Joseph Richter
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Joseph Richter

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Achtzehntes Kapitel.

Uiber Erziehung.

Hätte ich das Glück, Mitglied eines gewissen berühmten Ordens zu seyn, so würde ich freylich viel Trefendes und Neues über diesen Gegenstand zu sagen wissen; denn man weiß es ja, daß dieser beliebten Gesellschaft nicht blos der Unterricht, sondern wohl auch die Erziehung der adelichen Jugend anvertrauet worden.

Unter seiner väterlichen Aufsicht standen fast alle adeliche Treibhäuser, die das Vaterland mit Helden und Staatsmännern versahen, und wenn gleich ihre Feinde, deren sie, wie alle Leute von Distinktion, leider in die Menge hatten, 238 die gelieferten Staatsmänner und Helden nicht aufzufinden wissen, so läßt ihnen doch ein guter Theil des alten Adels Gerechtigkeit widerfahren, und vertraut noch itzt die zarten Sprößlinge und die Hofnung des hochgräflichen oder hochfürstlichen Stammhauses ihrer Privatpflege.Was ich bey mir denke, wenn ich den Nachwuchs unsrer künftigen Helden, Räthe und Staatsmänner in Begleitung ihrer geistlichen Hofmeister auf öffentlichen Promenaden erblicke, will ich eben nicht sagen; aber lachen muß ich, sobald mir die Grille einfällt, daß jeder seinen Zögling gern nach seinem eigenen Modell zuschneide.

Da ich aber ein unbedeutender Exkapuziner bin, und also, wie obige Herren, nie Gelegenheit hatte, in die Falten der jugendlichen Herzen zu sehen, und der Erziehungskunst auf den Kern zu kommen, so muß ich freylich meine Leser (und Leserinnen würde ich sagen, wenn ich nicht wüßte, daß sie dieses Kapitel, weil es von der Erziehung 239 handelt, überschlagen werden) um Vergebung bitten, wenn ich, statt einem Sisteme, blos einige abgerissene, flüchtige Bemerkungen mittheile.

Ich müßte meinem Gelübde der Wahrheit untreu werden, wenn ich läugnete, daß man in Ansehung der körperlichen Erziehung ungleich vernünftiger zu Werke gehe, als unsre Vorfahren. Man bindet die kleinen Weltbürger, nachdem sie so glücklich dem Kerker entkamen, nicht mehr so unbarmherzig an Händen und Füssen zusammen; füllt ihre zarten Mägen nicht mehr so häufig mit dem unverdaulichen Mehlbrey an; läßt sie dann bey zunehmenden Kräften auf der Erde herumkriechen; kurz man arbeitet der weisen Natur nicht mehr so grausam entgegen, und fängt wirklich an, indem man über ihn spottet und lacht, einen guten Theil der Kinder à la Rousseau zu erziehen, und so sieht man itzt Mädchen und Jungen, die unsre Voreltern noch 240 in der Windel getragen, und am Ofen gewärmt hätten, mit blossem Kopf und blosser Brust herumspringen und jeder Witterung trotzen.

Aber kaum hat man die zarten Sprossen durch vernünftige Pflege zu einem gesunden Wachsthume gebracht, so verdirbt man alles selber wieder, indem man von dem Bäumchen Früchte verlangt, eh noch die Zeit der Blüthe ist.

Es kitzelt die mütterliche und väterliche Eitelkeit gar zu sehr, wenn ihre Kinder für kleine Weltwunder passiren; daher entziehen sie solche den wohlthätigen Händen der Mutter Natur, und stecken sie in TreibhäuserIch verstehe hierunter nicht blos die öffentlichen, sondern auch die Privattreibhäuser, wo man den Kindern die Seele, die sie, nach la Bruyeres Meinung, in den Füssen haben, in den Kopf hinauf zu treiben sucht. Wo man ihnen den Kopf mit Worten anpfropft, und durch Schulwiz ihren Mutterwiz erstickt. wo die Kunstgärtner so lang daran stutzen und 241 schnitzen, bis endlich die so sehnlich erwünschte Frucht zum Vorschein kömmt. Väter und Mütter sind dann vor Freuden ausser sich, wenn ihre Kleinen, indessen die Kenntnisse der Kinder der Natur in dem kleinen Kreis ihrer Bedürfnisse eingeschränkt sind, in Gesellschaften über Philosophie, Moral und Statistick zu räsonniren wissen. Aber so wie alle Früchte aus Treibhäusern hinfällig und schmacklos sind, und die Bäumchen, so bald sie wieder in freye Luft kommen, hinwelken, oder wenigstens blos unvollkommene und ungenießbare Früchte bringen, so sind auch die Früchte dieser gekünstelten Erziehung selten von langer Dauer, und die übertriebnen Bäumchen werden entweder gar nie zum Baum oder tragen, wenn sie es werden, keine Früchte, und bleiben blosse Stämme; daher hatte der scharfsinnige Verfasser der Berlinerbriefe nicht unschicklich angemerkt, daß in einem gewissen Land 242 Kinder, die in ihrem 6ten und 7ten Jahre voll naiver natürlicher Einfälle waren, gegen die Jünglingsjahre zu DalkenIn einer gewissen deutschen Hauptstadt gieng die Rede, daß diese Berlinerbriefe von den restirenden Mitgliedern der Gesellschaft Jesu herrührten; allein wenn sie sich auch selbst nicht dagegen vertheidiget, und es öffentlich gesagt hätten, daß sie nicht die Verfasser sind, so würde sie schon hier oben angeführte Stelle von dem Verdacht lossprechen; denn es ist nicht wahrscheinlich, daß dieser Orden, der diese Treibhäuser errichtet, und an sich gerissen hatte, wieder sich selbst soll geschrieben haben. werden.

