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Zur Zeit, als dies geschah, hatten sie zu Brixen keinen Arrest. So mußte man den Menschen auf den Friedhof treiben und in die Totenkammer sperren. Es war ein ganz verkommener Bursche, sein Gewand aus grauem Linnen mit zerfransten Löchern, lehmig, schmutzig dort, wo die Fäden noch zusammenhielten. Das Beinkleid hing nur mit zwei Knöpfen an dem rissigen Hosenträger, das gelbgraue Hemd war vorn offen, so daß man die rindenfarbige Brust sah bis zur Magengrube hinab. Die plumpen Füße ohne Schuhe, mit Erdkrusten zwischen den Zehen. Die Glieder schlank und mager, das knochige Gesicht völlig bartlos, eingefallen, lehmblaß, sommersprossig; die Lippen wulstig, die Nase flach, mit dreieckigen Nüstern, die Augen klein, tückisch lauernd, ohne Wimpern und Brauen, der Kopf mit dem fuchsbraunen, filzigen Haar zwischen den Achselknochen eingeklemmt. Die Arme waren jetzt auf den Rücken gebunden. Dieser Mensch war überall gesehen und nirgends daheim. Eine arme Häuslerin im Grödnerthal hatte sich einst aus dem Welschen herauf ein Findelkind geholt. Bei der Taufe war der Rampesbauer Pate gestanden. Das bißchen Mitgabe war bald verbraucht, die Häuslerin starb, der Knabe verdarb. Der Rampesbauer hatte ihn als Halter auf seine Alm genommen, der Junge entlief. Im Etschland draußen nahm er irgendwo ein Fischernetz, richtete dasselbe in den Gebüschen auf. Wenn dann im Herbste die nach dem Süden ziehenden Vögel kamen, verstand er es, durch nachgeahmte Vogelrufe die Thierchen herbeizulocken und ins Netz zu jagen. Dann tötete und verzehrte er sie. Als der Winter kam, stahl er eines Tages einem Landpfarrer ein Paar Stiefel, wurde dabei erwischt und nach Bozen in den Arrest gethan. Im Arreste fand er einen älteren Genossen, der belehrte den Burschen, das Stehlen sei nicht anständig, der Mensch müsse sich sein Brot auf redliche Weise verdienen; er lehrte ihn das Kartenspielen und wie man es durch Kunstgriffe angehen müsse, dabei das Glück zu verbessern. Auch mancherlei Taschenspielerstückchen lernte der Fabian im Arrest, mit welchen man sich auf Jahrmärkten was erwerben kann. Als der Bursche frei wurde, übte er derlei schöne Dinge manches Jahr lang, zeitweilig war er verschollen; wenn er dann doch wieder in die Gegend kam, bei seinem Paten, dem Rampesbauer, zusprach und dieser ihn fragte, wo er gewesen, brachte er immer schöne Grüße aus der Schweiz mit, oder aus Italien oder gar aus Ungarn. Mit den Namen dieser schönen Länder meinte er aber die verschiedenen Keuchen, in denen er eingesperrt gewesen zu Sterzing, zu Bozen und zu Bruneck. Hernach trieb er sich auf Almen und in den Wäldern um, unter dem Lodenrock ein zerlegtes Gewehr bergend; die Jäger machten Jagd nach ihm, wie nach einem Raubtiere. Nun war er ertappt worden auf dem Schlachtfelde, wie er eben im Begriffe gewesen, einem toten Soldaten den Ring vom Finger zu ziehen. Als man ihn festnahm, wehrte er sich, begehrte auf, ob es denn recht sei, daß man so wertvolle Sachen mit in die Grube werfe! Er murrte darüber, daß man ihn wahrscheinlich wieder auf eine ganze Woche einsperren werde, und war nun etwas arg verblüfft, als nicht vom Einsperren, sondern vom Aufhängen die Rede war.
