Joseph Richter
Bildergalerie weltlicher Misbräuche
Joseph Richter

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Dreyzehntes Kapitel.

Ueber Kartenspiele.

Herr Obermayer nimmt es den hochwürdigen Probsten und Prälaten sehr übel, daß sie öfters ihren Untergebnen gewisse Dinge verbieten, die sie doch selbst thun; da könnten aber die Spötter bey sich sagen, daß es die weltlichen grossen Herren nicht viel besser machen.

Das Verbot der Hazardspiele kann ich zwar nicht anders als billigen; wenn ich gleich nicht begreife warum man nur eine gewisse Klasse von Spielen darunter gezählt, und nicht lieber alle mitsammen verboten habe.

Für einen, der zuspielen weiß, giebt es kein Hazardspiel in der Welt; für den 181 unwissenden Spieler aber ist alles Hazard, und so werden in den tollerirten Kommerzspielen die Dukaten eben so gut zu tausenden verloren, und die Familien zu Grund gerichtet. Die Landesverweisung der Karten könnte also für manche deutsche Hauptstadt bald eben so wohlthätig seyn, als die Abschaffung einer gewissen Klasse von Ausländern, die unsre Sitten vergiften, und durch ihren Schleichhandel die wohlgemeinten Kommerzabsichten der Landesfürsten vereiteln.

Ich kenne zwar die Gründe, die die Advokaten der Karten zu ihrer Vertheidigung vorbringen. So sagen sie zum Beyspiel, daß durch die Karten die in ihren Augen nothwendige Gleichheit der Menschen wieder hergestellet werde; weil man bemerket hätte, daß die Damen – so bald sie an den Spieltisch kommen, ihr hohes Wesen ablegenIch erinnere mich an ein drollichte Aneckdote. Ein Edelmann richtete Affen, deren er mehrere im Haus hatte, zu verschiedenen Handlungen ab. So mußte der eine die Gäste mit Weine bedienen – der andere den Teller wechseln u. s. w. Der Herr von Haus that sich auf sein Kunststück ungemein viel zu gut, und behauptete, daß seine vier füssige Domesticken die Affennatur gleichsam ausgezogen hätten, und daß nichts fähig wäre, sie die Rolle vergessen zu machen, die sie spielen. Ein fremder Herr, der wohl wußte, daß Affen nie aufhören Affen zu seyn, machte sich den Spaß, und warf eine Handvoll Nüsse auf den Boden, und Flugs war vollkommene Gleichheit unter diesen Hausoffizieren. Dieser warf seinen Teller, der andere seine Gläser weg, sie vergassen ihre Kammerdiener- und Mundschenckrollen, fielen über die Nüsse her, und waren, was sie von Natur sind – Affen.
    Ich hoffe doch nicht, daß jemand so boshaft seyn, und diese Aneckdote auf obige Stelle anwenden werde.
und182 die Frau Hofräthinn es nicht mehr wider ihren Karackter finde, mit der Gemahlinn des Koncepisten eine Woyta zu spielen, und ihr die Dukaten abzugewinnen. Ferners sollen die Karten die Sinnen der spielenden Damen so mächtig einnehmen, daß sie darüber die Gebrechen ihrer Nebenmenschen und die ihrem Geschlechte angeborne Schmähsucht 183 vergessen; endlich soll es nach der Meinung dieser Herren unmöglich seyn, eine Gesellschaft von Damen und Kavaliers, wie sie das itzige Jahrhundert giebt, ohne Kartenspiele nur eine Stunde lebhaft und munter zu erhalten, und sollen die Karten selbst von einigen Aerzten als das einzige taugliche Mittel wider die in der feinern Welt herrschende Schlafsucht seyn erkennet worden – daher auch die Herrn und Frauen, selbst wenn sie über Land fahren, sich weislich mit Karten versehen, aus Furcht, sie möchten beym Gesang der Nachtigall und den Schönheiten der Natur – einschlaffen.

So sehr es auch auffällt, wenn denkende Geschöpfe, gleich den kleinen Kindern sich mit gemahlten Bildchen die Zeit verkürzen, und ein Vergnügen daran finden, fünf bis sechs Kartenmännchen in der Hand zu halten, und einen papiernen König, auf eine papierne Dame zu legen; oder wenn Männer von 184 Geschäften, die über das Kanzleysitzen klagen, sich bis Mitternacht an den Spieltisch hinsetzen, und sich tödtliche Obstrucktionen holen; oder die Herren Schneidermeister an Arbeitstägen das Kleid an den Nagel hängen, und im Wirthshaus den letzten Stich machen: so sehr dies alles auffällt, so muß ich doch eingestehen, daß die Gründe der Kartenadvokaten nicht ohne Gewicht sind.

