aus dem Ende der sechziger Jahre wäre der Lettenbauer zu nennen, wo Courbet, struppig, in Hemdärmeln und Bier aus Maßkrügen trinkend, das Evangelium der modernsten Richtung verkündete.
Es ist eine Eigentümlichkeit des »dunkeln« Bayern, daß das Unterrichtswesen im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses steht. Das kommt von den Angriffen des Zentrums, das in jeder Tagung an dem Kultusbudget herumnörgelt und besonders mit den philosophischen Fakultäten aller drei Landesuniversitäten nicht zufrieden ist. Zu einem Zurückschrauben der ganzen Entwicklung hat es aber dadurch nie kommen können, höchstens zu einer Verlangsamung. Und die Tatsachen zeigen, daß die Universitäten im ganzen nicht gelitten haben. Das Kliquenwesen hat nie allmächtig werden können, und kein Dozent hat nach 1870 Bayern aus politischen Gründen verlassen. Lutz war als Kultusminister liberaler als Müller und Landmann, hatte von früherm herzlicherm Einverständnis her eine persönliche Schwäche für die Altkatholiken, auch nachdem er sie als Katholiken hatte fallen lassen müssen, und war nicht ganz frei von politischen Erwägungen bei Neubesetzungen. Aber er bewährte doch jederzeit dabei gesunden praktischen Sinn und scharfe Menschenkenntnis. Ihm ist die Offenhaltung der bayrischen Universitäten für die Wettbewerbung des ganzen deutschen Gelehrtentums zu danken. Eine Rückkehr zu der Abschließung vor Maximilian dem Zweiten wäre nach dem Tode dieses Herrschers noch möglich gewesen, heute ist sie undenkbar. Es ist freilich auch undenkbar, daß noch einmal alle historischen Lehrstühle an der Münchner Universität mit Protestanten und Altkatholiken besetzt werden wie unter Lutz. Auch den vorwiegend protestantischen Charakter des Oberschulrats wird man nicht aufrecht erhalten. Gerade die Lutzische Unterrichtspolitik hat in den katholischen Kreisen Bayerns aufrüttelnd gewirkt, es wird mehr wissenschaftlich gearbeitet, besonders auch an den früher sehr stagnierenden Lyceen der Bischofsstädte. Über den Zuwachs an jungen Gelehrten aus den katholischen Kreisen kann man sich im Interesse der Allgemeinheit nur freuen. Natürlich werden diese dann auch ihren Anteil an der Leitung der Geschäfte verlangen, und es wird hoffentlich eine »Parität« möglich werden, die in der Mitte liegt zwischen den zwei extremen Auslegungen dieses Wortes, die in Bayern immer einander so bitter bekämpft haben. Auf katholischer Seite verlangte man die Vertretung nach der Kopfzahl der Konfessionen, auf protestantischer nach der Befähigung. Karl Stieler hat den Unterschied in einem oberbayrischen Wahlschnaderhüpfl witzig dargestellt, wo einer dem Hansei sagt, der mit den Schwarzen geht: Bei enk (euch) san do die mehrere Dumma. Hansei antwortet offenherzig:
Ja ja, dös glaub i selber bald,
Die Dümmern san mir scho,
Aber die mehrern san mir do (doch).