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Der Frauenmörder ist eine in den Gerichtschroniken aller Länder immer wiederkehrende Figur, zu deren legendärer Verkörperung der bekannte »Ritter Blaubart« geworden ist.
Speziell aber der französischen Justizgeschichte sind die »großen« Frauenmörder eigen, die Mörder der eleganten Geste, die im Angesicht des Todes noch kaltblütig witzigen. Jean Hiroux z. B., dessen Aussprüche heute noch bekannt sind, wie: »Ich mußte sie wohl oder übel aus der Welt schaffen, Herr Präsident. Ich lief sonst Gefahr, das Verbrechen der Bigamie zu begehen.« Von anderen »Berühmtheiten«, wie Pel, Dumoulard, Troppmann etc. ist für uns speziell der Fall Pel interessant, der Uhrmacher zu Montreuil, der 1885 verhaftet wurde und dem sieben Morde an Frauen vorgeworfen wurden, die er zerstückelt und verbrannt hatte. Sie alle verschwanden – wie bei Landru – spurlos an dem Tage, da sie zu Pel gekommen waren. Er nahm ihnen ihre Ersparnisse ab, man fand bei ihm ihre Papiere. Die Ähnlichkeiten gehen weiter bis zum Tage des Urteils, nach dessen Verkündigung Pel ausrief: »Ich empfange mit Resignation das Urteil, das sie mir auferlegen. Aber wissen Sie meine Herren, daß Sie einen Unschuldigen verdammen.«
Was aber den Fall Landru von den seiner Vorgänger unterscheidet, ist das mysteriöse Dunkel, in das dieser Prozeß bis zum Schluß – trotz aller Hypothesen und Sachverständigen-Gutachten gehüllt blieb. –
Landru war ein Gauner, das ist zweifellos, ein Mann, der sich seine Gesetze nach eigenem Gutdünken aufstellt, für den die bestehenden nur lästige Behinderung seines Gewerbes waren. Dabei war aber diese zweifelhafte Existenz jedenfalls eine in gewissem Sinne faszinierende Persönlichkeit – »ein lebendes Rätsel« nach dem Untersuchungsrichter – ein »blutgieriger Mörder« nach dem Ankläger – »ein Opfer seines Schweigens« nach dem Verteidiger. Vor allem aber ein »faszinierender Charmeur«, wie einer der Psychiater sagte. –
Landru war ein Betrüger, das ist sicher – »ein Mann mit hundert Berufen, deren er manche gar nicht eingestehen konnte«, wie der Verteidiger sagte, – War er jedoch ein Mörder?
Liest man das Material seines Prozesses, so schwankt man ununterbrochen von der Überzeugung seiner Schuld zum Zweifel, ob er nicht doch unschuldig war. Hundert Wahrscheinlichkeiten sprechen gegen ihn, Zufälle, Gutachten – aber keine Leiche, kein Menschenblut wurde gefunden. Die Sachverständigen – sie können sich geirrt haben. Und wie, wenn Landru – wie der Verteidiger zum Schluß andeutete – nur geschwiegen hat, um seine »Opfer« nicht bloßzustellen, denen er durch seine Vermittlung Unterkunft in »galanten Häusern« des Auslandes verschafft habe? –
»Sie geben zu, daß ich normal bin« – ruft Landru den Psychiatern zu – »damit beweisen Sie meine Unschuld! Denn nur ein Wahnsinniger kann die ungeheuerlichen Verbrechen begehen, deren Sie mich beschuldigen!«
Und vor seinem Tode schreibt er an den Staatsanwalt: »Ich sterbe mit ruhiger und schuldloser Seele. Ihnen wünsche ich, daß Ihre Seele eben so ruhig bleiben möge.«
Und sein kaltblütiger Hohn in den Antworten auf die Anklage – zuerst unwillkürlich als Zeichen für seine Schuld empfunden, da man von einem Unschuldigen gerechte Empörung erwarten würde – können sie nicht die gereizte Verzweiflung eines Mannes sein, der entschlossen ist, selbst den Tod auf sich zu nehmen, um die gesuchten Frauen nicht öffentlich bloßzustellen. – »Ein Mann wie ich bettelt nicht um Milde und Gnade«, erwidert er dem Verteidiger vor der Verurteilung. –
Hat er gemordet? Wenn ja – warum hat er es getan. Aus Sadismus? Dem widerspricht sein Wesen. –
Eine frühere Untersuchung kam zum Resultat: Landru ist ein degenerierter Mensch, der seit mehreren Jahren infolge langandauernder seelischer Qual sich in einem krankhaften Geisteszustand befindet, der, ohne Wahnsinn zu sein, trotzdem keineswegs normal ist.
