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X.

Astrid saß zu Griggs' Füßen. Draußen lag feuchtkalte Nacht; im Kamin loderte lustiges Feuer. Er hatte die Fenstervorhänge geschlossen, und das Licht glühte traulich über den hundert Gegenständen seines Arbeitszimmers.

»Ja«, sagte er. »Ich werde die Scheidung beantragen. Es wird schnell gehen, denn auch Yrsa möchte frei werden; ich glaube, sie liebt Oevelund.«

»Ich glaube,« sagte Astrid leise, »sie liebt dich. Es ist wahr, sie hat dich verleumdet. Aber die Gedankengänge einer Frau sind seltsam, das kannst du mir glauben. Eine Frau beschäftigt sich nicht so intensiv mit einem Mann, der ihr gleichgültig ist.«

»Sie wollte dich warnen. Darin liegt kein Interesse für mich, sondern höchstens für dich.«

»Ich glaube, ich sehe weiter als du. Sie wollte mich warnen, damit ich dich aufgeben sollte.«

Er schloß sie in die Arme und küßte sie.

»Ich muß heim – –«

Während sie durch die stillen Straßen gingen, betrachtete sie ihn von der Seite. Sie sah seine eingefallenen Wangen und den nervösen Zug um seinen Mund.

»Du verheimlichst mir etwas.«

Er winkte eben ein Auto heran. Sie wiederholte ihre Frage, während sie durch die Nacht dahinsausten.

»Was sollte ich dir wohl verheimlichen?«

»Sag' mir die Wahrheit, Norman. Ist nicht dein Kummer der meinige? Sage es mir, ich bin ruhiger, wenn ich es weiß.«

Er faßte in die Tasche und zog ein knisterndes Papier.

Es war eine Vorladung der Polizeibehörde.

»Es ist in Sachen Lumbye«, fügte er erklärend hinzu. »Auf morgen früh neun Uhr. Jetzt weißt du es.«

Sie umschlang ihn. »Sie müssen begreifen, daß du es aus edlen Motiven getan hast. Aus reiner Menschenliebe. Und da du nicht gewußt hast, daß dich Lumbye zum Erben eingesetzt hat ...«

Er nickte trübe. »Ob sie es mir glauben werden? Ich will die Wahrheit sagen: ist rechne mit meiner Ausweisung.«

»Dann gehe ich mit dir«, sagte sie. »In die weite Welt.«

Das Auto hielt. Er verabschiedete sich mit zerstreuter Zärtlichkeit von ihr.

»Geh zu Fuß heim. Das wird dich erfrischen.«

Er ging schlendernd durch die Nacht. Die Nebel waren gefallen; in Sternenpracht strahlte der Himmel. Allmählich wurden die Straßen lebendiger: sie liefen auf den Kongens Nytorv zu.

Ein paar Lebemänner im offenen Auto sausten an ihm vorüber. »Griggs!« schrie eine Stimme.

Er grüßte flüchtig hinterdrein, ohne jemand erkannt zu haben.

Wissensdurstige standen um einen Mann mit einem Fernrohr. Einer schaute mit schweigender Andacht in einer außerordentlich unbequemen Stellung in das Objektiv; zwei andere warteten. Das Teleskop war auf einen rötlich funkelnden Stern gerichtet.

»Der Mars, nicht wahr?« erkundigte sich jemand.

»Nein, mein Herr«, erwiderte der Besitzer höflich. »Es ist der Saturn. Aber Sie haben ganz recht, wenn Sie ihn mit dem Mars verwechseln. Niemand kann sich erklären, wie es zugeht: seit kurzer Zeit ist der Saturn nicht wiederzuerkennen. Man kann es von Woche zu Woche beobachten, wie seine Farbe langsam in ein glühendes Rot übergeht. Gott mag wissen, was da oben vor sich geht, mein Herr.«

Griggs blickte hinauf zu dem funkelnden Planeten, der schweigend sein rätselhaftes Licht niedersandte auf die nächtliche Erde. Ein paar Spießer zeigten auf das Fernrohr, stießen sich an und grinsten. Autos rasten vorüber; im Schein der Bogenlampen strich lockende Liebe. Alle um ihn herum ließen das Unerhörte an sich vorübergehen, ohne es zu erkennen. Und keiner ahnte, daß hier einer stand, der teilhaftig war grandiosester Offenbarung.

Traurig ging er weiter. Er hörte den Klang seiner eigenen Schritte, die sich in der tiefen Stille der dunklen Stadt verloren, und wieder überkam ihn das Bewußtsein seiner grenzenlosen Einsamkeit. Immer war es so gewesen: das Wunder bot sich dar, aber keiner begriff es. Die wenigen, die den Ruf vernahmen, büßten es mit dem Hohn der Menge, verendeten, gehetzt vom Geheul, unter den Fußtritten der Verfolger.

