Joseph Richter
Bildergalerie weltlicher Misbräuche
Joseph Richter

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Vierzehntes Kapitel.

Ueber das Lottospiel.

Ich sagte im vorhergehenden Kapitel, daß es kein Hazardspiel in der Welt gebe, und so kann auch das Lotto kein Hazardspiel seyn, und ist auch wirklich keines, wenn man die Verbindungen dieses Spiels einsieht, und die Wahrscheinlichkeiten zu berechnen weiß.

Da aber zu so einem Unternehmen Kopf und Geld gehört, Kopf und Geld aber selten beysammen sindGewisse Entrepreneurs an der schweizerischen Gränze haben es zu ihrem Schaden erfahren, daß die Lotterie für Spieler, die den Kalkul der Verbindungen verstehen, und mit dem Geld zusetzen können, kein Hazardspiel sey. Drey oder vier solche Gesellschaften in jedem Land, die gleich den Schweizerfreunden Kopf mit Geld verbänden, könnten, besonders bey verstecktem Spiel, gewiß jede Lottoriekammer in Verlegenheit bringen, und bey nachläßigen Kastelleten wohl auch ihre Kaution in Gefahr setzen. 191 so ist und bleibt die Lotterie immer eines der ersten Hazardspiele, und dann muß man sich fast wundern, wie dieses gefährliche Wagspiel in den meisten Ländern und sogar in den Staaten Sr. päbstlichen Heiligkeit nicht blos tollerirt, sondern wohl auch privilegirt werden könne.

Wenn Jemand gegen ein jährliches Erlagsquantum sich von irgend einem Reichsfürsten die Erlaubniß erbäte, seine Unterthanen plündern zu dürfen, so dürfte ihm solche (wäre dieser Fürst auch ein Seelenverkaufer) schwerlich zugestanden werden, und doch ist diese feine Genueserspekulation weiter nichts als eine maskirte Plünderung, bey der man freylich keinem den Rock mit Gewalt vom Leibe nimmt; aber ihn durch die süsse 192 Lockungen ansehnlicher Gewinste so einzuschläfern weiß, daß er ihn freywillig hingiebt.

Was das Uebel für den Staat noch empfindlicher macht, ist, daß durch diese privilegirte Freybeuter nicht etwa der Reiche, dem das Ausplündern zu Zeiten nicht schaden dürfte, sondern gerade die arbeitsame und dürftige Klasse der Bürger ausgezogen werde; denn nur diese können vorzüglich angelockt werden, wenn man ihnen für einen kr. zwanzig Dukaten verspricht.

Dem Unglücklichen ist jede Aussicht zur Verbesserung seines Zustandes willkommen: er ergreift also mit Freuden eine Gelegenheit, die sich ihm auf eine so wohlfeile Art anbietet, und so trägt er mit Freuden seine kr. dem Lotto zu, um, wie es ihm sehr möglich scheint, dafür eben so viel 20 Dukaten einzuwechseln. 193

Viele machen bis zur Zeit der Ziehung schon die Austheilung ihrer Gewinste – Dieser kauft sich ein Haus, der andere eine Landwirthschaft, der Schneider fährt schon im Gedanken in einer prächtigen Equipage durch die Stadt, und die Köchin kauft sich für ihre Terno einen gnädigen Herrn.

Nicht alle aber haben immer eigene kr. genug, daher machen viele a Conto der künftigen Terno Schulden; daher nimmt die Köchin täglich von dem Marktgeld ihrer Frau ein paar Groschen zu leihen, wobey sie freylich den festen Vorsatz hat, bey dem ersten Gewinn alles wieder fleissig zurück zu bezahlen, und so versetzt wohl auch manches Stubenmädchen für eine ungewisse Terno ihre theure Ehre. Indessen geht es ihnen gemeiniglich wie dem Herzog Michel. Der Vogel ist entflohen: der Schneider geht ferner zu Fuß; der Köchin drücken die Marktkreuzer das Gewissen, 194 und das Stubenmädchen kann ihre versetzte Ehre nicht wieder einlösen.

Ich tauche meinen Pinsel nicht gern in gräßliche Farben, sonst könnte ich die Folgen dieses trügerischen Hazardspieles in wahrhaft schröcklichen Bildern vorstellen; aber man forsche bey Bankruten besser nach, und man wird finden, daß der größte Theil von dem unseligen Lotto herrühre.

