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Als Bruder Augustin am Morgen desselben Tages nach überwundener Todesangst in den Pulverdampf hineingerannt war, ohne in dem Augenblicke Freund oder Feind zu sehen, denn der Wald war dicht, hörte er aus einer nahen Bergrunse eine weibliche Stimme. Drei kurze gellende Schreie nacheinander – ein Hilferuf. Um den Felsen, und Augustin sah, wie zwei französische Soldaten eine Almerin vergewaltigen wollten. Er zielte, schoß und einer der Angreifer fiel rücklings in das Bachbett, so daß die Wellen weiß gischtend über seinen Kopf dahinrieselten. Der zweite wollte doch nicht loslassen, da sprang Augustin in die Steinschlucht, denn er hatte nur einen Schuß im Rohre gehabt. Mit dem Schafte wollte er dem welschen Wüstling den Schädel einschlagen, allein dieser war des Schlages gewärtig, duckte sich, packte den Gegner um den Leib und nun hub ein wildes Ringen an, Zahn um Zahn. Augustin stolperte und fiel auf die Steine hin, der Franzose über ihn, um sein Opfer zu würgen. Der junge Priester empfahl seine Seele Gott, da war sein Gesicht jählings überströmt mit warmem Blute. Denn die Almerin war von rückwärts her, hatte dem Welschen sein eigenes Messer in den Nacken gestoßen so tief, daß die Spitze am Halse herausstand und der Mann mit einem einzigen Hauche beiseite sank auf den Schutt.
Das war Bruder Augustins Bluttaufe gewesen. Die Todesangst war einer glühenden Gier gewichen; er suchte die Feinde auf, wo sie am dichtesten waren, und dort stand auch sein Schwager Peter.
Der Mahrwirt war seit frühem Morgen im Feuer gestanden. Er verteidigte den Punkt an der Klause, welcher von den Feinden der umrungenste war, weil er sich hier mit der Besatzung der Burg vereinigen wollte. An sechzig Bauern vom Ritten, aus dem Grödnerthale, ein Trupp Pfeffersberger und einige Bürger aus Brixen waren seine Garde. Andre Abtheilungen wurden vom Kreuzwirt aus Brixen, vom Taubenwirt aus Neustift, vom Rampesbauer und von andern geführt. Im Laufe des Tages kam viel Zuzug und alles wollte sich zum Mahrwirt stellen. Dieser sagte: »Ihr müßts gegen den Eisack hinüber. Dahier richten wir's allein.«
Als aber die Franzosen mit Sturm kamen und mehrere große Geschütze anrückten und als die Luft anfing, sehr ungesund zu werden, da konnte ein rotbärtiger Bauer seinen Mund nicht halten. »Der Teufel bleibt da stehen!« rief er mit krächzender Stimme. »Wenn wir uns alle derschießen lassen, so ist morgen Tirol futsch!«
Es war ein gefährlicher Ruf, dem mehr als einer horchte, da sprang ein junger Krieger, in der Linken den Stutzen, in der Rechten ein altes Richtschwert, auf die Felswand. Bruder Augustin war's, und hoch empor hielt er den Griff des Schwertes, daß dieser wie ein Kreuz war. Sie erkannten den Priester und erhoben ihre Kopfe, er hub an von seiner hohen Kanzel aus, und umdonnert von feindlichen Geschützen, mit lauter Stimme zu sprechen:
»Aufg'schaut, Tiroler! In Himmel kembts! Für Gott, Kaiser und Vaterland frisch voran! Der Heid ist's, auf den es losgeht! Der Antichrist ist's, auf den es losgeht! Wer in diesem heiligen Kampfe fällt, dem wird zu teil die Märtyrerkrone im ewigen Leben! Aufg'schaut, Tiroler, Kameraden! Keiner hat jetzt Haus und Hof oder andres Gut, es ist des Vaterlands. Keiner hat Weib und Kind oder andere liebe Leut', sie sind Gottes, des Schöpfers und Erlösers Kinder. Alle schützt Gott, wenn ihr seinen heiligen Namen schützet. Keiner von euch hat eine Sünde zu dieser Stund', in solchem Streite sind alle vergeben. Tiroler, denkts an Jesu Blut und Marter am hohen Kreuzstamm und fahrts drein! – Auch von weltlichen Mächten sind wir nicht verlassen –« In diesem Augenblick schlug eine Kugel in den Gewehrkolben des Predigers. Er merkte es nicht, sondern fuhr fort: »Der Kaiser Franz schickt uns Hilf' und Beistand. Er hat schon lange eine große Armee abgesandt nach Tirol, sie muß bald da sein. Der Prinz Johann ruckt von Kärnten her, kann jede Stund' eintreffen mit seinen tapfern Soldaten. Das wär' eine Schand', wenn wir früher thäten matt werden! Wehrts euch, Tiroler! Alles gilt's! In Himmel kembts!«
O, was ist der Krieg doch lustig! Wird man getroffen, so kriegt man den Himmel, wird man gefehlt, so kriegt man die Hanai! Das dachte der Tonele. – So zuversichtlich war's aber nicht allen zu Mute.