Er bog in die dunkle Straße ein, in der er wohnte. Er hatte das seltsame Gefühl, auf einer Flucht zu sein. Das waren die Nerven, natürlich; es konnte nichts anderes sein. Er öffnete den Mantel; das Vorladungsformular knisterte in seiner Tasche. Hastig zog er den Schlüssel; aufatmend öffnete er die schwere Tür. Er blickte unruhig zurück. Niemand war zu sehen in dieser späten Stunde.

Als er sein Arbeitszimmer passierte, um schlafen zu gehen, fühlte er, daß er völlig munter war. Er nahm eine Zigarette; während er sie in Brand setzte, ging der Melder der Radiostation. Er nickte vor sich hin, fast als ob er auf eine Verabredung antworte. Bedächtig legte er die Zigarette in den Aschbecher; gewissenhaft und sachlich schaltete er den Fernseher ein.

Eine lange Botschaft kam. Sie war komplizierter als alles Bisherige ... Er unterschied allein siebzehn verschiedene Arten geometrischer Figuren, die sich wiederum in bestimmten Stellungen zusammenfanden, sich gegeneinander auswechselten zu immer neuen Konstellationen. Er erhaschte im Fluge den Sinn verschiedener Kombinationen, wenigstens glaubte er ihn annähernd zu begreifen. Während die Bilderfolge noch arbeitete, beschäftigte er sich bereits mit der Umdeutung. Wieder erschien zum Schluß das Bild des Saturn.

Dann schaltete er den Aufnahmeapparat ein.

Das Herz pochte ihm in irren Stößen. Er stieß das Fenster auf.

Dort oben stand klar und funkelnd der Saturn.

Der Anblick erfüllte ihn mit einem seltsamen Zugehörigkeitsgefühl – so mochte ein Sterbender visionär die Heimat sehen.

Der strahlende Stern dort oben ließ seinen Blick nicht los; zwingend wühlte sich der rote Glanz in sein Hirn. Gebieterisch erfüllte ihn ein fremdes, unbegreifliches, klingendes Fluidum.

Er riß sich los, aus einer Regung des Unterbewußtseins heraus, und schloß das Fenster. Noch durch die Vorhänge hindurch glaubte er das lockende Licht zu fühlen. Er warf sich in den Sessel, das Gesicht dem Zimmer zugewandt, und griff nach der Zeitung, die unaufgeschlagen auf dem Schreibtisch lag.

Er warf einen Blick auf die Überschrift, die quer über die ganze Seite lief, und las:

»Aufstand der Sträflinge von Helen Island.«

Er vermochte nur mit Mühe weiterzulesen. Rötliche Lichtringe schienen ihm um die Buchstaben zu kreisen, sich zu geometrischen Figuren zu verändern. Ohne es zu wollen, wandte er den Kopf zum Fenster; ein geheimnisvoller Kontakt, das fühlte er, bestand zwischen diesem dunklen Zimmer und jenem Stern dort oben. Deutlich sah er die feinen Strahlen, die, erfüllt von geheimer Botschaft, aus dem Weltall zu ihm hereinfluteten. Fast körperlich schien ihm ihre Mission. Nicht nur an sein Auge, auch an sein Gehör, an seine Nerven, an alle seine Sinne wandte sich das Sternengebot. Er stand auf, ihm entgegenzugehen.

In diesem Augenblick ging der Melder zum zweitenmal.

*

»Wollen Sie sich zu der Anklage äußern?« fragte der Polizeikommissar.

Griggs machte eine Verbeugung. »Ich gebe den Tatbestand zu.«

Überrascht sah der Beamte auf; sein Gesichtsausdruck wurde fast respektvoll.

»Sie haben ihn getötet?«

»Ja.«

»Vorsätzlich, nicht wahr?«

»Vorsätzlich.«

»Das erleichtert uns die Arbeit ungemein. Was haben Sie zu Ihrer Entlastung zu sagen? Ich bin bereit, alles entgegenzunehmen, was Sie vorzubringen haben; im übrigen befiehlt mir das Gesetz, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß jedes Wort, das Sie hier sprechen, gegebenenfalls gegen Sie benutzt werden wird.«

Griggs sah dem Kommissar in die Augen.

»Ich habe einen Unglücklichen von seinen Leiden befreit.«

Der Beamte machte Notizen. »Das läßt sich hören«, nickte er, ein wenig zerstreut. »Haben Sie im Einverständnis mit dem Getöteten gehandelt?«

»Gewiß.«

»Er hat Sie gebeten, ihm diesen Liebesdienst zu erweisen?«

»Er hat mich viele Male darum angefleht, bis ich mich endlich zu der Tat entschlossen habe.«

»Soso. Ich danke Ihnen.«

Zögernd erhob sich Griggs. Er war schon an der Tür, als der Kommissar sagte: »Noch eine Kleinigkeit. Sie wissen, daß Ihnen Ihre Tat zwei Millionen Kronen eingebracht hat?«

»Davon habe ich nichts gewußt, als ich ihm das Morphium appliziert habe.«

»Ich danke Ihnen. Die Untersuchung geht weiter.«

Griggs ging durch das Gewühl des Vormittags. Fast mit einer Enttäuschung im Herzen. Er mußte über sich selbst lächeln. Er hatte so etwas erwartet wie eine Inquisition; und nun war es eine artige Unterhaltung zwischen zwei gut erzogenen Herren der Gesellschaft gewesen, die ebensogut in der Bar eines Hotels oder im Coupé einer Eisenbahn hätte stattfinden können. Nichts von alledem, was man sich unter einem Verhör auf der Kriminalpolizei vorstellt; liebenswürdiger und rücksichtsvoller hätte kein Arzt sprechen können, als der blondbärtige Mann dort oben.

