Joseph Richter
Bildergalerie weltlicher Misbräuche
Joseph Richter

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Letztes Kapitel.

Ueber Handwerksmisbräuche.

Wenn meine Leser und Leserinnen nicht wieder vergessen habenNicht als wenn ich voraussetzte, daß meine Leser und Leserinnen bey der zweyten Seite nicht mehr wüßten, was sie auf der ersten gelesen haben, sondern weil ich weiß, daß einige von ihnen so sehr mit Bedacht lesen, daß sie oft zu Monaten aussetzen, und wohl am Wienerdiarium allein vier volle Stunden zubringen., was sie in den ersten Blättern dieses Werkes gelesen, so wird ihnen auch die Stelle nicht entfallen seyn, wo ich sagte, daß Herr Obermayer und ich gute Freunde wären, und so wird es ihnen folglich nicht sehr befremdend vorkommen, wenn ich hier ein Wort zu seiner Vertheidigung sage. 260

Herr Obermayer grief im 1ten Theil seiner Bildergalerie blos die Misbräuche der Religion an, und er machte sich keine FeindeEin deutscher Fürst ritt vor das Thor, wo er einen Bauer am Pranger stehen sah. Er fragte um sein Verbrechen, worauf man ihm antwortete, daß der Vermessene wider das Ministerium geredt habe. Der Narr, versetzte der Fürst, hätte wider mich reden sollen: er würde gewis nicht hier stehen. man gestand vielmehr, daß er Recht habe, und es gab so gar manche sonst sehr orthodoxe Ordensgeistliche, die ihre Stimme zu seinem Lob vereinigten.

Nachdem also diese Pille so willig hinab geschluckt war, glaubte der gute Herr Obermayer, daß es mit dem Nachtrunk um so weniger Schwierigkeit haben würde, und gab also getrost die Bildergalerie klösterlicher Misbräuche heraus. Allein nun ließ man sich nicht mehr durch die statt des Zuckers eingestreute lustige Bildchen täuschen, und weil einige die Bitterkeit dieses Getränkes schon in der 261 Ferne rochen, bey andern auch die erste Pille zu wirken anfieng, lief man im Kreis seiner Freunde herum, und warnte sie vor dieser Arzney. Wider dies habe ich nun nichts einzuwenden; denn einige Wahrheiten waren wirklich zu bitter, und die Pazienten sind dann nicht zu verdenken, wenn sie sich vor dem Einnehmen sträubten, und diesen Nachtrunk verschrien. Daß sie aber die wahre Ursache ihres Widerwillen nicht gestanden, daß sie ganz entgegengesetzte vorgaben, und ihre guten Freunde glauben machten, sie hielten deswegen nichts auf diese Arzney, weil die Dosis viel zu schwach wäre, und aus lauter verlegnen Ingredienzen bestünde, kurz, daß sie die Welt zu bereden suchten, Herr Obermayer habe seinen Gegenstand nicht umfasset habe blos schon zum Eckel gesagte Dinge wiederholt, und sey also vom Galeriemahler zum Anstreicher geworden, das kann ich meinen Brüdern und Exbrüdern bey 262 aller meiner Vorliebe für den geistlichen Stand nicht verzeihen.

Freylich hat Herr Obermayer seinen Gegenstand nicht umfasset, aber in einem gewissen Verstand hat er ihn auch nicht umfassen können; sonst würde er (unter uns läßt sich so etwas sagen) über das einzige Gelübde der Keuschheit statt eines Kapitels wohl ein ganzes Buch haben schreiben müssen. Dann sagte der gute Mann ja in seiner Vorrede, daß er verschiedene und also nicht alle klösterliche Misbräuche an das Tageslicht hervorziehen wolle, und das that er, und so ist es ja abermals unbillig, von einem Autor mehr zu fordern, als er versprach. Hie und da hat er freylich das Kraut aufgewärmt; vielleicht wußte er, daß wir es gern so essen; allein es sind mit unter so harte Brocken vorgekommen, die gewiß noch in keinem Topf gelegen; aber eben deswegen für manchen geistlichen Magen schwer zu verdauen seyn dürften. 263

Da ich nun, als Ordensgeistlicher, dem Feind unsrer Misbräuche eine Schuzrede gehalten, und einen weltlichen Autor wider seine geistlichen Leser vertheidiget habe; so hoffe ich, meine weltlichen Leser werden auch gegen einen geistlichen Autor die Billigkeit ausüben, und mir nicht zumuthen, daß ich das ganze Gebiet der Handwerksmisbräuche umfasse.

Als Kapuziner hatte ich freylich Gelegenheit, verschiedene Handwerker kennen zu lernen; allein gerade in meiner Provinz haben die unter ihnen üblich gewesene Misbräuche schon seit langen Jahren ein Ende genommen. Ich müßte also, um die Neugierde meiner Leser in diesem Punkte zu befriedigen, erst aus den übrigen Provinzen Deutschlands die Nachrichten einziehen, und da würde mein kleines Beneficium kaum zur Bezahlung des Briefporto hinreichen. 264

