Felicitas Rose
Kerlchen als Sorgen- und Sektbrecher
Felicitas Rose

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Weihnachtheiligabend.

So still wie diesmal habe ich wohl noch nie ein Weihnachtsfest verlebt, aber mir ist es gerade recht so, – ich will nicht eher wieder froh sein, bis mein Fritz bei mir ist.

Unten im großen Saal brennt der Tannenbaum, ich hab' ihn mir lange betrachtet und seinen Duft eingeatmet, dann bin ich wieder still in mein Stübchen gegangen. Sie haben mir auch aufgebaut unten sehr reich unter den übrigen Dienstboten: ein schwarzes gutes Sonntagskleid und ein derbes, graues Hauskleid, Stiefel und Schuhe, furchtbar stark riechende Seife, und dazwischen liegt ein Etui, das mir Wera und Ernst aus Italien geschickt haben, eine Brosche in feinster, venezianischer Arbeit, und einen funkelnden Diamantring, darin ihre Namen graviert sind.

»So ein Unsinn! So ein Unsinn!« sagte Fräulein von Rhoda mißbilligend, – ich aber steckte den Ring mir an, – – gutes Werchen!

»Dazu gehört Toilette!« rief Rinschi spöttisch, – ich weiß nicht, was sich Wera gedacht haben mag.«

O wie würde sie sich verwundern, wenn sie herauf in mein Zimmerchen käme.

Es ist ein wahres Glück, daß all' die Pakete zur Mittagszeit eintrafen, als die Damen im süßen Schlummer lagen, – was hat denn nur der Onkel Rumohr sich gedacht?

Als ob es eine Prinzessin auszustatten gäbe – – hat einfach nach Berlin geschrieben, – ich sehe ordentlich den Bestellbrief vor mir: »Schicken Sie nur hin, was nur irgend so ein Achtzehnjähriges erfreuen kann.«

Ohhh! Und nun kann ich mich nicht retten vor Kleidern und Spitzen und Hüten – – guter Onkel Rumohr, – steinalt muß ich werden, um das aufzutragen.

Mein Fritz schickte mir einen Ring, – kein prunkendes Geschmeide – einen schlichten Goldreif mit seinem Namen darin und dem Wappen der Schliedens und der Rumohrs, so fein gestochen, o so fein – – sie passen gar gut zusammen.

Und der Weihnachtsbrief dazu ist gar nicht mehr krakelfüßig, sondern mit der alten, kräftigen Handschrift:

»Du mein alles, muß ich Dich heut', – gerade heute allein lassen? Sie sind zu streng mit mir, die Leute, an der Spitze Dein, unser zartes Muttchen, die mich herausgepflegt hat aus Fieber und Schwäche. Der Arm ist aus dem Verband, liegt aber noch in der Schlinge. Recht mißmutig war ich in den letzten Tagen, als Du so gar keine Anstalten machtest, zu mir zu kommen, bis das Donnerwort von Dr. Gieseke eintraf: »Sie darf nicht reisen, in Schnee und Eis nach Holstein hinauf, sie ist viel zu zart dazu.«

O Du mein Herzenskerlchen, – so hast Du Dich um mich gesorgt? Sind sie denn gut mit Dir dort? Du schreibst nie ein Wort der Klage, – ach, wär' ich erst bei Dir! Wir hätten unsere Verlobung gleich veröffentlichen sollen, – wozu dieses Geheimnis? Dann hättest Du bei mir sein dürfen, aber mein trotziges Kerlelein will ja durchaus warten, bis ich selbst es holen kann. Noch sieben Tage, Kerlelein, – dann komme ich! Das neue Jahr, das nur, – will's Gott – unsäglich viel Schönes bringen soll, wollen wir gemeinsam erwarten. Onkel Wolfgang begleitet mich nach Rotbach, Dein Mütterchen will zurück nach Buchenwalde, um dort alles für Dich vorzubereiten und, wie sie neckend sagt, die Walküren Kopf stehen zu sehen bei der Nachricht unserer Verlobung.

Es wäre ja nun viel einfacher, wenn wir direkt nach Buchenwalde führen, aber Du willst ja bis zur letzten Minute Deine Pflicht in Groß-Rhoda tun, Du tapferes Mädchen, mein Mädchen!