Er wandte sich und blickte hinauf zu den Fenstern des zweiten Stocks, von wo er kam.

Dort oben stand der Kommissar und blickte ihm nach. Während er dies erstaunt wahrnahm, schloß sich langsam das Fenster.

Zu Hause wartete ein Herr. Griggs warf einen Blick auf die Visitenkarte, die draußen in der Schale lag.

Es war der Direktor der Sternwarte.

»Guten Tag, Griggs. Hören Sie, Sie sind ein fabelhafter Mensch! Sie erinnern sich: ich sagte Ihnen, daß ich von dem und dem Punkt an nicht mehr mitgehe.«

Griggs machte eine Handbewegung. »Gewiß, Herr Direktor, ich weiß es.«

»Nun, heute kann ich Ihnen sagen, daß ich alles zurücknehme. Sie haben mich bekehrt. Sie haben recht gehabt Punkt für Punkt, Wort für Wort. Das kann kein Zufall sein. Auf die Erhebungen in Neukaledonien und in Guayana sind neue gefolgt. Sie wissen es vermutlich schon ...«

»Gewiß.«

»... die alles Bisherige in den Schatten stellen. Man munkelt von weiteren Erhebungen in den großen Deportationszentren – es ist, als ob in der Tat eine geheimnisvolle Welle über die Welt ginge, ein Taifun der Empörung – ein Wirbelsturm des Aufruhrs. Das ist kein Zufall, Herr Doktor Griggs, da sind irgendwo Zusammenhänge. Unterirdisch. Oder vielleicht« – lächelnd sah der Erregte Griggs ins Gesicht –, »oder vielleicht überirdische. Man muß Sie rehabilitieren, Griggs. Soviel steht fest. Skepsis in allen Ehren, aber wo sie Tatsachen leugnet, wird sie zum Verbrechen. Man muß Sie um Verzeihung bitten. Nicht nur das: ich werde dafür sorgen, daß man Sie um Ihre Mitarbeit in aller Form ersuchen wird.«

Griggs warf einen zögernden Blick auf den Fernseher. Dann sagte er langsam:

»Ich habe Ihnen etwas Neues zu melden.«

»Nun, Griggs?«

»Ich hätte es vielleicht für mich behalten, wenn Sie auf dem alten Standpunkt des Unglaubens, oder nennen wir es der Vorsicht, stehengeblieben wären. Aber ich höre aus Ihren eigenen Worten, Herr Professor, daß Sie an mich glauben. Wollen Sie meine neuesten Forschungsergebnisse hören?«

Jener machte eine stumme Bewegung mit der Hand.

»Ich habe Ihnen kürzlich die Bildbotschaft vorgelegt, Herr Professor; anschließend daran habe ich den Versuch gemacht, die Bilder zu deuten, und zwar im Sinne unserer primitiven Schriftarten, namentlich der Hieroglyphen.«

Der Professor nickte.

»Sie gingen nicht recht mit ...«

»Können Sie es mir verdenken, Griggs? Etwas so überwältigend Neues kann man nicht hinnehmen, ohne mit der Wimper zu zucken. Besonders nicht« – er lachte –, »wenn man Wissenschaftler ist. Denn das bedeutet doch nichts anderes, als durch hundert Vorurteile gebunden sein, im Alten fußen, Hemmungen aller Art empfinden und Blamagen fürchten, wo die übrige Welt nichts als Fortschritt sieht. Ein Wunder ist eine göttliche Gabe für die Menschheit – für die Wissenschaft ist es Gegenstand ärgerlicher Diskussionen.«

»Haben Sie sich mit meiner Deutung beschäftigt?«

»Ob ich mich mit Ihrer Deutung beschäftigt habe?! So viel Bücher, wie ich in diesen Nächten gewälzt habe, gibt's gar nicht!! Das ist ja der Grund, warum ich hier bin, Griggs. Ihre Deutung ist richtig. Zweifellos richtig!«

»Dann darf ich Ihnen« – die Röte der Freude ging über Griggs' Gesicht –, »dann darf ich Ihnen Weiteres berichten. Eine neue Depesche ist gekommen – mit neuen Zeichen und neuen Kombinationen. Siebzehn verschiedene geometrische Figuren haben sich in neuen variierenden Konstellationen gezeigt – das bedeutete eine Arbeit, der ich mich zunächst kaum gewachsen glaubte. Hier ist die Depesche.«

Der Professor betrachtete mit zusammengekniffenen Augen die einzelnen Bildfiguren. Er zog ein Notizbuch; Griggs hatte den Eindruck, als ob er Vergleiche anstelle.

