Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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Peter, ich hab' deinen Handschlag!

Im Wirtshause an der Mahr waren keinerlei Anstalten getroffen, um zur glücklichen Heimkehr der Vermißten ein Freudenfest zu feiern, es feierte sich ganz von selbst. Alle Nachbarn und Freunde waren herbeigekommen, so daß das Haus die Gäste schier nicht fassen konnte. Heute tranken sie gemeinsam aus großen Krügen den rothen Tirolerwein, der um diese Jahreszeit am besten ist, und Peter saß frisch aufrecht unter ihnen. Er wußte keine Zeit, wo ihm so wohlgemut gewesen war, als heute, und wieder nahm er sich vor, von jetzt an ganz seinem Hause zu leben. Sein Plan war, die Wirtschaft an der Straße aufzugeben, oben auf dem Ritten, seiner alten Heimat, ein Bauerngut zu kaufen, zu pflanzen, zu ackern, Vieh zu züchten und festständig zu werden auf der Väter Scholle. – Vielleicht, daß er heute das letztemal frohe Kameradschaft hielt im Wirtshause.

Dem kleinen Hans mußten sie ins Bett hinein die Herzensworte sagen, die sich denn einmal nicht zurückhalten ließen. Der Held, der den Hofer gerettet hat! Der seinen jungen, gesunden Leib hat müssen opfern für den Vater von Tirol! – Die Frauen waren gar nicht abzuhalten, ihn zu herzen und zu kosen, bis er mit den Armen eine sehr unwillige Bewegung machte: Sie sollten ihn in Ruh' lassen!

Frau Notburga saß neben ihm und schaute ihn an mit einem Gesichte voller Stolz und voller Sorgen und wies die größten Lobpreisungen demüthig zurück. Der Arzt hatte versichert, die Hauptsache werde sich bald wieder geben, so daß der Knabe wenigstens am Stocke würde gehen können. Es war eben einer mehr der Krüppel aus dem Befreiungskampfe, und ein gar junger!

In einer ganz andern Glorie schwamm bei dem Feste der schöne schwarzlockige Gurgler-Tonele. Der aß und trank fürs erste weidlich, fürs zweite hatte er seine »Klampfen« zur Hand, und so oft sie anhuben, seine Bravheit zu loben, hub er an zu klimpern. Zum fröhlichen Saitenspiel munterer Gesang und dieweilen schweiften seine schwarzen Augen in der Stube umher und suchten etwas.

Dasselbige aber, was die schwarzen Augen suchten, lugte vom Vorhaus durch die Thürfuge herein. Die Magd Hanai allein hatte an diesem Tage bei sich so viele himmlische Freuden, als alle andern zusammen. Nur der einen Sache wegen wollte sie sich tief in den Erdboden hinein schämen. Alle Anwesenden hatten ihr Halbfeiertagsgewand am Leibe und waren ordentlich hergestiefelt; der Tonele saß in seinem lehmgrauen und verschlissenen Röckel da und hatte nicht einmal Schuhwerk an den Füßen. Er schaute wahrhaftig aus, als wäre er von seinem Ideal, dem Bettelkarren, herabgesprungen. Und doch hat er die Keckheit, mit seinem roten Gesichtel jeden und jede anzulachen! Aber das sollte er sich schon noch abgewöhnen, der müsse noch ordentlich gebürstet werden, bis man sich mit ihm auf den Kirchplatz wagen könne. Unerhört, was er jetzt wieder für eins herauszwickt.

Der Tonele ließ seine Augen blinzeln und sang:

»A so ein fesch Kerndl,
Als wie mein süaß Deandl
Gibt's auf der ganzen Welt nit mehr.
Und das liabe Täuberl
Wird bald mein brav Weiberl,
Ich gib's um Leib und Leb'n nit her!
– Schrum schrum, zidi zum –
Ich gib s um Leib und Leb'n nit her!«

Das war hübsch, aber es wäre gewiß noch hübscher gekommen, wenn der Gesang nicht derb unterbrochen worden wäre. Mehrere Männer traten rasch in die Stube, darunter auch der schwarze Steuereinnehmer.

