Gabriele Reuter
Irmgard und ihr Bruder
Gabriele Reuter

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XI

Brandrot leuchtete der Bart des gewaltigen Mannes, brandrot die Bürste des kurz geschorenen mächtigen Hauptes, während er mit dem weiten Schritt des Löwen in seiner Werkstatt umherging, die Gardinen des Oberlichtes hin und her schiebend, um die Beleuchtung zu regeln.

Sein grauer Malkittel war befleckt mit hundert Farbtönen, denn er pflegte die Pinsel während der Arbeit daran abzustreichen. Sein Gesicht mit der knolligen Nase, der großen Brille vor den Augen zeigte eine gesunde Frische.

Zwischen Staffeleien, Leinwänden, leuchtenden Bildern und aufgehäuften Skizzen, zwischen verstaubten Tischen mit Öl- und Terpentinflaschen, Farbentuben bedeckt, auf alten köstlichen Teppichen stand das schmale Mädchen in ihrem schwarzen Traueranzug, alabasterweiß das Gesicht, grünliche Schatten um den bebenden Mund, unter dem Schleier des Hutes gleißte hellschimmernd ihr Haar. Sie schob Flaschen, Gläser, Fetzen Seide auf dem schweren Eichentisch beiseite, um Platz für ihre Mappe zu finden.

Der Meister trat auf sie zu, sein Blick sah scharf durch die Gläser, lief vom Antlitz bis zu den Fußspitzen.

»Nun – nun – nicht so ängstlich, ich fresse Sie ja nicht«, brummte er, und jähe Röte flog über das Alabasterweiß der Wangen bis unter den dunklen Hutrand.

»Nehmen Sie erst einmal das schwarze Schleierzeugs da vom Kopf, das stört mich. – So – und nun zeigen Sie Ihre Skizzen.«

Irmgard war seinem Befehl gefolgt. Er hatte sich einen geschnitzten Lehnstuhl näher gerückt, saß darin wie ein König, das Mädchen reichte ihm einzeln die Blätter mit den Farbenträumen, den Visionen einsamer Jugend. Jakob Urich, der Meister, von dem die Welt sprach, und den sie als einen der großen Impressionisten bewunderte, saß sehr still, prüfte, ohne eine Beifalls- oder Tadelkundgebung laut werden zu lassen, Blatt um Blatt, das er Irmgards zitternden Fingern entnahm. Er legte sie vor sich in zwei Stößen auf den Tisch – zuweilen griff er nach dem einen, entnahm ihm ein Blatt, legte es auf die andere Seite, schüttelte auch wohl den Kopf, hob die Skizze wieder auf, betrachtete sie aufs neue.

Irmgard glaubte sein Schweigen nicht mehr ertragen zu können. Das Herz schlug ihr wie ein Hammer gegen die Brust, ein ziehender Schmerz ging durch ihren ganzen Körper, der ihr die Besinnung nahm. Jakob Urich sah zu ihr auf.

»Setzen Sie sich doch, Kind«, bemerkte er weniger rauh als zuvor. »Es ist ja kein Grund, so zu zittern.«

Sie saß nun auf einem verschlissenen grünen Samtsessel, den Kopf gesenkt, die Hände schlaff im Schoß. Wenn er sie doch nur nicht so scharf betrachten wollte, sie meinte zu verbrennen unter seinem Blick.

»Ein sonderbares Geschöpf sind Sie«, sagte er nach einer Weile, »gebärdet sich wie ein Backfisch im Schulexamen – und leistet die Arbeit eines dreißigjährigen Mannes!«

Irmgard hob jäh den Kopf – sah mit ihren Schwärmeraugen geradehinein in die funkelnden Brillengläser. Unter dem roten Bart glimmte ein Lächeln.

»Wollen Sie damit sagen – daß – daß vielleicht doch etwas Talent . . .?« Die Stimme stockte – verlor sich in einem Ton wie aufsteigendes Schluchzen.