»Ich verstehe ein bißchen von Bilderschrift«, sagte er endlich, und seine Augen wurden bestürzt. Unruhig wies er auf eine Stelle des Bildbandes. »Diese Gruppe von Figuren mit einem einzelnen in erhöhter Stellung bedeutet ›Herrscher‹.«

»Ja«, sagte Griggs.

»Und diese Botschaft ist an einen Bestimmten gerichtet. Stimmt das?«

»Ja.«

»Das ist eine sehr merkwürdige und aufregende Depesche, Griggs. Überdies ist sie außerordentlich reich an Ornamenten. An Schnörkeln.«

»Ich werde Ihnen ihren Sinn auslegen. Sie sollen entscheiden, Herr Professor, ob ich mich geirrt habe. Ich gebe zu, daß ich nicht wörtlich übersetze; ich tue das im Interesse der Vereinfachung.«

»Gut, gut.«

» Die Erhebung der Kriminellen Eures Planeten ist in vollem Gange.« So beginnt die Depesche.

»Weiter!«

» Wir erfühlen das Vorhandensein eines kongenialen Intellekts. Wir richten diese Botschaft, wie die vorhergehenden, an dich persönlich. Du sollst die Führung der Kriminellen auf Eurem Planeten übernehmen. Unser Stern wird dir seine ungeheuren Radio-Energien zur Verfügung stellen. Du sollst der Vollzieher des Saturngedankens sein – du sollst die Herrschaft der Kriminellen auf Eurem Planeten aufrichten

Der Professor war aufgesprungen. »Geben Sie mir den Bildstreifen, Griggs. Was Sie mir da sagen, ist so unerhört, daß ich es einfach nicht in mich aufnehmen kann.«

»Sie sollen ihn haben.«

Der Professor rollte das Filmband gedankenvoll umeinander. »Gesetzt den Fall, Sie hätten die Botschaft richtig gedeutet. Der Saturn fordere Sie tatsächlich auf, die Herrschaft der Verbrecher auf der Erde aufzurichten. Was werden Sie tun? Werden Sie dem Rufe folgen?«

»Nein, Herr Professor. Denn das würde den Bruch mit allen meinen bürgerlichen Instinkten bedeuten.«

*

Astrid Laurgaard lachte über das ganze Gesicht, als sie eintrat. Sie war noch schöner geworden in den wenigen Wochen. Das leuchtend blonde Haar fiel in einem weichen Knoten tief in den Nacken. Ihre Wangen waren voller und rosiger geworden. Als sie ins Zimmer trat, jung und siegessicher, waren alle dunklen Schatten fortgeweht.

Sie schwenkte ein Zeitungsblatt.

»Rat' mal, was hier drinsteht! Als Überschrift!«

»Was ist das für ein Blatt?«

»Die Politiken.«

»Dann ist es ein neuer Angriff«, sagte er resigniert.

»Fehldiagnose, Herr Doktor. Diese Zeitung, an der sich alle dänischen Zeitungen ein Muster nehmen sollten, bringt vier fettgedruckte Überschriften untereinander. Vier, hörst du? Eine immer einsichtsvoller als die andere:

»Ein neuer Künder der Zukunft!

Doktor Griggs sagt die Erhebung der Sträflinge in der ganzen Welt voraus!

Doktor Griggs – Medium für Saturnwellen!

Er kann kraft seiner prophetischen Gabe vielleicht die Welt vor einer furchtbaren Katastrophe bewahren!«

Er nahm ihr fassungslos das Blatt aus der Hand, leuchtender Stolz überglänzte seine Züge.

»Das ist Professor Willumsen von der Sternwarte!«

»Und Oevelund!« setzte sie hinzu.

Das Gefühl, von einer langen, schweren Krankheit zu genesen, sprengte ihm fast die Brust.

»Wir wollen in die Stadt fahren!« sagte er endlich glücklich.

»In die Stadt? Wir wollen eine Fahrt am Sund entlang machen.«

»Und im Angleterre zum Abend essen.«

»Ja, Liebster.«

Sie verlebten ein paar Stunden glücklichen Nichtstuns. Sonniger Frühlingstag lag über der gesegneten Küste von Seeland; bis fern drüben zum Hallandschen Ufer spielten die zitternden Sonnenschleier über dem Wasser. Der Himmel war wie ein unendliches durchsichtiges grünes Glasdach, das eine Welt von junger Liebe und erwachender Daseinswonne einschloß.

Sie kamen von der Eremitage zurück. Ein paar Bekannte grüßten in den Wagen hinein – tiefer als sonst, wie es Griggs schien.

Er wandte sich zu Astrid herum. Sie nickte lächelnd; auch sie hatte die Veränderung gemerkt.

Der Saal des Hotels d'Angleterre war fast gefüllt. Der Geschäftsführer begrüßte die beiden mit höflichem Respekt und führte sie an einen Tisch. »Reserviert für illustre Gäste«, sagte er halb im Scherz, halb wohl im Ernst.

