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Den 20. Aprill.
Ich habe dem l. Hrn. Bruder recht viel zu sagen. Schon seit fünf Tagen bin ich mit Herrn Gutmann in vollem Feuer; und ich wette du errathest die Situation nicht, in welcher ich mich befinde. Aber kurz und gut, ich fürchte sehr, es gehe mir zulezt wie einem französischen Abbe, der Türken bekehren wollte, und sich selbst beschneiden ließ, als ihm ein Muselmann seine Frauenzimmer gewiesen. Ich muß den ganzen Hergang umständlich beschreiben; du wirst sehen, daß es der Mühe werth ist.
Nachdem ich von meiner Proceßion nach Haus gekommen, und ein wenig gegessen hatte, gieng ich zu Herrn Gutmann. Seine freundliche Aufnahme, die muntere Heiterkeit dieses Mannes, wenn er nur ein bisgen wohl ist, und da ich bereits mit ihm das Eis gebrochen hatte, gab mir mehr Kühnheit ihn anzureden.
Nach einigen gewöhnlichen Höflichkeiten, zu welchen ich freylich nicht so, wie er, gestimmt bin, und bey welchen nichts vom Wetter und solchem Unsinn vorkam, wie sich gemeiniglich die Unterredungen bey unsern Zusammenkünften anfangen, nicht anderst als ob wir uns zusammensetzen und den Calender verbessern wollten, sagte ich mit aller Demuth: Euer Herrlichkeit erlauben, daß ich mir die gegebene Erlaubniß, ihnen öfters aufwarten zu dörfen, zunutz mache. Sie haben mir letztlich einige Scrupel in den Kopf gesetzt, wegen welchen ich mir gerne die Freyheit nehmen möchte ihre ausführliche Meynung zu wissen. Sie sind ein gelehrter hochstudierter Herr, und ich noch ein seichter Anfänger. Es mangelt mir an allen Orten. Ich habe keine Bücher, und kein Mittel mir solche anzuschaffen; und wenn ich auch Geld hätte, so wüßte ich nicht was eigentlich für mich taugte. Indessen bin ich noch jung und lernbegierig. Ich wünschte ein redlicher Mann vor Gott, und ein getreuer Seelsorger bey meiner Gemeinde zu seyn. Es ist wahr, dieselben erfüllen gewisse äusserliche Pflichten unserer Göttlichen- und Kirchengeboten zu jedermanns Erbauung; allein, mich dünket, sie lassen in dem Gegentheil auch andere mitwirkende und sehr angepriesene Beyhülfen zu einer desto gewissern Seligkeit gänzlich ausser Acht. Insonderheit, nehmen sie es mir nicht übel, scheinet es mir, als ob die Geistliche nicht allerdings viel bey ihnen gelten. Sie sind, hoffe ich, überzeugt, setzte ich hinzu, daß ich nicht von meiner geringen Person rede; aber höhere und vernünftigere von meinem Stand glauben es. Und da ersuche ich sie angelegentlichst, helfen sie mir aus meinen Zweifeln.
Mit der liebreichsten Miene und einem überaus freundlichen Lächeln antwortete er: Ihr gutes Gemüth, Herr Pfarrer, ist es nicht das ihnen diese Fragen gegeben; ich kenne die Quelle, woraus sie geflossen sind. Weil ich das Unglück habe in keiner Filiation, weder mit den Kindern des H. Francisci noch Dominici zu stehen, so möchte unser Herr Dechant, den ich ohnehin mir dadurch zum Feind gemacht, daß ich ihm einigemale unverdauliche Wahrheiten gesagt habe, gar gerne mit seiner geheiligten Bosheit meine Ruhe unterbrechen, wenn er nur einen blossen Fleck finden könnte, wo der Hacken eingienge. Dem sey wie ihm wolle, da sie mich ohne Falschheit, wie ich glaube, und in Liebe fragen, so mache ich mir eine Freude davon, mich deutlich zu erklären. Ich warne sie aber, Herr Pfarrer, vor dem Aergerniß, womit sie anfänglich meine Aeusserung anhören werden. Sie haben bisher das Glück nicht gehabt zum Selbstdenken angeführet zu werden. Was andere gedacht, das haben sie nicht gelesen, und ihre noch junge Jahre haben ihnen unmöglich noch Gelegenheiten genug verschaffen können, Erfahrungen zu sammeln. Erlauben sie also, daß ich vor allen Dingen ihnen über meinen Glauben, und dann über meine Begriffe von unserer Geistlichkeit, eine kleine Rechenschaft gebe.