»Talent – Unsinn – Talent hat heute jede Gans –« grollte seine Männerstimme. »Das hier – das hier«, er schlug mit der Hand auf die Blätter, »das ist einfach ein Wunder – kommt aus den Tiefen einer Natur . . . Haben wohl sehr einsam gelebt – was?«

»Kindchen – sind Sie so sensitiv? . . . Na – begreiflich – wer so das Wesentliche der Farbe rätselhaft ahnt . . .«

Er schüttelte wieder den gewaltigen borstigen Schädel. »Da plagen wir Kerls uns Tag und Nacht, um herauszubringen, was so ein kleines winziges Ding nur so hinsetzt, als wär's das Alltägliche. Begraben lassen können wir uns alle miteinander mit unsrer großen Kunst. Verflucht noch mal.«

Er stand auf, trat zu Irmgard, legte ihr seine breite weiße Hand auf den blonden Scheitel.

Sie schaute wieder zu dem Riesen auf, lächelte, wurde rot und röter.

»Goldfünkchen haben Sie ja in dem Blau da drin«, sagte er lachend und beugte sich, über die Brille lugend, zu ihr nieder. – »Sie werden sich doch nicht etwa einbilden, daß Sie was können?«

»Nein!« sagte sie ehrlich.

»Sehen Sie – alles das haben Sie wie im Traum gemacht – was?«

Irmgard nickte.

»Ist Kinderkunst – unbewußter Genius. Ob Sie das jemals auf dem Wege des Bewußtseins und des Willens wieder erreichen, ist sehr die Frage. Ich habe noch keine Frau gesehen, der es gelungen wäre. Will Sie aber nicht entmutigen. Was ich dabei tun kann, damit Sie etwas von der Malerei lernen, das soll geschehen. In meine Malklasse nehme ich Sie nicht. Da gehören Sie nicht hin – lassen sich womöglich von dem frauenzimmerlichen Getue anstecken. Sie kommen vorläufig zu mir ins Atelier. Wollen dann weitersehen.«

»Von den Blättern, die ich ausgesucht habe, machen wir eine Ausstellung. Brauchen Sie Geld? Wollen Sie etwas davon verkaufen? Liebermann – auch französische Impressionisten, die nur das Studium der Natur gelten lassen, werden sich für diese Phantasien stark interessieren.«

»Ich möchte sie nicht verkaufen«, sagte Irmgard leuchtend.

»Recht so! Aber zeigen darf ich sie doch ein paar Kollegen, Sie dummes kleines Wundertier?«

Nun kamen ihr doch die Tränen.

»Um Gottes willen«, schrie er und hob die Hand, »ich kann Weiber nicht heulen sehen.«

Irmgard hatte sich schon gefaßt, ihr Aufschluchzen wurde zu einem kindlichen Jubellaut, sie warf in einer jähen Gebärde der Leidenschaft die Arme in die Luft und drückte dann wieder die Handflächen gegen beide Schläfen, als müsse ihr der Kopf zerspringen. – Ihren Hut zu suchen, den sie nicht sah, obschon er neben ihr lag, drehte sie sich wirr und blind um sich selbst. Jakob Urich folgte jeder Bewegung mit den scharfen grauen Augen.

»Also, die Blätter lassen Sie einstweilen hier, ich gebe schon acht, daß ihnen nichts geschieht.«

Sie reichte Urich die Hand, er drückte sie kräftig. Als sie schon in der Tür stand, rief er ihr nach: »Hören Sie, kleines Fräulein – könnten Sie morgen früh um zehn Uhr hier sein –? Ich möchte eine Bewegungsstudie nach Ihnen machen – brauche gerade so etwas.«

»Gern –«, antwortete Irmgard atemlos.

Professor Jakob Urich ging mit seinem Löwenschritt in der Werkstatt auf und nieder. An seiner Stirne perlte Schweiß.

. . . Sie ist ja schon am Verblühen, dachte er, hat Falten um Mund und Augen – bin ich denn verrückt? Was fällt mir bei – Brüste wie ein Schulmädchen – Arme wie Blütenstengelchen – unglaublich! Sein Lachen scholl dröhnend durch den Raum.