Der rotbärtige Bauer schoß seinen Doppelstutzen ab nach ein paar toll herankletternden Blauhosen. Sie purzelten hinab in das Wasser, der Schütze aber wandte sich gegen den Feldprediger: »Junger Pfarrer, was du vom Himmel sagst, das wissen wir alle schon. Aber von den Oesterreichern sehen wir noch nichts.«
»Sie kommen! Sie werden bald da sein!« riefen mehrere. Der Rotbart that einen hohen Sprung; man meinte, es sei ein Freudensprung, weil die Oesterreicher kommen – da ließ er den Stutzen fallen, ballte die Fäuste und brach zusammen.
Während mehrere Kameraden die Leiche bargen und einer plötzlich auf den Toten hinfiel, aus zwei Wunden blutend, kommandierte der Mahrwirt seinen Pfeffersbergern: »Wir müssen weiter hinauf!«
Vom Hochgebirge ging eine breite Schutthalde nieder, auf welcher mächtig große Felsblöcke ragten, theils im Geschütte steckend, teils frisch von den Wänden niedergebrochen an der Oberfläche liegend. Hinter solchen Steinen setzten die Tiroler sich neuerdings fest und feuerten gegen den zerstreut und in Gruppen vordringenden Feind. Einige wollten auch hier wieder Steine niederwälzen, das verbot der Mahrwirt. Denn das Geplänkel auf der Schutthalde sollte nur eine List sein, um den Feind auf die kahle Sandfläche zu locken. Als dieser vordrang, wichen die Landesschützen rasch zurück in die buschigen Lehnen, und von solchem Hinterhalte aus röteten sie den weißen Gebirgsschutt mit Franzosenblut. Aber die Welschen und Bayern wuchsen wie aus der Erde hervor. Die Tiroler mußten noch weiter zurück und verschanzten sich in den drei Sandbachhäusern, die in einer Gruppe auf dem Bühel standen und mit ihren Nebengebäuden eine weitläufige Burg bildeten. Jetzt waren die Schützen auf einmal Zimmerleute und Maurer, sie verrammelten alle Eingänge und schossen zu den Fenstern heraus, von den Dächern herab. Einer der Bauern wurde vom Dache geschossen und als mehrere Kameraden dem Sterbenden beispringen wollten, wehrte dieser mit der Hand ab und stammelte: »Gehts, gehts! für so was ist jetzt kein' Zeit. Schießen thuts!« Und verschied klaglos unter den Dachtraufen.
Augustin war an der Seite des Mahrwirtes. Keiner lud flinker und schoß sicherer, als der junge Klosterbruder. Es war die Angst weg, es war die Gier weg; wie der Mähder auf der Wiese die Halme hinlegt, wie der Holzer den Verhau baut gegen drohendes Hochwasser, fast so empfand Augustin seine Arbeit. Um den Peter war's ihm manchmal ein wenig bang, der stellte sich oft gar zu schlank und breit zum Ziele aus und mehr als einmal hatte er den Schwager mit dem Ellbogen zurückgetaucht: »Peter, hinten will dich wer!« Bald kam's nun so dick, daß sie keine Zeit hatten zum Laden. Beide, der Mahrwirt und der Feldpater, als welcher Augustin angeredet wurde, beschäftigten zusammen jetzt sieben Ladknechte, worunter auch weibliche waren. Manchmal warf der Peter einen kurzen Befehl hin: »Mehr bei den Stallfenstein hinaus, daß sie uns nicht von hinterwärts kommen! – Das Pulver in die Gruben! – Dort unten beim Rain, den Weißmantel thuts vom Roß! – Der Fenster werden zu wenige. Löcher bohrts durch die Wand! – Wasserkübel richts her!« – Augustin rief manchmal laut: »Aushalten! In Himmel kembts!«
Die Stuben, die Kammern, die Ställe der Sandbachhäuser waren so voller Pulverqualm, daß der Rauch zu allen Fenstern und Luken hinauswirbelte und der Feind längere Zeit glaubte, die Gebäude stünden in Brand. Als aber immer nur Rauch und keine Flamme hervorschlug, da ließ der französische Weißmantel, den »vom Rosse zu thun« nicht gelingen wollte, auf einem Hinterschlich die Häusergruppe anzünden.
