Peter Rosegger
Peter Mayr der Wirt an der Mahr
Peter Rosegger

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Hanai, ein Geheimnis: du hast mich lieb!

Im Wirtshause an der Mahr ging es nun gar nicht langweilig her. Etliche lustige Bursche aus dem Gebirge waren da, auch ein paar bayrische Schreiber aus Brixen.

Anfangs vertrugen sie sich leidlich, denn sie schauten einander nicht an. Die Almer sprachen von Hochwild und Schützenlust und tranken Rotwein. Die Bayern unterhielten sich fast bescheiden leise mit politischen Angelegenheiten, und wer früher in der bischöflichen Residenz zu Brixen hofhalten werde, der Casteller oder Lefebvre, der Franzosengeneral. Dabei tranken sie ebenfalls Rotwein, Aber gerade dieser gleiche Geschmack im Wein führte nicht zur Einigung, sondern zur Entzweiung. Denn bald hub der Tirolerwein an, in einem der Bergburschen folgenderweise zu singen:

»O weh, o weh,
Die bayrische Armee
Ist von Bauern totgeschlagen
Und mit Musik eingegraben.
O weh!

O je, o je!
Sie laufen wie ein Reh,
Sie laufen aus Tirol hinaus,
Sie laufen zu der Mutter z'Haus –
O je!«

Anfangs thaten die bayrischen Schreiber, als hörten sie es nicht, und huben auch an, eins zu johlen, und zwar ganz harmlos von den drei Burschen, die über den Rhein zogen. Jetzt traten die Tiroler mit ihren groben Bundschuhen etwas kräftiger auf den Fußboden. Dabei kam einer einem Schreiber aufs Hühneraug. Auweh! empfand der Bayer, rief es aber nicht aus, sondern stülpte seinen Hut tief in die Stirn und trank Wein. Der Tiroler Rote ist einer, der es mit seinem Verehrer nicht übel meint, auch wenn's ein Bayer ist, und so stand es nicht lange an, daß der Bayer alles doppelt sah. Und weil er nun meinte, anstatt zwei Bayern wären ihrer vier vorhanden und ihrer vier könnten es schon wagen, da begann auch er Stimmung zu machen. Die einen stichelten hin, die andern her, die Augen leuchteten immer blitzartiger, die Gesichter wurden immer röter, die Stirnadern schwollen immer üppiger, die Arme zuckten immer lebhafter, die Hälse streckten sich immer länger über den Tisch, und so gab es sich ganz folgerichtig, daß sie aufeinander platzten – mit Fäusten und mit Krügen; als die schönen Worte aufgehört hatten, huben die Thatsachen an und das ging fast lautlos und gleichmäßig über die Köpfe und Rücken her, daß draußen Vorübergehende an dem dumpfen Lärm höchstens hätten vermuten können, in der Gaststube beim Wirt an der Mahr polterte ein Webstuhl. Doch was da gewoben wurde, das war der Kellnerin Theresa nicht fein genug, sie rief mit einem hellen Zetergeschrei alle Heiligen an. Diese schienen sich aber in polizeiliche Dinge nicht einmischen zu wollen und ließen ruhig raufen. Als jedoch einer der Schreiber das Messer aus der Tasche zog, da kreischte die Kellnerin hinaus in den Stall nach der Hanai. Währte nicht lange und die Hanai stand mitten in der Stube, in den Händen auf Halbmast gesenkt die dreispießige Stallgabel.

»Hau, sakra!« rief sie, fast männlich volltönend und schneidig, »wer mir noch einen Finger rührt auf den andern, den stech' ich nieder. Ist mir alles eins!«

»Heißa, da ist ja die Heilige mit der Mistgabel!« spottete der Schreiber. Im Augenblicke stach sie ihm den Hut von Kopf und schleuderte selben mit der Gabel zur Thür hinaus. »Noch ein Wort, Federfuchs, und du fliegst grad so nach!«

Der Schreiber hatte nichts Wichtiges mehr zu sagen. Auf ihre Plätze duckten sie sich und murmelten. Spott- und Hohnwörter murmelten sie, aber ja nicht so laut, daß dieselben verstanden werden konnten.

