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Da ist mir ein Buch in die Hände geraten: ›Dichter- und Schriftsteller-Anekdoten‹. Es ist ja Sitte geworden, fremder Leute Witz zu sammeln und ihn als eignes Buch herauszugeben.
Diesmal gilts den Poeten. Mit vielem Fleiß sind Deutschlands, Frankreichs, Englands Geister im Blitzlicht merkwürdiger Aussprüche festgehalten. Wer aber meint, alle Blitze zündeten, der irrt sich; die meisten deutschen Wetter wenigstens führen kalte Schläge.
Von Modernen führt der emsige Autor nur zwei oder drei Episoden an. Sogar das bekannte Erlebnis Gottfried Kellers fehlt: wie Keller, der trinkfeste Mann, des Nachts zu Zürich im Graben lag und den Wächter fragte:
»Guete Fründ, chöned ihr mir ächt nüd sägge, wo de Gottfried Keller wohnt?«
»De Gottfried Keller? Hä, dä sid ihr ja sälber.«
»Säb han ich dich nüd gfraget, du chaibe Hagel! Wüsse will ich, wo–n–er wohnt.«
Sicherlich hat ein Dutzend Literaturhistoriker nachgewiesen, die Geschichte könne unmöglich wahr sein: weil Gottfried Keller niemals trank; oder weil er nie in Zürich wohnte; oder weil Zürich keine Nachtwächter hat; oder weil die Zürcher Nachtwächter auf keine Fragen antworten. Irgendeinen Grund werden die Herren Literaturhistoriker schon gefunden haben. Was tuts zur Sache? Hübsche Anekdoten sind niemals wahr.
Nun aber kommen ein paar wahre.
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Es gibt einen Publizisten von Ruf und Talent, doch leider führt er eine wahrhaft groteske Kralle. Ein Sinologe, der einst eine Probe davon zu Gesicht bekam, erklärte sie zögernd für ›wahrscheinlich südtibetanisch‹, den Dialekt für ausgestorben und das Ganze für chiffriert. Ein einziger Setzer in der Druckerei vermag bei günstiger Witterung besonders langsam geschriebene Wörter zu entziffern, wobei persönliche Freunde und Familienangehörige des Verfassers mitwirken. Dafür bezieht der Setzer eine Zulage, hat zwei Nachmittage in der Woche frei und wird auf drei Schritt Distanz mit ›Mein lieber Memminger‹ angesprochen. Von der Möglichkeit seines Scheidens aus der Druckerei spricht der Metteur nur mit gedämpfter Stimme.
Da begab es sich eines Tages, daß der Publizist in vornehmem Kreis eine politische Nachricht von Wichtigkeit erfuhr. Ans Telephon konnt er nicht eilen – es wäre der Gesellschaft aufgefallen. Er verlangte vom Ober einen jener schmalen Zettel, die den Kellnern zur Berechnung der Zeche dienen, und warf einige Zeilen darauf:
»Dr. Kahr ist zum Ministerpräsidenten ausersehen.«
und schickte das Ding mit der mündlichen Botschaft ›Äußerst wichtig‹ auf die Redaktion.
Auf der Redaktion hielt man es zuerst für einen schlechten Spaß; doch erkannte man zum Glück bald den Schreiber.
»Na, dann ist ja leicht geholfen,« sprach der Chef. »Wir lassen einfach unsern lieben Memminger rufen.«
O Verhängnis – Memminger hatte seinen freien Nachmittag.
In die allgemeine Ratlosigkeit platzte der jüngste Redakteur mit dem Vorschlag, das Zettelchen in die … Apotheke zu schicken; die Herren Apotheker wüßten sich ja aus den schwierigsten Handschriften einen Reim zu machen.
Gesagt, getan.
Und als eine Viertelstunde vergangen war und noch eine – da kam der bang erwartete Bote aus der Apotheke zurück. Und stellte stumm eine Flasche mit rötlichem Inhalt auf den Tisch.
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In München gabs einmal ein Bankett zu Ehren von Paul Heyse – ich glaube, an seinem siebzigsten Geburtstag – und wie das so zu geschehen pflegt, wurde unendlich viel geredet – von beamteten und nicht beamteten Persönlichkeiten.
Nach etlichen siebzehn Trinksprüchen erhob sich noch ein Student, um den greisen Dichter auch im Namen der Jugend zu feiern. Eine sehr schöne, wohlgemeinte Rede – doch sie hatte einen Fehler: kein Ende zu nehmen; und einen zweiten: sie war ein wenig durcheinandergeraten. Der arme Student, das war klar, hatte den Faden verloren und bemühte sich heiß, leider ohne Erfolg, ihn wiederzufinden.
Max Halbe saß dem Studenten gegenüber und hätte ihm gern einen Rat gegeben: doch um des Himmels willen endlich mit einem Hoch zu schließen. Diesen Rat kleidete Halbe in eine Gebärde, indem er, nach dem Studenten gewendet, immer wieder ermunternd sein Glas erhob.
Der Redner, ohnehin nicht Herr der Stunde, errötete noch glühender unter Halbes Blick – und als Halbe fortfuhr, sein Glas ermunternd zu schwingen, schloß der Unglückliche die lange Rede auf Paul Heyse plötzlich mit dem Ruf:
»Und so erheben … erheben wir unser Glas mit dem donnernden Ruf: Max Halbe lebe hoch!«
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Paul Heyse konnte blindgrimmig hassen.
Einst kam ein junger Literaturhistoriker zu Heyse, um ihn über dies und jenes zu befragen. Im Lauf der Unterhaltung kam Heyse auf den ›Verfall‹ der deutschen Dichtkunst zu sprechen.
»Ich will Ihnen nur gleich ein Beispiel vorführen,« sagte er, »wie tief wir gesunken sind …«
Ergriff ein Buch und las daraus mit Schauder …
Es waren Liliencrons ›Ausgewählte Gedichte‹.
– – – Ein andermal zeigte Paul Heyse auf den Flügel in seinem Salon und rief:
»Das Instrument ist, Gottseidank, noch nie durch Wagners Höllenmusik entweiht worden.«
M. G. C., der zufällig dasaß, konnte sich nicht enthalten, auf dem heiligen Flügel alsbald den Hochzeitsmarsch aus dem ›Lohengrin‹ anzuschlagen.
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Als der alte Björnson – zu Paris – gestorben war, erschien ein junger norwegischer Arzt im Trauerhaus und bat um die Auszeichnung, den großen Toten einbalsamieren zu dürfen.
Offen gesagt: der Familie kam das Angebot recht zupaß; denn sie stak angesichts der vielen plötzlichen Geldauslagen in einiger Verlegenheit.
Man schenkte dem Arzt, als er fertig war – was denn nur geschwind? Nun, ein Bild Björnsons; Björnson selbst hatte es – noch kurz vor seinem Tod – einem Dichter zugedacht als Gegengabe für ein Buch.
Als der Arzt das Bild zu Hause besah, fand er auf der Rückseite eine Inschrift von der Hand des Toten:
»Herzlichen Dank für die wohlgelungene Arbeit.«
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Ein Jugendfreund Liliencrons, jetzt Oberstleutnant außer Dienst, hat mir erzählt, wie er vor Jahren Liliencron in Hamburg besuchte. Damals war Liliencrons Triumph noch nicht vollendet, Schmalhans war Küchenmeister.
Der Oberstleutnant lud den Dichter zum Abendessen. Man ging in den Gasthof. Liliencron bestellte sofort ›ein Beefsteak für Seine Exzellenz‹, ›einen Johannisberger für Seine Exzellenz‹.
