Felicitas Rose
Kerlchen als Sorgen- und Sektbrecher
Felicitas Rose

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Kerlchen faltete den Brief nachdenklich und langsam zusammen.

»Nun, das muß ich sagen, – ein vertrauenerweckendes Angebot!« meinte der Gutsherr spöttisch, »ich hoffe, du schlägst dir diese merkwürdige Sache aus dem Kopf, – Himmelmohrenelement, ich leid's einfach nicht, daß du herumgestoßen wirst – – bleib' bei uns, liebes, liebes Kerlchen!«

»Wie du mich quälst!« Ganz tief betrübt sah Kerlchen aus. – »Und ich habe doch niemanden als dich, der mir hilft, wenn sie nachher alle auf mich losfahren.«

»Ja, das werden sie,« murmelte Onkel Waldemar, »und ich hab' versprochen, dich zu schützen. Laß sie nur kommen, laß sie man!« So kam es, daß zur Mittagstafel Onkel und Nichte als rochers de bronze dasaßen, an denen die hochgehenden Wogen der Entrüstung ohnmächtig zurückprallten. Erich besonders war untröstlich, und saß mit finster gefalteten Brauen seiner Suppe gegenüber, jeder Bissen war ihm vergällt.

Kerlchen hielt seine Hand und streichelte sie.

»Ich werde wieder zu tun haben!« frohlockte es.

»O Erich, ich bin ja so glücklich!«

»Kerlchen, denk' an Käfermanns!«

»Das war ganz was anderes, – –«

»Kerlchen, was bin ich für ein unnützer Mensch – – daß ich dich nicht schützen, nicht zu mir holen kann. –

»Iß, Erich! Hunger macht beschränkt. Du redest ja blühenden Unsinn!«

»Kerlchen hat recht,« fiel der Gutsherr ein, » daran liegt's doch wahrhaftig nicht. Als ob wir nicht alle, wie wir hier gewachsen sind, das Kerlchen zu uns nähmen mit Freuden, aber es ist ein Dickkopf. Ich hab's aufgegeben, mit ihm zu streiten.«

»Es muß abgestimmt werden,« schlug Bümi vor. »Die Majorität gibt den Ausschlag.«

»Onkel Waldemar ist schon allein Autorität, und der ist auf meiner Seite,« beharrte Kerlchen.

»I wo wird das Jüngschen Autorität sein?« fragte Luttewete entrüstet. »Wenn wir auch aus dem Hause sind, so haben wir Sitz und Stimme im hohen Rate doch nicht aufgegeben. Also Jüngschen, du darfst anfangen!«

»Ich bin auf Kerlchens Seite, – was es vorschlägt, hat meine Billigung,« rief laut und energisch der Gutsherr, und schaute triumphierend auf die verblüfften Gesichter der Walküren.

»Es ist die Möglichkeit! Jüngschen als Renegat! Wir werden ihn enterben müssen! Nun, mien Olsch, kommst du! Rede und fürchte dich nicht!«

Tante Hedwig holte tief Atem, sie hatte augenscheinlich eine längere Reichstagsrede auf der Leber, wurde aber von den Walküren niedergeschrien.

»Kurz fassen, mien söte Olsch, sonst muß dir das Wort entzogen werden. Quasseln ist nur im Reichstage erlaubt.«

»Also, ich möchte das Kerlchen für mein Leben gern hier behalten, aber – wenn es die Stelle annehmen will, so wird es sich das gut überlegt haben –«

»Weh uns!« Munke erhob sich pathetisch. »Unsere Öllern sind aufsässig geworden! Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit!«

»Nun kommst du, Tante Paula! Hilf uns!«

Frau Oberst Schliedens zartes Gesicht überflog eine leichte Röte, und ihre Stimme bebte leicht, als sie sagte:

»Meine Felicitas hat recht, grad' so würde ihr Vater gehandelt haben. Fee ist stärker und tapferer als ihre Mutter, – ich hätte es nicht gekonnt.«

»So? Wer ist denn nun tapfer, Schwägerin?« fragte Onkel Waldemar. »Ich weiß, wie blutsauer es dir wird, deines Herzens Sonnenschein schon wieder von dir zu lassen, Helden seid ihr doch alle, so im heimlichen Schmerz ertragen, ihr Frauenzimmerchen!«

Kerlchen schlang die Arme um ihre Mutter.

»O ich dank dir!« flüsterte es innig.