»Guten Abend!«

Es war Ulsaker, der die zwei mit sichtlicher Freude begrüßte. Er setzte sich plaudernd für einen Moment zu ihnen.

»Ganz Kopenhagen spricht von Ihnen, Herr Doktor. Der Artikel in der Politiken geht von Hand zu Hand. Und nun: die neuesten Berichte der Abendzeitungen, die Ihre Prophezeiungen ...«

»Ich habe noch nichts gelesen.«

»Die Sträflinge von Ceuta haben revoltiert. Sie wissen doch: die spanische Deportationskolonie Ceuta? Der Gouverneur ist ermordet, die Besatzung zum Teil getötet; der größere Teil ist auf die Seite der Verbrecher getreten.«

Ulsaker warf einen spähenden Blick über die Tische ringsum: »Sehen Sie, wie man zu uns herüberblickt? Man hat Sie erkannt.«

Er erhob sich.

»Wollen Sie nicht bleiben?«

»Ich bin in Gesellschaft. Dort drüben an dem Tisch neben der Säule – sitze ich mit ... nun, Sie sehen ja selbst.«

Griggs sah hinüber. Dort drüben saß Oevelund mit Yrsa Aspinall. Der Freund grüßte mit der Hand herüber mit einer Lässigkeit, die wohl nichts anderes war als freundschaftliche Formlosigkeit. Yrsa lächelte liebenswürdig.

Der Geschäftsführer kam. »Ein paar Damen bitten um Ihr Autogramm, Herr Doktor.«

Griggs zog den Füllfederhalter und schrieb mit jener übertriebenen Korrektheit, die solche Situation einzugeben pflegt, zweimal seinen Namen nieder.

»Das ist das sicherste Zeichen der Berühmtheit!« sagte Astrid lachend, während der Geschäftsführer, froh der Beute, davonging.

Musik setzte ein: asiatische Melodien klangen auf und hüllten den Saal in eine Atmosphäre von weicher Träumerei.

»Gandrup!« flüsterte Astrid.

Der Kammerherr, im Frack, die obligate Orchidee im Knopfloch, ging suchend durch die Reihen. Oevelund erhob sich halb; der Kammerherr steuerte auf den Tisch der drei zu.

»Was hat eigentlich Oevelund?« fragte Astrid.

»Nichts. Du sahst, wie freundlich er herübergrüßte.«

»Er bittet deinen Feind an seinen Tisch.«

Griggs zuckte die Achseln. »Yrsa.«

Irgendwo im Saale entstand eine Bewegung. Der Geschäftsführer unterhielt sich mit einigen Gästen; es schien, als blicke man verstohlen herüber. Dann löste sich die Gruppe. Der Manager kam quer durch den Saal an den Tisch der beiden.

»Eben läuft ein Telegramm ein« – seine Stimme überschlug sich vor Aufregung –, »das neue Empörungen meldet. Die Strafkolonie auf den Andamanen ist in hellem Aufruhr; die Viperinsel steht in Flammen – Port Blair ist ein Trümmerhaufen. Die Sträflinge haben das offene Meer erreicht. Es müssen geheime Beziehungen bestanden haben, denn ein Schiff hat sie aufgenommen. Es scheint sicher, daß der Dampfer den Kurs auf die Strafkolonien der Südsee genommen hat.«

Griggs hörte schweigend zu.

»Das bedeutet«, sagte der Geschäftsführer, »nicht mehr und nicht weniger, als daß Ihre Voraussagen sich zu erfüllen beginnen, Herr Doktor Griggs; diese Überzeugung greift mehr und mehr um sich. Und nun sagen Sie, verehrter Herr Doktor, wie wird das werden?«

»Das kann ich Ihnen im Augenblick nicht sagen«, erwiderte Griggs. »Ich werde bei nächster Gelegenheit mit dem Saturn darüber reden; Sie bekommen dann Bescheid.«

»Aber was wird aus uns allen, wenn die Verbrecher die Oberhand bekommen?«

»Sie unterschätzen meine Beziehungen«, sagte Griggs würdevoll. »Ich werde mit den Leuten reden, damit das Hotel d'Angleterre unter dieser allgemeinen Umwälzung nicht zu leiden hat.«

»Es ist uns eine große Ehre, Herr Doktor, daß Sie bei uns verkehren. Und eine große Beruhigung, versteht sich.«

»Auf alle Fälle bitte ich um die Rechnung.«

*

Die Dinge, die jetzt folgten, die sich zeitlich überstürzten, sind in ihren Einzelheiten kaum zu schildern. Schon aus dem Grunde nicht, weil sich, wie bei einem Großfeuer, das Aufflammen der einzelnen Brandherde nicht unterscheiden ließ. Es war so, wie Direktor Willumsen gesagt hatte: ein Zyklon des Aufruhrs ging über die Erde. Schlag auf Schlag folgten sich die Meldungen von neuen Empörungen. Kriegsschiffe wurden ausgerüstet, Expeditionen entsandt. Aber bei den ungeheuren Entfernungen der Deportationsorte mußte eine lange Karenzzeit vergehen, bis sich die Erfolge zeigen konnten. Das Feuer aber fraß weiter in dieser Zwischenzeit – und setzte den halben Erdball in Flammen.