Die Aeltesten waren zusammengekommen unter der Eiche, um zu beraten, was mit dem Wichte zu geschehen habe. Es war ein im Lande unerhörter Fall, man riet hin und her, welchem Gerichte der arme Sünder einzuliefern sei, und man konnte nicht schlüssig werden. Den Rampesbauer hatte man zu dieser Berathung nicht beigezogen, man wollte es ihm ersparen, sein Patenkind als Leichenschänder zu sehen. Der Rampesbauer aber kam des Weges, trat zur Eiche hin und sagte: »Des Fabians wegen seid ihr beisammen.«
»Ja, ja,« entgegnete der Stauker, »es ist hart, du kannst nichts dafür.«
»Ich habe gethan, was sein konnte, daß Taufwasser und Chrisam nicht verloren ist,« sagte der Rampesbauer, »es wird wohl so sein, wie Pater Cölestin einmal gesagt hat: dem Menschen wird seine Lebensstraßen nicht angetauft, sondern angeboren.«
»Gebüßt muß es werden,« sprach der Stauker.
»Das meine ich selber,« sagte der Rampesbauer, »und in diesem Fall ist es wohl nicht schwer, ein gerechter Richter zu sein.«
»Wie wäre dein Dafürhalten, Rampesbauer?«
»Mein Dafürhalten ist,« antwortete dieser, »daß, wo so viele Unschuldige erschossen worden sind, man mit dem Schuldigen kurzen Prozeß machen soll.«
»Also zum Tode?«
»Die heiligen Sterbesakramente soll man ihm früher reichen, damit seiner Seligkeit von der Seiten nichts im Weg steht.«
»Und wann das?«
»Auf was soll er warten? Viel Kürzung der Todesangst möchte ich für ihn erbitten. In einer Stunde kann's ja wohl vorbei sein.«
»So meinen wir auch,« sagten sie alle und die Sache war damit abgethan. –
Hernach gingen die Männer in den Dom, wo ein feierlicher Dankgottesdienst abgehalten wurde wegen des errungenen Sieges. Der Rampesbauer konnte dabei zu keiner rechten Andacht kommen, er mußte immer denken, wie das doch wunderlich zugehen kann auf der Welt, daß der Pate sein Patenkind zum Tode verurteilen muß. Aber ist denn jetzt ein Richter im Lande? Die Bayern sind verjagt, die Oesterreicher noch immer nicht da. Wer soll denn Ordnung halten in Tirol, als der Tiroler selbst!
Nach dem Gottesdienste waren mehrere Führer und Streiter bei den Kapuzinern auf einen Krug Wein geladen. Es sollte das weniger eine Siegesfeier sein, als eine Ratsversammlung darüber, was nun weiter zu thun sei. Denn daß die Kämpfe am Eisack und an der Rienz nicht das Ende waren, sondern vielmehr der Anfang, das war wohl allen klar. Daß der unbändige Welteroberer sich nicht von einer Handvoll Bauern würde aufhalten lassen in seinem ungeheuerlichen Werke, das wußte jeder. Der Bonaparte stampft über Nacht neue Armeen aus dem Erdboden; er gebietet über den Erdkreis. – Aber die Tiroler hofften auf Gott und auf die Oesterreicher.
Ein loses Maul verlautete allerdings, und zwar gerade auf dem Wege zum Kloster: »Die Oesterreicher möge man wohl lieben, aber hoffen solle man auf Gott allein – es wäre sicherer.«
Das lose Maul gehörte dem Häusler Thomas.
»Au!« rief der Griesacher, »wenn wir zum Wein gehen, ist der Thomas auch dabei.«
»Warum denn nit! Ein Tröpfel Wein ist eine gute Nachfüll'.«
»Im Stutzenfeuer hat er sich nicht sehen lassen.«
»Wer?«
»Der Thomas.«
»Ich? Ich nit im Feuer?« begehrte der Häusler auf. »Bin ich nit beim Binnsteich gestanden von früh bis mittag und hab' hinübergepfeffert! Nachher haben die Lümmel angefangen, Kartätschen zu schmeißen, und pfitsch! in den Teich hinein, daß der Morast abscheulich umspritzt und mir mein ganzes Sonntagsgewand wild macht. Da hab' ich mir gedacht: Hol's der Ganggerl, mein schönes Gewand laß ich mir nit verwüsten, der Boarn kaufen mir kein neues! Und bin heim zu.«
»'s ist wahr, er ist dabei gewesen,« bestätigten mehrere.