»Na, und wat seggen de Pasterlüd?«

Frau Emmy lehnte ihren blonden Kopf an Kerlchen. »Du Starkes!« flüsterte sie zärtlich, und der Pfarrer reichte ihm mit einem schönen, offenen Lächeln die Hand:

»Ich bin für das ›auf eigenen Füßen stehen‹,« sagte er herzlich, »und allein und verlassen sind Sie ja nirgend auf der weiten Welt.«

»Ja, un nu kamen Se mit 'n lieben Herrgott, Herr Paster, un wi möten de Segel streichen, un dohn jo dat ok,« meinte Tante Laura, »äwer mi dünkt, de leiwe Gott hett ok sien Freud', wenn dat lütt Dirning bi uns bliwwt.«

»Also es ist keine Zucht, und keine Ordnung mehr in Buchenwalde, seit wir uns verheiratet haben, – dieses erlaube ich mir festzustellen. Die Walküren haben ihr Mandat verloren.«

Munke stieß einen komisch-tiefen Seufzer aus, dem ein fingiertes Aufschluchzen der beiden Schwestern folgte. Das Lachen darüber brachte eine frohere, gleichmäßigere Stimmung in die Versammlung, besonders, als Chrisli noch planlos anfing zu rufen: »Das Kerlchen soll tun, was es will, und – bei mir bleiben!«

Am Abend desselben Tages, als alle sich schon zur Ruhe begeben hatten, saßen Erich und Kerlchen noch lange im Parke bei hellem Mondschein zusammen.

»Das du dich nicht beruhigen kannst!« seufzte Kerlchen.

»Nein, ich kann's nicht!« rief Erich schmerzlich. » Du, so geschaffen dazu, ein Haus zu durchsonnen, einen Mann glücklich zu machen, – du, so ein ganzer Kerl trotz deiner Jugend, und willst dienen, Schuhputzer sein bei ganz fremden, gleichgültigen Menschen, – nur weil ich – – ein Bettler bin.«

»Wie du übertreibst, Erich – in allem! Ich habe gar keine Stiefelputzernatur, – ich bücke mich viel zu wenig, denk' – wieviel tausend und abertausend Mädchen aus guten Familien müssen ihr Brot selbst verdienen, Mädels, die viel mehr gelernt haben als ich, die in der Großstadt lebten, alles kannten und verstanden, nicht so dumme, dumme Provinzmädels waren, wie ich eins bin.«

»Nu mein geliebtes, goldiges Provinzmädel!«

sagte Erich weich, und drückte Kerlchen an sein Herz:

»So soll ich also auch ruhig und gelassen: »Ja und Amen« sagen zu deinem neuen Ausflug ins feindliche Leben?«

»Freilich sollst du das, du lieber, dummer Erich, und sollst mir außerdem sagen, wo dein freies, frohes Lachen hingekommen ist. Ich hatte mir's ja hundertmal anders vorgestellt, wenn ich mal wieder mit dir zusammen wäre, und nun vollends hier! Wie herrlich ist's in Buchenwalde, gelt du, was hängen hier für Erinnerungen in der Luft!«

»Freilich!« lächelte Erich bitter. »Emmy ist hier verheiratet, und – wie es scheint – wolkenlos glücklich!«

»Erich!!!« Kerlchen sah angstvoll forschend in sein verdüstertes Gesicht. »Nein, nein, Erich, gelt – o – Erich, nicht wahr, du bist doch lieb und gut und groß und tapfer, du willst mir doch nicht sagen, daß du dich nicht freust, wenn unsere Emmy glücklich ist?«

»Sie hat vergessen –«

»O sicher nicht vergessen, Erich, – aber sie geht nun ganz auf in ihrer Pflicht. Deshalb müssen wir sie doppelt lieb haben, Erich, – sieh' – da versteh' ich dich nicht, – ach Erich!!!«

Kerlchens Stimme war immer ängstlicher geworden, es klammerte sich an den Bruder, als drohte ein finsteres, unverstandenes Etwas, die Geschwister zu trennen.