Die weise Vorsehung hat mich von catholischen Eltern in einem catholischen Lande gebohren werden lassen. Beyde Umstände sind schon Ursache genug, warum ich weder ein Heyde, noch ein Türke noch ein Lutheraner oder ein Calviniste, sondern der catholischen Religion zugethan bin und bleibe.
Menschenkinder mit einer unsterblichen Seele, und junge Kazen mit dem Instinkt einst Mäuse zu fangen, sind in Wahrheit bey ihrem Eintritt in die Welt ziemlich von gleicher Beschaffenheit. Ein noch weicher Körper, unentwickelte Fähigkeiten, Mangel an allem, was man Begriffe heißt, und an Kenntniß dessen was in und ausser unserm Körper ist, bezeichnen unser erstes Daseyn. Alle Sinne nur noch im unentfalteten Keim. Täglich aber macht die durch Gottes unergründliche Weisheit mit einfachen und immer gleichen Gesetzen geleitete Natur bey allen Geschöpfen einen allmählichen Schritt. Unsere rohe Säfte gähren. Sie fodern zur Ausdehnung der Maschine einen Zusatz von Nahrung. Nach und nach werden die zum Gebrauch unserer Sinnen bescheidene Theile fester; unsere Hebel bekommen mehrere Stärke. Wir fangen an zu sehen und zu hören, aber noch ohne Nutzen für uns. Gewohnheit webt sich in unsere Natur und vertritt noch einstweilen den Abgang der Gedanken. Gewisse Stunden nehmen die kindliche Maschine an den Ersatz dessen, was der Körper zu seiner Entwicklung verbraucht hat, d. i. an Nahrung oder Ruhe. Ein wiederholtes Sehen der Objecten, die zu diesen zweyen Bedürfnissen gebraucht werden, geben die ersten Begriffe, die von aussenher in unsere Seele kommen. Die entblößte Brust der Mutter, die Breypfanne und die Wiege sind alsdann die weiteste Gränzen des künftigen gründlichsten Gottesgelehrten, scharfsinnigsten Weltweisen, des tapfersten Kriegsmanns und des einfältigsten Tölpels. Oeftere Wiederholung eines und eben desselben Dings gewöhnen die Empfindsamkeit, den Reiz unsere Maschine zum Verlangen, zur Erwartung einer Folge, die unsere körperliche Triebe schon mehrmals befriediget hat: Bis dahin ist mein neugebohrner Monarch der Welt mit einem jungen Käzgen noch in gleichem Verhältniß. Nun aber gehet die Kaze, die nach dem Maas ihrer Bestimmung und der Kürze ihrer Lebensjahre viel eher zur reifen Vollkommenheit gelanget, und den ihr von Gott zugetheilten Grad der Fähigkeiten zu dem Ganzen beytragen muß, auf den Kornboden unter das Dach, fängt Mäuse – spielt damit – frißt sie – macht Junge – und stirbt. Ich weiche also von dem Gleichniß, und bleib in der Kinderstube.
Aber auch diese sind nach dem Unterschied der Welttheile, der Länder und des Zustandes der Eltern sehr verschieden. Der Wilde in America, der Hottentote am Vorgebürge hat weniger Kenntnisse, mithin auch weniger Bedürfnisse, als der so genannte gesittete Europäer. Der Wilde lernet sein Kind nichts. Es sieht auch von ihm nichts, als was es zu einem unentbehrlichen Lebensunterhalt, zu etwelcher Bedeckung gegen die abwechselnde Witterung und zu Beschüzung gegen Feinde in Menschen- oder Thierhäuten nöthig ist.
