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Eines Jahres am Palmsonntag herrschte große Aufregung und Trübsal in einem stillen Beghinenkloster Flanderns. Es war kurz vor dem Hochamt. Die Glocke läutete in ihrem durchbrochenen Turme, so schwach, als ließe sie einen Rauch von Klängen in den Wind aufsteigen. Etliche Andächtige aus der Nachbarschaft kamen schon herbei, sanfte Greise und Frauen, deren Tuchmäntel auch wie Glocken schwangen. Die Beghinen begannen aus ihren kleinen Klöstern herauszutreten und schritten zur Messe.
In der Kirche ging Schwester Dorothée-des-Anges, die Sakristanin, mit wachsender Unruhe auf und ab. Der Blumengärtner des Ortes, der schon so lange für sie lieferte, hatte heute früh keinen Buchsbaum geschickt. Und sie war doch vor acht Tagen noch bei ihm gewesen und hatte ihn ausdrücklich daran erinnert. Er konnte es nicht vergessen haben. Was war also geschehen? Gewiß ein Unglück, ihm oder einem der Seinen. Schwester Dorothée-des-Anges war in größter Verlegenheit. Sie hoffte bereits nicht mehr, ihn noch kommen zu sehen, und in einer Viertelstunde fing das Hochamt an. Sie mußte um jeden Preis ihre Buchsbaumzweige haben; sie waren zu der kirchlichen Zeremonie vonnöten, und dann mußte das Kloster und die Klostergemeinde welche bekommen, darauf rechnete jeder.
Sie faßte schließlich einen verzweifelten Entschluß und ging flugs nach dem Mutterhause, wo in der einen Ecke der Einfriedigung die Äbtissin wohnte. Sie teilte ihr den ärgerlichen Tatbestand und das dringende Bedürfnis mit; aber es gab nur eine Abhilfe dafür: von Kloster zu Kloster Befehl zum Abschneiden des Buchsbaums zu schicken, der, wie es Brauch ist, all die kleinen Gärten schmückt, die Beete einfaßt und die Anfangsbuchstaben der Schutzheiligen oder das Herz Jesu, von einem grünen Schwert durchbohrt, mit seinen glänzenden Blättern schmiegsam nachbildet. Anfangs gab es einen wahren Aufstand, denn sie hängen an ihren blühenden Gärtchen, die Beghinen! Sie können sich nicht genugtun an hübscher Anordnung und sinnvollen Erfindungen. Die Zeichnung ist ganz wie bei ihren Spitzen. Auch hier sind Rosetten, kleine Übergänge, zarte Hintergründe, offene oder halboffene Blumenkelche. Eine feine und genaue Arbeit. Ihre Spitzen sind wie weiße Scheiben, mit Reifblumen besät; ihre kleinen Gärten sind wie bunte Scheiben.
Aber schnell wurde entsagt, aus Gehorsam und um Gott nicht zu mißfallen. Im Kloster der acht Seligkeiten, im Kloster der Gottesliebe, in allen bedeutenden Klöstern der Gemeinde ward der Befehl unverzüglich befolgt. Alle Buchsbaumhecken wurden bis zum Boden abgeschoren und in die Weidenkörbe der Wirtschaft gepackt.
Winzig war die Ernte in jedem Garten, und doch groß genug, daß er nun kahl dalag. Da dachten die Beghinen an ein gleiches Opfer, in das sie auch gewilligt hatten, damals, als ihr Haar der Scheere verfiel. Und ihre Gärtlein wuchsen ihnen noch mehr ans Herz. Es war, als gehörten sie fortan zur Religion.