Die Tiroler waren etwas verblüfft, als hinter ihnen plötzlich das Feuer prasselte und die Flammen rasch an den Wänden empor, an den Dächern hinleckten.
»So, sauber, jetzt braten sie uns wie Martinigänse!« rief ein Schütze.
Der Mahrwirt versammelte die Männer rasch im Hofe und mitten unter den brennenden Gebäuden, wo lodernde Strohfetzen in den Lüften flogen und die glosenden Aschen niedersanken auf die schwarzen Spitzhüte, mitten in der zusammenbrechenden Verschanzung entwarf er einen Ausfallsplan. Viele verbargen sich unter Mauerungen, andre stiegen in den Keller hinab, schlugen die Essigfässer ein, um mit Essiglappen, die sie sich übers Gesicht warfen, den Rauchqualm von der Lunge zu halten. Manche waren kaum zu bändigen, wollten hinaus, aber Augustin sagte, auch Selbstbezähmung gehöre zum Kampf und besser sei es, im Feuer zu ersticken, als gefangen zu werden. Schmach dem Tiroler, der lebendig in die Hand des Feindes falle!
Die Franzosen auf den Matten und am Waldraine hatten den brennenden Häusern zugesehen, freche Witze gemacht und nur darauf geachtet, daß kein Fliehender entkommen könne. Es zeigte sich aber keiner. Kein Schuß mehr aus den Fenstern; nur ein paar schrille Schreie noch, dann war von der Brandstätte her nichts mehr zu hören, als das krachende Feuer und das dumpfe Dröhnen niederbrechender Dachstühle.
– Sie sind alle verbrannt, im eigenen Neste verkohlt. Jetzt ist's Zeit, daß wir uns niederlassen und an dem Feuer endlich einmal Proviant bereiten. – So meinten es die Welschen.
Und wie sie die Waffen abgelegt hatten, die Mäntel ausbreiteten auf dem Rasen, die Blechbüchsen vornahmen, Eßzeug und Branntweinfläschchen, und sich's bequem machten nach harter Arbeit – siehe, da sprang hinter lohenden Resten, aus Asche und Rauch, plötzlich ein wohlgeordneter Schwarm wütender Schützen hervor, piff, paff! auch mit geschwungenen Kolben auf das Lager los. Die Soldaten hatten gerade noch Zeit, sich zu erheben, wer einen Schuß im Rohre hatte, der brannte ihn los, weiter war nichts mehr zu thun als – laufen. Trotz der grausigsten Flüche des Anführers, trotz der zornigsten Drohungen, die Memmen niederschießen zu lassen, flohen sie thalwärts, hart hinter ihnen her die Tiroler, welche ihre Stutzen nun einmal auf der andern Seite versuchten und mit den schweren Kolben klingend dreinhieben.
Solches war das Entscheidende des Tages. Auf der übrigen Kampflinie, von Mühlbach bis zum Eisack, hatten die Bayern und Welschen zur Not noch stand gehalten. Sie hatten mehrere Höhen eingenommen gehabt, waren aber wieder zurückgedrängt worden und behaupteten noch mit Mühe und Unlust Stellungen, die ihnen doch nichts mehr nützten. Sie waren ganz mutlos geworden gegenüber einem Feinde den man nie sah, aber immer fühlte. Als sie nun die Fliehenden sahen, die aus dem Schuttgraben in größter Unordnung der Straße zueilten und nicht einmal Zeit fanden, das schwere Geschütz mit sich zu nehmen, welches sie vorhin mit so großer Anstrengung bergwärts geschafft hatten, da ward auf kein Kommando mehr gehört, alles ging aus Rand und Band, aus allen Schluchten wie entstautes Wildwasser wogte der Feind. Ein kleiner Trupp flüchtete sich in die Klause nächst der Rienzschlucht; alles übrige eilte dem flachen Thale zu. –
Allmählich wurde es an den Berghängen ruhiger. Auf dem Waldanger, vor einer hölzernen, über und über bemoosten Kapelle, ließ der Mahrwirt die Hörner blasen. Da kamen sie allmählich zusammen, die Landesverteidiger, die einen von oben herab, die andern von unten herauf, viele von den Seiten her: Still und ernst traten sie heran, jeder mit seiner Waffe, aber mancher ohne Hut, ohne Jacke oder mit zerrissenem Kleide. Mancher Blutende war unter ihnen, mancher wurde geschleppt, mancher schleppte sich selbst und es war, als müßten sie zusammenbrechen. Das erste für solche war: Verbinden und Laben. Viele erzählten einander ihre Erlebnisse, ihre Leistungen; andre saßen auf dem Rasen erschöpft und müde und schwiegen.