Der alte Mann, der über den Gebürgen wohnet; die Sonne, der Neumond, oder wohl gar irgend eine scheusliche Gestalt; ein fruchtbarer dunkler Hain, und dergleichen, müssen das Bild einer Gottheit in die Sinne werfen; weil der Wilde ein höheres ausser ihm und seinen Sinnen wohnendes Wesen merket, aber mit den feinern Unterscheidungszeichen, die ihm in seiner an Worten und Begriffen armen Sprache fehlen, nicht ausdrücken kann. Wenn es dem Herrn Pfarrer, sagte er, einst gefällig seyn sollte, auch von diesen und andern auf dem Erdball wohnenden von uns in Farbe, Bildung und Lebensart so unterschiedenen Gattungen Menschen etwas zu lesen, will ich ihnen mit einigen guten Reisbeschreibungen gar gerne an die Hand gehen. Sie müssen nicht glauben, daß ich sie damit auf Zweifel und Irrwege führen oder von dem Studieren der Gottesgelehrtheit abziehen wollte. In dem Gegentheil, sie werden dadurch die Grösse unsers Schöpfers, die mannigfaltige Verherrlichung seiner Allmacht in Millionen allerley Geschöpfe mehr bewundern, und mit einer empfindsamen Seele erkennen lernen, daß diese Werke des Schöpfers, wie sie mit uns einen gemeinsamen Ursprung haben und nach ihrem Verhältnis gleiche Gutthaten geniessen, nicht minder denn wir zu einem noch grössern Grad von Vollkommenheit berufen seyn müssen. Und dieses bahnet den Weg zu der menschenfreundlichsten von allen Tugenden, der Duldung.
Bey uns Europäern, denn ich will mich jezo blos auf uns beschränken, siehet das noch kaum entwickelte Kind Gegenstände, die durch öfteres Ansehen ihm gewöhnlich werden. Es höret dieselben mit einem dem Ort seiner Geburt zum Unterscheidungszeichen angenommenen Laut, d. i. mit Worten, benennen. Endlich prüfet und übet es seine Zunge diesen Laut nachzuahmen. Was das Kind nicht siehet, davon ist für dasselbe kein Begriff in der Welt, und seine ganze Kenntniß bestehet in dem was die Bilder- und Wort=Sprache durch Gesicht und Gehör einflösset. Oftmalige Wiederholungen des nämlichen Dings wirken das, was man Gedächtniß nennet. Die Verbindung aber mehrerer ähnlich oder unähnlich sinnlicher Ausdrücke erzeuget abermals eine neue Modification die mittels Vergleichung zweyer Objecte Empfindung und Gedanke wird. Von diesen ersten sinnlichen Eindrücken in unsere noch unreife, doch mit dem Wachsthum des Körpers zunehmende Seelenkräfte, hanget größtentheils unser sittliches Betragen auf die ganze Lebenszeit ab:
Quo semel imbuta recens & c.
Ist eine gewisse Wahrheit. Und wenn Horatz um nichts verdiente gelobet und bewundert zu werden, so hätte er es durch diese wenige Worte verdient. Indessen hat sich das Kind an die Wohlthaten, an die Liebe seiner Eltern gewöhnet. Es siehet je mehr und mehr, daß es ihnen unterwürfig seyn muß, weil sie die Macht haben ihm Zuckerbrod oder die Ruthe zu geben; weil es merket, daß es, sich selbst überlassen, sich weder ernähren noch helfen kann. Es bekömmt dadurch unvermerkt eine Gewohnheit zu gehorchen, als den ersten Begriff von dem, was man Macht nennt. Aus der Liebe und der Wohlthätigkeit entstehet Vertrauen, und aus einer mit diesen vermengten Macht entspringt die Folgeleistung. Beydes zusammengenommen erzeuget das Vorurtheil, alles dasjenige ohne Umstände für wahr anzunehmen, was unsere Eltern eben so angenommen haben. Hiemit verbindet sich der täglich sinnliche, mithin wirksame Eindruck, daß die Kinder zu Hause beten sehen, daß man sie mit in die Kirche traget; daß man ihnen Gott Vatter als den alten Mann mit dem weissen Bart auf der Weltkugel weiset; daß man sie auf den Altar sehen lehret; ihnen den Priester in einem reichen Meßgewand mit einem schönen Kelch und brennenden Lichtern zeiget; daß das Volk in gewissen Augenblicken entweder laut oder in stiller Bewegung der Lippen auf den Knien mit entblößtem Haupte betet; daß man dem kleinen Kind, wenn es etwas pappeln will, ein Drohungszeichen giebt, oder den Mund zuhält; und daß ein größrer Junge, der umgaft, oder mit seinen Nachbarn schwazt, von dem Aufseher ein paar Ohrfeigen bekömmt. Dieses alles zusammengenommen, mein l. Herr Pfarrer, machet den Urstoff unsers Glaubens aus. Diese Erstlingszüge graben sich unauslöschlich tief in unsere Seele. Sie geben die Farbe, den Glanz und den Schein, den unser äusserlicher Religionsanzug bis zum lezten Fetzen behält, wofern nicht durch öfteres Ausstäuben und Bürsten, durch Vernunft und Erfahrung, durch veränderte Nahrungs- Landes- oder Lebensumstände etwas davon abgenöthiget wird.