Allein alle diese Wunden wären dem Staat nicht geschlagen worden, wenn die Unternehmer dieses Spieles aufrichtiger mit dem Publikum umgegangen wären. So hat man zwar dem Liebhaber dieses Spiels die ungemein grosse Vortheile desselben vor die Augen gelegt, und ihm gezeigt, daß für eine Ambo 1 kr. 240 kr. für eine Terno 4800 kr. für eine Quaterne 19200 kr. und für eine Cinquine 48000 kr. trage; man hätte dem Publikum aber auch sagen sollen, daß man, um eine Ambo zu 195 machen, 400½ Fehler, bey einer Terno 11748 –, bey einer Quaterne 510988 –, bey einer Cinquine endlich 43,944968 Fehler wieder sich habe:Die 90 Numern enthalten 4005 Amben in sich, da aber in den 5 herausgezogenen Nro. jedesmal 10 Amben trefen, so kommen gerade 400½ Fehler auf einen Trefer.
    Die 90 Numern enthalten ferners einmal hundert Siebzehntausend vier hundert und achtzig Ternen in sich, und da in den herausgezogenen Numern abermal 10 Ternen trefen, so ergeben sich gerade obige 11748 Fehler auf einen Trefer.
    Die in den 90 Numern enthaltene Quarternen belaufen sich auf zwey Millionen, fünf mal hundert vier und fünfzigtausend, neun hundert und vierzig, und da in den 5 gezogenen Nro. 5 Quarternen trefen, so fallen obige 510988 Fehler für einen Trefer aus.
    In den 90 Numern sind endlich drey und vierzig Millionen, neun mal hundert, vier und vierzig tausend, neun hundert acht und sechzig Cinquinen enthalten, und da nur 1 Cinquine in 5 Nro. trefen kann, so bleiben also obige 43,944968 Fehler auf einen Trefer.
und die Lockspeise hätte gewiß viel von ihrem Reiz verloren; ja ich bin gewis, daß dieses Spiel, wenn sich die Minister 196 bey ihren überhäuften Geschäften noch über dies mit trocknen Verhältnißrechnungen abgeben könnten, schwerlich so weit im lieben Deutschland um sich gegriffen hätte; wenigstens würde in unsern Zeiten eine ähnliche Geburt des welschen Spekulationsgeistes in Deutschland nicht mehr so leicht ihr Glück machen.

Inzwischen hat Verlust und Kombinirung schon manchen über dieses Wagspiel die Augen geöffnet – und diese spielen auch entweder gar nicht oder mit Klugheit; allein gerade die spielende Klasse versteht nichts vom Kalkul, und daher wird sie sich, so lang dieses Spiel währt, immerfort vom Reiz des Gewinnes anlocken lassen, und sich zu grunde spielen.

Ich würde es nicht wagen, meine Stimme wider dieses privilegirte Hazardspiel so laut zu erheben, wenn nicht weit verständigere Männer wider dasselbe geschrieben hätten, und nicht eine von den 197 drey geistlichen Kurfürstl. Durchlauchten den übrigen deutschen Fürsten durch die gänzliche Vertreibung dieser Pest mit einem ruhmwürdigen Beyspiel vorgegangen wäre.

Ich zweifle auch gar nicht (und mache täglich ein Memento) daß auch die übrigen Regierer der Staaten diesem fremden gefährlichen Gast das concilium abeundi geben werdenIch kenne die Gründe alle, die man der Aufhebung des Lotto entgegen setzt. Man besorgt, die Unterthanen möchten dann das Geld ausser Land schicken und in fremden Lotterien mitspielen. Ich getraue mich zu beweisen, daß dies nicht oder nur selten geschehen werde, weil die Hauptklasse der Spielenden sich gewis nicht einem Winkelkollecktanten, den sie in keinem Fall zur Verantwortung ziehen dürfte, mit ihrem Spiel anvertrauen würde. Aber gesetzt auch es gieng hie und da Geld ausser Land, so ist der Schaden für den Staat, da einmal die Hauptgelegenheit abgeschnitten ist, doch ungleich kleiner, als wenn sich seine Unterthanen im Land ruiniren, und das Geld am Ende von den Pächtern, die immer heimlich mit Ausländern interessirt sind, doch zum Land hinausgeht. Der Grund, daß durch die Aufhebung dieses Spiels viele Menschen brodlos würden, ist noch der wichtigste; allein man soll berechnen, ob durch seine Beybehaltung nicht viel mehrere es bereits geworden sind, und noch werden dürften. so bald sie 198 bedenken, daß es (wie sich ein freymüthiger Freund der Wahrheit ausdrückt) nicht großmüthig, nicht edel gedacht sey, aus der Schwachheit des Volkes Wucher zu ziehenMan sehe des Hr. Bergofers neueste Schriften, der mit wenig Worten über die Lotterie viel Treffendes sagt.