Vom Gebirge herab kam ein Bote aus der Brennergegend, er hatte Pickel und Seil bei sich und den Lodenhut ringsum mit Alpenkräutern besteckt. Sein Weg hatte wohl über das Hochgebirge geführt.
»Wie geht's, Manner? Seids auch brav gewesen?« Diese Frage war sein Ankunftsgruß. Und dann: »Lebts' alle? Ist der Mahrwirt da? Gehts her und hörts zu. Da bei Sterzing oben! Herrgott im Himmel!«
»Wie steht's?« fragte ungeduldig der vortretende Mahrwirt.
»Gut ist's,« sagte der Bote, »ein Schnaps, wenn ihr habts, nachher red' ich leichter.«
Da hing schon ein strohumflochtener Plutzer an seinen Lippen.
»Nun, nun?« fragten die Männer, sich um ihn drängend.
Der Bote wischte sich mit dem Aermling den Mund ab, preßte noch den Rest des Beißers in die Gurgel, wobei er seine Augen schloß und sein Gesicht in Runzeln zog, und sagte hernach: »Der Anderl, der Sandwirt!«
»Was ist's mit ihm?«
»Das ist ein Hauptkerl! Auf dem Moos! Viel hundert tote Franzosen und viel tausend gefangene!«
»Vivat, mein liebes Oesterreich!« erscholl es aus hundert Kehlen.
»Und jetzt,« fuhr der Bote fort, »rücken sie dem zurückweichenden Feind schon über den Brenner nach und der Sandwirt hat gesagt, der Schußprügel dürft' nit eher weggelegt werden, als bis Innsbruck ausgeputzt ist und die alte Ordnung im Land. Kameraden, der heutige Tag, für zehn Jahr' ist er mir nit feil.«
Mit hellem Freudenschrei umarmten sich viele. Und einer fragte den Boten: »Ja, wie weißt denn du so viel, wenn du vom Gamsgebirg kommst?«
»Von dem komm' ich ja gar nit!« lachte der Bote, bog sich duckend die Kniee aus und klatschte in die Hand, »das mit dem Bergseil ist ja nur Maschkerad, damit sie mich nit zusammenpacken unterwegs. Hab' ja selber mitgethan auf dem Moos, was glaubts denn? – Noch einen Schlucker, wenn's erlaubt ist; mir sind heut' schon die Schaben in den Magen gekommen.«
Der Mahrwirt hob den Arm, sie sollten still sein. Zu Spinges läutete die Abendglocke. Die Männer zogen ihre Hüte vom Kopf, stemmten sich, mancher mit einem Knie, mancher mit beiden, auf den Rasen hin und beteten mit tiefen Stimmen: »Der Engel des Herrn bracht' Maria die Botschaft . . .«
Und in den Bergen dämmerte mählich der Abend. –
Zur selben Stunde aber, da jedes Tirolerherz in Freuden jauchzte, war ein einziges in großen Aengsten. Und es war ein so junges, ein so heißes Tirolerherz: der Knabe Hans, des Mahrwirts Sohn. Er war nicht mehr vom Kreuzwirt gewichen auf der Felsenschanze. Anfangs wollte er schießen, doch jeder andre brauchte seinen Stutzen selber und da mußte er sich dazu bequemen, dem Kreuzwirt Handlangerdienste zu leisten. Ununterbrochen legte er ihm das Ladzeug zurecht, lud, wo für den Augenblick ein Gewehr frei war, teilte an die Schützen Kugeln aus und besorgte sogar mehrmals die Feldpost von einem Trupp zum andern, oder kundschaftete den Feind aus. In den Büschen huschte er wie ein Wiesel und einmal mußte er sogar einem dicken Bayernwebel zwischen den Beinen durch. So verging der Tag und er war immer gutes Muts. Es ging ja so lustig zu! Als nun aber der Kampf beendet war, da wurde er kleinlaut. Den Feind hatte er freilich nicht gefürchtet, jedoch einen andern fürchtete er. Hatte ihm sein Vater nicht streng aufgetragen, sich nicht mit einem Schritte vom Hause daheim zu entfernen? War ihm nicht seit jeher eingeschärft worden, der Mutter allzeit zu gehorchen, nichts gegen ihren Willen zu thun? Und nun war er heimlich davongelaufen. Schon geringen Ungehorsam pflegte der Vater streng zu bestrafen, wie wird's erst jetzt sein? Und die Mutter in Angst und Sorge, sie weiß ja von nichts. Das Lamm ist auch verthan. Was wird werden?