Sie haben nun die Entstehung der Religion bey dem gemeinen Mann kennen lernen. Wir wollen sie auch in ihrer weitern Ausbreitung betrachten.
Mit Beybehaltung des täglich häuslichen Beyspiels und der zur andern Natur gewordenen Neigung wird das fünf oder sechsjährige Kind dem Schulmeister und dem Pfarrer zur Unterweisung auf den Hals geschoben, damit es nur auf einige Stunden von der Gasse oder aus des Vaters Haus komme, weil seine Munterkeit, seine lebhafte, durch die gütige Natur als ein Entwicklungsmittel vorgeschriebene Bewegung, die man gewiß mißbräuchlich und unbarmherzig eine Wildigkeit nennet, den Leuten zuviel Lermen machet. Da sitzet und schwitzet das Kind über dem Auswendig lernen des Catechismus, der Glaubenslehren, der Geheimnissen und vieler heil. Worte, von dem allen es nicht das mindeste versteht, und bey welchen nur gar zu oft der Schulmeister, dem eigentlichen Begriff nach, keinen andern Vorzug vor dem Kind hat, als daß er es schon dreysig Jahre eher auswendig hersagen konnte. Da der Lehrer, da der Pfarrer (ich bitte um Vergebung; denn ich rede nicht von allen) von dem was eigentlich den Glauben ausmacht, nämlich von Geheimnissen und denen unser schwacher Verstand übersteigenden grossen Grundwahrheiten, selbst nichts als umnebelnde Auslegungen weißt, so sind beyde zufrieden, wenn das Kind nur die Worte hersagen lernet: Um das, verstehest du auch was du liesest? Bekümmert man sich wenig. Wollte es um etwas fragen, so würden ein paar Ohrfeigen, oder sonst eine auf die Nasenweisheit gesetzte Strafe, die Stelle der Auslegung vertretten, und demselben also durch ein argumentum baculatorioum, der Verstand geöffnet werden. Aber das Kind ist so klug und frägt nichts. Es denkt nur immer auf den Glockenschlag, der es vom Schulkerker losmachet und in die seinen Jahren angemessene Freyheit setzet. Oft wiederholte Handlungen und oft ausgesprochene Worte, wobey das Kind ganz nichts denkt, werden also zur gewohnten Eigenschaft; die Begriffe bleiben besonders über das unbegreifliche Wesen der Gottheit an körperlichen Bildern angeheftet. Sie sind wahre Antropomorphiten. Der Bauernjunge malet sich den dreyeinigen Gott im Geist und in Gedanken gerade nach dem Altarblat, nur daß er sich alle drey Personen lebend vorstellet, und den für uns unermeßlichen Raum, den wir an heitern Tagen blau sehen und Himmel nennen, als ein festes Gewölbe betrachtet, über welchem er Gott und allen Heiligen ihre Wohnung anweiset, die hundertmal schöner sind als des Edelmanns Schloß, oder die Pfarrkirche, wenn sie am schönsten ausgezieret ist. Die Bücher, die der catholische Bauer am liebsten lieset, weil sie was Wunderbares und ungewohntes enthalten, sind die Legenden der Heiligen. Da findet er, daß P. Cochem mit lauter sinnlichen Bildern himmlische Häuser, Gärten, Spaziergänge, Gastereyen, und Gesellschaften beschreibet – und was das beste ist, so findet sich kein Wirth, der die Zeche macht, sondern es ist alles frey und umsonst. Kein Amtmann, der Geld fodert. Kein Ackerbau, der Arbeit erheischet. Keine Jagd, kein Frohnen, kein Wildschaden, sondern es stehen lauter Feyertage im Calender; und der Edelmann, dem er ohnehin den Himmel nicht gönnet, hat auf das äusserste, wenn er ja dem Teufel entwischet, doch nichts zu befehlen. Es ist in der That ärgerlich, daß die tröstlichen Wahrheiten unserer H. Religion unter so