Eine Seele hat das kleine Luder – verflucht – verflucht! Urich setzte sich in den großen Fürstenstuhl, nahm Blatt für Blatt vor die Augen, genoß mit Kennerschmunzeln die Sehnsucht in den Linien, Farben- und Formenphantasien des unwirklichen Blumengerankes. Die rührend sanfte Ergebung in der Neigung des Vogelköpfchens, die Starre des Todes in den qualligen Fischaugen und jene Blätter, auf denen nichts dargestellt war als der Kampf von Farben gegeneinander oder die in Frieden gelöste Harmonie zarter Tönungen.

Und der Künstler grübelte über das Phänomen, welches sich in der Geschichte der Kunst oftmals wiederholt: daß in Einsamkeit der einzelne vorempfindet, was in der Jugend einer Generation noch unklar gärt und erst Gestalt gewinnt, wenn jener einzelne vergessen ist.

Nach durchwachter Nacht kam Irmgard zur festgesetzten Stunde in Jakob Urichs Werkstatt. Sie war schnell gegangen, ihre Wangen blühten rosig, die Augen unter den schweren Lidern waren weit geöffnet und glänzten wie das Meer in der Morgensonne.

Jakob Urich streckte ihr seine beiden großen weißen Hände entgegen. Er konnte auch herzlich sein, und das strahlte aus seiner alltäglichen Rauheit wie etwas unbegreiflich Kostbares.

Irmgard mußte auf der Modellstufe verschiedene Stellungen einnehmen. Er saß auf einem Stuhl in einiger Entfernung, studierte sie nur, bald über die Brille hinweg, bald durch die Gläser beobachtend.

»Das ist Ihnen unheimlich?« fragte er lachend.

Irmgard machte eine leise Bewegung mit den Schultern, die Zustimmung wie Ablehnung ausdrücken konnte.

»Ja – ich sehe es Ihnen doch an – auf Ihrem Gesicht spiegelt sich wahrhaftig jeder Gedanke. Wie das geht und kommt – da um den Mund – auf der Stirne – sehr fein – sehr fein. Sie denken sich eine ganze Menge bei Ihrem Schweigen.«

»Ach – ich glaube nicht«, sagte Irmgard ungeschickt.

Er stand auf, trat dicht vor sie. Ein weiches, beinahe ein gerührtes Lächeln ging über sein merkwürdiges Gesicht. Dann wandte er sich, kramte unter seinen Farben und Flaschen auf dem großen Eichentisch.

»So geht die Geschichte einmal nicht«, sagte er ungeduldig in seiner rauhen Weise. »Was die Frauenzimmer sich für unnötiges Zeugs an die Kleider nähen – unglaublich.« Er ging umher – fand ein dünnes seidenes Gewändchen, von einem blassen Grünblau, reichte es ihr. »Da – gehen Sie hinter den Schirm und ziehen Sie das an statt dieses schwarzen Ekels.«

Das Mädchen wurde blutrot, biß sich auf die Lippen, schämte sich ihrer Scham, ihrer Verwirrung. Sprang, ihre Erregung, das Zittern ihrer Glieder zu verbergen, eilig von dem Modelltritt herab, verschwand hinter dem breiten japanischen Schirm und kam nach zwei Minuten wieder hervor – verwandelt in ein zartes Prinzeßchen. – Nun erst sah man den Schwung der Linien von Schulter und Nacken.

»So – so – das ist besser«, bemerkte der Professor lakonisch, stemmte eine Pappe auf sein Knie und begann zu zeichnen. Irmgard folgte jedem Strich der Kreide in der großen weißen Hand, als seien es Offenbarungen.

Nach einer Weile legte er seine Arbeit zur Seite. Sein Gesicht war heftig gerötet. »Sie sind müde, sagte er sonderbar gleichgültig. »Setzen Sie sich dort auf den Diwan und ruhen Sie sich aus.« Irmgard war erschlafft, wie in einem schweren Traum befangen, aus dem sie sich nicht herauszufinden vermochte. Der Rotbart brachte aus einem Schrank eine Majolikaschale mit kleinem Backwerk, eine Flasche und zwei schön geschliffene Gläser, er rückte ein Tischchen heran und schenkte ein.

