Johann Kaspar Riesbeck
Briefe über das Mönchswesen
Johann Kaspar Riesbeck

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Einführung

Es gäbe weniger Gläubige auf der Welt, kennten sie ihre Glaubensgeschichte so gut wie ihr Glaubensbekenntnis.

Daß Glaube etwas ganz anderes sei als Aberglaube, ist unter allem Aberglauben der größte.

Kirche – metaphysische Bedürfnisanstalt. Eine Praxis, die krank macht, um heilen zu können; die in Nöten hilft, die man ohne sie gar nicht hätte; das Gängeln derer, die noch glauben, durch jene, die es nicht mehr tun.

Die Wenigsten ahnen, daß der größte Teil der Klugheit des Klerus in der Dummheit der Laien besteht.

Karlheinz Deschner


Ein junger freundlicher Mensch soll Pfarrer werden, wird es auch und erfährt nun Freud und Leid (mehr Leid als Freud) dieses Berufes. Hier lernt er zum ersten Mal das wirkliche Leben kennen. In seiner Pfarre machen sich die Franziskaner mausig, aber er hat auch einen guten Freund an seiner Seite. Seine Erlebnisse und Erfahrungen berichtet er seinem »lieben Herrn Bruder«, also einem erfahrenern Kollegen. Am Ende bekommt er zwar nicht die Königstochter und das halbe Königreich dazu, aber wenigstens eine neue Pfarre mit besserem Einkommen.

Er ist eingeladen, sich am frommen Betrug der Mönche zu beteiligen und zu bereichern, aber sein Ehrgefühl verbietet ihm das; im Gegenteil, er überführt die Schwindler. Sein guter Geist ist ein ehemaliger Hofmeister, von dem er, wie Hans Castorp von Settembrini im Zauberberg, in Kirchen- und Mönchsgeschichte eingeführt wird. Dankbar läßt er sich von seinem Mentor in Theorie und Praxis durch die katholische Welt führen. Er lernt, daß nichts in der Catholica »von Ewigkeit zu Ewigkeit« gegründet ist, sondern sich nach den jeweiligen Macht- und Interessenverhältnissen am Römischen Hof und den auf ihn wirkenden äußeren Kräften gestaltet, sich also wie jede menschliche Einrichtung im Laufe der Zeit entwickelt. Er, der bei mittelmäßiger Begabung nicht einmal seine eigene Herkunft überblickt, stellt nach und nach ziemlich alles in Frage; Anregungen hat er von seinem Schulmeister und eigenem Erleben genug. Bei so vielen Zweifeln, die auf ihn einstürmen, kann er nur bitten: »Bete für mich, daß meine Glaube nicht wanke.« Im 6. Brief ist er »noch unruhiger als zuvor.» Besonders hart ist das Zölibat für ihn, selbstzerstörerische Zweifel darüber lassen ihn nicht los. Zuletzt macht er auch, wie sein Bruder im Geist, Projekte zur Gestaltung des Landes und der Klöster.

Der junge Pfarrer ist nun in das etablierte System der Ausbeutung eingebunden, er lebt von der Arbeit anderer und wird selbst vom Dechanten ausgebeutet. Dabei bleibt er so arm, daß er sich nicht einmal eigene Bücher leisten kann. Eine große Hilfe sind ihm so die von seinem Vorgänger übernommenen und die von Gutmann geliehenen Bücher, der ihm sogar die Lizenz zum Lesen verbotener Bücher verschafft.

Ausgiebig wird das Leben und Treiben der Franziskaner dargestellt, die Handlung erlaubt sogar Einblicke in die Welt der Kartäuser und der Chorherren, auch ein betrügerischer Kapuziner wird erwähnt. Sein Haß gegen die niederträchtige parasitäre Art des Mönchstum drückt er in einem Brief aus, in dem er von »einem gemeinschaftlichen Feind – dem Mönchswesen» spricht. Ihre grenzenlose Dummheit, ihr gotteslästerlicher Aberglaube, ihre parasitäre Lebensweise (»sie sind in der menschlichen Gesellschaft eben das, was Ratten und Mäuse in der Arche Noas gewesen.«), ihre Pervertierung wahrer Religiosität kommt in den Gesprächen der Mönche mit dem Dechant deutlich genug zum Ausdruck. Pars pro toto steht hierfür das Motto dieser Ausgabe. (Alte deutsche Redensart: Dumm, dreist und gottesfürchtig.)