unwürdigen Bildern vorgestellt und lächerlich gemacht werden. Und vergeben sie mir, sie Geistliche haben einen eben so verdorbenen Geschmack. Erst gestern begehrte ein Mann ein Almosen von mir, der auf einem halben Bogen fünf schöne geistliche Lieder gedruckt verkaufte. Es ist erbärmlich, zu was für schlechten und äusserst elenden Begriffen darinnen heilige Wahrheiten erniedriget werden. Nehmen sie hier denselben nach Hause, und lernen sie solche Gedichte verabscheuen. Nur zur Probe will ich ihnen eine einzige Strophe lesen:
4. Sollt etwan ein Fasttag (in dem Himmel nämlich) ankommen,
Die Fische für Schrecken erstummen:
Da laufet St. Peter
Mit Netzen und Kette
In himmlischen Kerker hinein;
Willst Karpf, Hecht und Forellen,
Aal, Krebse bestellen?
Auf Lorenzen Rost müssen
Ihr Leben einbüssen:
St. Martha die Köchin soll seyn.
Solches Zeug nennet ihr Herren geistreiche Lieder, und duldet sie unter diesem Namen. Haben unsere Glaubensgegner Unrecht, wenn sie uns auslachen?
Auf dem Michelsaltar und dem Beinhäuslein sammelt er sich hingegen das Bild der Hölle, und des Fegfeuers. Der Teufel mit der rothen Zunge, knottichten Schwanz, ledernen Flügeln, braunen Haut, feurigen Augen, Hörnern und Drachenklauen; das höllische Feuer, wo die halbgeröstete Seelen in Verzweiflung Qual haben, und nach besagtem Hochw. P. Cochem wieder im Eismeer bis zum Erfrieren abgekühlet werden. Die eckelhafte Kost von Schlangen und Ungeziefer und s. w. halten ihn vielleicht manchmal von dem Ausbruch grober Laster zurück; doch denkt er auch: Davor kann ich mich bewahren, wenn es nur hier auf der Welt der Amtmann nicht erfährt. Und was meynen sie, was er für wichtige Gegengifte habe? Der P. Carmeliter hat ihm bey dem Termin ein Scapulier gegeben; der Capuciner eine Teufelsgeisel; bey den Dominicanern ist er in der Rosenkranz=Brüderschaft; und der Monica Gürtel, wer will den verachten? Und das ist noch nicht einmal alles. Ich, denkt er, beichte auf Portiuncula. Ich bete die Brigittenkrone, und dann kann ich alle Teufel auslachen. Unser Land ist dabey so mir Wallfahrten übersäet, daß sie einander selbst an dem Opfer wehe thun. Und da neben dem jedes Kloster oder jede Pfarrey das wunderthätigste Bild haben will, so glaubt der Bauer schon auf ewig gerettet zu seyn, wenn er neben dem jährlichen Gang nach Einsiedlen noch alle Quartal eine kleinere Wallfahrt besuchet.
Alles was ich ihnen, mein l. Hr. Pfarrer, hier ein wenig weitläufig daher erzähle, ist nicht als wenn ich glaubte ihnen was Neues gesagt zu haben; aber es sind Wahrheiten, derer sie mir keine einzige läugnen werden. Und ich wollte ihnen nur damit beweisen, daß die Vorurtheile unsers Geburtsorts, der Erziehung, und sowol der älterlichen als landsherrlichen Gewalt die Materialien sind, woraus sich der feste selten beweglich Thurm unserer Religion bauet. Ja ich bin auf alle Weise überzeugt, daß, wenn auch jemand aus Nebenabsichten seinen Glauben gegen eine Heyrath, Dienst, oder Befreyung, oder Minderung einer Strafe vertauschet (denn einen uneigennüzigen Proseliten habe ich auf der Welt ausser ein Paar wahnwitzigen nicht angetroffen) er gar oft geheime Vorwürfe bey sich empfindet, die bloß maschinenmäßig von dem Kriegslauf einer von Zeit zu Zeit wieder kehrenden Idee, oder den ehmaligen Jugendgewohnheiten entstehen, nun aber der Versuchung des leidigen Satans beygemessen werden.