»Mögen Sie italienischen Wein?« fragte er, während er sich neben das Mädchen auf den Diwan setzte. »Oh – Wermut!« rief sie glücklich. Und dann: »Ich bin in Italien aufgewachsen – am Meer. Unten im Süden – nicht weit von Neapel, in der Villa Marina.« Sie sprachen über Italien. Nicht viel. Er bat sie, ihm zu erzählen, doch sie verwirrte sich vor dem starken, seltsamen Blick seiner grauen Augen. Eine Weile schwiegen sie beide. Darauf erhob sie sich in ihrer stillen, bestimmten Weise, fragte, ob sie sich umkleiden und gehen dürfe. Er nickte zerstreut oder in Gedanken versunken.

*

Schon während ihres zweiten Besuches in seinem Atelier nahm er sie an sich. Es war wie ein Flammensturz, der über sie fiel. Ein leiser Mädchenschrei verklang, und sie ergab sich seiner Kraft, sank mit geschlossenen Augen in den wilden, tierischen Duft seiner Männlichkeit wie in einen Abgrund, der für sie bereitet war, aus dem eine ferne Erinnerung sie anwehte – vertraut und schauerlich fremd.

Während Urich später eine Zigarette rauchte, sah sie ihn mit großen, verwunderten Augen an.

Urich hatte gefürchtet, sie würde weinen, klagen oder jenes hysterische Gelächter anstimmen, was ihm bei Frauen in den Tod zuwider war und sein Begehren auf der Stelle zu zerstören vermochte.

Dieses Wundern in den herrlichen blauen Augen – dieser Ausdruck von überwältigtem, ja andachtsvollem Staunen war ihm noch niemals begegnet.

Wie rein sie ist – eine Jungfrau . . . Und ein Gefühl ernster Verantwortung löste die Wollust ab.

– – Liebe ich ihn? fragte sich Irmgard heute und später oft. Sie wußte es nicht. Es war geschehen, daß sie ihn nun lieben mußte. – Ich wollte es doch – ja, ich wollte es. Im Grunde meiner Seele wartete ich auf ihn. Was er mir tat, wollte ich, sonst hätte er es nicht gewagt.

In ihrer dürftigen Pension lebte sie weiter, fremd in der fremden großen Stadt. In Urichs Werkstatt sahen sie sich, und er war unersättlich. – Sie ging umher, dunkle Ringe um die Augen, ein süßes Lächeln um die Lippen, die rot und feucht schimmerten.

Das Atelier nahm die Hälfte seines Hauses ein. Es besaß einen eignen Eingang von der Straßenseite, während man zum Hauptportal durch den Garten gelangte. Alles umher war geschmackvoll, fürstlich angelegt; Jakob Urich hatte Bedeutung auf dem Kunstmarkt, seine Bilder, vorzüglich seine Porträts, erzielten große Summen.

Einmal hörte Irmgard auf der Treppe draußen Kindergeschrei und Keifen einer weiblichen Stimme. Der Professor stand unmutig vom Diwan auf, wo er mit Irmgard geplaudert hatte, und ging hinaus, kam mit einem kleinen Mädchen an der Hand zurück. Dem Kinde hingen die Tränentropfen noch auf den dicken runden Bäckchen. »Hier – sei brav und gib der Dame die Hand. Was gab es denn, daß du so brülltest?«

»Sie hat mich gehauen, die alte Hexe«, schluchzte das Kind.

»Hexe nennst du dein Fräulein – na, da verdienst du ja Haue!«

»Ich habe nur gesagt, ich wollte nicht mit Soldaten spazierengehen.«

Urich kratzte sich hinter dem Ohr und schob die mächtigen Schultern in die Höhe. Er wechselte einen schnellen Blick mit Irmgard.

»Seit wann sollst du denn mit Soldaten spazierengehen?«

»Immer doch«, berichtete das Kind. »Fräulein spricht kein Wort mit mir, und wenn ich etwas frage, wird sie böse.«

»So – so – das ist ja eine schöne Geschichte . . . Na, bleib hier und sieh dir ein Bilderbuch an.« Er warf der Kleinen ein Buch mit bunten Kupfern zu, sie legte sich an die Erde und betrachtete aufmerksam ein Bild nach dem andern.