Ich will das Alletaggleichniß: daß Kinder den jungen Zweigen ähnlich seyn, die unter der Schere des Gärtners erst ihre Vollkommenheit erhalten, für passend annehmen, wenn gleich die mayestätische Eiche und viele andere Bäume ohne alles Schnitzeln und Stutzen ihre vollkommene Schönheit erreichen; allein (auch dieses zugegeben,) wo ist der Gärtner, der mit Wahrheit sagen kann: das ist Auswuchs? Und wenn es Auswuchs ist, 243 weiß er dann, ob nicht dieser Auswuchs, nämlich die Leidenschaft, die er ausreuten oder unterdrücken will, dereinst gerade die herrlichsten Früchte tragen werde?

Ich habe noch eine andere Idee über dieses Gleichniß. Ich denke immer, daß Menschen mit dergleichen Seelenauswüchsen zur Erhaltung des Ganzen nothwendig seyn, und daß es unordentliche Köpfe geben müsse, damit die ordentlichen etwas zu thun haben.

Allein diese moralische Ziergärtner schneiden nicht blos die Auswüchse weg, sondern suchen mit ihrer Schere der ganzen Natur des Bäumchens einen andern Zuschnitt zu geben, und was das Komischste dabey ist, so nehmen sie sich selbst zum Model, und so muß der feuervolle Junge so lang an sich künsteln lassen, bis er gleich dem Herrn Hofmeister wenigstens die Aussenseite einer Memme hat, oder wenn auch die Vernünftigern aus ihnen 244 bey sich überzeugt sind, daß sich die Natur eines Baums durch alle Scheren der Welt nicht ändern lasse, so müssen sie doch öfters ex officio nach dem vom Herrn Papa oder der Frau Mama vorgelegten Model, einen Beamten, einen Advokaten, einen Helden, oder einen Staatsmann aus dem Bäumchen schnizenEs gab wohl Zeiten, wo die meisten Modelle aus Jesuiten, Benedicktinern, und andern ehrwürdigen Ordensgeistlichen bestanden, und so gar die ehrbaren Handwerker ihre Söhnchens blos deswegen zur lateinischen Schule schickten, und Instrucktoren ins Haus nahmen, damit sie einen geistlichen Vorsprecher aus ihnen schnitzten, der den Himmel durch sein tägliches Opfer gegen die kleinen Handwerksvortheile nachsichtsvoll machen mußte..

Es werden ihnen wohl auch manchmal entgegengesetzte Plane vorgelegt, wenn die Eltern nämlich unter sich nicht einig sind, und der Vater einen Kaufmann, die Mutter aber durchaus einen Kavlier aus dem hofnungsvollen 245 Söhnchen verlangt, und da soll dann gemeiniglich gar nichts daraus werden.

Aus meinen wenigen Bemerkungen über die Erziehungskunst habe ich also für mich das Resultat abgezogen, daß es mit ihr und mit der Arzneykunst gleiche Beschafenheit habe, und daß man in beyden Künsten schon sehr viel gethan, wenn man der Natur nicht entgegen arbeitet.

Die Fälle, wo die Natur von der Kunst Hilfe bedarf, scheinen mir äusserst selten, weil sie fast immer ihre Hilfe im Uebel selbst findet; So dienet oft die Austrettung der Säfte zur Herstellung des Gleichgewichts, und so wissen Zufälle und Umstände dem Meer der Leidenschaften einen festern Damm zu setzen, als alles Moralisiren, und Schnizeln der Kunstgärtner. 246

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

  1. Eine Studierstube.
  2. Ein Hofmeister sitzt mit seinen drey Zöglingen am Tisch, und ließt ihnen über die Moral vor.
  3. Zween von den Zöglingen hören ihm sehr aufmerksam zu; der Dritte aber sieht immer nach der Uhr, ob dann das Moraliren nicht bald ein Ende habe.
  4. Der Hofmeister, der ihnen eben bewies, daß sich ein vernünftiger Mensch nie zörnen soll, ergrimmt über seine Zerstreuung, und schlägt den armen Schelm mit dem Lineal im vollen Zorn über die Finger.
  5. Im Zimmer herum sieht man Landkarten, Globus, Naturalien, und verschiedene andere Erfordernisse zu Wissenschaften.
  6. An einem Seitentisch schreibt ein guter Freund des Hofmeisters einige Sätze zusammen, die diese 7 und 8 jährige 247 Knaben am Namensfest des Papa gegen Männer vertheidigen werden.
  7. Der Herr Papa (ein ehrlicher Pächter) kommt mit einer Ochsensenne zur Thüre hinein, um der Instrucktion des Hofmeisters nach zu helfen. 248

 


 


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