So wie sie und ich, und jeder in der catholischen Religion erzogener Mensch denket und empfindet, so fühlet auch die nämliche Gewalt des Vorurtheils der Lutheraner, der Calvinist und der Anhänger mancherley Secten; nur mit dem Unterschied, daß der gemeine Mann unter ihnen besser unterrichtet ist. Von Türken, Juden und Heyden will ich jezo nichts sagen.
Meine Aeltern, welchen ich für Leben und Erziehung meiner Kinderjahre danke, waren aus dem bürgerlichen Mittelstand, gar nicht reich, und ihre kleine Handelschafft mit Tuchwaaren erhielt einen unwiederbringlichen Verlust, als ich noch in der niedern Schule unsers Städtgens alles dasjenige lernte, was ich eben erzählt habe. Der Kummer über den verlornen Credit, und die Sorge, vier Kinder dem Hunger zu entreissen, drückten meinen sel. Vater in das Grab. Meine Mutter rafte den geringsten Rest ihres Vermögens zusammen und zog mit uns auf das Land. Meine saubere Handschrift veranlaßte den Amtmann von K... mich dann und wann zum Aushelfen zu gebrauchen, bis er mich endlich gar in sein Haus aufnahm: Sein Schreiber, der ohne das seine zwey Söhne im Latein zu informieren hatte, ließ mich gegen geringe Dienstleistungen, aus Gutherzigkeit, den Unterricht mit geniessen. Ich kam als Aufwärter, und wegen meinem Wohlverhalten endlich als Aufseher mit diesen beyden Knaben in die Stadt. Alles was ich hoffen, und meine Mutter wünschen konnte, war, daß ich es so weit bringen möchte in den Orden des heil. Francisci aufgenommen zu werden. Aber die Jesuiten, die meinen Fleis, mein stilles Betragen, und eine gewisse leicht fangende Fertigkeit an mir merkten, empfahlen mich als einen pauperem zum Praeceptor einiger Studenten niederer Schulen. Der Vater des einen war ein Advocat. Dreymal in der Woche hatte ich bey ihm die Kost. Der Mann war ein Phönix seiner Zeit, gelehrt, ehrlich und friedliebend. Er gab mir oft seine Arbeiten abzuschreiben, und eben dadurch hatte ich das Glück ihm bekannter zu werden. Er erlaubte mir einen freyen Zutritt in seine Bibliothek. Da fand ich zum erstenmal, daß es in der Welt Leute gegeben, die anderst als ehemals mein Schulmeister, Pfarrer und Amtmann, und jezo mein P. Professor gedacht. Ich fiel mit Begierde auf die historischen Werke eines gewissen Hübners. Die in Jesuiterschulen gewöhnliche Rudimenta historica litten dadurch bey mir einen starken Abfall. Zunächst bekam ich einige philosophische Bücher von einem zwar protestantischen Wolf in die Hände. Wie sehr wurden nicht da mein Bisgen Begriffe erläutert; mein natürlicher Hang zum Nachdenken befördert; meine Ergottereyen, worauf ich mir soviel eingebildet, verwiesen, und was mich staunen machte, mir bewiesen, daß man in unserer Muttersprache ohne lateinische Beyhülfe, und ohne aristotelische Spitzfindigkeiten, philosophiren könne. Ich will dem Herrn Pfarrer nicht mit Erzählung aller Bücher, die ich damals gelesen und die mir den Schulstaub abgewischt haben, beschwerlich fallen. Man hat seitdem jungen Leuten mittelst noch besserer Bücher alles noch mehr erleichtert. Wollen sie, so stehen ihnen die meinigen, nebst einer treuen Anweisung zu Diensten.