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Aber während die großen Klöster ihren Buchsbaumschmuck unverzüglich geopfert hatten, gab es in einem ganz kleinen, dem Kloster der Barmherzigkeit am Ende einer der Ringgassen, eine lange Szene. Es war eines der bestgepflegten der Umfriedung, von geradezu blendender Sauberkeit. Die Kupferbeschläge der Tür leuchteten wie die an den Schiffsgallionen in den Kanälen. Die Scheiben funkelten, und dahinter spannte sich frisches Musselin, so frisch, wie Schleier von Abendmahlskindern. Der Kalk in den Fugen zwischen den rosigen Ziegeln zog lange weiße Streifen an der Mauer. Es war ein fast überirdisches Heim durch die stete, geduldige Pflege, ein kleines Wunder unter einer ätherischen Glasglocke, die beim Nahen jedes Vorübergehenden wahrscheinlich verflog, ein Feen- und und Traumkloster. Erschien eine Beghine an einem der Fenster, so erstaunte alles. Es war weniger eine Haube, die man sah, als ein schneller Flug von zwei linnenen Flügeln, die sich gen Himmel schwangen. Das Wunder dieser Behausung verdankte man Schwester Monika, die dort allein mit zwei Beghinen hauste. So zu dritt allein war die vollkommene Ordnung und Reinlichkeit möglich. Sie hatte diesen Sinn bis zur Gewissensqual und teilte ihn ihren jüngeren Gefährtinnen mit. Sie hielt ihr Kloster wie ein Gewissen. Das geringste Stäubchen beunruhigte sie wie die verzeihliche Sünde der Möbel. Noch mehr widerstand ihr jegliche Unordnung und Nachlässigkeit, das heißt alles, was der Ordnung und Sauberkeit Abbruch tat, alles unnötige Zubehör, das die unveränderliche Ordnung dieser Wohnung stören konnte, die bereits einen Schein von Ewigkeit und Unzeitlichkeit trug, als hätte sie nicht mehr Gestalt und Leben. Als nun auch sie den Befehl erhielt, allen Buchsbaum ihres Gartens für die Zeremonie der Einsegnung der Palmenzweige abzuschneiden, war Schwester Monika im Augenblick wie vernichtet. Aber im nächsten Augenblick hatten sie schon einen Entschluß gefaßt. Sie hätte sich nie und nimmer entschlossen, ihr Gärtchen, das ebenso reizend gepflegt, so tadellos und sozusagen ewig war, wie ihre Behausung, mit einem Schlage zu verwüsten und zerstören. Sie hatte bald ihre Scheingründe zur Hand. Was war das bischen Buchs, der ein Herz Jesu mitten im Beete bildete? Was vermochten diese paar Zweige in dem großen Haufen, den die übrigen Gärten des Beghinenklosters geliefert hatten? Das hieße eine Kerze bei den Sternen des Himmels anzünden... Sie wollte also nicht mittun, und das würde niemand schaden; niemand würde es merken. Sie tat den beiden anderen Schwestern, die mit ihr lebten, ihren festen Willen kund und erlegte ihnen unbedingtes Schweigen auf. Damit war ihr Gärtchen vor der Mordlust gerettet! Sie hatte es nicht so sorgfältig umgegraben, gehackt, besät, bepflanzt und unaufhörlich mit eigenen Händen begossen, um es in einem Augenblick zu verwüsten. Das war der Grausamkeit zu viel! Das hieß, ihr anbefehlen, ihr Kind zu morden. Und als Schwester Monika entrüstet zum Hochamt schritt, vermeinte sie auf den grasgrünen Türen der andern ein blutrotes Kreuz zu sehen, wie in Judäa beim Kindermord ...
Beim Hochamt war es rührend zu sehen, wie die Beghinen in ihren langen weißen Schleiern in Prozession einherzogen und eine jede vom Priester einen geweihten Buchsbaumzweig empfing. Sie frohlockten, als sie den einzigen Zweig von ihrem geopferten Garten wieder bekamen; sie freuten sich des Gott und den andern dargebrachten Opfers, denn die Laien begannen sich in ihren Zug zu mischen, sanfte Greise und Frauen in langen Mänteln, die Frommen der Nachbarschaft, in deren Hände sich nun ihre Gärten zerstreuten. O Freude sich so hinzugeben! Der Pfarrer des Beghinenklosters machte diesen schönen Zug zum Text seiner Predigt; er sprach mit bewegten Worten von der großen Gnade Gottes, der den guten Willen der Beghinen habe prüfen wollen. Und nun hatten alle dem himmlischen Rufe Folge geleistet, keine hatte gefehlt. Alle opferten den Buchs ihrer Gärtlein. O Schönheit des Opfers, das symbolisch erschien! Das Herz Jesu aus grünen Zweigen – es war auch ihr eignes Herz. Und Gott will, daß man immer so tue; man soll sich ein lebendiges Herz schaffen und es dann hingeben, unter die Nächsten verteilen.