»Und die sechzehn, die ich niedergelegt hab', werden einen Krug Wein wohl wert sein,« sagte der Thomas, während er auf ein blaues Sacktuch wies, welches um den Knöchel seiner linken Hand gewunden war. »Wenn's da herausrinnt, muß da« – auf den Mund deutend – »nachgefüllt werden!«
»Ist in Ordnung, Thomas, geh' nur mit uns.«
Hernach saßen sie im Refektorium des Klosters durcheinander: die Kapuziner in braunen Kutten und langen Bärten, die Bauern, die Bürger und die Wirte der Umgebung. Die meisten waren frischen Mutes, aber übermütig war keiner. Auch Peter Mayr war da, der Wirt an der Mahr. Vielerlei war in den letzten Tagen an ihn herangekommen, daß er rate, ordne, leite, und die Toten machten kaum weniger Sorgen als die Lebendigen. Seit der Schlacht war er nicht mehr nach Hause gekommen. Daß er gesund sei, hatte er seinem Weibe durch einen Halter sagen lassen. Daß sein Schwager Augustin wieder zu Hause war, beruhigte ihn auch. Er selbst gehörte zur Regierung. Die Leichen mußten begraben werden, die Verwundeten mußten unter Dach und Fach gebracht werden, die zerstörten Brücken mußten zur Not hergestellt, den Leuten der niedergebrannten Häuser mußten Hütten geschafft werden. Wenn Peter von der Ferne manchmal hinausblickte auf das schimmernde Dach seines Mahrwirtshauses, da dachte er: sie stehen in Gottes Hut, und hier bin ich nötiger als dort.
Der Schockel-Franz von Leilach war ebenfalls zugegen bei den Kapuzinern, aber recht abgemattet und kleinlaut, was sonst nicht in dem Wesen des flinken, schneidigen Mannes lag. Er war fortgewesen, um Oesterreicher zu suchen und hatte keine gefunden. Das halbe Pusterthal hatte er durchlaufen bis Toblach hinauf. Zu Welsberg hatte man ihm gesagt, der österreichische General Casteller habe in Lienz und Silian schon Quartier bestellt, aber in Villach sei es auch schön und die Villacher Frauen wollten ihn nicht loslassen. Hingegen, so erzählte der Schockel-Franz, habe er unterwegs von einem anderen gehört, der Brunecker Steuereinnehmer sei wieder im Land.
»Der Kulber?« fragten mehrere zu gleicher Zeit. »Der ist ja ins Salzburgische und Steirische hinübergegangen, um Beistand zu suchen!«
»Ist schon wieder zurück.«
»Was mag er ausgerichtet haben?«
»Er wird's schon sagen.«
»Es hat ja auch geheißen, daß er nach Schärding bei Passau gehen will, wo jetzt der aus Wien versprengte österreichische Hofschatz aufbewahrt sein soll. Geld will er fassen für Tirol.«
»Kein zuwideres Geschäft,« meinte der Häusler Thomas. »Mit Gold und Silber thut sich's alleweil ein bissel gemütlicher um, wie mit Pulver und Blei. So Herren können sich's halt anschicken.«
»Es ist ein Ding,« redete der Griesacher drein, »wenn wir kein Pulver haben, sind wir derschossen, und wenn wir kein Geld haben, sind wir auch derschossen.«
Der Bruder Pförtner kam herein und berichtete, daß eben ein bayrischer Reiter in den Hof gesprengt sei. Rasch erhoben sich die Männer von ihren Sitzen.
»Schwenkt er eine weiße Fahne?« fragte der Kreuzwirt.
»Schwenken thut er nichts, aber die Treppe stapft er herauf,« sagte der Pförtner.