Ich halte mich überzeugt, daß alle Menschen verbunden sind ihre Kenntnisse zu verfeinern, und daß das zuverläßigste Mittel darzu das Lesen guter Bücher sey. Nur sollte sich ein jeder vorzüglich an die Classe halten, die seinem Genie und erlernten Nahrungsgeschäften am angemessensten ist. Dem Bauren z. E. sollte man die landwirtschaftliche, nicht in weitläuftigen ganze Alphabethe übersteigenden Bänden, sondern, nach der Art der weisen Zürcher=öconomischen Gesellschaft, in kleinen doch saftigen Auszügen, wohlfeil in die Hände liefern. Durch den allgemeinen öconomischen Stuttgarder=Calender ist so etwas geschehen. Hernach hat schon vor etlichen Jahren ein wakerer und gewiß vernünftiger Benedictiner in der R. A. O*** ebenmässig damit den Anfang gemacht; allein es blieb bey dem ersten Versuch. Ich habe noch etwas an Schriften der Art auszusezen. Sie sollen nämlich nur auf Erfahrungen eines geschikten Mannes im Land gegründet, und nicht aus englischen oder französischen Büchern ausgeschrieben seyn. Wenn ich ein grosser Herr oder meine Glücksgüter darnach beschaffen wären, so wollte ich mir zwey bordirte Kleider im Jahr weniger machen lassen, und für das Eine einen braven Landwirth besolden, der mir, in einem für männiglich begreiflichen Ton, Ackerbau und Wirthschafts=Erfahrungen schriebe, für das andere wollte ich sie drucken lassen, und meine Beamte müßten sie mir meinen Unterthanen umsonst austheilen. Besonders aber sollten die Schulmeister wochentlich zweymal ihre Jugend daraus lesen lassen, um ihnen neben dem christlichen auch einen Nahrungs=Catechismus in den Kopf zu bringen.
Aber ich merke, daß ich ausschweife. Ich wollte ihnen nur zu erkennen geben, daß ich durch vernünftigere Bücher mich von meiner in hohen und niedern Schulen gelernten Disputierkunst und dem alten Schlendrian losgewikelt habe. Mein Advocat empfahl mich einem adelichen Herrn, dem er einen Proceß bediente, als Hofmeister seines wakern Sohns, den er nach Strasburg schickte. Wir blieben drey Jahre daselbst. Ich lernete da die französische Sprache; und ärgern sie sich nur nicht, wann ich ihnen gestehe, daß ein protestantischer Geistlicher, der den dritten Stock unsers Miethauses bewohnete, mir unsaglich viele Liebe erwiesen, so daß ich seiner Leitung in den schönen Wissenschaften das Meiste, was ich verstehe, zu verdanken habe. Bey unserer dreyjährigen vertrauten Freundschaft war keine einzige Minute zu Religions=Gespräche gewidmet. Ja, ich war und blieb den wahren Grundsätzen unsers Glaubens so getreu, daß ich Mühe genug hatte, mich nur von einigen kleinen unnüzen Aberglauben, die noch mit der Muttermilch in meinen Adern umrolleten, loszumachen.
In Strasburg lernete mich der Bruder unsers gnädigen Herrn, der Dommcapitular von A*** kennen, und durch ihn kam ich zu seinem Nepoten, den ich sieben Jahr auf Universitäten und Reisen begleitet habe. Ein halbjähriger Aufenthalt in Rom, glauben sie mir Herr Pfarrer, hat mich mehr in der Lehre unsers Glaubens irre gemacht, als dreyjährige Studien in Halle, mitten unter den gelehrtesten Leuten, die unsere Geistlichkeit verketzert. Ich hatte daselbst das Glück mit vornehmen Prälaten umzugehen, und berühmter Advocaten Schreibstuben oft zu besuchen. Wer da gut catholisch bleibet, und, ohne Zweifel und Scrupel zu bekommen verdauen kann, wenn – – – daß der H. Geist um paar – – – und der heiligste B. – – – Christi von der Schmach – – Vaterlandes den best – – (*)
(*) Ich bedaure sehr, daß es mir schlechterdings unmöglich gewesen einen zusammenhangenden Verstand aus dem Beschluß dieses Briefs zu ziehen. Die Magd hat ihr Mieder gerade in diesen Brief eingepakt, und die Haken desselben haben ihn so übel zugerichtet, daß er theils ganz durchgefiket, theils so gefärbet worden, daß man nur hier und da ein paar Worte herausbringen konnte; welche ich auch pflichtmäßig hergesetzet habe.