»Kerlchen, du bist viel, viel besser als ich,« sagte Erich leise und streichelte sacht den Kopf seines Schwesterchens. »Aber ich – sieh' Kerlchen, mit dem frühesten Morgen will ich fort, – ich hab' mich für stärker gehalten. Nicht wahr, du bist mir nicht böse?«

»Nein, nein, Erich, wie sollt' ich wohl! Und ich stehe auch ganz früh auf und bringe dich zur Bahn, – weiß es jemand im Herrenhause?«

»Von Onkel und Muttchen habe ich mich verabschiedet, den andern ist's wohl nicht so von Belang, nur – – – – Emmy hatte ich es noch gesagt.«

»Warum, Erich?«

»Nicht solche Augen, Kerlchen! – Ich wollt' mir ein liebes Abschiedswort holen, weiter nichts.«

»Gab sie dir's?«

»Sie reichte mir die Hand – was sollte sie auch sonst sagen? Aber nun zu dir, Kerlchen. Du hast mir viel, viel zu erzählen. Was ist das mit dem alten Herrn von Rumohr, den du nie erwähnt hast, was ist das mit dem Strauß von Fritz? Und heiraten soll er? Seine Cousine in Brasilien? Kerlchen –«

Aber das Mädel war schon fort. Sein weißes Kleid leuchtete noch einmal in den verschlungenen Wegen des Parkes auf – verblüfft sah Erich seinem Schwesterlein nach und ging dann langsam und kopfschüttelnd dem Herrenhause zu.

Am anderen Morgen schon vor 5 Uhr schritt das Geschwisterpaar Arm in Arm durch die taufrischen Wiesen nach dem kleinen Bahnhof.

An der Waldecke holte es Pastor Richter ein, der, einen Strauß köstlicher Rosen in der Hand, gleichfalls dem Bahnhof zustrebte.

Sein »Gutenmorgen« klang fröhlich und unbefangen.

»Mein liebes Weib sagte mir, Sie wollten mit dem Allerfrühsten schon fort, Herr Leutnant, und ich hatte mich noch gar nicht von Ihnen verabschiedet. Da ich nun Frühaufsteher bin, macht es mir nichts aus, Sie zur Bahn zu begleiten. Solch lieben Besuch haben wir nicht oft in Buchenwalde, – er soll nicht so ohne Sang und Klang fortgehen.«

Erich drückte dem Pastor stumm die Hand, es stieg ihm etwas heiß in der Kehle auf, das ihn am Sprechen hinderte.

»Emmy wäre so gern mitgekommen,« fuhr der Pastor fort, »aber sie hat eine schlechte Nacht gehabt, Kleinchen zahnt und hält die Mutter immer in Atem. Doch die Rosen schickt sie, – sie hat sie vor Tau und Tag gepflückt und sich dann wieder niedergelegt. – Und viele herzliche Grüße und Wünsche für die Reise und für die Zukunft.«

Erich Schlieden atmete tief auf.

»Ich danke Ihnen, Herr Pastor, – Ihnen und Frau Emmy, es ist so echt frauenhaft, daß sie jetzt noch für den Jugendfreund sorgt.«

»Aber auch was für ein Jugendfreund!«

Der Pastor sah voll Güte und Zutrauen in das schöne Gesicht des jungen Offiziers. »Sie sollen äußerlich auf und ab Ihrem Herrn Vater gleichen, nun, innerlich scheinen Sie ihm doch auch ganz und gar nachzueifern, – meinen Sie, meine Emmy hätte mir nicht voll Bewunderung erzählt, was für ein Ritter ohne Furcht und Tadel Sie sind? Von der Stunde an war ich Ihr Freund!«

Er streckte Erich wieder die Hand hin, und dieser schlug kräftig ein. Weiterer Worte bedurfte es nicht, Kerlchen sah ganz glücklich von einem zum andern.

Und nun lag der kleine Bahnhof vor ihnen, und der Zug ließ nicht lange auf sich warten.

»Ein Edelmensch!« sagte der Pastor warm, als das liebe, offene Gesicht des jungen Offiziers noch einmal zum Fenster hinausgrüßte, und der Zug dann im grünen Gelände verschwand.

»Das ist er,« nickte Kerlchen eifrig, »ich wollt', ich wäre wie er.«

»Nun wir sind auch so zufrieden,« meinte lächelnd der Pastor, und dann schritten beide aus und erreichten Buchenwalde gerade, als man sich zum ersten Frühstück versammelte.

»Edel finde ich es nicht, daß dein Bruder sich französisch drückt,« rief Bümi als Gutenmorgengruß Kerlchen entgegen.

»Bümi hat sich nämlich steif und fest eingebildet, tiefen Eindruck auf den schönen Leutnant gemacht zu haben,« warf Munke dazwischen, sie hat gestern immer nur: »Wi beiden Smucken« gesagt, wenn sie von ihm sprach, – gerade als kämen wir andern nicht in Betracht.«

»Und wir sind doch auch nicht von Pappe!«

Luttewete wiegte sich wohlgefällig vor dem Spiegel. »Im übrigen, Leutnants im allgemeinen und besonderen sind gottlose Ware,« fuhr sie fort. »Wir brauchen uns alle drei nicht einzubilden, in dem Stern der Herrlichkeit ein so tiefes Gefühl geweckt zu haben, daß unsere Männer ein ernstes Wort mit ihm reden müßten. Erich Schlieden ist gestern im Mondschein »zu zweien« im Park gewesen, – jawohl, schrecklich aber wahr!«

»Kerlchen, dein Edelbruder sinkt etwas.«

»O das war ich bloß,« rief Kerlchen rasch.