Was war mit ihm geschehen? Warum kam dieser Mann, der bis zu seinem dreißigsten Lebensjahre unbescholten und friedlich lebte, auf die Bahn des Verbrechens?
Hat vielleicht der Blutrausch, der die Welt erfüllte – die ihm vorgeworfenen Verbrechen begannen zugleich mit dem Krieg und endigten mit diesem – in irgendwie unerklärlicher Weise das Hirn dieses seelisch defekten Geschöpfes ergriffen, ihn umgekrempelt, zum Fanatismus des Tötens gebracht? –
Warum sprach er zu Fernande Segret, seiner letzten Braut, die seltsamen Worte: Der Krieg endigt zu früh für mich! –
Das sind alles Hypothesen – alles Fragen, die niemals beantwortet werden können. – Er wurde hingerichtet.
Aber selbst angenommen, er hat tatsächlich gemordet, nur um seine Opfer zu berauben – man tötet nicht um solcher Armseligkeiten willen, meint er einmal – dies also angenommen, hatte man selbst dann das Recht, ihn zu töten?!
Diese unnatürlichen Defekte des menschlichen Empfindens, bleiben sie nicht immer etwas von der Natur Verliehenes – finstere Kräfte, die in Unglücklichen schlummern und deren Auslösung, die diese zu Verbrechern macht, von Anfang an unaufhaltbar vorbestimmt ist? Wer kann es wissen. – – –
Solange es Menschen gibt, die nicht das natürliche und nicht zu überwindende Empfinden für Gut und Böse in sich tragen, solange muß es menschliche »Gerichte« geben.
Aber jeder »Verbrecher« – und um so mehr, je schrecklicher seine Verbrechen sind – – bleibt ein Nicht-Normaler, ein Geschöpf mit einem seelischen Defekt. Die Gesellschaft wird immer das Recht, ja die Pflicht haben, solche Individuen unschädlich zu machen, indem man sie abschließt von der Gemeinschaft ihrer Mitmenschen. Aber nicht um zu strafen – um zu verhindern, daß diese Unglücklichen ihrer Veranlagung nachgeben. Niemals jedoch hat der Mensch das Recht, zu töten, um zu »strafen«. –
Daß wir uns dieses »Recht« noch immer anmaßen, ist ein Überbleibsel aus dem Mittelalter der Folterung und der Hexenverbrennung – – unrecht an und für sich, dreifach verwerflich aber, wenn der schreckliche Spruch: »Des Todes schuldig« das Ergebnis eines Irrtums des »Gerichtes« sein kann. Und diese Möglichkeit wird immer bestehen, solange Allwissenheit nicht den Menschen eigen geworden ist. –
Erst wenn wir so weit sind, »verhindern« und nicht mehr »strafen« zu wollen, erst wenn wir begreifen werden, daß die Mordtat eines Unglücklichen, und sei er noch so bestialisch, niemals mit einem wohl vorbereiteten und kalt durchgeführten Mord vergolten werden darf – erst dann wird es uns gestattet sein, von der Möglichkeit und Berechtigung einer menschlichen Gerechtigkeit zu sprechen.