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Feinde im Haus

Zu Vater Likotas Zeiten war das Haus Likota das zweitreichste bei uns im Dorf.

Dann aber, nach Vaters Tode, verklagte Lasar Likota seinen Bruder auf Teilung – und aus dem schönen Erbgut wurden zwei Bauernlehen, nicht größer als viele andre auch. Größer nicht, nur garstiger zerstückelt. Denn einen Apfel schneidet man mit dem Messer in Hälften. Ein Bauerngut aber? Kann sich Andria das Wohnhaus nehmen, den Weinberg und die Wiese? Laso den Schweinestall, die Felder und den Hof? Sondern die Grenze muß in Winkeln und Sprüngen kreuz und quer laufen, scharf durch die halbe Tenne, mitten durch den Garten, über den Keller auf Wasser, Ackerland und Weidetrift – damit jeder von jedem den gebührenden Anteil kriege.

Als vermessen war, nannten Laso und Andria den Herrn Geometer mit gleich heißem Eifer einen Hundsfott. Kein Zweifel: er hatte gerecht vermessen.

Nun fing der Unfrieden bei Likotas erst recht an. Lasos Saukoben bildete eine Enklave im Gebiet Andrias. Lasos Sau wußte es nicht, kam aus und fraß Andrias Maiskolben. Andria warf ein Beil nach ihr, kam aber hinten ab und stutzte ihr nur das Ringelschwänzchen. War auch ein Glück für ihn. Denn Laso verklagte ihn wegen boshafter Beschädigung fremden Eigentums, fiel aber durch, weil der andre nachwies: das Schwänzchen habe sich zur Zeit der Tat auf seinem Grund und Boden befunden.

Nun war die Reihe, Rache zu nehmen, an Laso. Andrias Maulbeerbaum reichte mit einem Ast herüber zu Laso. Laso nahm es wahr und schüttelte von diesem Ast die Beeren. Andria strengte Klage an und verlor glänzend.

Tags nach der Verhandlung trafen die Weiber der beiden Brüder einander am Brunnentrog, da ging grade die Grenze, und schlugen sich gegenseitig nasse Fetzen um die Köpfe. Laso hatte eben Pflaumenbranntwein gehoben, kam dahergelaufen und hieß seinen Bruder einen Bauchschlitzer. Andria antwortete mit einem Fluch auf die Sonne, die Taufkerzen und den Dudelsack des Bruders. Darüber ward Laso zornig – und in diesem Zorn, der schon Tobsucht war, vergaß er Familie und Christentum und tat das Unflätigste, was ein krankes Gehirn an Kränkung ersinnen kann: er nannte Andria einen Advokaten.

Einen Advokaten.

Morgens darauf, lang ehe die Sonne aufgegangen war, fuhr Andria, der Beleidigte, aus den Federn; fing seine Stuten ein, die im Zwetschkengarten grasten, löste ihre Fesseln und spannte an; ging ins Haus, wo noch die Eheliebste schlief, und schnürte seine flinken Füße in Bundschuhe. Alles verbissen-schweigsam. Er langte die Weidtasche vom Nagel, tat Brot, grünen Paprika und Knoblauch darein und obenauf eine Kürbisflasche wasserhellen, neuen Schnaps. Da sah die Bäuerin, daß er sich zu einer weiten Reise rüstete.

Mit He und Holla gings in die Stadt.

Vor dem Haus des Königlichen öffentlichen Notars und Verteidigers, des Herrn Doktors Vilim Šenhofr, hielt Andria. Er war sehr kleinlaut; putzte sogar die Schuhe ab. Am liebsten hätt er sich bekreuzigt. Endlich pochte er mit der Miene eines verprügelten Jungen an. Hinter dieser Tür – er wußte es – streckt sich eine begehrliche Juristenhand nach Vorschuß.

Auf wiederholtes Klopfen endlich ein unwirsches Herein.

Doktor Vilim Šenhofr gewahrte mit Freuden eine alte Kundschaft. Wohlwollend leuchteten seine Augen durch die große Brille. Sie hatte dem armen Andria schon so oft Achtung abgenötigt und blendete ihn heute vollends.

»Guten Tag, Pate!« sprach der Herr Doktor. »Was führt euch zu mir? Abermals die Teilung?«

Andria verstand nicht, denn der Herr Doktor sprach das Kroatische schriftgemäß, überdies mit aufdringlichem Anklang an die Mundart seines Großvaters, des alten Wilhelm Schönhofer, der aus dem Schwabenland hierher nach Syrmien gekommen war.

Immerhin begriff Andria, daß er nach seinem Begehr gefragt war – und so erzählte er denn umständlich, wie er mit seinem Bruder Laso uneins geworden war – »Weiß schon, weiß schon,« wehrte der Doktor vergebens – was seine Schwägerin, Manda, für eine Bestie ist; wie Lasos Zweiter, Franjo, immerfort Äpfel stiehlt und Steine schmeißt nach Andrias Truthühnern – und so kam er endlich auf die letzte Balgerei zu sprechen, wo Laso ihn einen Advokaten geheißen hatte.

Der Doktor zog die Brauen hoch, nahm ein Papier vor und verlangte zehn Kronen für Aufnahme der Information. – Wann sich das alles zugetragen habe?

»Gestern.«

Und welche Schimpfworte Laso nachweislich gebrauchte?

»Er hat mich,« rief Andria erregt, »einen Advokaten genannt – das kann ich beschwören.«

»Und sonst nichts?«

Sonst auch noch allerlei – aber daran erinnere sich Andria nicht mehr.