»Ist Faschingszeit jetzt?« rief Kulber mit den Augen den Wirt fassend, »Mahrwirt, schicke die Spielleute und die Weibsbilder fort, wir verlangen es!«

Peter stand von seinem Sitze auf und entgegnete: »Das Recht wird mir zustehen.«

»Peter Mayr!« sagte Kulber, »willst du dich zu Schanden machen lassen von deinem zehnjährigen Sohn?«

»Wieso?«

»Der kann Wort halten.«

»Wort halten wird unsereiner auch noch können,« antwortete der Mahrwirt.

»Du hast mir dein Wort nicht gehalten!« sprach Kulber leise, aber mit schwerem Nachdruck.

»Kulber!« rief der Wirt und richtete sich starr empor.

»Wir haben dich gerufen in der Not, du sitzest beim Zechkrug und bist nicht gekommen, wie du mir's versprochen hast.«

»Ich habe dir nichts versprochen!«

»Oben im Gebirg! Peter, ich habe deinen Handschlag!« sagte Kulber.

»Davon weiß ich nichts. Beim Abschied habe ich dir freilich die Hand gegeben,« entgegnete Peter.

»Du hast mir sie darauf gegeben, daß du kommst!«

»Wenn es sein kann, habe ich gesagt.«

»Nicht, wenn es sein kann!« rief Kulber leidenschaftlich, »davon habe ich nichts gehört. Du hast mir die Hand darauf gegeben, daß du kommst und mit uns in den Kampf gehst!«

Alles war still und schaute auf den Mahrwirt. Dieser that die Arme auseinander in eine halb wagerechte Lage und sagte: »So wahr Gott im Himmel ist, ich weiß nichts davon. Aber ich habe seither viel Aufregung erlebt, man kann's vergessen. Sagst du's, Kamerad, so glaub' ich's. Wenn ich's versprochen habe, so halte ich's, und wenn ihr jetzt um mich da seid, so gehe ich mit euch.«

»Gott sei Dank,« sagten die Männer zu einander, »er geht mit uns.« Sie drängten sich an ihn, um seine Hand zu fassen: »Wir haben es ja gewußt, Mahrwirt, daß du uns nicht verlassen wirst. Unser Kommandant mußt sein!«

»Ich gehe mit, weil ich muß, aber Kommandant will ich nimmer sein,« entgegnete Peter.

»Unser Kommandant mußt sein. Die Verantwortung tragen wir alle, aber folgen wollen wir nur dir allein. Die andern sagen auch so. Du bist schon gewählt, da kannst dich nicht mehr weigern. Peter, denk' an die Klausen, damals! Mit dir und neben deiner werden wir die höllischen Sakra schon wieder hinauswerfen. Es ist aber die höchste Zeit, hinter dem Brenner herauf ist schon alles voll, mehr Franzosen als Graßbäume. Der Löw Befer strotzt sich auf wie die Katz' vor dem Sprung. Es ist die höchste Zeit.«

Peter wendete sich gegen die Tische hin: »Trinkts aus, Männer. Wer mit will – wir gehen!«

Kulber war vergnügt und dachte: Mit der plumpen Wahrheit richte ich das ganze Jahr nicht so viel aus, wie mit ein bissel Politik in einer halben Stund. Jetzt kann's losgehen.

Eine Viertelstunde später war es leer und still im Wirtshause an der Mahr. Frau Notburga saß nachdenklich unter ihren Kindern. Der Hans versicherte, daß weder an Händen noch an Füßen, noch an andern wunden Stellen Schmerzen vorhanden wären und daß er mit dabei sein wolle gegen die Franzosen. Indessen ging es ihm nicht viel besser, als oben im Gebirg: als er sich aufrichten wollte, sank er mit einem Hauch des Schmerzes wieder zurück. Dann knirschte er über den schlechten Arzt, der ihn noch nicht gesund gemacht hätte. Schwesterlein Marianna ging gar nicht von seinem Bette fort, sie hatte für ihn sanftmütigen Zuspruch und streichelte mit den weichen Händchen sein blondes Haar und schaute dabei ganz ehrfurchtsvoll auf den wiedergefundenen Hans, der so große Stücke ausgeführt und so viele Fährlichkeiten bestanden hatte. Er war ihr jetzt weit lieber, als das ganz kleine Peterlein, das noch nichts Nennenswertes geleistet hatte außer Milchtrinken und Fingerlutschen.