»Der kommt Frieden anzubieten.«
»Geben wir ihn?«
»Wenn sie das Land räumen bis auf den letzten bayrischen Hufnagel, so geben wir ihn, anders nicht.« Dieses Wort sagte Peter Mayr.
Da sprang die Thür auf und der bayrische Reiter trat rasch herein. Finster blickten ihn die Männer an, da rief er mit ausgebreiteten Armen: »Nun?«
»Kulber!« schrieen sie auf.
»Der Kulber-Sepp, der Steuereinnehmer von Bruneck,« sagte der Ankömmling, »ja freilich, da bin ich wieder.«
»Und wie kommst du in diese Haut?« fragte der Kreuzwirt von Brixen.
Kulber schob mit dem Finger auf seiner linken Brust eine bayrische Medaille beiseite, da sah man im Tuch eine zerrissene Stelle. »Seht ihr! Bei diesem Loch bin ich hereingekommen in die bayrische Montur.«
»Wie soll das gemeint sein?« fragte der Kreuzwirt.
»Laßt es euch erzählen, Männer,« entgegnete Kulber sich niederlassend. »Am Paß Strub, ihr habt ja gehört. Dort bin ich vorhanden gewesen beim großen Scharmützel. Ist aber all zu spät. Unser sind auch viel zu wenig gewesen. Dort, beim Strubloch sind sie uns hereingekommen, ihrer in hellen Haufen, wie die Heuschrecken des Königs Pharao. Ich sitze im Busch und warte auf den Nachtrab und suche mir von weitem einen feurigen Rappen aus. Wie es dunkelt und der Reiter gerade an einer Tränke hält, schieße ich ihn herab. Alsdann thue ich meinen Tirolerkittel aus, schlupfe in des Reiters Montur, auf den Rappen und trab, trab den Bayern nach, mit ihnen marschiert, Proviant gefaßt, bayrischer Lumpenkerl gewesen – zwei Tage lang.«
»Und nicht entlarvt worden? Das ist viel.«
»Die Bayern,« fuhr Kulber fort, »habe ich nicht gefürchtet. Die sind vor lauter Siegesgier und Uebermut in einem Jubelrausch gewesen, daß sie schon gar nichts mehr recht gesehen und gehört haben. Aber die Tirolerkugeln, vor denen habe ich Respekt gehabt in meinem Bayernrock. Durch das Achenthal und Innthal her und bis Hall, alle Augenblick pfeift vom Fels oder Strauch her eine Kugel. Daß so ein Stückel Blei auf bayrisch Tuch losgeht, das verstehe ich, aber es wird vor der tirolischen Haut, die dahinter steckt, kaum Halt machen. Ich dank' schön! habe ich mir gedacht, nichts auf der Welt so gefährlich, als jetzt ein Bayer sein in Tirol!«
Gar seltsam nahm er sich aus zwischen den Bauern und Mönchen, der kleine, blasse, schwarzäugige Kulber in der bayrischen Uniform, die ihm zu groß war. Die hastig zuckenden Bewegungen der Arme, des Hauptes, das heiße Augensprühen nach allen Seiten hin, das ganze wieselhaft erregsame Wesen des Mannes hatte gerade nicht viel Reckenhaftes, verriet aber eine listige, leidenschaftliche Seele. Es war ein bißchen welsches Blut in dem Manne und doch, wer ihn sah und hörte, der mußte sagen: einen begeisterteren Tiroler gibt's nicht, als den Kulber-Sepp. Manchmal schien es aber, als ob sein Haß gegen die Bayern größer wäre, als seine Liebe zu den Tirolern. In früherer Zeit hatte er sich in Bayern aufgehalten, soll sich dort in politische Händel gemischt haben und deshalb des Landes verwiesen worden sein. Dann ward er Steuereinnehmer zu Bruneck, als solcher hernach von den Bayern wieder entsetzt, und seither widmete er sich ganz der Befreiung des Landes. Manche heikle Mission wurde ihm anvertraut und auch jetzt kam er, wie wir hörten, von einer solchen zurück.
