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Ich sehe die Notwendigkeit des Telephons nicht ein. Es ist wie der Tango: eine Modesache – heute mit Jubel aufgenommen – jeder muß mitmachen; morgen ist sie vergessen. – Andrerseits weiß ich Fälle, wo sich das Telephon wirklich als praktisch erwiesen hat.
Ich habe einen Freund. Aus Rücksicht auf seine unbescholtene Familie will ich ihn nur kurzweg Riemer nennen. – Dieser Riemer kniff eines Tages sein Kindermädchen ins Bein.
Das war aber kein gewöhnliches Kindermädchen, sondern ein Fürsorgezögling des Pastors Brausewetter – fromm erzogen, von stahlstrenger Denkungsart – die ließ sich niemals ins Bein kneifen.
Und ging durch.
Nun waren Riemers zu Abend geladen. Doch wie konnten sie weg vom Haus, wenn das Kindermädchen nicht da war?
Riemer ist Ingenieur, Elektrotechniker. Er wußte sofort Rat: er schob die Wiege unters Telephon, tat dem schlafenden Säugling die Sprechmuschel auf die Brust – und Riemers gingen.
Sooft der jungen Frau den Abend über die Sorge um den Säugling aufstieg – ob es daheim auch ruhig schlafe, das süße Kind – ließ Frau Riemer sich telephonisch mit ihrem Haus verbinden und horchte hin.
Dreimal hörte sie die ruhigen Atemzüge ihres Kindchens. Als sie zum viertenmal hinhorchte, vernahm sie die geflügelten Worte des Kindermädchens:
»Riemer, ich habe dich von jeher geliebt. Ich bin zurückgekommen. Tu was du willst mit mir.«
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Ich habe einen andern Freund – in Hamburg. Er ist ein blutjunger Mann und hat eine echte Hamburger Mutter. Die kennt kein Beben in Liebe.
Und als das Söhnchen einmal heiß entbrannt war für eine sehr anständige und hoffnungsvolle Cafékassiererin in Sankt Pauli, da machte jene Hamburger Mutter ihrem Sohn Vorhaltungen – Vorhaltungen, die nach Ansicht der meisten Juristen noch innerhalb des mütterlichen Züchtigungsrechtes blieben.
Hierauf erinnerte sich die Mutter des weisen Wortes: ›Aus den Augen, aus dem Sinn‹, bestellte für den Herrn Sohn eine Kajüte erster Klasse nach Ägypten und barkierte ihn ein.
Der Sohn nahm tränenden Auges Abschied von der Stätte seines Glückes. Und fuhr mit dem nächsten Dampfer ab.
Er fuhr bis Kuxhaven, zwei Stunden von Hamburg. Dort stieg er aus.
Und kehrte zurück.
Zu seiner Erwählten.
Und wohnte mit ihr einen kurzen Frühling zu Sankt Pauli, An den Viehschuppen 7, vier Treppen, links.
Von Zeit zu Zeit ging er in den nächsten Zigarrenladen und rief telephonisch seine Mutter an:
»Hallo, Hallo! Hier Kairo. Sie werden sofort gerufen.«
Ließ die Dame am Apparat eine halbe Stunde warten und piepste dann mit sterbender Stimme:
»Hallo, Hallo! Mama – bist dus? Ich spreche aus Kairo. Wie geht es dir? Ich wohne sehr gut und bin gesund.«
Das war mein Freund in Hamburg.
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Ich habe einen dritten Bekannten. Er ruft jeden Morgen vom Café aus Herrn Neumann an – mit leicht verstellter Stimme:
»Herr Neumann, wo ist Ihre Frau?«
Herr Neumann, etwas verwundert:
»Na, zu Haus natürlich.«
»So? Das meinen Sie. Ich aber sage Ihnen: sie ist in der Kaserne des Feldhaubitzregiments Prinz von Lobkowitz Nr. 13.«
Worauf Herr Neumann regelmäßig etwas erregt nach Haus läuft.
Grade an dem Fenster vorüber, wo mein Bekannter sitzt. Und das macht uns immer recht viel Freude.
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Diese angenehmen Erfahrungen im engsten Kreis veranlaßten mich voriges Jahr, mir gleichfalls ein Telephon anzuschaffen.
Gott, so ein Telephon bietet eine Menge Annehmlichkeiten. Man muß freilich nicht alles glauben, was einem die Staatsbehörde versichert. In München zum Beispiel herrscht vielfach – selbst unter gebildeten Leuten – der Aberglaube, man könne Autodroschken durchs Telephon bestellen. Das ist natürlich übertrieben. Autodroschken bestellen kann man nicht.