In der darauffolgenden Nacht ereignete es sich, daß an der Stallthür des Mahrwirtshauses jemand hübsch beharrlich klopfte und wisperte und endlich auch seufzte, und daß drinnen sich beharrlich niemand meldete. Als das eine Weile so gewesen, wurde es vor der Thür still, jedoch rückwärts draußen, wo ein Fensterlein war, hub eine gar ängstliche und gedrückte Männerstimme an, sanft also zu singen:

»Ich hab' dich so g'liabt,
Und ich hab' dich wollen werb'n,
Und jetzt soll ich traurig
Mit meiner Liab sterb'n.
Das kann doch nit sein,
Hab' dich gliabt treu und rein,
War ja immer bei dir,
Wann du weit weg von mir.

Und wann d' noch so hart bist,
Ich hab' dich doch gern,
Wie keiner auf der Welt dich
So liab'n kann und ehr'n.
Und daß ich dich g'habt hätt'
Mein Dirndl so gern,
Das wirst, wann ich g'storb'n bin,
Erst inne noch wern.«

Ah – nun ging das Fenster auf. In leise grollendem Tone sprach die Magd heraus: »Still sei! Die dummen G'sangeln alleweil! – Wo du sie nur hernimmst, möcht' ich wissen!«

»Das weiß ich halt selber nit,« meinte der Sänger, »mir fallen sie nur alleweil so ein.«

»Und ist's dir richtig ernst mit so was?« fragte sie.

»Ah beileib,« antwortete er, »man thut halt nur so singen.«

»Daß du aber schon gar keinen Fried' geben kannst bei der Nacht!«

»Ja, das ist mir schon selber zu dumm,« sagte der Tonele, – natürlich war es der – »dasmal ist's aber was Wichtiges. Ich will von dir Abschied nehmen.« Er lehnte an der Wand und hielt seine Hand hinein zum Fenster.

»Aber bist ja erst gekommen,« flüsterte die Hanai, »das heißt, du willst mit den Männern fort und da hast schon recht. Aufs Schlachtfeld, du tapferer Ritter, damit du wieder einen Franzosen – trinken lassen kannst am Brunnen.«

»Fangst schon wieder an,« murmelte er jetzt wirklich verzagt, »kaum daß ich bei dir bin, fängst an. Gescheiter, ich geh' fort und mich g'freut nichts mehr.«

»Toni, ja warum denn?«

»Na, halt so.«

»Lapp, du wirst doch wissen, warum!«

»Wissen thu' ich's schon.«

»Magst mir's nit sagen?«

»Du weißt es eh selber.«

»Und wenn der Kuhschweif Kirchenglocken läutet, nichts weiß ich.«

»So kannst dir's denken.«

»Ich bin nit so gescheit, als wie du.«

»Und ich bin nit so tapfer, als wie du,« sagte der Bursche bitter, »ich hab' keine Leut' derschossen, hab' mit der Mistgabel keine Franzosen versprengt, nit einmal den Bonaparte hab' ich gefangen und auch nit dem Sandwirt geholfen auf der Flucht.«

»Nau, und was weiter?«

»Und darum magst mich nit.«

Jetzt, das hatte die Hanai gehört und verstanden. Sie kratzte mit dem Fingernagel ein wenig am Fensterrahmen, als ob dort etwas Ungehöriges klebte, und hernach murmelte sie in den Holzpfosten hinein: »Das muß ich schon sagen, schön ist's just nit, daß du nit um einen Groschen was ausgerichtet hast bei der jetzigen Zeit, wo sogar die Schulbuben ihr Heldenstückel aufzuweisen haben. Nur, daß man es dir nit so schwer aufmessen kann. Und das, wie du den kleinen Hans hast aufgesucht –«

»Was meinst, Hanai?«

»Narr, geh' her näher, wenn du sonst nichts verstehst!«

Er war ohnehin nicht weit, nun duckte er sich und steckte den Kopf zum Fenster hinein.

»Was glaubst denn eigentlich?« fragte ihn die Hanai. »Du nichts haben, ich nichts haben – auf was sollen denn wir zusammen heiraten?«

Der Bursche stutzte. Davon spricht sie? Selber hebt sie davon an? Gut ist's.