Ein furchtbares Erschrecken ging durch die Menschheit von einer so elementar lähmenden Gewalt, daß sich kaum jemand ihm entziehen konnte. Es war, als ob die Erde zu wanken beginne; eine neue Epoche schien sich über Nacht aufzutun, bereit, das Bisherige unter Trümmern zu begraben. Alle Grundfesten der Ordnung wankten, alles, woran der Mensch geglaubt, was er für unverrückbar gehalten hatte, ging in Flammen auf. Tag für Tag liefen neue Meldungen ein; und es machte ihre besondere Eigenart aus, daß man die Unglücksbotschaften hinnehmen mußte, ohne etwas Ernstliches dagegen tun zu können.

An einem Sonntagvormittag wurde der Ausbruch der Insassen des Zuchthauses zu Cadix gemeldet, der größten spanischen Strafanstalt. Die Nachricht wurde dementiert; bestimmt aber war irgendein authentischer Kern vorhanden.

So nahe marschierte die kriminalistische Gefahr vor den Toren Europas.

Der Name Norman Griggs stand plötzlich als Head Line über den großen Zeitungen der ganzen Welt. Camille Flammarion war auf ihn aufmerksam geworden – damit war wenigstens für einen großen Teil der nicht unmittelbar zünftig orientierten Gelehrtenwelt die Bedeutung Griggs' fundamentiert. Man betrachtete ihn allen Ernstes als den Mann mit der unerklärlichen Begabung interplanetaren Begreifens. Als das begnadete Medium zwischen der Planetenwelt und der Erde.

»Sieh hier!« Er zeigte einen Brief von exotischem Aussehen.

»Was ist das?«

»Eine Berufung an die Universität Tokio.«

»Wirst du annehmen?«

»Ich kann nicht, so gern ich möchte. Ein paar schwere Fälle in meiner Klinik, die mir nicht ganz aussichtslos erscheinen.«

»Haben die Japaner Strafkolonien?«

»Nein. Aber die chinesische Deportationskolonie Ta Tsing Lü Li ist vor drei Tagen gestürmt und dem Erdboden gleichgemacht.«

In einer stürmischen Juninacht geschah der Ausbruch der Verbrecher aus der Strafanstalt San Franzisko. Doch das war an sich gleichgültig gegen die ungeheuerliche Meldung, die sich daran knüpfte: Militär und Polizei hatten sich geweigert, auf die Flüchtigen zu schießen!

Die Erde hielt den Atem an. Um den Kontinent legte sich furchtbare Beklemmung wie ein erstickender Gürtel. Es schien, als ob drüben im Südwesten ein einziges ungeheures Gewitter am Himmel emporsteige.

Trotzdem gab es Verneiner – die ewigen Verneiner, die es immer gibt. Aber sie kamen nicht auf; ihre Witzeleien versagten vor den Tatsachen, die sich vor aller Augen vollzogen. Mit Redensarten, mit Ausflüchten war nichts mehr getan. Das war nicht mehr Menschenwerk – das war die kosmische Welle, der mit irdischer Macht nicht beizukommen war.

In jenen Tagen kam zum zweitenmal die Aufforderung des Saturns:

» Übernimm die Führung

Griggs war in einem Widerstreit der Stimmungen, den er sich selbst vergeblich zu erklären suchte. Er hatte einen Gipfel des Ansehens, des Ruhmes erreicht, der jenseits aller menschlichen Hoffnungsträume ragte. Die ihn geschmäht hatten, waren seine Bewunderer geworden – die ihn verfolgt hatten, lagen ihm zu Füßen. Die schönste Frau hing ihm in Liebe an; sie hatte ihren Namen, ihren Ruf, ihre gesellschaftliche Geltung für ihn dahingegeben, freudigen Herzens hatte sie es getan. Dennoch war eine Unruhe in ihm, die von Tag zu Tag wuchs. Er konnte sie sich verstandesmäßig nicht erklären mit allen Argumenten des strebenden Mannes, des erfolgreichen Führers. Nur in stillen Nächten sprach es zu ihm; hallend ging es durch seine Träume. Er wehrte sich dagegen, er war froh des lauten Tagestrubels, der alles übertönte. Aber die Schatten sanken, die schimmernde Stadt fiel in Schlaf, und unerbittlich begann es in ihm von neuem zu klingen.

Der Ruf aus dem Aether ...

Um der lockenden Stimme zu entgehen, irrte er durch die nächtliche Stadt.

So traf er Yrsa. Seine Frau.

Sie kam aus einer Gesellschaft. Er staunte und schüttelte den Kopf.

»Ich will dir die Wahrheit gestehen«, lächelte sie. »Ich sah dich vorübergehen, als ich im Auto durch die Bredgade fuhr. Da habe ich meinem Kavalier aufgetragen, allein weiterzufahren: ich wünschte auszusteigen.«

»Und was sagte der?« erkundigte sich Griggs erstaunt.

