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Unser Klub stagnierte fühlbar. Es lag nicht am Ausschuß – die Herren taten, was sie konnten. Aber das Gelände war zu klein.
Schleppjagd ist ja schön; wenn man aber jeden Samstag in dasselbe Loch sausen soll: das wird auf die Dauer fad. Jedermann wußte voraus, über welche Baumwurzel sein Gaul roulieren wird, und ob er unter den Gaul zu liegen kommt oder nicht. Gusti, zum Beispiel, wettete auf die zweite linke Rippe und brach sie richtig bei ›seiner‹ Hürde. – Das ist kein Sport mehr, das ist eine Kaffeegesellschaft.
Zum Glück haben wir einen Herrn im Klub, Rittmeister von Berg, der sehr viel liest; Sportblätter nämlich. Als wir einmal nach dem Halali mißmutig heimritten – Gusti wieder mit seiner zweiten Rippe – da sagte Berg:
»Wissen die Herrschaften schon? Es ist ein Distanzritt in Aussicht.«
»Wien–Berlin?« fragte Gusti.
»Ja, Wien–Berlin.«
Gusti parierte, winkte mich aus dem Rudel und sagte leise:
»Du – Wien–Berlin – denk einmal! So lange hab ich mir das gewünscht! Du mußt mir die Ausschreibung verschaffen.«
»Willst du denn nennen? Und was?«
»Frage –! Die Ilka natürlich.«
»Die geht dir ja bei Floridsdorf ein.«
Gusti schwieg und lächelte.
Natürlich sprach es sich im Klub herum, daß Gusti genannt hatte. Allgemein sagte man: es ist ein Wahnsinn. Erstens ist Ilka überhaupt kein Klassepferd – ihre Mutter soll dem Doktor Tejeschy zwischen Znaim und Neunkirchen auf dem Weg geblieben sein. Der Vater, Musiklehrer III. von Musiklehrer II. aus der Mehlkiste, ist erst recht ein Schinder. Zweitens ist Ilka acht Jahre alt und nie in Trainershand gewesen. Adams, dem man sie als Jährling in den Stall brachte, soll sie mit der Mistgabel hinausgetrieben haben. – So viel über das Pferd.
Gusti – du lieber Himmel – ist ein sehr angenehmer Mensch und spielt ausgezeichnet Klavier – aber reiten tut er wie eine Wildsau. Öffentlich hat er sich noch immer geschnitten, nur in Ödenburg nicht, da war er Walkover, und auf Distanz spannt er aus. Er ist weich wie Butter.
Das alles hätte vielleicht nichts ausgemacht. Aber mit 78,3 Kilo nennt man nicht.
Indessen scherte sich Gusti einen Dreck um die Klatschmäuler und trainierte. Er pumpte seinen Onkel um ein paar hundert Schilling an und verschrieb sich Oxfield aus Pest, der war damals en vogue. – Oxfield arbeitete Ilka zwei Stunden täglich guten Trab und brachte Gusti von 78,3 in einer Woche auf 67,5. Der arme Teufel sah aus wie der Sohn vom Skelettmenschen aus der Margo Lion.
Gusti war noch immer nicht zufrieden. Er nahm zeitig morgens eine halbe altbackene Semmel, kleidete sich in sechsfache Wolle und ritt bis Mittag. Mittags ein Viertelpfund gedörrten Hammelbraten und ein Gläschen leichten Weißwein, dann Massage bis drei. Von drei bis sieben Dauerlauf, eine Pille und infolgedessen häufige kleine Ausgänge bis zum Morgen. – Nutzte alles nichts, Gusti kam nach zwei Wochen erst auf 64.
Er war verzweifelt, der Klub war es erst recht. Major Brady telegraphierte um einen andern Trainer – Oxfield war viel zu schlapp gewesen. Der neue, Smith mit Namen, eben aus England importiert, hatte ein völlig andres System: Ilka mußte an die Krippe, bekam wenig Bewegung, morgens einen Sekt, mittags Hafer nach Belieben, dann vier Stunden Abreibung mit südrussischer Leinwand, abends 4,2 Kilo Heu und einen Kognak. Wirklich kam sie auffallend zu Brettfleisch.
Gusti hatte sich unter Oxfield sehr elend gefühlt. Jetzt bekam er ordentlich zu essen, nämlich statt einer halben Semmel eine ganze, hierauf drei Injektionen einer geheimen Tinktur, die Smith aus Liverpool bezog, mußte im Bett bleiben, mittags wieder eine Semmel essen und ritt dann bis zum Dampfbad – 5 Uhr nm., 52° C. Vor dem Schlafengehen bekam er Alkoholeinreibungen und um Mitternacht eine Massage. Auf der nächsten Wage zeigte er 63,9.
Leider erwies sich Gusti, wie viele Herren vorausgesehen hatten, als unfähig zu sportlicher Arbeit. Er bekam Anfälle – Smith mußte ihm Fleisch bewilligen. Gusti stieg – einen Monat vor dem Start – wieder auf 64.
