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(30. November.) Der Tag des Abschlusses dieses Prozesses ist gekommen.
Im Gerichtssaal bietet sich ein ganz unglaubliches Schauspiel – eine Bewegung, eine Aufregung des Publikums, wie sie noch selten gesehen wurde. Es kommt zeitweise außer Rand und Band, soweit, daß der Staatsanwalt, blaß, außer sich, voll Empörung in den Saal ruft:
»Bagage! – Was sind Sie denn? – Wo kommen Sie her? – Feiglinge! – Gemeine Leute, die vergessen, daß hier ein Mensch zum Tode verurteilt wird!« – –
Als sich in Paris die Nachricht verbreitet hatte, daß an diesem Abend das Urteil bestimmt gefällt werde, fand ab 11 Uhr ein wahnsinniger Andrang gegen Versailles statt. Alle Züge waren überfüllt.
Der Ordnungsdienst war vermehrt worden.
An diesem Tag sah man das eleganteste Publikum des Prozesses, nichts als Zobel, Maulwurfsmäntel, Perlenkolliers. –
Nach Eröffnung der Sitzung hatte zunächst der Verteidiger das Wort erhalten, um seine Rede fortsetzen zu können.
Er kommt nochmals auf die juridischen Mängel der Anklage zurück.
Man kann – sagt das Gesetz – einen Mord nur dann als Tatsache betrachten, wenn die Leiche des Ermordeten vorliegt. Aber wo ist sie, diese Leiche, oder vielmehr, wo sind sie, da man Landru so vieler Morde beschuldigt?
Dann spricht der Verteidiger gegen die »dogmatische Sicherheit«, die ärgste »Feindin des menschlichen Verstandes«. Das ist diejenige der Experten.
Moro-Giafferi bringt einige Anekdoten und erinnert an die Expertise, die einstmals beim Fund eines kleinen Skeletts am Meeresufer auf den Mord eines zweieinhalbjährigen Mädchens schloß. Einige Tage später wurde die Polizei von ihrem Irrtum überzeugt, nachdem der Maler Aimé Morot ihr von dem Tode – seines kleinen Affen Mitteilung machte!
Auf diesem Umweg kommt der Verteidiger auf die Prüfung der Asche von Gambais zu sprechen.
Man hat versucht, aus der Gattung dieser Asche einen Beweis zu ziehen und der Experte hat nicht den naheliegenden Gedanken gehabt, auch die Asche, die nach Verbrennung der unter dem Verdecke befindlichen Blätter und Zweige entstanden wäre, zu analysieren.
Aber die Zeugenaussagen?
Mich bekümmert nicht Mangel an Aufrichtigkeit bei den Zeugen, sondern ihre übertriebene Überzeugung. – –
In Gambais findet man Tierknochen und andere, von denen man behaupten will, es seien menschliche Knochen.
Da sind ihre Leichen, sagt die Anklage.
Moro-Giafferi kommt nicht zu denselben Schlüssen wie die Sachverständigen.
Werden Sie noch immer mit dem Staatsanwalt glauben, daß es unmöglich war, in die Villa zu gelangen?
Man kann nur solche Dinge einem Menschen vorhalten, die man tatsächlich konstatiert hat. Man kann nur dann einen Mann gerecht beurteilen, wenn man sich bemüht zu vergessen, wer er ist!
Die Vergangenheit von Landru beweist nicht, daß er Mörder in Vernouillet und in Gambais gewesen ist.
Es handelt sich um die ganze menschliche Freiheit. Sie können ihn nur verurteilen auf Grund des Beweisverfahrens. Und dieses Verfahren, die Ehrung des Gesetzes zwingt sie, es zu unterlassen. –
Die Villa Landru ist 250 Meter von einer makabren Ablagerungsstelle am Ende des Friedhofes entfernt. Ich scheue zu sehr die theatralische Aufmachung, um Ihnen hier die zwei Bein-Knochen, die mein Kollege dort gefunden hat, zu zeigen. (Erregung.) – –
Die Sitzung wird unterbrochen.
Nach Wiederaufnahme kommt der Verteidiger auf die Zeugenaussagen zu sprechen.
Meine Herren, Sie kennen die rätselhafte Psychologie von Landru. Sie ist verzwickt. Landru ist ein vorsichtiger, nachdenklicher Mann.
Er ist vielleicht verrückt, aber jedenfalls intelligent. Also! Wenn dieser Mann den hellen Tag ausgewählt haben soll, um zum Beispiel mitten in seinem Garten eine in einem Koffer befindliche Leiche zu verbrennen – dann mache ich meine Mappe zu und sage Ihnen: Tun Sie Ihre Pflicht!