»Ist's einem nit recht, der soll's sagen!« rief die Hanai. »Nichts wird mehr eingeschenkt, habts gezecht genug. Heim gehts!«

Da huben sie sachte an und verzogen sich, die Tirolerburschen wie die Bayern. Die Hanai sperrte alle Thüren zu, sah nach den schlummernden Kindern und ob das zur Pflege aufgestellte Weiblein seines Amtes walte, und ging auch schlafen.

Was die Almburschen machten, kann man sich denken, sie gingen ihres Weges und lachten. Die beiden Schreiber führten auf ihrer breiten Straße folgendes Gespräch:

»Jetzt wurmt's mich erst.«

»Meiner Seel, mich auch.«

»Sich von einem Weibsbild ins Bockshorn jagen zu lassen!«

»Ja, die Furie sticht dich nieder, wie der Fleischerknecht das Kalb.«

»Eiskalt über den Rücken ist's mir gegangen, wie die mich hat angeschaut. Das ist ein abscheuliches Weibsbild!«

»Oben in Spinges soll sie ja die Kirche verteidigt haben, ganz allein gegen die Franzosen.«

»Wenn eine so ausschaut, wie die, da glaub' ich's.«

»Vor ihrem Ausgeschau möchte ich mich nit schrecken. Aber die Gabel!«

»Wenn schon einmal Stalldirnen mit der Gabel gehen!«

»Freund, ich sage dir, ich habe genug. Es ist nit mehr lustig in Tirol.«

»Das sind wilde Leute!«

»Aber recht haben sie . . .«

Nach einem Weilchen flüsterte der andre: »Das sagst du gleich so hin? Gib acht, Freund, das darf man sich nur denken, aber nit sagen.«

»Paß auf, man wird's auch bald sagen dürfen.«

Weiter sprachen sie nicht und trotteten träge hin. Nach einer Weile huben sie wieder an:

»Eine heimtückische Bande, eigentlich. Immer nur aus dem Hinterhalte hervorschießen.«

»Wie sollen sie es denn machen? Die Handvoll Bauern auf offenem Felde gegen den Bonaparte!«

»Der Teufel soll ihn holen!«

»Wen? den –?«

»Den Großen! Ein Unglück für die ganze Welt, daß keiner die Courage hat! Bei den vielen Kugeln, die heutzutage gegossen werden!«

»Laß ihm du eine zukommen.«

»Ich mag nit gehenkt werden.«

»Es wäre ein Heldentod, mein Lieber!«

»Soll dir vergönnt sein.«

»Der Heldentod? Freund, ich mag halt auch nit gehenkt werden.«

»Weil wir Memmen sind, alle miteinander, drum verdienen wir ihn, diesen Raubers–«

Also sprachen miteinander die bayrischen Krieger; es war wohlgethan vom Eisack, daß er so laut rauschte, als wollte er warnend: Pst! Pst! sagen. Sie schritten über die Brücke. –

Am nächsten Morgen, noch ehe in Sankt Jakob die Aveglocke klang, war die Magd Hanai schon wieder im Stall; die Handlaterne mit dem brennenden Kerzlein drin hing sie an den dazu bestimmten Haken und dann schickte sie sich an, den Rindern Futter in den Trog zu thun. Und als das grüne Gras im Troge lag, wurde es dort lebendig und hub an in Fetzen gegen die Decke zu fliegen, emporgeschnellt von zwei menschlichen Beinen. Im Futtertroge lag der schöne Toni.

Die Hanai begehrte scharf auf, was er da zu suchen habe!

»Nichts,« antwortete der Bursche gähnend, »ich suche ja auch nichts.«

»Ein Faulenzer bist!« rief sie.

»Weil ich zu nachtschlafender Stund' im Bett liege? Aber Dirndel, schau, solche Faulenzer gibt's viele.«

»Ein Mannsbild auf der Bärenhaut, jetzund wo es so viel zu thun gibt auf der Welt.«

»Aber Engelein, ich werd' doch einmal ein bissel rasten dürfen!«

»Natürlich, wie du dich angestrengt hast bei der Schlacht!«

»Das will ich meinen!« sagte der Tonele lustig. »Andre prahlen sich schon, wenn sie an einem Tag fünfzig, sechzig Franzosen niederlegen. Was soll erst ich sagen, der ich an einem Tag ihrer viele Tausend hab' laufen lassen!«

»So steh doch jetzt auf, daß die Kühe ihr Gras fressen können.«

»Ja so, die Kühe,« murmelte er, »Hanai, ja die Kühe. Du hast halt das dumme Vieh lieber wie den armen Spielmann.«