Schon riet man ihm zum Reugeld. Nur Major Brady hielt das Banner des Jagdklubs unentwegt hoch. Er legte eine Liste auf, sie erbrachte 4000 Schilling – weil Gusti nicht mehr schreiben konnte und auch nicht die Lippen bewegte, wenn man ihn um die Adresse seines Onkels fragte. Mit dem Geld organisierte man das Unternehmen. Denn was nutzt das schönste Training, wenn der Reiter den Weg verfehlt oder auf dem richtigen Weg ohne Ressourcen bleibt? – Nazi und Berg wurden im Auto ausgesandt, um die besten Wege zu ermitteln und in den wichtigsten Stationen Motorfahrer, Masseure, Wohnungen und Dienerschaft zu chartern.
Gusti mußte Spezialkarten des Weges haben. Sie hätten 0,4 Kilo gewogen – zu viel für den schweren Gusti. Major Brady fand das Ei des Columbus: Ilka wurde rasiert und der Weg in die Haut tätowiert. Ilka brüllte so verrückt, daß sie darüber fast ein Pfund verlor.
Da wir einmal mit den Gewichtsersparnissen begonnen hatten, ließ der Major Ilkas Ohren durch Pergamenttüten ersetzen. Deckhaar, Langhaar und der Schweif, den man wegkupierte, machten zusammen 1,6.
Leider mußte die Stute täglich rasiert werden, das Deckhaar wuchs ihr so schnell nach; unliebsame Unterbrechung der Arbeit – Ilka wurde geradezu dick. Smith kniete sich – Zeit war keine zu verlieren – richtig hinein – nun konnte man, wenn es im Box finster wurde, deutlich den Mond durch Ilka schimmern sehen, ihr einen Hut ans obere Darmbein hängen und hörte sie stundenweit klappern, wenn sie ging. Der Klub feierte den Erfolg durch einen Festabend mit Damen.
Soviel sich unser Präses, der Major, hatte um Ilka sorgen müssen – er wandte auch kein Auge von Gusti. Der indolente Mensch war zwar auf 61,0 gesunken, verlor aber von da an jegliches Ehrgefühl – man ertappte ihn, wie er seinem Pferdewärter eine Wurst stahl. Der Ausschuß war über Gustis Roheit natürlich empört. Man bewachte ihn nun bei Tag und Nacht, damit er nicht ohne Rücksicht auf die Ehre des Klubs seinem Bauch fröne.
Zugleich nahm man ihn und Ilka auf die Straße. Mr. Smith fuhr im Auto mit.
Anfangs ging es unendlich langsam. Wir waren sehr besorgt. Mr. Smith schmunzelte nur. Wirklich fielen die Kilometerzeiten von Tag zu Tag. Schon beim fünften Straßentraining überritt Gusti den Bürgermeister von Znaim, der auf Kosten des Jagdklubs beerdigt wurde. Als ein zweiter Bürgermeister gewählt, von Gusti überritten und auf Klubkosten beerdigt worden war, machte Ilka hundert Kilometer in 5: 02: 11, und es fehlten nur noch vierzehn Tage zum Start.
Der Ausschuß hielt daraufhin eine Nachtsitzung und beschloß, Gusti überhaupt nicht hinauszuschicken, wenn er nicht 4: 00: 00 Rekord aufstelle.
Wieder war es unser Präses, der mit einem vorzüglichen Einfall glänzte: Wenn Ilka Pergamenttüten bekommen hatte – warum nicht auch Gusti? Man amputierte ihm auch den rechten Arm, der ja beim Reiten unnütz ist; die Vase mit Gustis Arm in Spiritus steht heute noch, mit silberner Inschrift, im Klubsalon. Der Stabsarzt meinte, Gusti könnte sehr wohl vier bis sechs Rippen entbehren – es ginge nun schon in einem Aufwaschen. Major Brady ließ acht Rippen entfernen, was nicht geringen Jubel hervorrief: Gusti zeigte – in der Narkose – endlich 52,02. Die 0,02 Kilogramm, die er, dem Klubbeschluß entgegen, immer noch zuviel wog, wurden später paralysiert, indem man ihm vor dem Ritt die Breecheshosen mit Wasserstoffgas füllte.
Der Klub, Major Brady an der Spitze, hatte also ungeheure Anstrengungen hinter sich, um für Gusti die festgesetzte Gewichtsgrenze und Ilka die 4: 00: 00-100-km-Leistung zu sichern.
Europa weiß, daß die Mühe nicht vergebens war. Gusti trug unsre Farben erfolgreich nach Berlin und holte sich, von brausenden Hipphipp-Hurras begrüßt, den neunten Preis, eine verkleinerte Nachbildung der Siegesallee in Gips. Sie prangt im Klubsalon rechts und links der gewissen Vase.
Bekanntlich konnte man den Konditionspreis damals nicht geben, weil sämtliche Distanzpferde gleich hinter dem Ziel umgestanden waren. Den Ehrenpreis für den besterhaltenen Pferdekadaver aber bekam ebenfalls unser Klub und verehrte ihn nach einhelligem Beschluß dem Präses Major Brady.