»Nun trinke, und nachher pack aus mit dem Geld!« rief ihm der Kreuzwirt zu.
»Mit welchem Geld?« fragte Kulber.
»Das du vom österreichischen Staatsschatz zu Schärding geholt hast, du hast doch einen Sack voll mitgebracht?«
»Das Geld,« berichtete Kulber, »kommt über Steiermark und Kärnten herein, der Casteller wird's bringen mit seinem Regiment, in hundertsechsunddreißig Eisenkisten.«
»Auf das Geld glaube ich nicht recht,« sagte der Prior und schenkte dem Ankömmling den Krug voll, »trinke nur Wein und rede Wahrheit.«
Peter, der Mahrwirt, hatte sich an Kulbers Seite gerückt: »Also, wie steht's drüben?«
Hierauf antwortete Kulber: »Freilich wohl schlimm, mein lieber Mahrwirt! Hinter Innsbruck draußen verflucht schlimm. All miteinander könnt ihr euch's nicht vorstellen, wie schlimm!«
»Du erschreckst mich!«
»Glaubet nicht, Männer, daß wir fertig sind. Ihr mit eurem Sieg habt denen da drüben alles Unglück zugeworfen. – Zu Innsbruck, da passiert's, da habe ich mich unterhalten. Haben bei meinem Durchmarsch gerade den Dittfurt erschossen.«
»Den General? Vivat!«
»Hat's lange genug getrieben.«
»Vor dem Kriegsgericht?«
»Vor dem Volksgericht. Mitten in der Stadt bei der Brücke, im Gefecht. Von drei Kugeln durchlöchert.«
»Ja, den Innsbruckern, denen ginge es jetzt schlecht, wenn der Anderl nicht wäre. Die Bayern und Franzosen fürchten den Sandwirt. Der ruckt gegen die Hauptstadt wie ein Gericht Gottes. Auf dem Brenner habe ich ihn begegnet mit seinen Leuten. Es sind ihrer ein höllischer Haufen. Er läßt euch grüßen, die Ordre kommt morgen und ihr solltet bis auf weiteres in Bereitschaft sein.«
»Das sind wir,« sagte der Mahrwirt. »Ich bring' dir's, Kulber, für die gute Botschaft!« Damit trank er ihm zu.
»Bringen kannst mir's, Mahrwirt, trinken kannst auch,« sagte Kulber. »Ich bin halt noch nicht fertig.«
Die Männer schauten ihn schweigend an.
Kulber fuhr fort: »Daß uns bei Paß Strub so viele Feinde hereingekommen sind, habe ich euch gesagt.«
»Wir werden ihnen mit Gottes Hilfe schon wieder hinaushelfen.«
»Habt ihr vom Etzel schon einmal was gehört?« fragte Kulber und schaute mit flammenden Augen in die Runde, »oder vom blutdürstigen Soliman etwas, wie er in Steiermark und in Krain und im Ungarlande gewirtschaftet hat? Männer, ich sage euch, das waren Dörcher, gutmütige Dörcher im Vergleich zu unsern Feinden! – Vom Paß Strub bis zum Inn herein steht kein Dorf, das nicht gebrandschatzt wurde, kein Hof, der unversehrt wäre. Habt ihr denn kein Nordlicht gesehen in den Nächten? Herrgott, wie hoch müssen die Berge sein, die zwischen dem Inn stehen und dem Eisack! Nächtelang hat man es auf allen Kirchenuhren im Achenthal und im unteren Innthal sehen können, wie viel es an der Zeit ist! So viele und so große Freudenfeuer hat noch kein siegreicher Feldherr gemacht, als diese Schergen des Bonaparte. Wo die sind gezogen, da stehen heute lauter rostbraune Brandstätten. Die Thäler sind wie ausgestorben; wehe dem, der nicht ins Hochgebirge floh.«
»Eingefangen?«
»Kindereien!«
»Niedergemacht?«
»Heiliger Gott, wenn sie die Wehrlosen einfach niedergemacht hätten, wie großmütig! Wie barmherzig! – Geschunden, geschleift, gebraten haben sie. Geschändet, zu Tode gejuckt, gewürgt das Kind im Mutterleib. Kann ich's denn sagen? Da muß einer kommen, der erst die Sprache erfindet für das, was dieser Feind gethan hat in unsrem Tirol! Die Männer bei den Füßen auf die Bäume gehängt, die Weiber bei den Haaren hoch auf die Kirchenwände. Zu Rattenberg haben sie einen zehnjährigen Knaben nackt ausgezogen und auf den Schlagbaum der Maut gebunden – weil die Buben ja gern schaukeln! Bei Kitzbühel haben sie einer alten Frau die Zunge aus dem Leib gerissen, weil sie die Mordbrenner Schinderknechte geheißen hat. Bei Wörgl haben sie einem Fuhrmann, der sich um seine Fracht wehren wollte, die Hände mit einem eisernen Dachnagel auf den Kopf genagelt –«
»Still sei, Schurk, der du die Menschheit verläumdest!« schrie der Mahrwirt aufspringend und die Faust gegen den Erzähler erhebend. Dieser schwieg dann und schaute verblüfft in die Runde, ob er sich so etwas gefallen lassen müsse.