In seiner Bedrängnis begann der Knabe zu schluchzen. Ein so tapferer, junger Soldat, und weinen! Das nahm den Kreuzwirt wunder. Der Knabe vertraute ihm sein Anliegen und da lachte der Kreuzwirt und rief aus: »Hansel, Hansel, du bist ein Prachtbub! Weißt du, was dein Vater sagen wird? Der wird dich herpacken und abbusseln, daß du erstickest, wenn ich dir nicht zu Hilf' komme. Möcht' selber einen haben, einen solchen Schlankel, wie du bist!«
Gar viel Gewicht schien der Knabe auf diese Voraussetzung nicht zu legen, er lugte mit seinen großen feuchten Augen immer noch gar trübe und fast trotzig drein und endlich sagte er: »Vetter, lege ein gutes Wort für mich ein!«
»So komm, Hans, wir wollen selbander zum Vater gehen.«
Der Weg zum Vater war just nicht der angenehmste. Unterwegs fanden sie allerlei Dinge, die zu einer andern Zeit großes Erstaunen erregt haben würden, an denen sie aber heute fast achtlos vorüberschritten. Da lag eine leere Ledertasche, dort ein großer spitzer Filzhut, da ein Tornister mit abgerissenem Riemen, hier ein Bayernsäbel, dort ein versengter Franzosenmantel, da ein Pulverhorn, hier eine abgesprungene Messerklinge, dort ein mit scharfen Nägeln beschlagener Bauernschuh, da eine Tabakspfeife, hier ein Rosenkranz, dort ein lehmblasser Mensch.
Der Kreuzwirt und der kleine Hans kamen auf den Waldanger, wo die Kapelle stand, gerade in dem Augenblick, als die Männer auf der Erde knieten und beteten. Auch der Kreuzwirt nahm seinen Breitkremper vom Kopf, der Knabe konnte das nicht thun, weil er seinen Hut längst verloren hatte.
Hernach, als der Mahrwirt manchem die Hand gereicht und gesagt hatte, sie möchten jetzt friedsam heimgehen und sich ausschlafen, damit morgen beizeiten das Werk der Barmherzigkeit an den Toten geübt werden könne, trat der Kreuzwirt zu ihm hin und sprach: »Gehst auch nach Haus, Peter?«
»Dazu wird bei mir keine Zeit sein,« antwortete der Mahrwirt.
»Wenn du heimgingest, so wüßte ich dir einen Genossen für unterwegs, 's ist ein guter Bekannter.« Dabei schob er schon den Knaben vor.
Der Mahrwirt sah seinen Sohn, schaute ihm streng ins Gesicht und sagte mit leiser Stimme: »Hat dich die Mutter hergeschickt?«
Trat der Hans noch weiter vor, machte einen Versuch, bittweise die Hände zu falten, legte aber nur zwei Fäuste aneinander und bekannte, daß er heimlich davongegangen sei, schon am Morgen.
»Was willst du hier?« fragte ihn der Vater.
»Bitt' gar schön, mein Vater, laßt mich mithalten beim Franzosenerschlagen!«
»Er ist gut zu brauchen,« mischte sich der Kreuzwirt drein, »hat mir brav geholfen den ganzen Tag. Und ein schlauer Kampel ist er, dein Hans. Ein verdammt schlauer! ei, das wohl!«
Peter richtete sich stramm auf und sagte zu seinem Sohn mit einer Stimme, die so dumpf war wie ein Lahnensturz und so schwer wie ein Eisenklumpen: »Du bist heimlich von heim fortgegangen? Mir, der's verboten hat, zum Trutz.«
»Nicht zum Trutz!« rief der Knabe.