Das 18. Jahrhundert als das Jahrhundert der Aufklärung hat auch in seinem Gebiet gewirkt und wird nun vehement von Dechant und Mönchen, keine Lüge und Verleumdung verachtend, bekämpft. Immer ist von »Freygeistern« die Rede, ohne daß der Begriff jemals überhaupt erklärt wird. (Ein generelles Kennzeichen aller totalitären Ideologien.) Und die Freimaurer werden selbstverständlich vom Teufel persönlich geführt, sein Mentor, Herr Gutmann, »der Halonke und alter Ketzer«, fährt regelmäßig zum Schornstein hinaus, er bekommt vom Teufel Geld usw.

Die Autoren erhalten durch die Ansiedlung der Handlung in einem Dorf und die Darstellung Gutmanns' Unterricht die Möglichkeit, nicht nur die auftretenden Personen, sondern auch die die katholische Welt bewegenden Themen wie theologische Ausbildung, Zölibat, Beichte, Aberglauben, Hexenwahn (aber Hexen werden nun schon nicht mehr verbrannt), Index, Terminierung, Dritter Orden und vor allem die Geschichte des Mönchstums zu behandeln.


»Mit Beybehaltung des täglich häuslichen Beyspiels und der zur andern Natur gewordenen Neigung wird das fünf oder sechsjährige Kind dem Schulmeister und dem Pfarrer zur Unterweisung auf den Hals geschoben, damit es nur auf einige Stunden von der Gasse oder aus des Vaters Haus komme, weil seine Munterkeit, seine lebhafte, durch die gütige Natur als ein Entwicklungsmittel vorgeschriebene Bewegung, die man gewiß mißbräuchlich und unbarmherzig eine Wildigkeit nennet, den Leuten zuviel Lermen machet.« – Wer traut sich zu, diesen Satz in die heutige deutsche Sprache zu übersetzen? Ich jedenfalls nicht. Vergessen wir doch einfach die ungewohnte Darstellung und freuen uns über Gemeinsamkeiten damals und heute. Lassen wir doch einfach den Zauber der Sprache des 18. Jahrhunderts auf uns wirken. Deshalb habe ich den Text nicht nur wortwörtlich, sondern auch zeichengenau erfaßt. (Einige wenige eklatante Druckfehler sind durch das augenscheinlich richtige in eckigen Klammern nachstehende Wort verbessert.) Dabei kam zum Vorschein, daß mehrere Setzer an der Arbeit waren, von denen jeder seine eigene Orthographie hatte. Beispiele für unterschiedliche Schreibweisen gibt es zuhauf: catholisch – katholisch, nüzlich – nützlich, bewegt – beweget, Bischoff – Bischof, Kezer – Ketzer, schiken – schicken, wohl – wol, druken – drucken, Heyden – Heiden (innerhalb eines Bogens!), Gesez – Gesetz, Sclave – Sklave (in einem Satz!), dito Anblik – Anblick usw. usw. Die Anrede lautet mal »sie«, mal »Sie«. Beim Abteilen fühlt man sich gleich in die heutige Zeit versetzt: Miter=ben, Stammel=tern (beim Seitenwechsel!) und da es mit der Registerhaltigkeit auch nicht zum besten steht, auch Schusterjungen vorkommen, so können wir aufatmend sagen: Bücher wurden auch damals schon genau so liederlich gedruckt wie heute. Lediglich Fliegenköpfe sucht man in heutigen Büchern vergebens - weil technisch nicht möglich.. Hinzu kommt das ungleichmäßige Schriftbild, weil wahllos stark abgenutzte oder neugegossene Lettern und Ligaturen verwendet wurden, wie das Faksimile der Textproben (Seite 12 und 96) zeigt.