Was aber dieses Unternehmen am meisten erschweren würde, ist, daß diese Handwerksmisbräuche fast in jeder Provinz verschieden sind. Hier steht der angehende Buchdruckergesell mit einer Narrenkappe am Kasten, und dort in einer hohen Frisur. In dieser Provinz wird diese herrliche Erfindung als Kunst, und in der andern als Handwerk getrieben – So besteigen in einigen Ländern die Rauchfangkehrermeister selbst den Kamin, indessen sie sich in andern so dicke Bäuche wachsen lassen, daß ihnen Rock und Kamin zu eng wird – so wie die Maurermeister hier selbst Hand an den Bau legen, dort aber hinter dem Ofen sitzen, und das Geld einstreichen. Selbst in ihren FreymaurersprüchenIch weiß, daß viele Leser hier eine Note erwarten, und wohl gar zu wissen verlangen, was der Exkapuziner von diesem Orden halte. Ganz kann ich dem Verlangen meiner Leser nicht willfahren, aber eine kleine Bemerkung sollen sie doch darüber hören. Es war eine Zeit, wo es gefährlich gewesen wäre, diesem Orden in gewissen Provinzen das Wort zu reden, und der Orden blühte – nun wär' es gefährlich in ebendenselben Provinzen wider ihn zu reden, und er scheint mir nicht mehr zu blühen. Der Denker forsche nun weiter dem Grundpfeiler seiner Existenz nach. sind sie nicht 265 ganz einig, und so wird z. B. ein Buchdruckergesell, der nicht postulirt hat, auswärts nicht viel beßer angesehen, als ein Freymaurer aus einer Winkelloge. Endlich machen sich die reisenden Handwerksbursche, wo Geschenke Mode sind, unter ihren Brüdern lustig, und gehen an einem andern Ort betteln, und in mancher Provinz betteln wohl auch die Meister.

Indessen glaube ich doch, wenigstens in den mir bekannten Provinzen, einen Universalmisbrauch entdeckt zu haben, und der ist, daß ihre Jungen nichts lernen: und so ließ sich gewiß auf die Lehrjahre anwenden, was Herr Obermayer über die Verfassung unsrer Noviziate gesagt hat. 266

Aus den Jungen sollen geschickte Schneider, Schuster, Schlosser und dergleichen werden; allein statt ihnen die Vortheile an die Hand zu geben, und sie in den Werkstätten zur Arbeit anzuhalten, bedienen sich die Meister ihrer statt Dienstmägde. Sie müssen Wasser tragen, mit der Köchin auf den Markt gehen, das Kind schauckeln, den Braten wenden, mit Ruptursgefahr die schwersten Lasten heben, oder wohl gar auf ihre schwache Schultern laden, und der Meisterin die Schuhe puzen.

Nachdem der Schusterjunge nun seine Schuhe, und der Schneiderjunge seinen Rock durch ein paar Jahre zerreissen gelernt hat, so zeigt ihm endlich der großmüthige Meister, wie er sie flicken soll; das heißt, er läßt den einen an alten Schuhen und den andern an einem durchlöcherten Beinkleide so lang stümpern, bis die Zeit herbeykömmt, wo er sie 267 frey sprechen muß.Es wäre ungerecht, wenn ich hier alle Meister über einen Leisten schlagen wollte. Man weiß ja, daß keine Regel ohne Ausnahm, und so giebt es auch hier verschiedene Meister, die ihre Jungen gern etwas lehrten, wenn sie nur etwas wüßten, und sie übrigens so menschlich behandlen, daß sie solche öfters so gar an Arbeitstägen mit sich zum Wein führen. Dies Freysprechen ist aber eigentlich eine blosse Ertheilung der Erlaubniß, nun als Gesell weiter fort zu stümpern, oder wenn er Gelegenheit und Geschicklichkeit hat, auch etwas zu lernen.

Mit dieser Erlaubniß zieht der freygesprochene Schuhpuzer und Bratenwender in die weite Welt hinausEinige haben wirklich von der Erlaubniß, etwas zu erlernen, Gebrauch gemacht, und sind als geschickte Männer in ihr Vaterland zurückgekehrt. schneidert und schustert grosgünstigst drauf los, und parirt den Streichen des Schicksals so lang mit dem Hut aus, bis er endlich, abermal mit Gunst, die Tochter seines Meisters unter die Haube bringt, und dann nicht mehr als Gesell, sondern als 268 Meister bis an das Ende seines Lebens fortstümpert.

Man kann sich leicht eine Idee von den Meistern machen, die dann aus so einer Schule mit der Zeit hervorgehen werden. Ich wünschte fast, das Gemälde wär übertrieben; aber leider findt sich das Original zu häufig zu dieser Kopie, und eine gewisse deutsche Provinz darf es sicher der zweckwidrigen Anleitung der Lehrlinge zuschreiben, wenn sie in der Bearbeitung ihrer Landesproduckten noch so weit zurück ist, und ihrer Nachbarinn in Künsten und Handwerken den Vorzug lassen muß.

Ich möchte den Meistern wohl auch ein Kapitel über die oft so grobe und unanständige Behandlung ihrer Gesellen lesen, und sie brüderlich erinnern, daß sie, besonders wenn sie sich schämen, als Meister mehr etwas zu arbeiten, ihren Wohlstand blos diesen braven Gesellen zu verdanken haben; allein ich müßte dann noch 269 ein Kapitel schreiben, und der Deckel würde dann nicht auf den Topf passen. Amen.

 


 

Erklärung des allegorischen Kupfers.

Eine Handwerksstätte.

Die Gesellen sitzen um einen großen Tisch und arbeiten fleißig mit der Bierkanne herum.

Der eine Lehrjunge führt ein kleines Kind im Gängelwagen durch die Stube, das nach ihm, weil es ebenfalls schon ein Meister istDie männlichen Descendenten der Handwerker bringen das Meisterrecht mit auf die Welt., mit der Peitsche schlägt.

Der andere Lehrjung putzt der Meisterinn ihre Schuh, und wischt die Finger an einen Kapot, der zum Ausbessern und Säubern hingegeben wurde. 270

Der Meister sitzt mit der Meisterinn und einem Mitmeister an einem Seitentisch und spielt Brandeln.

Der Altgesell schlägt die Hände über den Kopf zusammen, indem er sieht, daß der Meister das ganze Tuch verschnitten, und zum Kleid eines Bräumeisters das Maaß eines Poeten genommen habe.

 

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