Aber nun hab' ich auch ein Plänchen ausgedacht, Sylvester feiern wir in Rotbach. Fräulein von Rhoda wird die Honneurs machen, die Baronessen werden als Brautjungfern mein Kerlchen in mein Schloß geleiten – gelt, Liebling, das wird gar feierlich werden, und jahrelanges Leid, und der ganze Kummer der letzten Wochen versinken in nichts, wenn ich Dich in meinen Armen halte, Du mein Sonnenschein, mein alles, mein Kerlchen!«

*

Wie närrisch bin ich in der Stube herumgetanzt mit dem wonnigen Brief. Ja freilich, – alles soll so werden, wie du es willst, »du mein Sonnenschein, mein alles, mein – Fritz!«

Vorläufig habe ich die Geschenke eingepackt und in die tiefsten Tiefen des mächtigen Kleiderschrankes verstaut, damit die Damen des Hauses nicht ohnmächtig werden, wenn sie plötzlich hereinkommen. Und morgen, – gleich nach der Kirchfahrt – gehe ich zu Fräulein von Rhoda und sage ihr, daß ich zu Neujahr fortgehe. Ich kündige! Die Oberköchin kündigt auch, desgleichen der Pferdeknecht und der Stiefelwichsjunge, dem Baronesse Rinschi gestern die Bürste an den Kopf geworfen hat. Ich weiß es von Doktor Gieseke, der hat ihn genäht.

Den 1. Feiertag.

Wie schön es heute in der Kirche war, – ich wurde selbst ganz froh, und alle Leutchen um mich herum schienen es zu sein. Ich dachte gar nicht mehr an den Gang, der mir bevorstand, und erst, als ich im Schlitten saß und allein nach dem Herrenhause zurückfuhr, denn den Rhodaer Damen war es zu kalt zum Kirchgang gewesen, überschauerte es mich etwas, und ich sagte mir noch mal recht langsam all mein Eingelerntes vor.

Als ich ins Zimmer trat, saßen noch alle drei am Frühstückstisch, aber sie hatten kein Tröpfchen heißen Tee oder Bouillon für mich übrig gelassen nach der kalten Fahrt, so daß ich mir zur Stärkung schieren Rum eingoß, was natürlich gleich zu Anfang einen schlechten Eindruck machte und auch höllisch brannte.

Auf dem Tische standen vier prachtvolle Sträuße, – der, den Rinschi vor ihrem Platze hatte, war wieder ganz bräutlich in grün und weiß gehalten, und sie sah ihn zärtlich an.

»Herr von Rumohr war so aufmerksam, die Blumen zu schicken,« sagte Fräulein von Rhoda ganz nebenbei, nachdem sie sich etwas von »meinem« Rum erholt hatte.

»Ich vermute, daß er in seiner ritterlichen Art sogar an Sie gedacht hat,« fuhr sie spöttisch fort, wenigstens habe ich vier Sträuße in Empfang genommen, und Mamsell versichert, daß er ihr auf keinen Fall zukomme.«

So, da hatte ich's!

Ich antwortete gar nicht, sondern guckte nur scharf auf den grünweißen Strauß, den Rinschi beroch und belächelte. Der war für mich, das wußte ich, aber da ich ihn nicht bekam, so wollt' ich den andern auch nicht.

Und dann ging's los! Aber so schlimm hatte ich mir den Sturm doch nicht vorgestellt. Sie kreischten alle drei laut auf, als ich – »kündigte«.

»Fort wollen Sie? Zum Januar fort? Ist das die Treue, die Sie Wera von Rhoda gelobt haben?«

»Wera ist ja nicht da – – –«

»Aber ich stehe an ihrer Stelle und war dabei, als Sie ihr versprachen, hier auszuhalten.«

»Das wollte ich auch, – aber – ich kann nicht mehr.«

»Dummes Zeug! Haben Sie sich nicht pflegen können in Ihrer plötzlich hereinbrechenden, wunderbaren Krankheit? Haben Sie nicht drei Tage hintereinander geschlafen? Fragen Sie mal, ob das andern Dienstboten erlaubt wird.«

»Ich bin ja auch kein Dienstbote – –«

Die drei Damen brachen als Antwort in ein kicherndes Gelächter aus.