Ein Zeuge hat bei den Fenstern der Villa am 18. Januar Licht gesehen bei »stockfinsterer Nacht«. Man findet aber in den astronomischen und meteorologischen Berichten, daß die Nacht des 18. Januar prachtvoll klar war.
Nicht ein Beweis, nicht ein juridisches Argument, welches Ihnen erlauben würde, von der Annahme zur Sicherheit überzugehen. Es gibt nichts! . . . nichts! . . .
Endlich spricht man von dem Notizbuch Landrus.
Das Notizbuch enthält nicht nur keine Beweise der Schuld, es enthält bis zu einem gewissen Grade den Beweis einer relativen Schuldlosigkeit.
Die Prüfung dieses Buches, selbstverständlich nach einer derjenigen von Riboulet entgegengesetzten Methode würde beweisen, daß Landru nie länger als 24 Stunden in Gambais weilte. Deshalb nimmt er also immer für sich eine Tour- und Retour-Fahrkarte.
Nun kommt der Verteidiger auf Einzelheiten zu sprechen und gelangt so zu – wenigstens für die Anklage – unerwarteten Folgerungen.
Die verschiedenen Daten, welche als diejenigen der Verbrechen angesehen werden, – können sie nicht andere Geschäfte betreffen, nachdem bekanntlich Landru hunderte von Berufen hatte, von denen er einige nicht eingestehen konnte. An einem bestimmten Tag findet man in dem Notizbuch das Wort »Colis« (Gepäckstück). Dieses Wort hat in dem Dialekt der niedrigsten Händler einen gemeinen Sinn. Der Verteidiger behauptet, daß zu diesem Datum Landru eine der vermeintlich Verschollenen als »Gepäckstück« abgesandt habe.
Landru hat nicht getötet. Seine Psychologie ist nicht die eines Mörders. Er hat nicht getötet und er hat nicht verbrannt!
Moro-Giafferi appelliert an die Aussage Riboulets, der nichts Anormales in der Kohlenversorgung der Villa in Gambais sehen konnte.
Lassen Sie mich Ihnen eine Frage stellen. So wenig Sie auch an Kriminalfälle gewöhnt sind, kennen Sie nicht diesen Typus des Angeklagten, der Personaldokumente gesammelt hat? Ich kenne ihn. Was bedeutet diese Sammlung von Personaldokumenten? Es bedeutet, daß er sie behielt, weil er sie für ich weiß nicht welches Handwerk brauchte, oder versprochen hatte, sie zurückzugeben, und es ist nichts da, um dieser Vermutung zu widersprechen.
Ich werde leise sprechen, um eine notwendige Derbheit zu sagen: Die Personaldokumente sind die Mittel der »Fleischhändler«. Ich bin sicher, daß in diesem Moment Landru mich vom ganzen Herzen haßt. – –
Es gibt Sachen, die Sie nicht wissen können und die Sie wohl kennen müssen. Wissen Sie, daß in dem weiten Amerika, von dem in dem Notizbuch so oft die Rede ist, die Altersfrage in solchen Fällen vielleicht nicht von derselben Wichtigkeit ist wie in Europa? . . .
Prostituierte? Vielleicht in öffentlichen Häusern, fern von hier – ist das nicht vielleicht das Schicksal der »Bräute«?
M. Lagasse: »Das ist schauderhaft.«
Der Verteidiger: Habe ich diese Menge gerufen? Geschlossene Türen wären mir angenehmer gewesen. Alle Verschwundenen hatten mit ihren Familien gebrochen, alle wollen wegfahren, alle träumen von langen Reisen.
Das Gesetz über den Frauenhandel ist dazu da, diese Art von unglücklich Verlassenen zu schützen. Sie lassen ihre Papiere, weil man ihnen eingeredet hat, daß sie ihren Namen ändern müssen.
Wenn das, was ich befürchte, wahr ist, werden wir, wenn man auf die Spur dieser Frauen kommt, erfahren, warum sie heute schweigen? Es gibt deren drei, wahrscheinlich vier, von denen die Namen im Notizbuch erscheinen, die man aber nicht identifizieren kann. Wenn sie die Absenderinnen der »Gepäckstücke« sein sollten, am Tag, welchen Sie für den des Mordes halten, und wenn diese Stunden, 4 Uhr zum Beispiel, Rendez-vous-Stunden wären, was ist dann mit Landru! Alles ist Rätsel im Leben dieses unglücklichen Gauners, von dem das Glück sich abwendet.
Geben Sie acht vor dem nicht Widergutzumachenden! Ich weiß nicht, welch' Angstgefühl in Ihnen sein kann. Als ich vorhin versuchte, den unbequemen Gast, den man verjagt und der immer wiederkommt, fernzuhalten, glauben Sie mir, ich habe es auch zur Beruhigung meiner Seele getan.