»Warum denn Exzellenz?« fragte der Oberstleutnant.
Liliencron gab keine Auskunft.
Als sie aber gegangen waren, sagte Liliencron:
»Herr Oberstleutnant, lieber, alter Freund! Ich danke Ihnen für die Bewirtung: noch mehr aber dafür, daß Sie meinen Kredit in diesem Gasthof so stark gehoben haben.«
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Er hatte niemals Geld und fand es, wo er es suchte.
Einst war er bei Frau St. zu Gaste, einer der reichsten Frauen Deutschlands.
»Denken Sie sich,« erzählte mir die Dame später, »– der Baron hat mir sein Leid geklagt – so lange geklagt, bis ich ihm, tief gerührt, einige Tausend Mark gab …«
»Das war schön von Ihnen, Gnädigste, das war edel.«
»Ach,« fuhr sie fort, »ich war ja selbst so glücklich, dem Dichter helfen zu können. Er schied selig von mir. Ging … traf unten im Torflur meinen Schwiegersohn … klagte über seine Armut … und borgte sich noch hundert Mark.«
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Liliencron war nach Prag zu einer Vorlesung geladen worden und sollte dafür etliches Gold bekommen und außerdem Gast sein des besten Hotels auf Kosten des Literarischen Vereins.
Als Liliencron aber den goldnen Lohn empfangen hatte, dachte er keinen Augenblick daran, aus dieser schönen alten Stadt zu scheiden, wo es so viele Bänkelsänger gab und Harfenzupfer, Gaukler, Schwertschlucker und Volkspoeten. Und Liliencron blieb noch drei, vier, fünf Nächte bei diesen Menschen.
Als er endlich abreisen wollte, da konnte ers gar nicht mehr: sein Geld war beim Teufel.
Da ging er reuevoll zurück zu seinen Literaten und hieß sie, eine Generalversammlung des Vereins berufen.
Und stellte in aller Form den Antrag: dem Baron Liliencron wäre mit Rücksicht einerseits auf seine literarischen Verdienste, anderseits auf seine peinliche Lage für seine Vorlesung doppeltes Honorar zu zahlen.
Der Antrag wurde einstimmig angenommen.
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Ein berühmter Dichter ließ sich zum zweitenmal scheiden und heiratete eine dritte Frau.
Max Liebermann kam am Abend in eine Gesellschaft.
»Meister,« fragt man ihn, »kennen Sie schon des Dichters dritte Frau?«
»Nö,« sagte Max Liebermann.
»Wollen Sie sich ihr nicht vorstellen lassen, lieber Meister?«
»Nö, die überspring ick.«
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Ein Erlebnis Ludwig Ganghofers, das er mir einmal selbst erzählt hat:
Er hatte als Schüler auf dem Gymnasium zu Regensburg ein langes Lied verfaßt ›Sehnsucht‹. Es schilderte die ferne Waldheimat. »Und schaue ich,« (hieß es da ungefähr) »im Geist die vertrauten Berge wieder, die blühenden Täler –
– da denk ich nur das Eine:
Ich weine!«
Jede Strophe schloß mit dem Kehrreim:
»Da denk ich nur das Eine:
Ich weine!«
Es gelang dem jungen Dichter, das Lied in der Zeitung unterzubringen.
Stolz las Ganghofer eines Sonntags sein Gedicht gedruckt.
Doch wie schrecklich hatte ein Druckfehler die letzte Strophe verstümmelt:
»Ich seh die Anverwandten alle – Mit geistgem Aug, so fern sie sind. Der Oheim sitzet in der Halle – Die Tante wiegt ihr blondes Kind. Der Vetter füttert seine Pferde, Die Base kocht und bäckt am Herde – Da denk ich nur das Eine: Schweine!«
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Als Ludwig Ganghofer im Jahre 1881 sein erstes Lustspiel aufführen ließ ›Anfang vom Ende‹, – auch da versauerte ihm ein Druckfehler den Erfolg. Ein Wiener Blatt schrieb: man hätte sich vorzüglich unterhalten bei dem Erstlingswerk ›des blinden Aasgeiers‹.
Es mußte natürlich ›blonden Allgäuers‹ heißen.
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Egon Friedell, dem Eckermann Peter Altenbergs, verdankt man viele Geschichten über den Wiener Diogenes. Friedell drohte Petern immer, er werde die Geschichten nach Peters Tode gesammelt herausgeben – worüber sich Peter wütend ärgerte.
»Denn,« fragte er mit Recht, »warum sollen andre Leute mit meinen Geschichten mehr Geld verdienen, als ich selbst je im Leben verdient habe?«
– – – Behauptete da Peter Altenberg einmal, er sei so abgehärtet, daß er die kälteste Winternacht bei offenen Fenstern verbringe.
Eckermann wandte ein:
»Lieber Peter, das scheint doch nicht ganz zu stimmen. Ich ging gestern zeitig morgens an deiner Wohnung vorüber – alle Fenster waren fest geschlossen.«
»Nu,« schrie Peter, »war gestern die kälteste Nacht?«
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Peter Altenberg sah, wie gesagt, nicht allzu gern, wenn andre Leute Geld heimsten.
Und er fand auch sonst, wenn er grade übler Laune war, tausend Gründe, seinen besten Freunden gram zu sein.
Einmal schrieb er an Adolf Loos (der sich sooft für Petern geopfert hatte) einen saftiggroben Brief.
Adolf Loos ging damit zu einem befreundeten Antiquar und ließ Peters Brief ins Schaufenster hängen mit der Aufschrift:
»Autogramm – Preis 10 Gulden.«
Da hättet Ihr Peters Verblüffung sehen sollen.
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Peter Altenberg wäre bizarr gewesen? – launenhaft? – unberechenbar? Ganz und gar nicht. Er war der folgerichtigste Denker, der mir je begegnet ist, unter allen Charakteren der am schärfsten umrissene.
Eben weil er sein Volumen bis in die letzten Kanten füllte wie ein wohlgebildeter Kristall – darum stieß er so hart an die Mitwelt; stieß immerzu an und überall, wo andre rundlich ausgewichen wären. Und diese diamantne Konsequenz auch in den letzten Auswirkungen – – die Bürger, überrascht und befremdet, nannten sie Laune, Bizarrerie, Unberechenbarkeit.
Peter Altenberg hatte sich selbst zum Kunstwerk gestaltet – ja, diese Gestaltung schien ihm wichtiger und hatte ihn mehr Hirnphosphor gekostet als seine Schriften; er sah nicht ein, warum sich ihm grade die Arbeit an der Persönlichkeit, seine mühseligste, nicht lohnen sollte. Zogen die andern Genuß aus Peters Dasein und Anwesenheit: dann mußten sie ihn dafür auch bezahlen; das verlangte er mit Recht.
Einst war Herr Muhr dahergekommen, ein Bergwerksbesitzer aus Kärnten – Freund, Anbeter und Mäzen Peter Altenbergs.
Peter sprach:
»Müssen nur Unternehmer gutbürgerlich essen, Kapitalisten, Banausen, Schiffsreeder, Verleger, Fabrikanten? Warum Dichter nicht, die das Feine doch am innigsten zu würdigen verstehen?«
Hierauf lud Herr Muhr seinen Peter in den Gasthof Sacher.
Sie aßen und tranken.
