Felicitas Rose
Kerlchen als Sorgen- und Sektbrecher
Felicitas Rose

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»Prost, Tante Laura!«

»Was machst du für 'n feierliches Gesicht, Deern?«

»O Tanting, du sagst so oft, es fehle mir am nötigen Ernst, nun siehst du, bei »Moët Chaudon Epernay Sillery« bringe ich diesen Ernst immer mit und werde ihn bis zum Schlusse der Sitzung bewahren.«

»Sitzung! Wie das klingt. Kerlchen! Wir werden uns doch nicht beim Champagner festsetzen, zwei einzelne Damen!«

»Gerade weil wir einzeln sind, brauchen wir rechten Halt. Lehn' dich nur fest in den roten Sessel, Tantchen, es wird nötig.«

»Kerlchen, hast du was 'neingetan in den Sekt, daß du besorgt bist?«

»O das braucht man nicht, der wirkt von alleine.«

»Trinkt man das Glas immer gleich leer, Kerlchen? Mich dünkt, du bist bewanderter drin, als ich, und mußt es wissen.«

»Das halte, wie du willst! Ich selbst tue es nicht, weil man zu rasch knüll wird und dummes Zeug redet.«

»Nun, das tust du auch so, und bei mir wirst du es nicht erleben, naseweise Deern, davor schützt mich mein Alter.«

»O Tantchen, behaupte das nicht zu schroff! Aber du hast mich gefragt, und ich erlaube dir auszutrinken, wenigstens beim Kaisertoast.«

»Kerlchen, warum willst du die Sache so feierlich machen, das greift an.«

»Weil wir nicht alle Tage so 'n Stöffchen haben, also wer soll die Kaiserrede halten? Du bist die Ältere, Tantchen.«

»Das weiß ich, Gelbschnabel, aber ich bin das Redenhalten nicht gewohnt – – warum lachst du dumme Deern?«

»Ohhh! Ich lache ja gar nicht.«

»Ich überlasse also dir – –«

»Das Präsidium? Bon! Na, denn steh' mal auf, nimm die Hacken zusammen und leg' die Finger an die Hosennaht.«

»Kerlchen!«

»Doch, doch, da hilft nichts! Also: »Seine Majestät unser allergnädigster Kaiser und Herr, er lebe! Hurra! Nun trink' aus, Tantchen, und nun singen wir: »Heil dir im Siegerkranz!«

»Kerlchen, es geht mir durch und durch. Du bist 'ne Mordsdeern und hast den Teufel im Leib.«

»I wo doch, das denkst du bloß! Übrigens klang das Lied nicht übel, du hast ja einen famosen Baß.«

»Na, wenn das 'ne Schmeichelei sein soll – –«

Trink', Tantchen! Und nun steigt das zweite Allgemeine: »Sind wir vereint zur guten Stunde.« – Bravo! Ein Schmollis den Sängern! Tante Laura, nun mußt du »Fiducit« schmettern.«

»O Kerlchen!«

»Los!«

»Na denn – Fiducit!«

»Schön!«

In diesem Augenblicke öffnete ol Marie die Tür und meldete: »Frau Kriegsrat Karg.«

Kerlchen machte ein unwilliges Gesicht, und über das Antlitz von Tante Laura schlug eine helle Röte.

»Kerlchen, was machen wir nur? Was wird sie sagen?«

»Nanu? Tante Laura, du wirst doch kein Bangbux sein? Du wirst doch noch in deinem eigenen Hause Sekt picheln können?«

»Soll ich 'rein, oder soll ich nicht 'rein?« fragte draußen Frau Kriegsrat pikiert, und gleich darauf kläglich: »Ach die Sorgen, die Sorgen!«

Ol Marie gab ihr einen gelinden Stoß nach vorne, und Kerlchen winkte ihr mit einem Gesicht, dessen Ausdruck in biederes Deutsch übersetzt ungefähr sagte: »Machen Sie gefälligst die Tür von außen zu.«

Die Sorgenrätin blieb mit offenem Munde vor den beiden Zecherinnen stehen.

»Wwwas machen Sie denn da, meine beste Hartwig?« fragte sie verblüfft.

Tante Laura war sehr verlegen.

»Ohhh – nichts weiter. Ich habe eine Wette an dieses kleine Mädchen verloren, und die bringen wir jetzt ins Reine.«

»Wetten ist gottlos,« bemerkte die Kriegsrätin streng.