»Nichts. Er war sprachlos.«

Sie hing sich in seinen Arm. »Willst du mich nach Hause begleiten? Zu Fuß?«

»Ja«, sagte er.

Sie schmiegte sich an ihn. »Es ist so einsam des Nachts.«

Er spürte die Wärme ihres Körpers. »Du hast noch das gleiche Parfüm.«

»Sakuntala«, nickte sie. »Liebst du es noch?«

Er antwortete nicht. Sie streifte ihn mit einem lächelnden Seitenblick. »Willst du eine Tasse Mokka bei mir trinken?«

»Ich ... bei dir?«

»Schließlich bin ich doch deine Frau.«

Er wollte seine Hand von ihrem Arm nehmen.

»Fürchtest du dich etwa?« lächelte sie.

»Und Oevelund?«

»Glaubst du, daß Oevelund im Ernst etwas dagegen einzuwenden hat, wenn ich mit meinem Mann eine Tasse Kaffee trinke? Mir scheint, du hast tatsächlich Angst. Wenn du nicht willst – niemand zwingt dich. Gute Nacht, Norman. Leb wohl.«

Da ging er mit ihr. – – –

Es war heller Morgen, als Griggs zurückkehrte. Strahlende Sonne lag über den Straßen; aber es war jener stechende Glanz, der der Vorbote trüben Wetters ist. Die Fassaden der Häuser blitzten in der harten Frische des Morgens; erbarmungslos lag drückendes Tagwerk vor ihm.

Mit jedem Schritt fühlte er die Ermattung wachsen.

Zögernd, wie vor einer schweren Wendung, ging er ins Wohnzimmer.

Auf dem Tisch lag ein Brief; er kannte die Handschrift nur zu genau.

 

»Ich weiß, wo Du warst. Du gehörst zu der Frau, die Du liebst. Leb wohl.

Astrid.«

 

Er ging hinüber ins Arbeitszimmer, wo die Post lag. Der erste Brief, den er öffnete, war eine Vorladung des Kommissariats zur sofortigen Vernehmung.

*

Es war der gleiche Kommissar, der heute, sachlicher als an jenem Morgen, gewissenhaft in den Akten blätterte und nur flüchtig aufsah, als Griggs eintrat. Es dauerte lange, bis der Beamte die Anwesenheit des Vorgeladenen recht zu erkennen schien. Er warf einen prüfenden Blick auf den Besucher und rückte seinen Stuhl mit behaglicher Bereitwilligkeit zurecht.

»Herr Doktor Griggs, wir sind heute in der erfreulichen Lage, die Voruntersuchung abzuschließen.« Er lehnte sich mit einem Ruck gegen die Lehne des spartanisch einfachen Stuhls zurück. »Nicht wahr, verehrter Herr Doktor, wir wollen uns alle Winkelzüge schenken. Meinen Sie nicht auch?«

»Gewiß.«

»Sehr schön. Um Sie nicht trotzdem in Versuchung zu bringen, in Gedächtnisfehler zu verfallen« – der Kommissar lächelte –, »will ich Ihnen gleich die Aussage der Krankenschwester Helga Wingaard mitteilen. Oder warten Sie mal: Sie können sie im Original hören. Sie hat zu Protokoll gegeben:

 

»Ich habe gehört, daß der Patient Lumbye mit Herrn Doktor Griggs folgendes Abkommen getroffen hat: ›Ich verpflichte mich, Sie zum Universalerben einzusetzen, wenn Sie mir die Dosis Morphium geben, die ich brauche, um nicht wieder aufzuwachen.‹

Helga Wingaard.«

 

»Diese Aussage ist von Anfang bis zu Ende erlogen«, sagte Griggs aufspringend.

»Ich habe nicht den Eindruck, Herr Doktor Griggs.«

»Sie glauben dieser Person mehr als mir?«

»Hm.« Der Beamte wetzte die störrische Feder am Rande des Tintenfasses, um sie endlich befriedigt einzutauchen. »Sie sind Partei; die Zeugin ist uninteressiert.«

»Auch das ist nicht wahr. Ich habe sie wegen Unregelmäßigkeiten entlassen – und dies ist ihre Rache.«

»Abermals eine Divergenz der Behauptungen. Die Schwester sagt, sie sei gegangen, weil das Verbrechen, das Sie an Lumbye verübt haben, sie völlig erschüttert habe; sie habe den Glauben an Sie verloren und habe nicht vermocht, länger in Ihren Diensten zu bleiben. Um es Ihnen gleich zu sagen, Herr Doktor: die innere Wahrscheinlichkeit ist auf seiten der Schwester.«

»Sie wollen also einen Unschuldigen auf Grund der Aussage einer schamlosen Lügnerin verurteilen?«

Der Beamte erhob sich. »Darüber wird die Staatsanwaltschaft entscheiden.« – – –

Der Küstenwind hatte die grauen Wolken von Fünen her herübergetrieben. Sie lagen über der Stadt wie finstere Wächter: regungslos, böse Vorzeichen drohender Wetter. Die ganze Stadt war mit einem Schlage in das Grau gehüllt, das sie vom Himmel empfing; die Gesichter der Menschen, ihre Gestalten und ihre Bewegungen, alles schien sich in dem zähen Grau aufzulösen.