Irmgard erschrak heftig, als sie plötzlich die Erfahrung machte, daß Urich eine Familie besaß – vielleicht viele Kinder? Verwandte? Sie fühlte Weh und Fremdheit, obgleich sie wußte, daß er verheiratet war und seine Frau sich in einer Nervenheilanstalt, man durfte wohl sagen im »Irrenhause« befand. Sie hatte ihn niemals nach seinen häuslichen Verhältnissen gefragt.

Scheu gingen ihre Blicke zu dem kleinen Mädchen hinüber, von dem sie nur ein zierliches Profilchen sah unter dem Schopf rotblonden Haares.

»Es ist ein Elend«, brummte der Professor und stellte sich vor seine Staffelei, mit einer Art von grimmiger Verbissenheit die Arbeit wieder aufnehmend.

*

Professor Jakob Urich, vertraut mit den Wegen, die man einschlagen muß, um in der Gesellschaft wirksame Reklame zu machen, beschloß, in seinem Atelier eine kleine Ausstellung für einen erlesenen Kreis von Kunstfreunden und Kollegen zu veranstalten. Neue Bilder von ihm, als Lockmittel, daneben eine ausgesuchte Reihe von Aquarellen, Pastellen und Zeichnungen seiner Schülerin Irmgard Glenn. In der Presse erschienen Andeutungen, welche die Neugier aufstachelten. Irmgard las mit Schrecken ihren Namen in Ausführungen, die von Visionen, Wachträumen, Arbeiten, die in Trance entstanden seien, sprachen.

»Das zieht«, meinte der Professor, als Irmgard ihm verstört und etwas entrüstet die Zeitungen vorwies. »So etwas wird kaltblütig in der Weinkneipe überlegt und ausgeführt. Sollst sehen, Kleine, wie die Damen von Berlin W dich umtanzen und alle lyrischen Dichter dich anbeten werden.«

Urich rieb sich die Hände mit dem frohen Lachen, das unerwartet und jungenhaft aus seiner ernsten Männlichkeit vorbrechen konnte.

Er werde ihr auch allmählich einen Plan für ihre weitere Ausbildung vorlegen, denn auf Visionen könnte man sich nicht für ein ganzes Künstlerleben verlassen – reales Können müsse sie unterstützen.

»Das gnädige Fräulein werden sich natürlich sträuben –«, fuhr er in guter Laune fort. »Ich will auch nur Richtlinien geben – weiß recht gut, daß einer so sonderbaren Begabung, wie die deine ist, kaum Vorschriften zu machen sind. Möchte dich nur vor unnötigen Umwegen behüten und dich nicht in Dschungeln verlieren lassen.«

»In Dschungeln?« fragte Irmgard. »Was meinst du?«

»Nichts weiter; es sollte nur ein Bild für ungesunde Verstrickungen sein. Warum siehst du mich so erschrocken an?«

»Weil ich oft von Dschungeln träume – von hohen Gräsern und Schlingkraut, aus dem ich nicht herausfinde. Erwache ich und es stört mich niemand, entstehen aus den geträumten Naturformen oft meine besten Skizzen.«

»Ist das wahr?« fragte der Mann mit seinem scharfen Interesse. »Ich glaubte, du hättest das exotische Zeug in Gewächshäusern studiert.«

Irmgard schüttelte den Kopf. »In deutschen Kleinstädten gibt es keine Gewächshäuser.«

»So wäre denn Wahrheit, was ich den Reportern aufgebunden habe?« sagte der Professor nachdenklich. »Ein sonderbarer Fall! Bist du etwa Hellseherin auch in anderen Dingen?«

»O Gott, nein!« rief Irmgard. »Solche Gaben sind mir unheimlich, abstoßend.«

»Jedenfalls bist du magisch stark begabt«, sagte Urich ernsthaft.