Auch der Versuch, mit Hilfe des Apparats um das Telephonfräulein zu werben, hat noch selten zu einem greifbaren Ergebnis geführt. Ich wenigstens erfuhr letzthin eine Absage, als ich krank und einsam im Bett lag und – unter eingehender Darstellung meiner Lage – das Telephonfräulein bat, zu mir zu kommen und mir Gesellschaft zu leisten. Die Dame erklärte mir schnippisch: sie besuche grundsätzlich nur Herren, die ihr persönlich bekannt sind. Eine Beschwerde beim Aufsichtsbeamten blieb fruchtlos.
Ich hatte gehört, man könne auch von weither nach München telephonieren, selbst von Berlin aus. Gewohnt, Gerüchten auf den Grund zu gehen, stellte ich unlängst in Berlin den Versuch an: ich klingelte nach meiner Münchener Braut.
Lange harrte ich und harrte einer Antwort.
Plötzlich – nach etwa zwei Stunden – regte sich etwas. Offenbar am andern Ende des Drahtes, in München.
Mein entzücktes Ohr vernahm gar lieben Klang: die Stimme meiner Münchener Braut.
Zitternd vor Glück rief ich in die Muschel:
»Hier Roda.«
Darauf meine Braut in München:
»Ach, Blech! Herr Roda ist doch in Berlin.«
Und sie hängte geärgert das Hörrohr ein.
Immerhin, das Telephon hat seine schönen Seiten. Man kann sich vor Gläubigern verleugnen lassen. Man kann mit Hilfe des Telephons beleidigen. Und schwört nachher einfach, man wär es nicht gewesen.
Im nördlichen Stadtteil Münchens, der mit Recht Schwabing heißt – in Schwabing hat man das automatische Telephon eingeführt. Früher wurde man von der Zentrale aus falsch verbunden. Jetzt muß man das selbst besorgen. Vorige Woche fragte mich die Handelskammer, wie mir das neue Telephon gefalle. Ich schwieg, um nicht als lästiger Ausländer ausgewiesen zu werden.
Das automatische Telephon hat eine sehr peinliche Eigenschaft: wenn man sich auch nur um eine Ziffer irrt, meldet sich ein ganz andrer.
Im November sollte unser Mädchen zwei Zentner Kohlen bestellen. Ich erhielt zwei Zentner Kohl. Den einen Zentner hab ich gegessen. Aus dem andern Zentner errichtete ich beim vegetarischen Verein ›Thalysia‹ eine Stiftung, deren Zinsen der Verein alljährlich am Gedenktag des Ereignisses an zwei strebsame Mitglieder zu verleihen hat – zum Zweck der Ausbildung im Vegetarischen.
Ich habe von Schwabing gesprochen. Früher hatten wir auch da das gemeine Rufsystem – wie allerorten. Es hat sich nicht bewährt. Wenn der Teilnehmer eine Nummer vom Amt verlangte, offerierte ihm das Zentralfräulein regelmäßig um 3 bis 5, oft um 200 weniger, als er erwartet hatte. Rief ich meinen Freund Hauschildt auf, Nummer 30 216, bot man mir auf der Zentrale höchstens 3215. Um des lieben Friedens willen schlug ich dann meistens vor, die Differenz zu teilen. Dieses Feilschen schien der bayerischen Postverwaltung unwürdig, sie ging nicht darauf ein.
Mein Draht (ein leutseliger Beamter, den ich zu Hilfe rief, hat mirs erklärt) – mein Draht ist der oberste Draht von München, er ist hoch über alle andern Drähte der Stadt gespannt. Und da ich die oberste aller Leitungen habe (wenn da der Rang mitspräche, käme sie mir nicht zu) – ist grade meine Leitung, sooft es Schnee und Sturm regnet, zu allererst zerrissen.
Dann fällt mein Draht vom Stengel und liegt über sämtlichen andern Drähten des Bezirks. Ich bin mit ganz München verbunden. Alle Ungeduld der Großstadt, die Grobheit Bayerns, die Schimpfreden von 30 000 ergrimmten Fernsprechteilnehmern geben sich in meinem Hörrohr Stelldichein. Immerfort klingelts.
Zu solchen Zeiten pflege ich im Heim für Handwerksburschen zu wohnen. Das Heim hat kein Telephon. Es ist überhaupt eins der angenehmsten Quartiere von München. Ich empfehle es jedermann.