Wie widerstandsfähig Ihre Kraft sein müßte, wenn Sie morgen den Geist Landrus abzuwehren hätten, der Ihnen sagen würde: »Ich habe nicht getötet!« Bedenken Sie, meine Herren, daß man am Rande Ihres Urteils diese furchtbaren Worte schreiben könnte: »Sie haben den Tod gegeben und hatten sich geirrt«.
Der Vorsitzende: »Landru, haben Sie etwas zu sagen?«
Landru erhebt sich, blaß:
Ich habe eine Erklärung abzugeben. Gestern beschuldigte man mich aller Verbrechen und aller Fehler, aber der Herr Staatsanwalt hat mir doch eine Tugend zuerkannt, die des Vaters und Gatten. Auf den Kopf der Meinigen schwöre ich, daß ich niemanden getötet habe.
Landru hat diese Worte mit bewegter Stimme ausgesprochen.
Dann werden die achtundvierzig Fragen, die dem Geschworenengericht vorgelegt werden, verlesen. Diese Fragen können folgendermaßen zusammengefaßt werden: Für die verschwundenen Frauen und den verschwundenen André Cuchet: Ist Landru schuldig, ihnen mit Vorbedacht den Tod gegeben zu haben? Hat ferner ein Diebstahl stattgefunden?
Alle anderen Fragen betreffen Fälschungen und Benützung der Fälschungen. Auf diese letzteren Fragen bittet de Moro-Giafferi die Geschworenen, um dem nicht wieder Gutzumachenden auszuweichen, mit »Ja« zu antworten, weil dies ein Urteil von 20 Jahren Zwangsarbeit bedingen würde, was für den 52-jährigen Angeklagten eine lebenslängliche Strafe bedeuten würde.–-
Die Geschworenen kehren in den Saal zurück. Sie haben entschieden:
Für Frau Cuchet: Für Mord, Vorsatz, Absicht und Ausführung des Diebstahls, lautet die Antwort »Ja«. Für André Cuchet, für die Frauen Laborde, Guillin, Héon, Collomb, ebenfalls »Ja« auf die vier Fragen. Für Frl. Babelay »Ja« für den Mord, »Nein« für die Absicht und Ausführung des Diebstahls. Für die Frauen Buisson, Jaume und Frl. Marchadier »Ja« auf die vier Fragen.
Man bejaht daher alle Fragen, außer den Fragen 27 und 28.
Der Verteidiger tritt in Verbindung mit den Volksrichtern, und nachdem ihnen ihre Stellung unbekannt ist, bestätigt ihnen der Staatsanwalt Godefroy ihr Recht, miteinander zu sprechen. Sie sind eigentümlich blaß. Nachher, während das Gericht berät, haben sie einstimmig ein Begnadigungsgesuch unterschrieben.
Frau Fauchet und Frau Friedmann, die Zivilparteien, durch Surcouf und Lagasse vertreten, haben mit den zwölf Geschworenen das Begnadigungsgesuch unterschrieben.
Um 21 Uhr 25 tritt das Gericht wieder zusammen.
Nach der Verlesung der Antwort der Geschworenen wird der Saal ganz still. Es ist 21 Uhr 28.
Es wird angeordnet, den Angeklagten hereinzuführen. Die kleine Tür öffnet sich. De Moro-Giafferi erhebt sich, um Landru entgegenzukommen, der sofort seinen Platz einnimmt. Stehend, den Kopf gerade dem Gerichtsschreiber zugewendet, rührt sich der Angeklagte nicht. Während der ganzen Verlesung, die Hände auf der Rampe haltend, bewahrt er seine kolossale Kaltblütigkeit.
Der Vorsitzende sagt: »Das Wort gehört dem Verteidiger.«
De Moro-Giafferi überläßt es der Zivilpartei, Herrn Lagasse, welcher die Rückerstattung der Gegenstände und 1 Franc Schadenersatz verlangt.
Die Reihe ist an dem Angeklagten.
»Haben Sie nichts zu erklären?« fragt der Vorsitzende.
»Nichts, Herr Präsident.«
Nach Verlesung der Paragraphen des Strafgesetzes wird das Todesurteil gefällt. Landru erhebt sich und ohne Zittern in der Stimme ruft er einfach aus:
»Ich habe nur eines zu sagen: Das Gericht hat sich geirrt. Ich habe nie jemanden getötet.«
Im Moment, wo das Gericht sich zur Beratung versammeln wollte, versuchte der Mitarbeiter von de Moro-Giafferi, de Navière du Treuil, Landru zu bewegen, ein Begnadigungsgesuch zu unterschreiben. Mit einer eisigen Stärke antwortete der Mann von Gambais:
»Nie verlangt ein Mann wie ich Gnade oder Mitleid.«
Der Prozeß Landru ist zu Ende.