»Wenn das wahr ist!« sagte der Kreuzwirt und faltete die Hände.
»Auch gut,« sagte Klüver und machte Miene fortzugehen.
Der Prior nahm ihn bei der Hand: »So nicht, so ist's nicht gemeint. Du sagst, was geschehen ist, dafür bist du dort gewesen.«
»Und dafür heißest du Kulber,« suchte der Griesacher zu beschwichtigen.
»Ich will nicht mehr weiter reden,« murmelte Kulber.
»Als ob du noch mehr wüßtest?« fragte der Rampesbauer bange.
»Du mußt mir schon verzeihen, Freund,« bat der Mahrwirt. »Schau, ich hab' halt gemeint, das Herz dreht's mir um. Erzähle in Gottesnamen weiter.«
Jener schob den Lehnstuhl, daß es klirrte, setzte sich nieder, trank, stieß den Krug heftig auf den Tisch und fuhr also fort zu sagen: »Die Stadt Schwaz am Inn –«
»Ah, Schwaz, das ist eine schöne Stadt,« unterbrach der Häusler Thomas, »bin schon einmal dort gewesen.«
»Sie steht nimmer,« sagte Kulber. »Zwei Tage und drei Nächte lang hat sie gebrannt.«
»Die Bayern?«
»Der Schutthaufen ist ein Kirchhof. Liegen gar viele Leute darunter begraben. Und in der altehrwürdigen Pfarrkirche, die Greuel! Die Frevelthaten! In der Nebenkapelle ist eine heilige Magdalena, auf ihre Brust haben sie geschossen, wie auf Scheiben. Unsre liebe Frau auf dem Hochaltar –«
Jetzt legte der Prior dem Erzähler die Hand auf den Arm und sprach: »Gedenke dieser Klostermauern! So etwas haben sie noch nie vernommen und sollen es auch nie vernehmen. Ich kann's nicht hören, nicht fassen. Gott der Herr hat alles gesehen! Der allmächtige Rächer!«
Also hat Kulber nicht weiter erzählt.
Jetzt aber neigte der Thomas sich vor mit langem Halse weit über den Tisch und sagte: »Ich habe gehört, daß drin in der Eisackschlucht fünf Bayern gefangen worden sind.«
»Ist so,« antwortete der Kreuzwirt.
»Wo habt ihr sie denn?«
»Im oberen Stadtkeller sitzen sie.«
»Im Keller die Bayern?«
»Im trockenen. Rüben und Krennwurzeln, wenn sie beißen wollen.«
»So, so.«
»Was sagst, Thomas?«
»So, so, hab' ich gesagt. Verhungern lassen müßt ihr sie nit. Ich denk', wir heben sie für was andres auf.«
»Was meinst denn, Thomas?«
»Ich denk' dran, was uns der Steuereinnehmer hat erzählt. Kameraden! Sollten mir Tiroler jetzt nicht ein bissel Herrgott spielen?«
»Verstehe schon,« nickte Kulber.