»Ja, und deshalb schaffen wir's fort,« fiel Kerlchen rasch ein. »Trinken Sie mit, gnädige Frau? Wir haben pro Nase eine Flasche.«

Die Kriegsrätin schüttelte den Kopf und machte ihr übliches Sorgengesicht. Sie liebte die Fröhlichkeit im allgemeinen und im besonderen nicht, denn da sie selbst zu jeder Zeit mit irgend einer selbstgeschaffenen Sorge behaftet war, sah sie auch andere lieber mit Falten auf der Stirn und mit trostbedürftigen Sorgenherzen. Auch tröstete sie gern, und wie Kerlchen behauptete, war sie im Grunde eine edle Seele, aber nur »im Grunde«, »ausgeschlachtet« und »gänzlich netto«.

»Sekt macht quietschvergnügt,« lachte Kerlchen.

»Das sehe ich,« bemerkte die Kriegsrätin trocken. »Liebe Hartwig, ich finde, Sie haben bereits heiße Wangen und blanke Augen.«

»Wie auf der Knopfgabel geputzt,« fiel Kerlchen ein, »und wir sind erst bei der ersten Flasche.«

»Was, Sie wollen noch mehr trinken,« fragte Frau Karg entsetzt.

»Aber nur mit Ihrem Beistand, liebste Karg,« rief Tante Laura eifrig und verlegen, »hier setzen Sie sich an den Hauptplatz.«

»Ich trete das Präsidium ab und übergebe es hiermit Frau Kriegsrätin Karg.«

Kerlchen machte sein feierlichstes Gesicht.

»Ach, reden Sie doch keinen Unsinn, Fräulein Felicitas.«

Aber es klang nicht sehr böse, und die Sorgenrätin setzte sich, wenn auch halb widerwillig. Kerlchen hatte ihr einfach den Stuhl untergeschoben.

»So 'n Zeugs hab' ich auch noch in meinem Keller,« meinte die Kriegsrätin, »ich rühr's aber nicht an, der Staub liegt dick auf den Flaschen. Mein seliger August trank gern einen guten Tropfen, aber ich hatte immer so 'ne Sorge, es könnte knallen – – –«

»Und da haben Sie nie Champagner getrunken?«

»Ach Gott, nein, bei uns zu Hause nie. Mein Seliger war so rührend, wenn er sich 'ne Flasche 'raufholte, erinnerte er mich immer beizeiten dran, daß es schrecklich knallen würde, dann brachte ich mich in Sicherheit.«

»Wirklich sehr rührend,« sagte Kerlchen, und machte eine kleine Faust in Gedanken an den seligen Egoisten.

»Na, aber bei uns knallt es nicht,« bemerkte Tante Laura, »kommen Sie her, liebe Karg, auf Ihr Wohl!«

»Es prickelt,« sagte diese ängstlich.

»Das gibt sich.«

Die Kriegsrätin trank. Und dafür, daß sie Neuling in der Sache war, zeigte sie sich recht anstellig. Kerlchen schenkte ein und öffnete die zweite Flasche so kunstgerecht, ohne Knall und Stoffvergeudung, daß die alten Damen entzückt waren.

»Sie müssen gleich morgen zu mir kommen, liebes Fräulein, und nach meinen Flaschen sehen.«

»Bloß sehen?«

»Hihihi, ach nein, ich meine auch so ohne Knall aufmachen, und trinken, o wie würde sich der selige Karg freuen, wenn er wüßte, daß ich meine Abneigung nach und nach überwinde.«

Kerlchen zweifelte zwar an der Freude des Seligen, aber nicht an der Überwindung. Diese erfolgte wirklich »nach und nach«.

Die Kriegsrätin trank und wurde ungeheuer fidel.

»Stecken Sie mal die Zunge ins Sektglas,« rief das übermütige Kerlchen, und die Rätin befolgte den Rat, und stieß kleine entzückte Schreie aus.

»Jetzt steigt das dritte Allgemeine,« ermunterte Kerlchen, »gnädige Frau, Sie vergessen Ihr Präsidium!«

»Wwwas soll ich tun?« griente die Kriegsrätin.

»Singen, singen, ein Lied anstimmen, z. B.

»Mien Vadder is im Zuchthaus
Mien Mudder hat stohlen
Mien Bruder is a da
Un mi werd'ns bald holen.
Zum Holla de ria, holla de ra haha.«

»Du bist ja aus 'ner noblen Familie, Kerlchen,« tadelte Tante Laura, »ich würde das nicht so in alle Winde schreien.« »Hier sind ja keine Winde, nur Wände,« kalauerte Kerlchen, und zeigte dann auf die Frau Kriegsrätin, welche sich erhoben hatte und auf ihren kurzen Beinchen ziemlich unsicher balancierte. Ihr Sektglas hielt sie in hoch erhobener Hand und schaute es selig an, während sie den Oberkörper hin und her wiegte.