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Schwester Monika hatte der Rede mit wachsender Unruhe gelauscht. »Keine hatte gefehlt.« Gewiß, der Pfarrer des Beghinenklosters wußte es nicht anders, aber Gott kannte die Wahrheit. Die ganze Häßlichkeit ihrer Sünde ward ihr plötzlich bewußt. Vorher hatte sie gute Gründe gehabt, hatte sie sich mit Ausflüchten und Lügen betrogen. Das ist die List des Satans, der die Sünde beschönigt und ihr abscheuliches Antlitz schminkt. Das wurde ihr jetzt alles klar. Sie hatte zunächst den Befehl ihrer Oberin nicht befolgt, das war schon schlimm. Aber vor allen Dingen hatte sie schlecht gegen Gott gehandelt. Sie hatte sich geweigert, ihren Buchsbaum für die Altäre herzugeben! Welche Schmach! Mit der Kirche zu feilschen und Gott zu betrügen! Schwester Monika hielt sich für eine große Sünderin. Der geweihte Buchszweig, den sie bei der Hochamtsprozession vom Priester erhalten hatte, brannte ihr in den Fingern, wie ein Gewissensbiß. Sie wagte ihn nicht zu behalten und mit nach Hause zu nehmen. Sie stahl sich beiseite, um ihn vor dem Ruhaltar der Jungfrau niederzulegen, als Sühnopfer zwischen Buketts und glasierte Vasen. Sie zündete zur Buße noch eine magere Kerze an und steckte sie auf den schmiedeeisernen Leuchterstuhl, auf dem ununterbrochen ein Lichterflirren war.
Als sie ihr kleines Kloster wieder betrat und ihr gerettetes Gärtlein erblickte, dessen grünes Herz Jesu sich noch immer in seinen Zickzacklinien schlang, da ward ihr vollends Herzangst zumute. Sie mußte sich in den nächsten Tagen vor aller Augen verbergen, jedem ungebetenen Besucher die Tür weisen, damit ihr hier verborgenes Geheimnis nicht durchsickerte. Vorausgesetzt, daß die beiden jungen Beghinen, die mit ihr hausten, nichts ausschwatzten! Sie machte ihnen tausend Vorstellungen zur größten Unzufriedenheit der beiden; sie hatten sich von Anfang an geweigert, denn sie hatten nicht ungehorsam sein wollen. Nun verdroß sie die gemeinsame Verantwortung, die gemeinsam zu tragende Reue. Ein häßlicher Streit entstand. Sie machten Schwester Monika bittere Vorwürfe, und diese machte sich deswegen selbst welche. Sogar der Anblick ihres Gärtleins tröstete sie nicht. Sie sah es mit Schauder an, als ihren Versucher, die Ursache und den Anlaß ihres Falles. Der Böse hatte sich in Blumen gekleidet, um ihre Seele desto gewisser zu verderben. Es war die Schlange aus dem Garten Eden, die sich da in Gestalt eines Herz-Jesu mit ihren grünen Schuppen wand.
Schwester Monika krankte außer an ihrem Alter noch an einem sehr alten Herzleiden. Sie litt den ganzen Sonntag an schweren Beklemmungen. Sie glaubte sich im Stande der Todsünde. Sie hielt auch ihren Ruf für verloren, denn die Beghinen mußten ihren Ungehorsam ja doch erfahren. Am Abend legte sie sich krank nieder. Und am nächsten Morgen, als sie nicht zur gewohnten Stunde aufstand, fanden ihre beiden Gefährtinnen sie tot in ihrem Bette. Sie riefen die Oberin, den Pfarrer und die anderen Beghinen schnell zur Hilfe, und als diese erschienen, da gab es ein großes Verwundern ob des Gärtleins mit seinem grünen Herz-Jesu. »Schwester Monika hat ihren Buchs nicht hingegeben!«
Die Kunde rief großes Ärgernis hervor, namentlich Schwester Dorothée-des-Anges, die Sakristanin, war außer sich. Alle Schwestern bekreuzigten sich. Dieser plötzliche Tod war eine Strafe Gottes. Eine jede wiederholte entsetzt: »Sie hat ihren Buchs nicht hingegeben!« Man hielt sie für verdammt oder doch wenigstens auf lange dem Fegfeuer verfallen.
Als man sie für den letzten Schlaf gerüstet, den Leichnam auf das kleine Bett mit den blaßlila Kattunvorhängen gelegt und ein Messingkruzifix in ihre Hände gedrückt hatte, wollte man auf die Lade neben sie ein Buchsbaumzweiglein in Weihwasser stellen, wie es Brauch war. Aber Schwester Monika hatte das ihre nicht aus der Kirche heimgebracht; sie hatte es nicht gewagt. Da bat man jede Beghine aus der Nachbarschaft, das ihre herzugeben; aber alle weigerten es, denn sie fürchteten sich oder grollten der, die Gott gezüchtigt hatte. Schließlich blieb nichts andres übrig, als aus Schwester Monikas Garten einen Zweig ihres eignen Buchsbaums zu nehmen und in einem Glas Wasser neben die Leiche zu stellen. Sie hatte ihr Gärtlein nicht antasten wollen – nun tastete der Tod es an. Die Stelle aber im Jesuherzen des Blumenbeetes, wo der Buchs geschnitten war, klaffte plötzlich wie eine Wunde, eine unvermeidliche Wunde, an der Schwester Monika gestorben war.