*

Die Ausstellung machte, wie Urich vorausgesehen, Irmgard Glenn zu einem Mittelpunkt des Interesses und der heftigsten Debatten in den künstlerischen Kreisen Berlins sowie in den Häusern des Adels und der Großfinanz, wo man sich mit dem Titel von Mäzenen, Sammlern und Gönnern zu schmücken liebte. Schon die lebhafte Protektion, die ein so anerkannter Meister wie Jakob Urich diesem neuen Talent widmete, sie übte einen starken Einfluß auf das Urteil der Gesellschaft. Freilich gab es hie und da in den Unterhaltungen über den Wert oder Unwert der Skizzen – denn von fertigen Bildern konnte ja nicht die Rede sein – ein zweideutiges Lächeln. Man wußte, daß Jakob Urich ein starker Frauenvertilger war. Seitdem er nach der schweren Erkrankung seiner Gattin wieder als Junggeselle lebte, ahnte oder deutete man auf mancherlei Beziehungen, flüchtige meist, zu Frauen der Gesellschaft. Dieses aparte kleine Wesen war oder wurde voraussichtlich eine neue Geliebte. Ihr Alter schien gänzlich unbestimmbar. Dreißig Jahre bildeten unter diesen vorgeschrittenen Lebenskünstlern keinen Einschnitt mehr – doch taxierte man Irmgard kaum auf fünfundzwanzig. Der Meister hatte gesorgt, daß die kleinstädtische Kleidung zu diesem bedeutungsvollen Sonntagvormittag durch ein nach seinen Angaben stilisiertes Gewand aus weicher schwarzer Seide ersetzt wurde. Eigenhändig suchte er in seinen Truhen eine kostbare Spitze von feiner Elfenbeintönung hervor, aus der das helle Köpfchen mit dem seidenblonden Haar wie aus einem Blütenkelch emporstieg, eine Spitze, welche mit ihrer welken Kostbarkeit auch die zarten geistigen Hände malerisch verschleierte.

Schmunzelnd hatte er sein Werk betrachtet, als Irmgard sich etwas vor den Gästen in seinem Atelier einfand, erhitzt und vor Scham und Glück von Rosenrot übergossen.

»Du wechselst dein Alter an einem Tag zwischen fünfzehn und fünfzig Jahren«, rief er lustig. »Oh, bitte – kein pikiertes Mäulchen – das ist dein Hauptreiz, dummes Mädel!«

Sehr feierlich und zeremoniös hatte er sie dann vorgestellt, und Irmgard hörte die Namen, die ihr wie ferne leuchtende Sonnen am Himmel der Kunst durch den Nebel ihres alltäglichen Lebens in Frohnstedt geglänzt hatten. Sie schaute in bedeutende Gesichter, hörte sich freundlich von den Sonnen angeredet – sah die großen Männer vor ihren ungeschickten Versuchen stehen, mit den kunstreichen Fingern auf dies und jenes deutend. Sie flüsterten eifrig untereinander, Irmgard mit gütigen oder strengen Blicken musternd.

Man fragte nach den Preisen ihrer Arbeiten. Als man von Urich hörte, sie seien unverkäuflich, weckte dies Bedauern und steigerte die Wirkung. Von einigen in Samt und Pelzen rauschenden Damen erfolgten eindringliche Werbungen und Aufträge. Als später in den Salons bekannt wurde, Exzellenz von Menzel, der kleine große Menzel, habe ein Blatt, jenes minuziös ausgeführte Gewirr phantastischen Gerankes unwirklicher Blumen, erworben, wurde Irmgard Glenn mit einem Schlage aus einer pikanten Novität zu einem ernsthaften Faktor im Kunstleben.

Sie bekam – neben unendlichen Einladungen zu Tees, Diners und Bällen – Aufträge auf ebensolche Farbenphantasien und – konnte sie nicht ausführen.

Im Rausch jener Tage war es, als sei ihr jede Fähigkeit zum Produzieren abhanden gekommen. Schon ahnte sie, in derselben Weise wie in der traumumfangenen Einsamkeit würde sie sich niemals wieder einstellen.

Weinend saß sie auf ihrem Klappstuhl in des Meisters Werkstatt vor dem Blatt, das unsichere Striche und Tupfen ohne Sinn in bunten Aquarellfarben deckten. Nun verbot er, der Kundige, der diesen schweren Übergang hatte kommen sehen, auch nur einen Auftrag anzunehmen. Demütig lernen sollte ihr nächstes Ziel sein. – Er ließ sie in einer bekannten Aktklasse den menschlichen Körper studieren, auch im Freien nach der Natur zeichnen und aquarellieren. Seine Kritik war unnachsichtlich. In solchen Augenblicken vergaß er, ein Liebender zu sein, und war es vielleicht am stärksten.

 


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