Peter freute sich: an der wohltemperierten Kühle und Helligkeit des Saales; an dem diskreten Benehmen der Kellner; der blitzenden Sauberkeit des Tischzeugs; der wohltuenden Ruhe …
Und Peter geriet in außerordentlich lebhaften Zorn: warum, warum hat es der Dichter nicht immer so? – täglich? – sein Leben lang? Warum muß Peter sich in lauten, schmutzigen Kneipen herumschlagen, bei grellem Tellerklappern, warum ekeln Geierfraß schlingen von zersprungen-mißfarbigen Schüsseln?
Warum ist gedämpfte Musik seltener als schmetternde Musik, diskrete Bedienung kostspieliger als indiskrete, warum schönes Porzellan teurer als geschmackloses – wo doch eins mit dem gleichen Kraftaufwand wie das andre herzustellen wäre?
Warum überhaupt ist das vornehme Leben unerschwinglich, statt Allgemeingut zu sein?
Peter schnaubt:
»Wieviel kostet denn dieses gutbürgerliche Mahl?«
Muhr lächelt:
»Wenn du es durchaus wissen willst? Ich werde die Rechnung verlangen.«
»Verlang sie!!«
– – – Da aber fährt Peter erst recht empor:
»Ist es nicht eine ausgesuchte Gemeinheit, einen armen Menschen durch Protzentum so zu reizen? Für ein einziges blödsinniges Essen eine Summe zu vergeuden, von der ein Dichter wochenlang zufrieden leben könnte??«
Dem Mäzen blieb nichts übrig als: den Betrag der Rechnung noch einmal zu erlegen – in Peters Hand.
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Café Zentral, Wien. Ich hatte eben eine hübsche Geschichte gelesen und reichte sie Peter Altenberg.
Er las sie.
Plötzlich hieb er auf den Tisch.
»Dieser Hund,« schrie er, »– wie heißt der Hund? Rehwald? Abgeschrieben hat ers von mir.«
»Nein, Peter. Nirgends in deinen Büchern steht was Ähnliches. Die Geschichte ist herrlich, aber nicht von dir.«
»Was heißt das? Wörtlich, wort-wörtlich von mir. Genau so hätt ich sie geschrieben.«
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Gerhart Hauptmann in einem Berliner Salon. Man redet von der bevorstehenden Uraufführung der ›Jungfern von Bischofsberg‹.
Der Hauswirt allein scheint über die literarische Tätigkeit des Gastes nicht auf dem laufenden zu sein. Er ruft überrascht:
»Sie haben ein neues Stück geschrieben, Herr Hauptmann? Wann ist denn die Uraufführung?«
»Dienstag.«
»Wie schade! Grade Dienstag bin ich nicht frei.« – Und setzt gleich, sich und den Dichter beruhigend, hinzu: »Na, hoffentlich wird das Stück noch 'n zweitesmal gegeben.«
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Paul Scherbart kam von der Aufführung eines seiner Stücke ins Kaffeehaus.
Er war sehr erbost. Die Zuschauer hatten der wilden Phantasie des Dichters nicht folgen können.
»Sechzehnmal,« rief er, »– sage und schreibe sechzehnmal hab ick in dem Stück denselben Witz jemacht. Meenst de, de Leute haben jelacht??«
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Saß da einmal die knappe Mehrheit der seligen Elf Scharfrichter im Café Stefanie – saß mit betrübten Mienen, und alle wünschten sich eins: es möchte doch der russische Hofrat kommen, der immer so nobel zu helfen versteht, wenn man in der Klemme ist. Rosenboot hieß er und bohrte sich immer in der Nase; darum nannte man ihn kurzweg Rosenbohrer.
Im Augenblick öffnet sich die Tür, und der russische Hofrat erscheint. Mit einem Blick hat er die Lage erfaßt – beim nächsten Schlag seines guten Herzens beschließt er, einzugreifen. Er langt in die Westentasche und sagt:
»Meine Herren, ich erinnere mich eben, daß ich jedem von Ihnen zehn Mark schulde. Verzeihen Sie, daß ich mich so spät erinnere!«
Langt in die Westentasche und drückt Mann für Mann zehn Mark in die Hand – dem ersten, zweiten, dritten, vierten, fünften.
Der sechste aber – Paul Schlesinger ruft ungehalten:
»Verzeihung, Herr Hofrat! Von mir haben Sie sich zwanzig Mark geborgt!«
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Man sollte meinen, die Elf Scharfrichter hätten zweiundzwanzig Beine gehabt. Das wäre aber ketzerischer Irrglaube – sie hatten einundsiebzig. Die Sache erklärt sich zwanglos aus dem Umstand, daß die Elf Scharfrichter sechsunddreißig Mann stark waren und einer davon ein Holzbein hatte.
Dieser eine, jetzt ein berühmter Lyriker, machte am Abend die Bekanntschaft eines jetzt ebenso berühmten Architekten. Man fand Gefallen aneinander und trank. Man fand mehr Gefallen aneinander und trank mehr. Als man viel getrunken hatte, wollte man heimgehen. Nun, so weit wandern – bis nach Haus – mit dem Holzbein ist nicht angenehm. Und der Lyriker bat:
»Lieber Architekt, möchtest du mich nicht bei dir übernachten lassen?«
»Gewiß, mein lieber Lyriker!«
Im Junggesellenheim des Architekten sank der Dichter auf den Diwan und verfiel sofort in Agonie. Der Architekt fand, es wär unmenschlich, den nächtlichen Gast in seinen Kleidern schlafen zu lassen. ›Ich will ihm wenigstens die Stiefel ausziehen‹. Er schnürte die Stiefel auf und zog – zog – und zog plötzlich das ganze Bein mit.
Warf es hin in panischem Schrecken und entfloh.
Nur Eingeweihte werden erraten, daß der Architekt Max Langheinrich hieß und der Dichter Ludwig Scharf.
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Väterchen Rößler war einst Charakterspieler und Utilität am Hoftheater zu Detmold.
Eines Abends, nach einer besonders braven Leistung Rößlers kam der Hofmarschall auf ihn zu, klopfte ihm auf die Schulter und rief begeistert:
»Mein Lieber, ich habe Sie nun als Franz Moor gesehen; als Mephisto; als Zigeunerbaron; als Bettelstudenten; als Baumeister Solneß. Immer derselbe, mein lieber Rößler – immer derselbe.«
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In Teplitz spielte Karl Rößler den Wallenstein.
Da hatte er – im fünften Akt – zu sagen:
»Ich denke einen langen Schlaf zu tun,
Denn dieser letzten Tage Qual war groß.«
Sprachs – ging hinten ab – – öffnete nach einer Weile wieder spannweit die Tür und stellte seine Reiterstiefel zum Putzen auf die Bühne.
Er ist ohne Kündigung entlassen worden.
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In einem oberösterreichischen Flecken irgendwo hatte Vater Rößler ein Sommerengagement. Wohnte in der Mansarde des ersten Gasthofs und fühlte sich da wohl.