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

  1. Eine grosse Kollecktur mit verschiedenen Schreibern.
  2. Köchinnen, Hausknechte, Bediente, Stubenmädchen, Soldaten, Handwerker, Bettler und so gar Beamte halten ihre Numern empor, und bitten, daß sie ihr Geld verspielen dürfen. 199
  3. Auf einem Seitentisch steht ein Topf in Gestalt einer Urne, mit 90 Kugeln. Ein Kutscher hebt sich drey Numern heraus, und setzt einen Gulden darauf, den sich die armen Pferde an ihrer Haberportion müssen abziehen lassen.
  4. Ein Kabalist, der täglich seine Suppe bey den Kapuzinern holt, giebt einem Herrn 3 sichere Numern, der ihm für diese drey sichere Numern ein 10 kr. Stück in die Hand drückt.
  5. Gegen die Thüre sitzt ein alte KartenaufschlagerinnMit Aufhebung des Lotto würde wohl auch ein guter Theil der Kabulisten und Kartenaufschlagerinnen verschwinden, die gleich den Pächtern von der Schwachheit der Menschen leben. Es sind aber diese Geschöpfe gemeiniglich ein Auswurf der Gesellschaft, die ihre Prophezeyungen nicht blos auf die Lotterie einschränken, und daher oft die größten Uneinigkeiten in den Familien stiften. Man verfolget die Zigeuner, weil sie wahrsagen, und läßt Kabulisten und Kartenaufschlagerinn ungestört ihr Spiel treiben. Gegen letztere ist eine weise Polizey freylich sehr streng; aber gemeiniglich geniessen diese Kartenprophetinen die Gunst hoher Damen, und es ist daher gar nichts seltnes, daß eine Dame, die Vormittags täglich drey Messen hört, sich Nachmittags aus dem Kaffesatz oder den Karten prophezeyen läßt, ob ihr ihr Fähnrich getreu ist, und ob sie Abends im L'ombre gewinnen werde. die auch die Träume auslegt. 200 Einer alten Kammerjungfer hat vom Spital geträumt – einem beurlaubten Soldaten von Prügeln – und einem Fiacker vom Stadtgericht. Sie giebt jedem ein sichers Numer, das nicht herauskömmt; indessen hat es doch mit der Erfüllung der Träume seine Richtigkeit. Die Kammerjungfer kömmt ins Spital, der Fiacker ins Polizeyhaus, und der Soldat erhält seinen Extract vom Korporal.
  6. Ein Jud geht im Hintergrund auf und ab. Ein Lackey versetzt ihm seine Uhr für wenige Gulden, um abermal seine sichern Numern zu spielen, die zwar schon seit einigen Jahren es sind, nun aber unfehlbar kommen müssen.
  7. Zwey welsche Abbes streiten sehr miteinander. Der eine behauptet, daß der erste Extract aus der 5er Zahl seyn müsse, weil die Sonne in den Schüzen getretten sey; der andere aber lebt und stirbt auf die 8ter Zahl, weil die goldne Zahl 18 ist. 201
  8. Unter dem Eingang der Thüre verkaufen verschiedene Bettelbuben für 1 kr. sichere Ternen, Quarternen und Cinequinen.
  9. Ein Herr, der eine Terno gemacht hat, trägt mit der zuversichtlichsten Mine die Hälfte davon zur Thüre herein, und glaubt, daß es ihm nun gar nicht mehr fehlschlagen könne, bald wieder eine zu machen. 202

 


 


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