»Reden Sie keinen Unsinn, Sie haben sich ›Nerven‹ angewöhnt, die gar nicht zu Ihrer Stellung passen. Kurz und gut, Sie sind zu jung, um eigenmächtig über sich zu entscheiden, und Sie werden hier bleiben, bis Baron Rhoda mit seiner Gattin zurückkehrt, dann werden wir weiter sehen.«

»Aber, ich will fort,« rief ich verzweifelt, »ich will!« – Dabei stampfte ich regelrecht mit dem Fuße auf.

»Menagieren Sie sich!« fuhr mich die Stiftsdame an. »Sie sind hier nicht unter Ihresgleichen. Was haben Sie für Gründe zum Fortgehen?«

»Ach Gott, tausend Gründe! Hier ist es so schrecklich, daß man lieber sterben möchte. Und das Geld will ich Ihnen später nach und nach alles zurückzahlen, – jawohl das will ich – –«

»Habt ihr je so einen Blödsinn gehört, Rinschi und Pinschi? – Legen Sie sich hin, Sie sind krank!«

»Aber ich will fort! Ich – ich habe mich verlobt!!!«

Das hatte eine furchtbare Wirkung. Die Stiftsdame sank in einen Sessel, und die Baronessen sahen mich beinahe verachtungsvoll an.

Und was nun kam, war wirklich sehr dumm von mir, aber ich hatte ja kein bißchen Ruhe zum überlegen. Die Stiftsdame packte mich an und schüttelte mich derb und rücksichtslos.

» Wo haben Sie sich verlobt, – Sie kommen ja nirgends hin?« schrie sie empört.

»Im Pferdestall!«

»Allmächtiger! Unglückskind! Was wird Wera sagen! Und ich habe die Verantwortung! Wo sagten Sie, wo

»Im Pferdestall, – auf der Futterkiste!«

»Abscheuliches Mädchen, und mit wem?«

»Mit, mit, mit – –«

»Nein! Schweigen Sie, – ich will nichts mehr hören! Ich will nichts gehört haben! Ja, – zum Januar können Sie gehen, bis dahin haben Sie Stubenarrest.«

*

Sylvesterabend.

Ich habe eben bereits das dritte Mal laut gelacht, trotzdem ich mutterseelenallein im Schlosse bin, und so ein Lachen ist, glaube ich, das untrüglichste Zeichen des Überschnappens.

Eben sind die drei Baronessen nach – Rotbach gefahren zur Sylvesterfeier, – die meine Verlobungsfeier sein sollte – und mich haben sie hier gelassen mit einem Bande: »Der gute Ton in allen Lebenslagen« und einer Tasse schwachen Tees.

Hahaha!

Ich fürchte mich kein bißchen so allein, trotzdem der Schneesturm um das Schloß tobt, – ich lache. Ich möchte am liebsten Rad schlagen vor Vergnügen, wenn ich an die Gesichter in Schloß Rotbach denke. Vielleicht fragt Fritz in diesem Augenblicke gerade: »Wo – wo – wo haben Sie denn Fräulein Felicitas gelassen?« Ohhh! Und das grimmige Gesicht von Onkel Rumohr! Und wie sein schallendes, dröhnendes Lachen der Stiftsdame auf die Nerven fallen wird.

Ohh – ich möchte Rad schlagen und ich täte es auch, wenn ich nicht Toilette gemacht hätte – jawohl! Es rauscht um mich her, – weiße Seide, und in den duftigen Spitzen liegt der seltsame altertümliche, diamantensprühende Brautschmuck der »Frawen von Rumohre«. Gleich, als der Schlitten der Damen um die Ecke sauste, hab' ich mich fein gemacht, – ich muß doch etwas von dem Fest haben.

O wie hab' ich Fräulein von Rhoda gebeten, mich mitzunehmen. Ich war nicht trotzig, heute Abend, gewiß nicht! Das Glück machte mich weich und gut, ich wollte den Damen so gern die tiefe Beschämung ersparen, – aber sie stießen mich ja buchstäblich zurück und behaupteten, ich gehöre nicht dorthin, – da ging ich still ins Haus, – nein, – da kam erst der Trotz und ich schwieg und ließ sie ziehen.

Es ist kalt im Zimmer, – ich lache nicht mehr, – heiß steigen die Tränen auf, – Väterchen, ich wollt', – es käme nun endlich – das Glück!!!