Beim Setzen des Textes wurden die Bleilettern und -ligaturen einzeln dem Setzkasten entnommen und in den Winkelhaken geschoben, dieser kam dann in das Setzschiff, welches im Schließrahmen danach die Druckform für die Druckerpresse bildet. Es wurde also jede Letter einzeln ausgewählt und eingesetzt. (Ein Trost für mich, daß es der Setzer noch schwerer als ich hatte, obwohl ich die Buchstaben auch einzeln eintippen muß, denn für diese Frakturschrift gibt es keine OCR-Software. Auch war der Arbeitstag länger und die Beleuchtung schlechter. Allein: Er bekam die Arbeit bezahlt, ich nicht.) So sind zwei Buchstaben in einer Letter (Ligatur) eine arbeitsparende Erleichterung. Im Lateinischen finden wir: ae, oe und ct in dieser Form, im Deutschen sind es oe, ae, ue, fl, si, ck, tz, st (daher die unsinnige und lange gültige Vorschrift, auch für Schreibmaschinentexte, daß st nie getrennt werden darf!) und sz. (Ewiger Ruhm den deutschen Kultusministern, die uns in ihrer Rechtschreibreform diesen Kretin von Buchstaben erhalten haben!) Die Umlaute werden so gebildet, daß über den Vokal ein kleines e gesetzt wird. Das gilt allerdings nicht für Großbuchstaben. Erst Ende des 19. Jahrhunderts entstanden daraus die beiden Strichelchen. Die Metamorphose lautet also ae – a mit kleinem e darüber – ä. Heute nun schließt sich der Kreis wieder, denn der Computer zwingt Bärbel Müller dazu, sich Baerbel Mueller zu nennen.

Welche Hilfen hatte nun der Buchbinder, um die richtige Reihenfolge der Bögen einzuhalten? Wie wurde, um einen Terminus unserer Zeit zu gebrauchen, die Qualität gesichert? Auf einen Papierbogen wurden an genau definierten Stellen vorn und hinten je 8 Textseiten, teils aufrecht, teils kopfstehend gedruckt. Nach dreimaligem Falten entstehen so 8 Blatt - 16 Druckseiten, also das Oktavformat. Dieses Heft wird ebenfalls Bogen genannt. Auf der ersten Seite jedes Bogens erfolgt unten mittig die Bezeichnung desselben: A (Titelbogen, Beschriftung entfällt), B, C usw. Da im zweiten Band die Seitenzählung wieder von vorn beginnt, erfolgt hier noch der Zusatz (»Zweyter Band«). Und die lückenlose Textreihenfolge ist dann sichergestellt, wenn das auf der letzten Seite eines Bogens stehende zusätzliche Wort mit dem ersten des nächsten identisch ist. Man verließ sich nicht auf die Seitennummerierung, die in der Tat mehrmals fehlerhaft ist. Die Textprobe Seite 12 zeigt zur Verdeutlichung die Trennstelle zwischen 6. und 7. Bogen des ersten Teils.

Dem heutigen Leser fällt auch auf, daß die wörtliche Rede stark von unserer Schreibweise abweicht; nur teilweise werden die Gänsefüßchen verwendet. Ist dies aber der Fall, so beginnt jede Textzeile mit ihnen. Eingestreute Floskeln (»sagte er«), die eigentlich nicht zur wörtlichen Rede gehören, werden nicht aus dieser herausgehoben. Auch die grammatische Konstruktion von Fragesätzen ist für unsere Begriffe ungewöhnlich. Meist sind es eine Frage enthaltene Aussagesätze, die dann aber mit einem Fragezeichen enden. (»Ich zweifle, ob dieser wohllüstige König, ungeachtet der Ausdrücke in seinem Brautlied, mehr Brunst empfunden hat, als ich?«). Die Fußnoten des Autors werden direkt an den entsprechenden Stellen in den Text eingerückt, so daß die Fußnoten den Übersetzungen der lateinischen Stellen vorbehalten bleiben können. Alle für heutige Leser erklärungsbedürftigen Namen und Begriffe sind in den Dictionnaires für Personen bzw. Sachen aufgeführt.