»Und die Mutter verlassen! Und sie peinigen mit einer Angst um dich, der du nimmer wert bist! Hans, höre! Im Fegfeuer gibt es keine so große Pein, als du deiner Mutter hast angethan am heutigen Tag. – Sogleich wendest dich und gehst heim!«
»Wir wollen ja zusammen gehen,« sagte der Kreuzwirt.
»Den Augenblick gehst heim, Hans, und vor deiner Mutter kniest nieder!«
»Laß mich reden, Mahrwirt, du weißt ja nichts,« versetzte der Kreuzwirt von Brixen. »Ich meine, du weißt nicht, was er heute gethan hat. Vielleicht hätten dich die Bayern schon. Es war eine starke Nachfrag' nach dir. Und dir schon gleim auf der Spur. Wir sind zur selben Stund' nicht stark gestanden. Daß sie dich nicht ergattert haben, Peter, das hast du dem zu lohnen! Deinem Hans! Gefoppt hat er sie gottsprächtig. Irregeführt hat er sie. Den Hasel-Steff, den sie erschossen haben –«
»Den Steff? Was ist's mit dem?«
»Schon alleweil gegen die Klausen sind sie dir nach, Mahrwirt. Da hat dein Sohn den Steff, den maustoten Steff, mit einem Schrei für dich ausgegeben. Zertranscht ist er gewesen aufs Nichtzumerkennen, und das wär' der Mahrwirt! Auf das hat ein winiger Boar ihm mit dem Kolben die Hirnschale eingeschlagen, dem Steff. Der hat sie heimlich ausgelacht, ha, ha, und ihm thät's nicht mehr weh, er wär' schon tot. Das Liebstatscherl auf der Hirnschale ist aber dir vermeint gewesen, mein lieber Peter. Der kleine Kampel hat's verhütet. Schau ihn nur an! Mein himmlischer Vater, wie möcht' ich dir auch so einen prächtigen Buben haben!«
Jetzt schauten ihrer viele auf den Peter, was der für ein Gesicht machen würde. Doch des Mahrwirts Gesicht wurde noch erklecklich finsterer.
Er stand und schwieg, als müsse er sich erst den Zusammenhang zurechtstellen. Dann sagte er zu seinem Knaben: »So einer bist du! Wir streiten mit dem Stutzen und Messer, du mit dem Lügen! – Glaubst du, unser Herrgott hätt' kein andres Mittel gehabt, um mich zu schützen, als deine Lug?«
»Vater!« begehrte der Kleine auf.
»Sei still! Will's nimmer hören, das Wort Vater von einem Lügenmaul!«
»Aber sei gescheit, Peter!« beschwichtigten mehrere, »ein bissel Kriegslist wird wohl noch erlaubt sein. Wir machen's ja alle.«
»Was wir machen, das ist Krieg,« sagte der Mahrwirt. »Den geht's nichts an. Kinder haben da nichts zu thun. Kinder sollen lernen redlich zu sein, sollen wissen, daß Lug und Trug das Unglück worden ist für Tirol. Der Bonaparte hat gelogen, die Bayern haben gelogen, und dieser tiroler Kindskopf will auch schon lügen? Lügen mag der, der im Unrecht ist. Unsre Sach ist redlich Sach. Gerade die Falschheit noch, und wir sind's wert, daß der Herrgott uns verlaßt. – Und Frevel treiben mit einem Toten, seit wann ist denn das der Brauch? Willst dich versündigen? Wird der Schrei redlicher sein, Hans, wenn er einmal wirklich mich angeht?«
»Vater!« rief der Knabe.
»Geh jetzt, Kind,« setzte Peter in milderem Tone bei. »Bis du was Braves gethan hast, dann kannst wieder kommen. Jetzt geh!«
»Na, also Hans!« sagte der Kreuzwirt, »komm, wir gehen miteinander. Wir gehen nach Brixen hinab.«
Der Knabe ging mit ihm. So viel man in der Abenddämmerung sehen konnte, waren seine jungen frischen Züge völlig versteinert worden vor der Härte seines Vaters, die er nie so wie heute erfahren hatte. – Die Leute auf dem Waldanger zerstreuten sich. Peter ging mit mehreren Männern gegen Mühlbach hin, um zu erforschen und zu besprechen, wie es stehe und was nun not thue.