Der Herr Doktor zog die Brauen schier hinter die Ohren.

»Ja, Mensch, glaubst du denn, daß die Bezeichnung Advokat eine Beleidigung involviert?«

Andria verstand wiederum keine Silbe.

»Glaubst du,« fuhr Šenhofr fort, »daß du jemand verklagen kannst, der dir Advokat sagt? Ist denn das nicht ein ehrenhafter Stand?«

Andria sah bestürzt drein.

»Was denkst du dir eigentlich, du Kamel? Willst du mich zum besten haben? Oder bist du wirklich so verbohrt, daß du Ernst machst, Halunke?« – Als der Zorn wuchs, fing er gar deutsch an, weil ihm das besser von der Leber ging: »Marsch naus, du Bauernschädel! Und daß d' dich mir fei nie mehr zeige tuscht, sonschten bischt an d' Luft gsotzen, eh daß d' no Muh gmacht hascht.«

Traurig und trotziger denn traurig stieg Andria in seinen Wagen, sprengte die Rößchen ein und galoppierte nach Haus.

Laso, Manda und des feindlichen Ehepaars Monatlöhner standen vor dem Zaun. Weither drohte Andria mit der Peitsche und brüllte:

»Ha, ihr Advokaten! Ich werd euch lehren, ehrliche Leute Advokaten schimpfen.«

Laso wollte sich auf ihn stürzen, doch Manda hielt ihn zurück.

»Verklag ihn lieber«, riet die Kluge.

Genau wie tags zuvor Andria, stand jetzt Laso vor der Tür Doktor Vilim Šenhofrs, putzte seine Bundschuhe und pochte an. Der gleiche freundliche Blick durch dieselbe Brille begrüßte ihn. Dieselbe Hand verlangte den gleichen Vorschuß. Es folgte auch die gleiche Information. Nur war diesmal Stana, Andrias Weib, eine böse, nichtsnutzige Trude und der Sprecher selbst durch die Beschimpfung Advokat so arg ins Herz geschnitten. Was aber folgte, war kürzer als gestern: diesmal warf der Königliche Notar seinen Klienten eigenhändig hinaus und setzte für diese Mühe nicht einmal einen Posten in die Vormerkung.

Und auch den Laso erwarteten wieder seine Feinde vor dem Zaun: Andria, Stana und der Monatlöhner. Doch Laso drohte nicht. Er hielt, sprang auf den Bruder zu und salzte ihm ein Kopfstück. Ein Kopfstück – ein Türke wäre blind davon geworden.

»Eh,« dachte Andria, der Geschlagene, »diesmal gehst du zum Bezirksrichter selbst.«

Und er tat es. Der Herr Richter ließ ihn nach kaum vier Stunden Wartens vor.

»Was willst du?« knurrte er.

»Hochmögender Herr, unser seliger Vater ...«

»Laß ihn ruhen! Sag kurz und bündig, worum sich die Sache dreht.«

Andria machte noch etliche fünfzehn Versuche, beim Vater zu beginnen – vergebens. Endlich rückte er mit der Tatsache heraus: daß ihm sein Bruder gestern eine Ohrfeige gegeben hat.

Der Richter: »Dein Bruder hat ihm also eine Ohrfeige gegeben?«

»Wem – ihm?«

»Na, dem Vater, sagst du.«

»Nicht doch, hochmögender Herr – mir hat er eine Ohrfeige gegeben.«

»Hör einmal, Kerl – du bist wohl ganz von Sinnen? Wie kann dich der tote Vater hauen?«

»Nicht doch, hochmögender Herr! Mein Bruder Laso hat mir eine Ohrfeige gegeben.«

»Und was hat das mit der Leiche deines Vaters zu schaffen, wenn ich bitten darf?« fragte der Richter bissig und gereizt.

»Nichts, hochmögender Herr. Laso hat mich geohrfeigt, und ich will ihn verklagen.«

»Ist denn Laso tot?«

»Nein, hochmö...«

»Na, also???«

»Ich habe ja nicht gesagt, daß jemand tot ist – obzwar mein Vater wirklich ...«

»Dein Vater lebt also? Vorher hast du gestanden, er ist tot.«

»Gewiß, er ist tot, aber er gehört nicht zur Sache. Mein Bruder lebt und heißt Laso. Laso hat mich geohrfeigt, und ihn will ich verklagen.«

»Endlich ists heraus. Warum hast du dich nicht gleich klar ausgedrückt? Er, Laso, hat dir also eine Ohrfeige gespendet. Und hast du sie ihm zurückgegeben?«

»Nein, hochmögender Herr.«

»Warum nicht?« schrie der Richter.

»Er ist ein starker Mann ...«

»Wie? Soll ich dir etwa helfen gehen? Hinnnnnaus – oder ich lasse dich von der Wache befördern, daß du deine Knochen im Leintuch nach Hause tragen kannst. Fehlte mir noch, daß ich für jedes Bauernkopfstück eine Tagfahrt ansetzen müßte – mit Ortsaugenschein und medizinischen Sachverständigen.«

Andria trollte sich.

Als er heimfuhr, schwang er die Kürbisflasche traurig gen Himmel, tat einen Schluck und sang ein ganz neu gedichtetes Reigengstanzel:

Ako nije tvoja æupa luda,
man' so, brate, kotarskoga suda.
Ispi, Andro, teraj konje stare –
rakija tvoja, sud za gospodare.

Andro, mach dich selber nicht zum Narren,
trinke Schnaps und bleib auf deinem Karren.
Und den Stadtherren lasse ihr Gericht.
Haut dich einer, antwort ins Gesicht.


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