Endlich setzte sie mit krähender Stimme ein:

»Vörn Deubel bün ik ni bang,
Un ok ni vörn Prozeß,
Vör Arbeit dohn un Bottermelksupp
Jo, davör bün ik bang.

Bün ik ok!«

»Bün ik ok!!!« schmetterten Tante Laura und Kerlchen hinterdrein, stießen mit den Gläsern zusammen und tranken bis auf die Nagelprobe.

»Kargen, was haben Sie für dolle Lieder,« meinte Tante Laura, »die hätt'« ich Ihnen gar nicht zugetraut.«

»Ich weiß auch nicht, wie es mir so plötzlich ins Gedächtnis kommt. – – –«

»Das macht der Sssssekt, der macht so heiter,
Das Zeug das schmeckt, man pichelt weiter«,

lachte Kerlchen, und die Kriegsrätin ließ sich wieder einschenken.

»Es mag sein, daß dieser wwwwunderschöne Trank mmit dran schuld, daß mmir pppplötzlich diese Lllllieder in den Sinn kommen,« sprach sie dann sinnend, »denn ich war sonst immer ernst vvvveranlagt, – jawohl ich –wa–ar ernst! schrie sie Kerlchen an, trotzdem dieses gar nicht widersprochen hätte.

Dann trank sie wieder und fing an zu weinen.

»Wenn ich an meine Jugend denke – –«

»Denken Sie nicht dran, es ist ja schon so lange her,« tröstete Kerlchen.

»Aber ich will dran denken,« fuhr die Kriegsrätin sie an, und weinte stärker, »ohhhh, es war eine erhebende Zeit! Ich war so ein schönes Mädchen – –«

Kerlchen schreckte zusammen bei dieser kühnen Behauptung, und auch Tante Laura blickte aus schwimmenden Äuglein ungläubig auf die Erzählerin.

»Bei allen Aufführungen und Festspielen mußte ich die erste Rolle spielen, – ich konnte es, denn ich hatte das größte Talent zur Deklamation. – Frau Kriegsrat stieg trotz ihrer Fülle und der kurzen Beinchen umständlich auf einen Stuhl und balancierte gefahrdrohend, während sie heftige Bewegungen mit den Armen machte.

»Festgemauert in der Erden
Steht die Form – – –

Jedenfalls war ihre Deklamation nicht wörtlich zu nehmen, denn die Kriegsrätin purzelte sehr unsanft von ihrer Erhöhung und setzte sich so ungraziös wie möglich auf die Erde.

– aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden!

»O Himmel, Tantchen, sie ist totalitter dun,« rief Kerlchen erschrocken, »wir müssen sie ins Bett bringen.«

Tante Laura weinte. Sie weinte über die ungewöhnliche Verfassung, in welcher die ehrwürdige Kriegsrätin sich befand und gleichzeitig über das Unbehagen, das sie selbst empfand.

Frisch, Gesellen, seid zur Hand!

ermunterte die Rätin mit erhobener Stimme, und Kerlchen und Tante Laura faßten die vergnügt Lächelnde unter die Arme, um sie in sichern Gewahrsam zu bringen. Das war aber gar nicht so leicht, und das Donnerwort der Kriegsrätin:

Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß«

erschien sehr angebracht.

Ein erschwerender Umstand war auch der, daß die Dame Kerlchen immer an sich drücken wollte –

»Soll das Werk den Meister loben?«

jammerte sie mit einem unberechtigten Fragezeichen.

Endlich, endlich lag sie in dem freundlichen Gastzimmer, und einige Ahnen derer von Hartwig schauten streng und mißbilligend auf das Opfer eines ungewohnten Genusses.

Kerlchen wollte aus der Waschkanne etwas Wasser in seine hohle Hand gießen, um der Kriegsrätin die heiße Stirn liebevoll zu kühlen, kippte aber aus Versehen beinahe den ganzen Inhalt des Gefäßes über die Liegende, und mit den etwas erschreckt hervorgestoßenen Schlußworten:

»Doch der Segen kommt von oben«

legte sich Frau Kriegsrat Karg zurecht und schlief ein.

Stumm standen sich die andern beiden gegenüber.

»O Kerlchen,« stöhnte Fräulein von Hartwig, ich bleibe hier und lege mich in das andere Fremdenbett.

»Aber Tanting,« rief Kerlchen vorwurfsvoll: »es ist noch 'was drin in der Flasche.«

Statt aller Antwort warf sich Tante Laura mit großem Krach auf das Gastbett, was die Kriegsrätin aus ihrem Halbschlummer weckte und zu dem Ausspruch veranlaßte: »Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.«

*


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