»Zum wenigsten macht es sich nützlicher.«

Der Bursche that eine mißmutige Gebärde und sprach gar traurig: »Hanai, meiner Seel, du Hanai! Denkst denn an gar nichts? Wie ich jetzt so dalieg im engen Trog, so werd' ich einmal in der Truhen liegen. Nachher wird's dich gereuen, daß du so hart bist gewesen, nachher wirst meinen. – Ja, ja, jetzt lachst noch, aber dann wirst du weinen. Denn – geh her,« er richtete sich im Troge ein wenig auf, »Hanai, ich will dir was sagen. Noch näher. Das muß ich dir ins Ohr hinein sagen, kein Mensch darf's hören, auch kein Vieh. Denke, dir, Hanai, ein Geheimnis: du – du hast mich lieb . . .«

»Dummheiten!« rief sie aus.

»Mag wohl sein,« fuhr der Bursche mit den Augen zwinkernd fort, »ganz dumm wirst du darüber, wie du mich lieb hast. Du, Hanai, 's Laternthürl mach zu, sonst blast der Wind 's Licht aus. – Ja, was will ich denn sagen? Kannst machen was du willst, denkst doch alleweil an nichts anderes, als an den Musikanten-Tonele. Bist beim Vieh, so denkst immer: Wenn er nur nit so faul wär'! Bist oben bei Spinges, so denkst: Wenn doch auch der Tonele tapfer thät schießen, dann wär's aus mit dem Feind, aus und vorbei! Bist beim Essen, so denkst: Wird der Tonele auch was haben? Und wenn du thust schlafen, so träumt dir: der liebe Tonele, wenn er neben meiner thät sein!«

»Wie weißt du denn das?« fuhr sie ihn heftig an.

»Das ist leicht wissen,« gab er zur Antwort und legte sich wieder um.

»Wie weißt das, kecker Mensch?«

»Ich weiß es halt von mir selber.«

»Toni, du irrst dich!« sagte die Magd und raffte die verschleuderten Futterfetzen zusammen. »Mögen thu' ich schon einen, ich. Ist ja wahr, daß ich einen mag. Aber ich will einen haben, der im Krieg brav schießen und im Frieden fleißig arbeiten kann.«

»Arbeiten!« schrie der Bursche auf. »Hanai, wie kommst du bei mir auf solche Gedanken? Ich weiß nit, was die Leut' alleweil haben mit ihrem Arbeiten. Arbeiten ist die unnützest Beschäftigung, die ich mir vorstellen kann. Im Sommer Holz hacken, daß man muß schwitzen, und im Winter Holz verbrennen, daß man wieder muß schwitzen. Was hast davon? Schwitzen mußt und sonst nichts. – Aber du, Hanai,« setzte er hinzu, auf das grüne Futter deutend, »so gib der Kuh doch Heu in den Trog, sonst frißt sie mir die Hosen vom Leib.«

»Heu!« kreischte die Magd auf, so grell, daß man meinen konnte, es hätte sie etwas gestochen. »Heu, sagt er! Jetzt weiß der nit einmal, was Heu ist! Das ist Gras, mein Herr Faulenzer, und nit Heu.«

»Gras oder Heu, wegen so was will ich nit streiten. Das ist ein Diskurs fürs Vieh.«

Die Hanai wußte nun einmal gar nicht, sollte sie weinen vor Aerger oder lachen vor Vergnügen, daß dieser Mensch gar so herzig und dumm war.

»Toni, du bist ein Taugenichts!« rief sie zornig. »Vom Schragen heb dich weg!«

Er blieb aber ruhig liegen und sagte: »Meine Hanai. Am meisten gefreut mich auf dieser Welt, daß du auf mich so gut bist. Wenn du so mit mir plauderst, schau, da bin ich wie im Himmel. – Weißt', wie weit ich's bringen möcht? Weißt, wie weit?«

»Wirst gewiß König von Tirol werden wollen,« spottete sie.