Eines Tages kommt der Wirt und sagt:
»Herr von Rößler! Mittwoch müssen S' ausziegen.«
»Warum denn, um des Himmels willen, Herr Wirt? Ich habe doch immer pünktlich die Miete gezahlt? Habe nie gestört?«
»Alles schön und gut, lieber Herr von Rößler – aber i brauch grad des Zimmer, grad des – d' Leut saans scho so gwohnt. Mittwoch is Markt. Die Hur kimmt.«
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Eines Tages kam ein Mann zu Rößler und sprach:
»Herr von Rößler – gel? – Sö saan jetz Dichter? Alsdann da hätt i Eahna an Idöö für a Lustspiel. A großartigs Lustspiel – so was zum Lachen war no net da. – Hören S' zu, Herr von Rößler! – Erschter Akt – Stammtisch mit Herren – a Bayer; a Weaner; a Sachs; a Heß; a Preiß: Ein Witz; Eine Laune; Eine Komik nach der andern. Zweiter Akt a Kaffeegsellschaft – die Gemahlinnen von dene Herren: Ein Humor; Ein Scherz; Schlager folgt auf Schlager …«
»Und der dritte Akt?« fragte Rößler.
Da sprach der Mann kopfschüttelnd:
»Alles ich, Herr Rößler? Etwas könnten S' doch aa selber derzu dichten.«
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Rößler wohnte Jahre hindurch in Dachau. Eine halbe Stunde von München.
Natürlich verbrachte er den Tag in der Stadt. Und versäumte regelmäßig den letzten Abendzug – daher verbrachte er in München auch die Nacht. Nur höchst selten gelang es ihm, sein Dachauer Heim zu erreichen.
Eines Morgens zog er eben in Dachau ein – nach recht langer Abwesenheit. Sein Töchterchen, die kleine Lotte, erblickte ihn von weitem und rief:
»Mama, Mama! Sieh nur, da kommt Herr Rößler!«
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Wir lebten zu Gmunden im Gasthof, Karl Rößler und ich, und arbeiteten gemeinsam an einer Komödie.
Rößler ist kein Frühaufsteher. Er erhob sich gewöhnlich gegen drei Uhr nachmittag, wenn die ersten Morgennebel gewichen waren – und dann schrieben wir bis in die Nacht.
Mit dieser durchaus normalen Lebensweise war aber Rößlers greiser Vater nicht einverstanden. Er erschien täglich um sieben Uhr früh im Gasthof und stellte an Rößler das Ansinnen, das Gold aus dem Munde der Morgenstunde zu holen.
Zwei Tage kämpften Vater und Sohn.
Am dritten Tag hatte sich Rößler schon ein stilles zweites Zimmer im Seitenflügel des Gasthofs gemietet, wo er die gewohnte Lebensweise fortsetzte.
Das erste Zimmer aber wurde dem alten Herrn vom Stubenmädchen in völlig aufgeräumtem Zustand gezeigt mit der Behauptung: der Dichter wäre heute schon seit fünf Uhr früh auf den Beinen, um im einsamen Wald seiner Kunst obzuliegen.
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Väterchen Rößler borgte sich hundert Mark und versprach mir Bezahlung zu Neujahr – auf Ehrenwort.
Er zahlte natürlich nicht.
Gestern aber bin ich ihm begegnet und kriegte mein Geld.
»Freund,« sagte er, »eigentlich hätt ich dirs zu Neujahr geben sollen, ich habs dir feierlich versprochen; ich hab auch Geld gehabt. Aber, weißt, ich wollte keinen Präzedenzfall schaffen.«
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Als Otto Erich Hartleben seinen Theatersieg mit dem ›Rosenmontag‹ errungen hatte, suchte Brahm den Dichter an sein Lessing-Theater zu binden und setzte ihm ein Jahrgehalt aus von 2400 Mark. Dagegen sollte Hartleben verpflichtet sein, alle Stücke zuerst dem Lessing-Theater anzubieten.
Hartleben unterschrieb.
Am Abend sagte er im Freundeskreis:
»Noch einen solchen Vertrag, und ich rühre in meinem Leben keine Feder mehr an.«
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Die Herren der Literarischen Gesellschaft zu Halle an der Saale erzählen einem, wenn man sie darum fragt, gern von ihrem Hartlebenabend.
Schon zwei Tage vor der Vorlesung war Otto Erich in Gesellschaft eines Freundes eingetroffen und widmete sich umfassenden Portweinstudien.
Man fragte den Dichter nach seinem Programm.
»Ist noch nicht fertig,« entgegnete er. »Ich schreibe eben erst an der Geschichte, die ich morgen lesen will.«
Er war auch am Vorabend noch nicht damit zu Ende, nicht des Morgens, nicht zu Mittag. Erst eine Stunde vor der Vorlesung, in einer Kneipe bei sehr viel Rotwein beendete er die Novelle.
Und saß am Abend (sein Freund mit ihm) im Saal der Freimaurerloge auf dem Podium und war unbändig gut aufgelegt. (Der Freund desgleichen.) Sie brauchten einander nur anzusehen und lachten schon. Die Geschichte, die Hartleben da vortragen sollte, war garzu köstlich. (Fand auch der Freund.) Ein klein wenig locker war sie überdies.
Ich weiß nicht, ob es allgemein bekannt ist, daß Halle keineswegs eine hemmungslose Stadt ist. Die Damen in Halle wenigstens haben ziemlich strenge Begriffe von Zucht und Sitte. Sie fanden es nicht in der Ordnung, daß man sich so benehme, wie sich Hartleben benahm (und sein Freund).
Hartleben las und las und freute sich immer auf die kommende Pointe und lachte schon, ehe er sie gesagt hatte (der Freund nicht minder).
Da gingen die Damen, eine nach der andern – und Hartleben blieb schließlich nur mehr mit seinem Freund und drei, vier Herren des Vorstands im Saal zurück und las ihnen bei einer neuen Flasche Rotwein sein Werk zu Ende.
Wer da wissen will, was Hartleben in Halle las, schlage in seinen Werken nach. Die Geschichte ist ›gewidmet den Damen der Literarischen Gesellschaft zu Halle‹.
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Ein andres Abenteuer Hartlebens. Quelle: Max Halbe.
Es muß nach dem Erfolg des ›Rosenmontags‹ gewesen sein – Otto Erich Hartleben saß im Café ›Florian‹ am Markusplatz in Venedig.
Ein schwarzer Mann kam und bewarb sich bei Hartleben um die Erlaubnis, das erfolgreiche Stück ins Italienische übersetzen zu dürfen.
»Ick sprecke nickt ganz gut deutß,« sagte er, »aber ick verstehe vollkommen. Ick abe ßon mehre Sstück hübersetzen. Ick abe hübersetzen ›Weber‹ von Gerart Auptmann: Flasche. – Ick abe hübersetzen ›Sodoms Ende‹ von Sudermann: Flasche. – – ›Probepfeil‹ von Blumenthal: Flasche …«
»Erlauben Sie,« fragte Hartleben, »warum sagen Sie denn immer: Flasche?«
»O – Sie verstehen nickt? Fiasko, Fiasko aben ick gemackt.«
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Vor vielen Jahren wars, da kam Frank Wedekind nach Berlin. Es war eben zur Zeit, als er am schwersten um seine Anerkennung ringen mußte.
Er trat – in Begleitung einer kleinen Kabarettdiseuse – ins Bierhaus Siechen und fand da Hartleben.
Rasch wollte er sich abwenden – denn er war auch mit Hartleben zerkracht – da erhob sich Hartleben, ging auf Wedekind zu und begrüßte ihn:
»Frank – wenn alle dich anfeinden, will wenigstens ich mich mit dir versöhnen. Reich mir die Hand!«
Wedekind antwortete gerührt:
»Gestatte, lieberr Otto Errich, daß ich dirr zum Zeichen meines tiefen Dankes dieses junge Mädchen dediziere.«
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Frank Wedekind traf einst meinen Freund Karl Rößler.