Die zusammengesetzten Hauptwörter (eine Eigenheit der deutschen Sprache) sind hier noch im Entstehen begriffen: Ketzer=Register, Fastnachts=Montag usw. Was in einer Adaption wie dieser überhaupt nicht wiedergegeben werden kann, ist die bis ins 20. Jahrhundert vorkommende Verwendung des sog. Schluß-S. Im obigen Textbeispiel: dieses, aus, eines usw. Das ist der S-Buchstabe am Ende einer Silbe, während er ansonsten von einer ganz anderen Letter bezeichnet wird: sey, seine, dieses, solchen usw. Es fällt auf, daß es keinerlei Hervorhebungen wie Kursivschrift oder Sperrung im Text gibt, auch Einschübe in Klammern (wie in dieser Vorbemerkung) sind nicht vorhanden.


Von der Werkgeschichte wissen wir, daß der erste Teil von Georg Michael Franck von la Roche (1720 – 1788) und Johann Jakob Brechter (1734 – 1772), Diakon in Schwaigern in der Schwäbischen Alb, stammt, und 1771 anonym erschien. Der damaligen literarischen Mode entsprechend war das Buch in Briefform gehalten. Die Handlung endet mit dem 13. Brief ziemlich abrupt, somit ist klar, daß la Roche eine Fortsetzung plante. Warum er sie nicht ausführte, ist unbekannt. War es die Furcht, beim Schreiben entdeckt zu werden, Spitzel gibt es überall? Oder hatte er nicht die Zeit dafür? Auch ist denkbar, daß der Tod seines Mitautors der Grund ist. Man kann hier nur vermuten. La Roche war als Waise von einem Grafen Stadion adoptiert worden und wurde sein Sekretär und Vertrauter. 1754 heiratete er Maria Sophie Gutermann von Gutershofen, eine Augsburger Arzttochter. Der Name des guten Geistes in den Mönchsbriefen (Gutmann) ist eine Würdigung für sie. 1771 wurde la Roche zum Geheimen Rat am Hof von Kurtrier (in Koblenz) berufen, 1775 wurde er Geheimer Staatsrat und Regierungskanzler. Das Bekanntwerden seiner Autorschaft der Mönchsbriefe war nur nebenher beim Sturz seiner Regierung 1780 von Bedeutung. Er verließ seinen Wohnort Ehrenbreitstein, der ein wichtiger Treffpunkt von Schriftstellern der Zeit (Goethe, Wieland, Jacobi u. a.) war und verbrachte den Rest seines Lebens in Offenbach

Jedenfalls nahm sich 1779 Johann Kaspar Riesbeck (1754 – 1786) – sicher ohne Kenntnis und Einwilligung des Erstautors – des Torsos an. Seine geniale Weiterführung des Themas machten das Werk – ähnlich wie sein später (1783) erscheinendes Buch »Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder in Paris« zu einem Riesenerfolg, so daß noch im Erscheinungsjahr 1780 zwei weitere Auflagen des Gesamtwerks gedruckt werden konnten, ebenfalls anonym. Nun wird auch klar, warum bei durchgehend lückenloser Handlung (im 13. Brief wird die Lizenz zum Lesen indizierter Bücher angefordert und im 14. liegt sie schon vor) scheinbar 9 Jahre eingeschoben sind: Das Datum der Briefe ist das Datum der Niederschrift des jeweiligen Textes. Auch aus stilistischen Merkmalen ergibt sich eine zweite Autorschaft: Die Verwendung des Semikolons ist im zweiten Teil häufig, besonders aber fällt die vielfache Verwendung des Doppelpunktes als Satzzeichen auf. Auch befleißigen sich die Autoren des 1. Teils einer altertümlichen Schreibweise (sehet, gebet, zeiget usw.), wogegen im 2. Teil die uns geläufigere (seht, gebt, zeigt) verwendet wird.

Mein Dank gilt Frau Studienrätin Anne-Barbara Reichel vom Gymnasium Nidda, die bei der lateinischen Übersetzung hilfreich war. Die Bilder für den Einband der gedruckten Textfassung sind Ausschnitte aus dem Panoramabild »Frühbürgerliche Revolution in Deutschland« von Werner Tübke in Bad Frankenhausen im Kyffhäusergebirge (www.panorama-museum.de).


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