»Ein Dörcherwagerl und voran ein Halbesel dran, auf dem man reiten kann. Ein fein ausgeflicktes Leinwanddach drüber. Und im Kobel meine Hanai, und kleine Kinder – eine Menge kleine Kinder. Und ich Rittersmann auf dem Halbeserl, lustig mit der Klampfen, und vor den Häusern überall eins aufspielen und eins singen. Und Kreuzer in den Hut, von rechts und von links und von oben. Dirndel, das wär' ein Leben! – So weit möcht' ich's bringen.«

Jetzt ging ihr aber die Fassung aus. »Schämen sollst dich – Bettelbub!«

Auf solchen Zuruf hob er den schwarzlockigen Kopf, schaute sie mit seinen großen, frischen Augen treuherzig an und sagte: »Was gibt's denn Besseres, als betteln? Wer was kriegt, der kann davon leben, und wer was gibt, der kommt dafür in den Himmel.«

»An meiner Thür kriegst nichts, das merke dir!« rief sie, »verhungern sollst! versterben sollst!«

Er schwieg eine Weile und blinzelte sie an. Sie begann ein Gespräch mit der Kuh, setzte sich darunter auf einen Einfuß und begann zu melken. Derweil sang er also:

»Wann ich amal stirb, stirb, stirb,
Schlagts auf die Truhen drauf,
Dann steh' ich wieder auf.
Alleweil fidel, fidel,
Traurig sein mag ich nit,
Na, meiner Seel!

Bin ich amal tot, tot, tot,
Soll'n mich Tiroler trag'n
Und dabei Zithern schlag'n,
Alleweil fidel, fidel,
Traurig sein mag ich nit,
Na, meiner Seel!«

Das Rieseln der Milch in den Zuber war nachgerade eine liebliche Begleitung zu diesem Gesange und es ist nicht ganz unmöglich, daß die Magd Hanai die Zitzen ein wenig nach dem Takte des Liedes strich. Dann aber gab sie ihm folgende Rede: »Mein Gott, Tonele, du bist wohl ein lasterhafter Mensch! In diesem Haus das große Unglück, und du so ausgelassen singen!«

»Was für ein Unglück?« fragte der Bursche und richtete sich im Troge halb auf.

»Du weißt nichts davon, daß unser kleiner Bub in Verlust geraten ist?«

»Der Hansel? Das goldhaarige Büberl? Das mit dem kugelrunden Gesichtel?«

»Wirt und Wirtin sind davon, alle Leut' aus, ihn zu suchen. Gott weiß es! Seit der Schlacht ist er nimmer heimgekommen. Bei den Bayern sagen sie, oder bei den Franzosen. Abgefangen, sagen sie.«

Jetzt war der Tonele aus dem Troge gesprungen mit beiden Füßen zugleich. Hastig riß er die Laterne vom Haken und leuchtete in den dunklen Winkeln umher.

»Was willst denn?« fragte sie.

»Meinen Stutzen!«

»Daß er dich nit beißt!«

»Ah, da lehnt er ja. Gut ist's. Behüt' dich Gott, Hanai«

Ohne ein weiteres Wort, die Jackenflügel über der Brust ineinandergeknöpft, den löcherigen Filzhut auf den Kopf gestülpt, das Gewehr über die Achsel geworfen und fort. – Die Hanai schaut ihm nach und war völlig starr vor Verwunderung. – Was wäre das für ein lieber Kerl, dachte sie, aber halt verrückt! Gottlos verrückt! Und ist's denn ein Wunder? Wenn's einem halt alleweil so ganz anders geht, wie andern, da wird er freilich ein ganz andrer, wie andre! Von Rechts wegen sollte der Toni nicht auf der Welt sein. –

Und während sie dasaß auf dem Einfuß und also nachsann über die wunderlichen Reden, die er ihr heute gethan, und über sein Jugendleben, welches er ihr selber einmal eingestanden – da rann dieweilen unbemerkt aus dem Zuber das weiße laue Brünnlein auf die Streu hinab.

Wenn des Tonele halber schon einmal die Milch ausrinnt, da möchten wir's doch selber wissen, was es mit diesem Menschen ist. Gar nicht auf der Welt sollte er sein, von Rechts wegen! Wie geht das zu? Sind wohl wir andern von Rechts wegen auf der Welt? Ich kenne manchen, der dagegen klagbar wird. Weil wir schon einmal so weit sind, muß die Geschichte gründlich erzählt werden. Vorher wollen wir noch die Magd aus ihren Träumen wecken: Hanai! Hanai! die Milch! Natürlich, du hast ihn gar nicht lieb, er ist dir ganz gleichgültig, er könnte deinetwegen verhungern, versterben! – Hanai, die Milch!



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