»Grüß Gott!« rief er. »Und ich gratuliere dir herzlich zum Erfolg der ›Fünf Frankfurter‹. – Ich höre übrigens, daß du jetzt an einem literarischen Stück arbeitest …?«
Rößler darauf:
»Ich – an einem literarischen Stück? Ich werde doch nicht schlechte Geschäfte machen, wenn ich gute machen kann?«
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Es war in Zürich, anfangs der neunziger Jahre, zur Zeit der heftigsten Literaturkämpfe – da geriet einer unsrer Dramatiker in Streit mit ein paar Studenten. Er war gegen Schiller losgezogen und sie – am Nebentisch – verbaten sich das. Schiller, der Dichter des ›Tell‹, wäre der erste Dichter und Heiligtum der Nation.
Der junge Dramatiker war sprachlos. Wie? Zwei Leute, die nicht einmal zur Gesellschaft gehören, zwei Fremde mischen sich ins Gespräch mit einem geharnischten Protest? – Und er rief:
»Sie scheinen aus einem jener schweizerischen Täler zu stammen, wo der Kropf endemisch ist.«
Die Fortsetzung des Gesprächs kann man sich vorstellen.
Als der junge Dramatiker im Nebenzimmer gewaschen, verbunden und gelabt wurde, rief er bös:
»Nicht einmal seine künstlerischen Ansichten darf man hier äußern. Und das nennt sich dann die freie Schweiz.«
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Wie ich Girardi kennen lernte:
Es war vor zehn oder zwölf Jahren, in München – um vier Uhr morgens klingelt wütend mein Telephon. Ich ärgere mich, wühle den Kopf ins Kissen und lege mich aufs andre Ohr. Das Telephon rast. Endlich muß ich aufstehen.
In der Muschel die scharfe und doch chinesisch höfliche Stimme Wedekinds. Er tut überaus verwundert:
»Ist es möglich – sollten Sie am Ende schon schlafen? Ich würde unendlich bedauern, Sie gestört zu haben. Herr Girardi möchte Sie sehen. Wollen Sie nicht so freundlich sein, in den Bayerischen Hof zu kommen?«
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Ein Berliner Impresario hatte das Ehepaar Wedekind und mich auf eine gemeinsame Vortragsreise geschickt. Unser erster Abend sollte zu Frankfurt am Main stattfinden, in einem Vereinshaus.
Eine halbe Stunde vor Beginn kommt der Vorstand des Vereines uns begrüßen.
»Herr Wedekind,« sagt er, »der Saal ist übervoll; wir konnten nicht verhindern, daß auch junge Mädchen sehr zahlreich erschienen … Gott, es sei selbstverständlich fern von mir, Ihnen Vorschriften zu machen – doch Sie verstehen, nicht wahr? Ich bin in großer Verlegenheit … Wenn Sie gütigst Rücksicht auf die jungen Mädchen nähmen …?«
Wedekind zeigte seine Vorderzähne (das bedeutete bei ihm niemals Gutes) und schnarrte chinesisch höflich:
»Herrr Vorrstand, Sie werrden zufrrieden sein …«
– – – Ob er wirklich zufrieden war, der Herr Vorstand, weiß ich nicht. Die Mädchen waren es keineswegs; denn sie wurden schon nach Wedekinds erstem Bänkelsang von ihren bestürzten Müttern stumm zum Aufbruch gezwungen. Leis raschelnd, auf den Zehenspitzen sickerten zuerst und strömten bald die Huldinnen nach den Türen.
In der Pause erschien der Vorstand mit düsterer Miene.
Wedekind – unschuldsvoll:
»Oh, hätten Ihre Damen doch nur ein kleines Weilchen überdauert! Jetzt kommt nichts Schlimmes mehr.«
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Ich saß nach dem Vortrag langelang mit ihm im historischen ›Schwan‹. Die arme schöne Frau Wedekind hielt wie eine Märtyrerin aus. (»Tilly, du bist schläfrig – Kellner, noch eine Flasche Roten!«)
Da sprach Wedekind von seinem damals so schweren Kampf ums Dasein.
Ich warf flüchtig hin:
»Gehen Sie doch dem Publikum einmal, nur einmal entgegen! Machen Sie ein lustiges Stück – Sie werden reich werden und von nun an immerzu schreiben können, was Ihnen gefällt.«
Wedekind lächelte nachsichtig. »Das wäre unökonomisch. Ich müßte mich überwinden, um Geld zu verdienen, und dann erst dürfte ich das Geld wieder in Freude umsetzen. Diese doppelte Umsetzung wäre Kraftverlust. Lieber schreibe ich gleich, was mir gefällt, und habe meine Freude daran.«
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Unsre gemeinsame Vortragsreise endete in München. Seit Menschengedenken hatte das Polizeipräsidium niemals Zensur an Vorträgen geübt – weder an Wedekinds, noch an meinen Texten; wir beide an einem Abend aber schienen der Polizei doch allzu bedenklich, und man forderte unser Programm ein.
Mir strich die Polizei nichts; Frank Wedekind strich sie so manches.
Sonst pflegte ich den Abend zu eröffnen und zu schließen – diesmal wollte Wedekind es tun.
Er trat auf und sprach (mit gebleckten Zähnen):
»Meine Damen und Herren! Mein Vorrtrrag wirrd sich in zwei Teile gliederrn: errstens die von der Polizei genehmigten, zweitens die von der Polizei verrbotenen Liederr.«
Und er hielt pünktlich Wort. Er sang alle verbotenen Lieder ab.
Zur Ehre der Münchener Polizei sei es gesagt: kein Hahn hat darnach gekräht.
Was aber unsern Frank nicht verhinderte, dem Polizeipräsidenten später eines seiner allerboshaftesten Bänkel zu weihen:
»… Wofür läßt sich
Von der Heydte bezahlen?
Für den Weltrekord
In Kulturskandalen!
Verendet an ihm
Auch München, die Kunststadt –
Berlin lacht heiter:
Schadet det uns wat?«
Ich weiß nicht, ob die Verse in Wedekinds Gesammelte Werke aufgenommen sind; in meinem Exemplar stehen sie nicht.
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Auch Girardi hat den Krieg mitgemacht – auf seine Weise:
Es war an der bukowinischen Front, im Frühling 1916 – da hatten im Schützengraben bei Rarantsche die Beobachter der Batterie Oberleutnant Materna ein Grammophon. Sie ließen es eines Feiertags fleißig spielen: Sänge von Girardi.
Die russischen Feldwachen stellten das Schießen ein und klatschten Beifall.
Beim nächsten Lied steckten sie, um besser zu hören, die Köpfe aus der Deckung.
Beim dritten kamen sie – ohne Waffen – ganz heran. Und sind auch gleich dageblieben.
So hat Alexander Girardi bei Rarantsche vierzehn Gefangene gemacht.
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Lange vor dem Krieg pflegte Wedekind wahrzusagen:
»Der Militarismus Europas – vierzig Jahre Probe und keine Aufführung … Schrecklich, schrecklich, wie das Stück einst durchfallen wird!«
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Einmal saßen in einem Wiener Nachtlokal in drei benachbarten Logen Girardi, der ungarische Minister Baron Banffy und Wedekind.
Ein Fremder umfaßte die drei Logen mit einer Gebärde und rief:
»Die drei größten Komiker von Europa.«
Girardi nickte – der Minister lachte – Wedekind aber … zeigte seine Zähne.