Indem ich ihnen aber zugebe, daß die Karten ein wirksames Mittel wider die epidemische Schlafsucht der galanten Welt seyn können, werden sie mir wohl auch im Gegentheil eingestehen, daß durch den beständigen Umgang mit Kartenfiguren endlich auch ein grosser Theil unsrer männlichen und weibliche Jugend zu Kartenmännchen und Kartendamen geworden, daß die Karten eine von den Hauptursachen mit seyn, daß es so viele papierne Ehemänner, und so viel papierne Mütter gebe, und da diesen Herren bekannt seyn 185 muß, daß die mit dem Kartenspiel verbundene Habsucht so wie der Geldgeitz den Geist entnervert und das Herz abstumpft, so werden sie eben so wenig läugnen, daß abermal die Karten Schuld daran seyn mögen, wenn man so viele Schaf- und Gansphisiognomien in der grossen Welt, und so wenig Menschengefühl antrift, und sich die Spuren von Zorn und Neid so frühzeitig dem weiblichen Gesicht einprägen; so wie sie mir eingestehen müssen, daß Leute, die sich im Spiel wechselweise ruiniren, unmöglich Freunde unter sich seyn können; sollten sie auch zusammen reiten und fahren, petits soupés geben, und sich Brüder nennen.

Es wird also, wenn wir Vortheil und Nachtheil der Kartenspiele auf die Wagschale legen, das Gute viel zu leicht befunden werden, und so könnte ich, wenn ein Kapuziner, gleich den vormaligen Herrn Jesuiten, Sitz und Stimme 186 im Rath hätte, kein anders Votum als zuNB. Das Wort ihre bezieht sich hier auf die Karten. ihrer Landesverweisung geben.

Freylich würde dann Schlafsucht und Langweile manche junge Dame vor der Zeit von der Welt hinwegraffen; mancher Beamte müßte, um die Zeit zu tödten, ein nützliches Buch zur Hand nehmen; die französchen und welschen Herrn Abbès, die sich bisher vom Kartenspiel ernähret haben, würden gezwungen seyn, wieder in ihr Vaterland zurückzukehren: Es würde vielleicht noch mehr gutes aus der Aufhebung der Karten für den Staat entstehen – aber eben deswegen würde ich von allen Seiten Widerspruch finden, und schwerlich mit meinem Votum durchsetzen; vielleicht fände ich so gar in den Hochwürdigen Herren Prälaten, Domherrn, Benefiziaten, Pfarrern und selbst in manchen Ordensgeistlichen eine mächtige Gegenpartey; denn leider hat die 187 Spielsucht so tief bey der Geistlichkeit eingewurzelt, daß ich fast Bedenken trug, sie unter die weltlichen Misbräuche zu zählen.

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

  1. Ein großer Spielsaal mit fünf Spieltischen.
  2. An dem mittlern sitzt die Frau von Haus mit zwo andern Damen und einem Accessisten, der das erstemal die hohe Gnade genießt, an den Spieltisch der gnädigen Frau gezogen zu werden. Die Frau von Haus sieht äusserst munter aus; der Accessist sitzt aber in tiefen Gedanken, und scheint eben zu berechnen, wie hoch ihm diese hohe Gnade bereits zu stehen komme.
  3. Am Tisch zu ihrer Rechten sitzen drey statliche Herren und ein welscher Abbee. Die drey Herren schütteln die Köpfe und scheinen nicht zu begreifen, wie dem Herrn 188 Abbee, so oft er die Karten giebt, immer die vier Asse zufallen können.
  4. Den folgenden Tisch nehmen die Frau eines Beamten, ihre 14 jährige Tochter, ein Domherr und ein Medikus ein. Die Mutter hat bereits das Marktgeld für den ganzen Monat verspielt, und wirft unter verschiedenen Grenadierflüchen zum auferbauenden Beyspiel für ihre Tochter, die Karten in den Tisch.
  5. Linkerhand sieht man einen Offizier, einen Petriner, einen quieszirenden Beamten, einen Kaufmann und einen Advokaten zusammen am Woytatisch sitzen. Die Gage des Offiziers, das monatliche Meßstipendium des Petriners, das ganze Quartal des Quiescenten, die Taglosung des Kaufmanns und die erstreckten Tagsatzungen des Advokaten stehen auf dem Spiel. Der Petriner schlägt Aß und König um: und ruft Woyta. Die übrigen schrein, ich helfe. Der Petriner, dem die Todesängsten aufsteigen, ruft um ein Glas Wasser. Der Herr vom Haus steht am Tisch, und lacht aus ganzer Seele, daß nun zween seiner Freunde durchfallen müssen. 189
  6. Am letzten Tisch endlich geht es sehr verwirrt zu. Zwo Damen sind im Streit begriffen; sie zeigen sich bereits die Nägel, und sehen eher Furien als Damen gleich. Zwey Herren, die ein sehr erwürdiges Ansehen haben, suchen das Duell zu verhüten, und werfen daher ihren ansehnlichen Gewinn in die Kassen der streitenden Damen.
  7. Ein Bedienter geht auf den Tisch los, wo der Medikus sitzt, um es ihm zum drittenmal zu sagen, daß einer seiner Pazienten in der größten Lebensgefahr sey. 190

 


 


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