»Freilich wohl, wenn wir nichts haben,« antwortete er beklommen, »aber schau, wenn wir nit zusammen heiraten, so haben wir halt auch nichts.«

»Sie lassen uns gar nit heiraten!« Unwirsch stieß die Magd dieses Wort hervor.

»Wegen dem,« antwortete hierauf der Bursche gelassen, »wegen dem, daß sie uns nit heiraten lassen, wollt' ich noch g'rad nit ins Wasser gehen; wenn wir uns all zwei miteinand gern haben, bin ich schon zufrieden.«

»Gern haben? Wie meinst du das?«

»Na ja, gern haben. Halt so gern haben, wie zwei verliebte Leut' sich halt gern haben.«

»Mensch!« begehrte die Hanai auf, »du bist doch grundverdorben. Wart', ich will dir helfen!« Zornig packte sie ihn bei den Haaren, der Bursche ächzte, wimmerte, gab dem Zerren ihrer Hand erklecklich nach, ruck, ruck, durchs Fenster – und plumps! liegt er drinnen auf der Stallstreu zu ihren Füßen.

Im ersten Augenblicke vermochte er sich vor Ueberraschung ob dieser unvorhergesehenen Schicksalswendung nicht zu fassen. Finster war es auch. Sie aber wußte ihn trotzdem zu finden, um diesen leichtfertigen Loter einmal recht exemplarisch zu strafen. Ihn an beiden Ohren fassend, mit den Fäusten seinen Kopf walkend, pfauchte sie: »Ja, mein sauberes Spitzbuberl! So hätte ich dich schon lang gern unter meinen Fäusten gehabt! Wie du es hast getrieben, das ist schon ein bissel gar zu arg gewesen. Herumklimpern vor allen Häusern und betteln, weiß Gott, um was alles! Nachher wieder herumliegen unter Stauden und Heuhaufen bei der Nacht! Nachher wieder fort, nichts hören lassen, nachher mit den zernichten Gewandfetzen im Wirtshaus sitzen und sich die Augen auskegeln auf allerlei Weibsbilder hin, daß es eine Schand und ein Spott ist . . .!«

»Au, au, au!« jammerte der arme Tonele, denn sie war ihm auf die Zehen getreten.

»Ja, au, au, wirst du dir noch genug winseln, wenn du einmal in der Höll' bist!« knirschte sie, »dieweilen aber! Dieweilen! Wart' nur, du sollst dir's merken!« Damit riß sie ihn an sich, »du schlechter Mensch, du! Du! Du! sündhafter sauberer lieber Kerl, du! Dem Hansel ein so braver Kamerad sein! Sei's meiner auch, Toni, herztausiger Schatz, sei's auch meiner! Mein bist! Mein bist ganz!« Und drückte seinen Kopf mit beiden Händen an ihren Busen und preßte ihn mit aller Macht an sich, daß ihm und ihr der Atem verging. –

So schauderhaft ist der junge Spielmann bestraft worden für seine Missethaten. – Ob es ein sehr abschreckendes Beispiel war? Aber gemerkt hat er sich's.

Am nächsten Morgen, als die Sonne aufging, saß der Bursche auf einer Pappel, wie sie an der Landstraße stehen, und trillerte ein solches:

»Sie hat ein Haar, als wie von Seiden,
Und ein' Hals, so weiß wie Kleiden,
Und 's frische, helle Aeugerl lacht,
Als wär's von Luft und Himmel g'macht.
Und Wangerln hat's wie Morgenröt,
Wann auf der Alm die Sonn' aufgeht.
Wann's lacht, so legt sich halt der Mund
In d' Wangerln eini, kugelrund,
Daß überall ein Grüaberl steht,
Als wann man ihr's ausdrachselt hätt'.
Und hat ein Brüsterl rund und rein,
Als wie ein weißer Marmelstein.
Und hat ein Herzel heiß und voll,
Daß ihr schier 's Mieder springen soll.
Und wann ich mir's so zuwaziach,
Und ihre weißen Zahnerln siach,
Und 's Zungenspitzl guckt herfür,
Da ist's frei aus und g'fahlt mit mir.
Da ließ' ich Himmelreich und Leb'n
Wann ich ihr kunnt a Busserl geb'n.«

So hat er gesungen hoch oben auf der Pappel, die an der Straße stand. Kann sich einer denn so viele Wissenschaft aneignen in einer einzigen Nacht?



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