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An der Wand im halbdunkeln Zimmer hängt Frank Wedekinds Totenmaske. Verstehend wie sie, hat der Dichter immer gelächelt – so zart, so gütig nur im Tod.
Unter der Maske auf dem Sofa sitzt Anna Pamela, Wedekinds erstgeborne Tochter. Sie zählt noch nicht dreizehn, glaube ich – und blickt ernster als je ein Mädchen ihres Alters.
»Singen Sie uns, Anna Pamela!«
Da huscht ein winzig kleines Lächeln über dies erschütternd echte Jungwedekindgesicht. Sie langt sich Wedekinds Laute. Wie ein wimmelnd Heer von Däumlingen rennen und stürzen unverfolgbar flink die Fingerchen über das Griffbrett: und ein kleiner, gläserner Sopran läutet des Vaters Balladen.
Franks lose Lieder aus dem unschuldigen Mündchen eines Mägdleins!
Und das Mägdlein bei all seiner Lieblichkeit des sardonischen Vaters Abbild.
Und jeder Ton wieder, jede Hebung und Senkung des Stimmchens ist Frank Wedekinds Ton, Vortrag und Ausdruck: als sänge er aus den Sphären mit Engelszunge.
Sie ist es garnicht, Anna Pamela – sie weiß ja nicht, was sie singt: Frank lebt und singt in ihr – und sie lacht hie und da über ihn, dankbar für einen Scherz, den er, ihr verständlich, machte.
Schön und furchtbar zugleich, daß ein Leichnam so lebendig bleiben kann in seinem Werk und in seinem Kind.
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Otto Julius Bierbaum erzählte mir einmal, wie er Liliencron in München traf: arm, aber stolz, ja überglücklich. Er habe, berichtete Liliencron, jetzt ein Weib gefunden, das sei aller Weiber Preis: jung, zierlich, mit weißen Fingerchen und rosigen Wangen: Saphiraugen, goldnem Haar und elfenbeinernen Zähnchen: sie sei millionenreich und klug wie Phryne; eine Reichsgräfin vom ältesten Adel; Bierbaum müsse augenblicks mitkommen in den Hofgarten, um Liliencrons Glück mitanzusehen.
Bierbaum folgte dem Dichter. Er fand ein Nähmädchen da, Centa Müller. Sie war nicht einmal sonderlich hübsch.
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Kennen Sie den Liederzyklus ›Amneris‹? Ein junger Dichter hat ihn geschrieben auf seinem Tiroler Schloß. Jawohl, er besaß ein Schloß in Tirol, denn er war ein nicht unbemittelter Dichter – und er schrieb einen Zyklus ›Amneris‹ in Tirol, denn er war glücklich, war selig in seiner jungen Ehe.
Als die Handschrift aber fertig vor ihm lag (ein Jahr nach der Hochzeit) – da beschloß der Dichter, den Zyklus vertonen zu lassen. Und er lud einen aufstrebenden tüchtigen Musiker zu sich aufs Schloß.
Musiker wissen die Frau noch ganz anders zu bezaubern als son Dichter. Sie empfinden auch heißer.
Eines Tages ging der Musiker mit der Schloßfrau nach Italien durch; nicht ohne den Zyklus ›Amneris‹ mitzunehmen.
Und schickte von seiner Reise malzumal ein paar Notenblättchen an den Dichter – die Vertonung von ›Amneris‹.
's ist eine sehr einheitliche Schöpfung worden – der Text und die Musik. Kein Wunder: wo beide Urheber inspiriert von Einer Frau waren.
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Wie einen das Leben manchmal um eine Freude und Ehrung bringt, hat Max Halbe einst erfahren müssen und pflegt es zu guter Stunde zu erzählen:
Seine ›Jugend‹ war in Berlin mehr als dreihundertmal gegeben worden, da schrieb er den ›Amerikafahrer‹.
Am Tag der Ausführung kam Siegmund Lautenburg, Direktor des Residenztheaters, auf den Dichter zu und sprach verheißungsvoll:
»Mein lieber Halbe, Sie wissen nicht, was Ihnen bevorsteht. Wenn Ihr Stück heute Erfolg hat, werde ich Ihnen Brüderschaft anbieten.«
Nach der Vorstellung rief Lautenburg:
»Sie, Herr Doktor Halbe! Ich wünsche Ihnen gute Nacht.«
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Hugo Salus ist Frauenarzt in Prag.
Eines Tages nun saß ein Knabe in Salussens Wartezimmer. Niemand beachtete ihn – er mochte mit der Mutter gekommen sein.
Doch die Sprechstunde war längst zu Ende, und der Junge saß noch immer da.
Da fragte ihn Salus nach Wunsch und Begehr.
Das Bübchen wollte ein Autogramm.
»Du, Dreikäsehoch – ein Autogramm? Hast du denn je etwas von mir gelesen?«
»Nein.«
»Weißt du, wer ich bin?«
»Nein.«
»Wie kommst du also dazu, ein Autogramm von mir zu verlangen?«
Das Bübchen schlug die Augen nieder und sagte:
»Ich bitte, der Kohn aus Horowitz hat auch eins.«
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Gustav Meyrink bekam einmal – zu Beginn seiner Dichterlaufbahn, als er, weiß Gott, noch sehr, sehr wenig Geld verdiente – vom Steueramt den Auftrag, ein offenes Geständnis abzulegen, wie hoch sich sein Einkommen belaufe.
Meyrink, der in Gedanken immer in Indien lebt, murmelte ein Mantram, eine Zauberformel, und begann den Bogen auszufüllen.
Ich habe anderswo niemals Steuern bezahlt und weiß nicht, wie es da ist; bei uns in München gleichen die Steuerbogen der Spezialkarte einer hochkultivierten Ebene: unzählige Felder und Felderchen, durch saubere Linien begrenzt – ein Teil schraffiert, das sind dann die Forste; andre von breiten Kanälen umzogen, in der Mitte geteilt und kreuz und quer durchschnitten. Niemand kennt sich aus.
Auch Gustav Meyrink nicht. Er muß irgend was in die falsche Rubrik gesetzt haben wahrscheinlich die Millionen seiner Träume – denn plötzlich sollt er 28 000 Mark Steuer zahlen – viel mehr, als er jemals eingenommen hatte.
Er ging aufs Steueramt und wehrte sich.
»Herr,« antwortete man ihm, »Sie haben selbst angegeben …«
Doch Meyrink sah garso kläglich drein – da fragte der Beamte:
»Was sind Sie von Beruf?«
»Schriftsteller.«
»O mei, o mei,« rief der Beamte. »Schriftsteller. Des is a traurigs Gschäft. Da zahlen S' halt 2 Mark 80.«
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Vor Jahren einmal schrieb ich in Starnberg bei München mit Gustav Meyrink ein Stück. Wir arbeiteten wie die Bienen – von morgens früh bis abends spät.
Da hatten wir eine Figur in unserm Stück, den alten Rittmeister Repelaar, einen alten, gebrechlichen Mann, der in einer Sauerstoffzelle lebte. Nur zu den Aktschlüssen holten wir ihn aus seiner Zelle. Er sprach dann drei, vier Sätze: und sie mußten das Witzigste sein, was Meyrink und Roda irgend ersinnen konnten.
Eines Sonntags gegen fünf nachmittag waren wir wieder so weit: Repelaar sollte auftreten. Doch wir hatten seit dem Morgen geschrieben – uns fiel das rechte Aperçu für unsern Repelaar nicht ein.