Rotbach, den 1. Januar.

Das Glück, die schöne Göttin wars zwar nicht, die gestern Abend zu mir hereintrat, aber doch das gute, alte Mamsellchen, die mich zu ihrem grenzenlosen Staunen in Tränen, eiskalt und in weißer, rauschender Seide vorfand. Sie brachte ein Glas Grog für mich und für sich eine Tasse Kamillentee, das war unsere Sylvesterbowle, und als ich erst den Grog hinuntergeschluckt hatte, da erzählte ich dem guten Seelchen alles – alles – und – sie wurde beinahe vom Schlage gerührt.

Zuerst glaubte sie, ich redete im Fieber und drängte mir den Kamillentee auf, der sich absolut nicht mit dem Grog vertragen wollte, und dann, als sie die Wahrheit einsah, wollte sie vor Staunen und Ehrfurcht nicht neben mir sitzen bleiben, und dann – dann – kam alles so unglaublich rasch, – wie soll ich's richtig schildern?

Schlittengeklingel, – Riesenschritte die Treppe herauf, – die Tür wurde aufgerissen, und da lag ich in den Armen meines Fritz, und Mamsellchen saß steuerlos im Sofa und weinte laut, dann schlich sie sich still hinaus.

»Mein Einziges – o mein Gott, was magst du ausgehalten haben!« rief Fritz und ich sah in sein blasses Gesicht, das noch die starken Spuren überstandener Krankheit trug und fühlte den heftigen Schlag seines Herzens. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und ließ willenlos den Strom seiner Zärtlichkeit über mich ergehen.

Endlich ließ er mich aus seinen Armen.

»Wie wunderschön bist du, Kerlchen!« rief er, »was für ein entzückendes, liebliches Frauchen führe ich in das Schloß meiner Väter!«

Ich konnte gar nichts sagen, ich war ganz trunken vor Glück, – der Grog war es wirklich nicht, und ganz überwältigt war ich, daß er mich schön fand, – mir hatte das ja noch niemand gesagt.

Und dann saß ich plötzlich neben ihm warm eingepackt im Schlitten und hörte im Dahinsausen, daß niemand in Rotbach eine Ahnung von seinem Staatsstreich hätte, die säßen dort und warteten wohl mit dem Sylvesteressen auf ihn, – er sei aus dem Zimmer gestürzt bei den ersten spitzen Worten der Stiftsdame, die er ihr nie verzeihen würde, und wenn er hundert Jahre alt würde.

»Wie kommen Sie dazu, bester Herr von Rumohr, nach meiner Stütze zu fragen?«

Dann hielt der Schlitten vor Schloß Rotbach.

Das Vestibül war hell erleuchtet, – ein alter Hausmeister half mir aus den Decken und Pelzen heraus, an Fritzens Arm schritt ich in die Vorhalle.

Ein mächtiger Spiegel warf meine Gestalt zurück, ich schmiegte mich ängstlich an Fritz, und er streichelte zärtlich meinen zerzausten Lockenkopf.

»Wie blaß du bist,« flüsterte er, – »o mein Kerlchen, wie soll ich alles wieder gut machen!«

Er war so ernst, – wieder reichte er mir den Arm und schritt hochaufgerichtet und feierlich mit mir zu einer Flügeltür, welche ein Diener lautlos zurückschlug.

Da saßen sie alle versammelt mit verlegenen, zornigen Gesichtern, – ich aber sah nur eins, – das liebe, blasse Gesicht meines Muttchens, das mich mit einem Jubelruf an sein Herz nahm. Dort ruhte ich still und geborgen, bis die ernste Stimme meines Fritz laut durch das Zimmer hallte:

»Ich bitte um Verzeihung, daß das Fest sich verzögerte. Es konnte doch unmöglich Verlobung gefeiert werden, so lange die Braut fehlte. Ich habe die Ehre, Ihnen meine Verlobte vorzustellen.«

*

Still, still – ich will nichts weiter schreiben. Ich bin ja so froh, bin nicht mehr heimatlos! Fritz kommt, – mein Fritz von Rumohr.

»Kerlchen, süßes, süßes, goldiges Kerlelein, bist du glücklich?«

»Doll!«

*

Ende des sechsten Bandes.


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