»Wer denn?«

»Na im Park!«

»Was sie für Augen macht! Das nenn' ich noch: »Ritter, treue Schwesternliebe widmet euch dies Herz juchhe!« Lügt diese lüttje Wahrheitsgöttin ihrem teuren Bruder zuliebe uns an. Schäm' dich, Kerlelein, wir sind ganz blau geworden.«

Kerlchen stand dicht vor Luttewete. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt, seine bekannte Kampfstellung, das Gesicht bis in die Lippen erblaßt, und die Blauaugen so zornig funkelnd, daß sie ganz dunkel erschienen.

»Das genügt!« rief Munke über den Tisch herüber. »Wir glauben dir aufs Wort, Kerlchen, und wenn du uns versicherst, dein Bruder sei ein Engel und ginge in Berlin nie abends nach sieben Uhr aus, und dann nur in Begleitung seiner Großmutter.«

»Hör' nicht auf sie, Kerlchen,« beschwichtigte der Gutsherr, – »es ist eine Rasselbande – alle drei!«

»Jüngschen, Jüngschen!« drohte Bümi. »Diese unparlamentarischen Ausdrücke – –, ich sehe doch, daß wir dich recht schlecht gezogen haben, – dich wird das Leben noch bös zurecht stutzen.«

Bei diesen übermütigen Worten sah die stattliche Bümi ihren Riesenvater so komisch strafend an, daß dieser erst eine scheinbare Armsündermiene aufsetzte, aber dann zum Schlage ausholte.

Mit großem Geschrei entwichen die Walküren, der Gutsherr hinterdrein, und fort ging's wie die wilde Jagd durch Schloß und Park, wobei sie noch die eigene Mutter überrannten.

Die Zurückbleibenden, Frau Oberst Schlieden und Kerlchen, sahen sich eine Weile etwas verblüfft an.

»Dein Väterchen pflegte immer zu sagen: »Jeder Mensch hat seine Brausejahre, bloß die Buchenwälder-Schliedens die brausen ihr ganzes Leben lang.« Aber echt sind sie, Kerlchen, durch und durch Gold.«

»Ich weiß, Mutti. Ich bin bloß so ein schreckhafter Kerl geworden, – zu dumm!«

»Und was hatten meine Kinder gestern noch so lange im Mondschein zu plaudern?«

»Nichts, was meine süße Muusch beunruhigen könnte.«

»Und Erich?«

»Ist ein Prachtmensch, Muusch, wir können stolz auf ihn sein!«

Eben trat Tante Laura ins Zimmer.

»Na, das muß ich sagen, ein kernfester Schlag, die Buchenwalder,« sagte sie bewundernd. »Da ist doch noch Schneid drin, ich sah sie vorhin alle durch den Park sausen, Müdigkeit kennen die nicht. Und wie ein Eichenbaum steht der Gutsherr unter seiner Familie, – gefällt mir sehr, dieser Hüne, und seine Walküren erst recht.«

»Aber sie haben so gar keinen Respekt vor den Eltern,« wandte Frau Oberst Schlieden zaghaft ein.

»Ach, das ist ja alles nur Wortgeplänkel, in Wahrheit hat sie der Hüne doch gründlich unter der Fuchtel.«

Frau Oberst lächelte zweifelnd.

»Aber wenn sie so losgehen – – –«

»Worte! Worte! So übermütig sie sind, – sie haben 'n kolossalen Respekt – – holla, da kommen sie ja!«

Munke, Bümi und Luttewete stürzten zur Tür herein, die sie dabei beinahe aus den Angeln hoben, und setzten sich dann wieder an den meuchlings verlassenen Frühstückstisch.

Tante Hartwig klopfte ihnen der Reihe nach die blühenden Wangen.

»Nun, ihr Wildlinge? Wo habt ihr die Eltern?«

»Eingesperrt,« lautete die fröhliche Antwort.

»In die Futterkammer! Sie mußten mal geduckt werden, sie wurden zu üppig, – die Eltern.« – – – – – – – –

*


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