Da schlug ich vor, die Arbeit für heut abzubrechen. Ich werde mit dem Dampfer nach Leoni fahren (aufs andre Seeufer). Meyrink bleibt die Nacht daheim in Starnberg. Wir beide werden nachdenken, werdens überschlafen, was unser Repelaar zum Stichwort ›Kuh‹ zu sagen hätte.
Gut, wir nehmen Abschied voneinander – Meyrink bleibt – ich besteige den Dampfer.
Als der Dampfer aber – Sonntag nachmittag, dick besetzt mit Ausflüglern – den Starnbergersee quert, bemerke ich eine sonderbare Bewegung auf Deck. All die hundert Menschen drängen nach Steuerbord.
Ich folge der Schar und sehe ein Schiff von fern mächtig heranschießen – der Ruderer will offenbar den Kurs des Dampfers kreuzen. Die Leute auf Deck sind gespannt, ob es dem Ruderer gelingen werde …
Es ist Meyrink. Er kommt heran, findet mich unter den Hunderten heraus, formt die Hände zur Trompete und schreit mir zu:
» Die wackere Kuh – sie liefert uns den trefflichen Spinat.«
… Ihm war die vielgesuchte Wendung des Dialogs eingefallen – er beeilte sich, sie mir noch rasch mitzuteilen …
Zuerst glotzten die hundert Ausflügler nur dumm. Einen Augenblick später bebte der Sonntagsdampfer unter ihrem Gelächter.
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Es war einmal von den Sachsen die Rede. Da sagte Gustav Meyrink:
»Es muß viel mehr Sachsen geben, als die Statistik aussagt. Bekanntlich zählt die Wissenschaft fünfhundert Millionen Chinesen. Man macht aber täglich die Erfahrung, daß einem Hunderte von Sachsen begegnen, ehe man auf einen Chinesen stößt.«
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Zu München, in der Torggelstube. Man sprach von dressierten, von klugen Tieren. Colin Roß von einem singenden Hund; Albert Heine hatte einen Bären gesehen, der ging frei umher und spielte mit Kindern; Lackner wußte von einem Alligator …
Marc Henry, das Haupt der Elf Scharfrichter, erzählte:
»Alles nicks.« (Henry ist Pariser.) »Ick gehe in dem Jardin du Luxembourg, da fliegt eine Smetterling um mich. Am nächsten Tag: wieder die Smetterling. Am dritten Tag nehme ich etwas Zucker mit und sstreue mir auf die Ssulter. Richtig setzt sich dieselbe Smetterling darauf und bleibt ganz sstill. Nach ein paar Wochen hatte ick die Smetterling soweit: wenn ick nur den Jardin betrat, kam mir die Smetterling entgegen, flog mir auf die And und kam mit mir überall hin. Wenn ick ihn fragte: ›Wie ssprickt die Smetterling?‹ – da antwortete er:
(Hier begann Henry mörderisch zu bellen.)
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Vor vielen Jahren einmal kam ich zu Felix Dörmann und bat ihn, er möchte mein Drama lesen und es dem Deutschen Volkstheater empfehlen.
»Lesen?« rief Dörmann. »Wozu? Wenn das Stück gut ist, nehmen die im Volkstheater es doch nicht; und wenn es schlecht ist, macht es von selbst seinen Weg.«
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Zu Emil Szomory, dem ungarischen Dichter, kam eines Tags ein Mann und sprach:
»Herrlich, was Sie da wieder im gestrigen Abendblatt geschrieben haben; packend, treffend, ganz mir aus der Seele. – Ich hatte übrigens Ihrer Arbeit wegen einen erregten Auftritt an meinem Stammtisch; die Herren sagten nämlich: es wär der größte Blödsinn, der ihnen jemals untergekommen ist.«
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Ich, Roda Roda, hielt einmal einen Vortrag in Spandau.
Um acht, als es anfangen sollte, noch kein Mensch im Saal.
Na – ein paar Minuten kann man ja warten.
Plötzlich strömte Publikum herein – gleich zwei Damen auf einmal.
Die erste lispelte:
»Verzeihung – bin ich hier recht bei August Rodin?«
»Nanu? Nur een Herr? Ick dachte doch, Roda Roda – det sin so zwee Zusammjewachsne?«
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In Wien wurde ich einer Mäzenatin vorgestellt, der Frau Konsul Maurer. Sie war sehr erfreut und sagte:
»Seit Jahren schon sehne ich mich danach. Sie kennenzulernen. Sooft ich eines Ihrer Stücke sehe, frage ich meine Freunde: ›Warum bringt ihr den Mann nicht einmal her zu mir? Einen so glänzenden Namen?‹ – Wie ist übrigens Ihr werter Name?«
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Als Theodor Etzel, der Fabeletzel, noch ein strammer Jüngling war, schrieb er natürlich lyrische Gesänge.
Man weiß, die Verleger pflegen sich um derlei Poesie nicht eben zu reißen. Etzel aber hatte Glück. Er fand einen Verleger. Sogar einen, der ihm Honorar zahlte.
War schon nach diesen Anzeichen an der gesunden Vernunft des Verlegers zu zweifeln, so sollten Etzels Bedenken sich in der Folge noch steigern.
Als nämlich der ungeduldige Lyriker den Verleger nach ein paar Wochen fragen kam: wie es denn mit der ersten Auflage der Gedichte stünde? Ob sie schon verkauft wäre? – da sagte der Verleger:
»Mein lieber Herr Etzel! Ich habe Ihnen ja gleich gesagt, die erste Auflage eines so jungen, wenn auch hoffnungsvollen Autors würde schwerlich abgesetzt werden können, und zu verdienen war erst recht nichts daran. Da habe ich mich kurz entschlossen, habe die erste Auflage eingestampft und gebe jetzt die zweite heraus.«
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Paul Walden, der Maler, war damals noch ein Junge und sehnte sich nach seinem Spielgefährten, meinem Sohn. Da fuhr Pauls Mutter, Else Lasker-Schüler, von Berlin zu uns nach Tegernsee.
Sie war nie vorher auf dem Land gewesen. Und fand es einfach unerträglich.
Die Seeluft nahm ihr den Kopf ein.
Der Kuhstall roch ihr nach Typhus.
Dann das viele Frühlingsgrün:
»Alles Spinat!« rief sie verzweifelt – und reiste von der Stelle ab.
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Ein Mauerer rief seinem Kollegen den bayerischen Segen nach.
Der Argentinier-Schmied, Rudolf Johannes Schmied legte dem Maurer schwer die Hand auf die Schulter.
»Mann!« sprach er bewegt. »Mann!! Woher haben Sie dieses Wort?? Das Wort ist von mir.«
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Man redete von volkstümlichen Dichtern.
Da wandte sich Schmied an Hanns Heinz Ewers:
»Doktor! Was sagt Ihr zu unserm Gegenstand – Ihr, der Aschinger der Magie?«
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Kennen Sie die lustigen Stücke ›Der gutsitzende Frack‹, ›Der Gatte des Fräuleins‹, ›Ein Ehemann, der alles weiß‹? Die Stücke sind von Gabriel Drégely, einem immer noch jungen Ungarn.
Drégely war Ingenieur, eh er Komödiendichter wurde, und wohnte in einem Hinterhaus zu Budapest, zwei Treppen hoch. Ihm gegenüber, im Vorderhaus, amtierte der Hauswirt, ein Patentanwalt; Drégely konnte dem Anwalt von oben her grade und genau in die Bude gucken.