»Herrgott spielen ist nicht leicht,« sagte der Prior.
»Ein klein Stückel Allmacht, denke ich, hätten wir jetzt doch in der Hand. Gott sei die Ehr'!«
»So zieh' nit eine Weil um, Thomas, und red'!« rief der Griesacher.
»Abzahlen!«
»Rächen?«
»Rächen!« sagte der Thomas.
»Leben sollst, Mensch!« rief ihm Kulber zu und trank.
Einer, der bisher geschwiegen hatte, der alte Stauker, begann jetzt mit dem Kopf zu wackeln, dabei murmelte er vor sich hin in den Krug: »Wohl, wohl, an denen soll's vergolten sein. Auf diese fünf Bayern laden wir die Buß', so viel Platz hat. Für Schwaz lebendig rösten; für das Scheibenschießen mit Ochsen zerreißen – nix, nix. Zu dumm ist man sich. Der Mensch ist zu dumm, sage ich, daß er die Marter ausdenkt, die da gehört.«
Stemmte sich jetzt Peter auf und redete gegen den Stauker hin: »Laß gut sein, Kamerad, so Großes hat der Mensch nimmer zu richten. Wir sind zu klein, um zu belohnen, und sind zu klein, um zu bestrafen. Wir sind arme Sünder. Ueberlassen wir die Rache dem, der die Ewigkeit hat.«
»Mahrwirt, vergelt' dir's Gott, so ist's christlich,« sprach der Prior.
»Und weiter«,« fuhr Peter fort, »ist wohl auch noch die Frage, ob unsre fünf Bayern für die Unthaten der andern Verantwortung haben? – Draußen in Krain haust, wie man hört, ein schreckbarer Raubmörder. Ihr habt ja gehört von dieser Bestie, die sogar Friedhofsgräber aufwühlt, um toten Mädchen das Herz aus der Brust zu schneiden. Ein Tiroler soll es sein, ein gebürtiger. Sind wir andern Tiroler für dieses Scheusal verantwortlich? Stauker, oder du, Thomas, laßt ihr euch hängen für den Landsmann?«
»Was wolltest du thun mit den fünf gefangenen Bayern?« fragte ihn Kulber, seine Erregung nur mühsam bemeisternd.
»Ich weiß eine andre Rache. Die fünf Bayern, die bei uns sitzen, sollen sich schämen.«
»Was sollen sie?« kreischte Kulber drein.
»Wir wollen sie so behandeln, daß sie sich bis in die Knochen hinein schämen sollen vor uns Tirolern, für sich und für ihr ganzes Vaterland. Es sind gefangene Soldaten, wir pflegen sie, wie man Bettler pflegt, und zum Friedensschluß liefern wir sie aus mit geraden Gliedern, und dann soll das Bayernland nachdenken. – Das ist meine Meinung.«
»Es stimmt nit!« rief der Thomas. »Peter, Peter, deine Meinung ist gut, aber die Bayern sind schlecht. Es stimmt nit.«
Ein Weilchen still war's, da setzte der Prior ruhig bei: »Es wird wohl doch stimmen. Hört ihr, jetzt läutet es zwölf Uhr. Jetzt beten tausend und tausend Christen: Vater unser, vergib uns unsre Schulden, als wie auch wir vergeben . . .«
Sie beteten still. Hernach aber beim Nachhausegehen murmelte Kulber dem Gesinnungsgenossen Thomas zu: Es ist leicht reden und es ist leicht verzeihen, wenn einem selber nichts geschehen ist und wer nichts gesehen hat!«
»Das sag' ich auch,« flüsterte der Thomas.
»Da möchte ich doch zum Spaß etliche kernfeste Bursche zusammensuchen, die uns helfen, daß wir diese Bayern nachtschlafend Stund beim Kellerfenster herausangeln. Die Leute im Zillerthal und die Stadt Schwaz werden wir doch bestätigen müssen, wir von dem Eisack. Ich will dafür sorgen.