Eines Tages, als es besonders heiß und langweilig war, setzte sich Drégely an sein Telephon und rief den Hauswirt drüben an:
»Hallo, hallo, Herr Anwalt – hier Livingstone aus Edinburg, Erfinder. Haben Sie Interesse für einen Fernseher?«
»Ob ich was habe?« fragte der Patentanwalt.
»Na, möchten Sie mir eine Vorrichtung abkaufen, mit der man mittels eines gewöhnlichen Fernsprechers in die Ferne blicken kann?«
»Sie scherzen, Herr Livingstone.«
»Durchaus nicht. Ich sehe Sie, Herr Anwalt, in meinem Apparat. Sie stehen in Hemdärmeln da – begreiflich bei dieser Hitze – schneiden ein kurioses Gesicht und haben die rechte Hand in der Hosentasche. Warum ziehen Sie sie eben hervor? Nach Ihrem Gesichtsausdruck zu schließen, sind Sie sehr verwundert?«
Da sagte der Anwalt:
»Herr, Ihre Erfindung ist großartig. Sie werden Milliarden damit verdienen. Da macht es Ihnen wenig aus, wenn ich Ihre Miete vom nächsten Monat an um fünfzig Kronen erhöhe. Nach Ihrem Gesichtsausdruck zu schließen, sind Sie sehr verblüfft, Herr … Livingstone?«
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Einst lernte Gabriel Drégely in Karlsbad eine nette Dame kennen. Man promenierte ein Stündchen und schied mit dem Wunsch, einander wiederzusehen.
»Morgen um vier?« fragte Drégely. »Paßt es Ihnen?«
»Gern. In der Konditorei.«
Tags darauf also um vier wartete Drégely in der Konditorei; wartete lange Zeit; niemand kam.
– – – Etliche Jahre später begegnet Drégely einer Dame, die deutlich zeigt, daß sie gegrüßt sein wolle … Wer mag sie nur sein? Richtig: die Blondine damals aus Karlsbad.
»Auch ich habe Sie schwer wiedererkannt,« beginnt die Dame, »Sie sind etwas rundlich geworden.«
»Kein Wunder,« brummt Drégely. »Wenn Sie einen sechs Jahre in der Konditorei warten lassen?«
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Saßen wir da einmal im Café Luitpold – zwei Maler, zwei Literaten: Major v. Vestenhof, Albert Weisgerber – der Edelanarchist Erich Mühsam und ich. – (Die sonderbare Mischung der Gesellschaft braucht einen garnicht wunderzunehmen: wir sprachen nie über Politik – und wollte Erich Mühsam mal davon beginnen, so verbat sichs der Herr Major höflich, Weisgerber hingegen mit weißblau geweckter Löwenenergie.)
Den Malern fiel ein Mann drüben auf, der mir ähneln sollte.
Wirklich, er glich mir Zug um Zug: die Bulldoggvisage, hohe Stirn – sogar das Einglas hatte er sitzen; nur die rote Weste fehlte, denn der Fremde hatte eine weiße.
Da sagte Major v. Vestenhof:
»Wißt ihr auch, wer der Mann ist? Der Staatssekretär der Kolonien, Exzellenz Solf.«
»Herrgott,« rief Erich Mühsam, »– ein Staatssekretär! Und aus Samoa … Der Mann muß doch mächtig viel Geld haben. Den Mann geh ich anpumpen.«
Schritt auf ihn zu, stellte sich artig irgendwie vor und verlangte zwanzig Mark.
Solf griff nach einigem Besinnen in die Westentasche und zog ein Zehnmarkstück.
– – – Dieses Geschehnis wird hier keineswegs um einer Pointe willen erzählt – als welche ja, wie man sieht, garnicht vorhanden ist.
Es wird noch weniger erzählt, um den Staatssekretär a. D. Dr. Solf herabzusetzen – oder um Erich Mühsam zu erhöhen, den Bayerischen Minister des Äußern von anno Räterepublik.
Sondern ich meinte, mein Gerechtigkeitsgefühl beruhigen zu sollen – indem ich glaube, daß der arme, geschädigte Dr. Solf bis heute nicht weiß, wem er damals jene goldnen zehn Mark dargeliehen hat, und sie gern wiederhätte, ohne Ahnung, von wem er sie verlangen sollt.
Für diesen Fall also gebe ich Exzellenz Solfen Mühsams Adresse an:
Festung Niederschönfelde, Zelle 9 – auf fünfzehn Jahre, anderthalb hiervon bereits abgebüßt.
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Ein junger Dichter – sein Name bleibe verschwiegen – ein junger, hoffnungsvoller Dichter verkaufte sich mit Haut und Haar einem Verleger. Für ganze fünfhundert Mark, die ein einzigesmal, eben heut, zu zahlen waren; und dafür wollt er sein ganzes Leben lang alle seine Werke jenem Verleger ausschließlich und zuerst einreichen.
»Mensch,« riefen des Dichters Freunde, »du bist ja verrückt! Wie konntest du mit deinen fünfundzwanzig Jahren eine Verpflichtung eingehen, die dich fünfzig, sechzig Jahre binden kann?«
Der junge Dichter lächelte. – »Macht doch nischt. Hab ick denn nich schon mit en andern Verlag in Großlichterfelde jenau den jleichen Vertrag? Und er hat mich noch nie geniert.«
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Pascin zu demselben Dichter:
»Lieber Freund, wenn ich Ihr Talent hätte, wär ich längst Millionär. Dann hätte mich nämlich mein Vater Kaufmann werden lassen.«
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Leo Birinski hatte in Wien irgendeinen Husarenleutnant kennengelernt und sich recht mit ihm angefreundet.
Eines Tages geht Birinski durch den Stadtpark. Da stürzt der Husar auf ihn zu und ruft:
»Lieber Freund! Alles Geld auf dem Turf verloren. Sag rasch, aber rasch: wie schreibt man ein Stück?«
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In Rodaun war ein Eckensteher mit Namen Spitzkopf; er war ein Schulkollege von Stefan Zweig und duzte ihn.
Als Stefan Zweig nun Doktor geworden und gar ein berühmter Lyriker, da schämte er sich ein wenig des verkommenen Jugendfreundes und vereinbarte mit ihm:
»Weißt du was, Spitzkopf? Ich werde dir alle Neujahr fünf Kronen geben, und du sagst zu mir Sie.«
Jahrelang währte der Pakt zu beiderseitiger Zufriedenheit.
Am letzten Neujahrstag aber kam Spitzkopf zu Stefan Zweig und sprach – glucksend von einem ausgiebigen Sylvesterrausch:
»Gu'n Tag, Dokter! I wünsch dr vüll – hups! vüll Glück!«
»Spitzkopf! Sie sollen doch Sie zu mir sagen?!«
»Bei – hups! – bei der Valuta, Dokter, mach i – hups! – mach i dös für fünf Kronen net.«
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Catherine Godwin fuhr von Garmisch nach München. Sie ist reizend, die Godwin.
Ihr gegenüber saß ein junger Holzknecht, ein bildsauberer Kerl, und verschlang sie mit den Blicken. Endlich fing er ein Gespräch an:
»Saan Sö verheirat, Fräuln?«
»Nein,« sprach sie lächelnd.
»Kommen S' oft raus nach Garmisch?«
»Nun ja … manchmal.«
Er darauf schelmisch, begeistert und doch schüchtern:
»So scheen saan S', Fräuln, so scheen – i tat Eahna gern grad am Fuß treten. Aber,« fuhr er traurig fort, »i hab Gnagelte an.«
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