Als Griggs die Tür öffnete, blickte er in Oevelunds vertrautes Gesicht.

»Sie sind mir doch nicht böse, Griggs, daß ich mir eine von Ihren Zigarren genommen habe?«

»Nein, lieber Freund. Und wenn Sie alle meine Zigarren aufrauchen, so werden Sie mir dennoch stets willkommen sein.«

»Hören Sie, Griggs« – Oevelunds scherzende Stimme wurde leiser –, »ich will mit Ihnen ein paar Worte als Freund reden. Denn ich betrachte Sie als meinen Freund – ich möchte fast sagen, als meinen Bruder. Und da soll es doch keine Verstimmungen geben und keine Mißverständnisse, nicht wahr? Lassen Sie mich also offen bekennen: ich habe so etwas wie Groll gegen Sie empfunden. Denn Sie haben mir die Frau geraubt, auf die ich mir Hoffnungen gemacht hatte.« Griggs wollte ihn unterbrechen. »Lassen Sie mich noch ein paar Worte sagen. Dann, in stillen Nächten, bin ich mit mir selbst ins reine gekommen.«

Er stand auf und bot dem Freunde die Hand. »Es ist nicht mehr als billig, Griggs, daß eine Frau, die zwischen Ihnen und mir zu wählen hat, Ihnen den Vorzug geben wird. Das ist keine Größe von mir, lieber Griggs – keine ethische Tat, sondern es ist ein einfaches Sich-hinein-Finden in die Gesetze des Lebens. Jedem andern hätte ich sie mißgönnt – Sie sind würdig, sie statt meiner zu besitzen.«

Griggs reichte Oevelund still die Hand.

»Eins möchte ich Sie noch fragen, Griggs. Ich trete kampflos zurück und ohne Widerspruch; aber Sie müssen mir diese eine Versicherung geben: daß Sie Yrsa lieben.«

Ein halb schmerzliches, halb glückliches Lächeln grub sich in Griggs' Züge. »Ja, Oevelund: ich liebe sie. Sie, nur sie allein liebe ich.«

Oevelund nickte. »Darf ich einmal eine Indiskretion begehen? Darf ich die Frage aussprechen: und Astrid Laurgaard ...?«

Rot schoß es in Griggs Gesicht. »Astrid?« sagte er leise. »Ja – wenn die Liebe nach Verdienst und nach Gerechtigkeit ginge, dann müßte ich Astrid Laurgaard mehr lieben als alles auf der Welt. Sie hat freudigen Herzens für mich getan, was eine Frau nur tun kann. Ich verstehe mich selbst nicht, daß ich hier so ruhig von ihr sprechen kann, daß ich nicht zu ihr eile, sie in mein Haus zu holen. Aber Sie wissen, lieber Freund – das Herz läßt sich nicht kommandieren. Es fragt nicht nach Gründen, es kennt keine Erwägungen wie Vorteile und Nachteile. Astrid muß verzichten. Denn Yrsa ist gekommen. Yrsa Aspinall – nein, Oevelund, nicht Irsa Aspinall: Yrsa, meine Frau!«

*

Griggs trat zögernden Schrittes in das Hotel. Die schläfrige Arbeitsunlust des müden Tages lag über der Halle. Der Liftboy schaute verdrossen an ihm vorbei, als er die Fahrstuhltür öffnete.

Griggs ging durch endlose Korridore, über endlose Läufer, alle von der gleichen dunkelroten Farbe, die im unbarmherzig nüchternen Licht des Tages verschossen und trostlos zwischen kahlen Wänden lagen. Diese Hotelgänge, berechnet für das künstliche Licht des Abends, erschienen ihm wie Gefängnismauern, von denen sich hundert Zellen abzweigen, rechts und links – schweigende Türen, hinter denen Schicksale wurden und vergingen. Und über allem lag dieses entsetzliche Grau, dem sich nichts entziehen konnte. Die Mauern schienen die abgestandenen Parfüme auszuatmen, die sie in lichterfüllten Nächten einsogen; ihr Atem war schwer und unerträglich, wie der Hauch des Todes. Aus diesem getünchten Kalk starrten alle Laster der Welt.

Yrsa selbst öffnete. Sie trat einen Schritt zurück und sah ihn erstaunt an – ohne eine Bewegung zu machen, die ihn zum Eintreten aufforderte.

»Bist du ihr begegnet?«

»Wem?« fragte er verwundert.

»Der Krankenschwester Helga Wingaard?«

»Nein.«

»Sie war eben hier. Eine Stunde lang. Sie hat mir alles erzählt, Norman. Du hast Lumbye getötet, um sein Vermögen zu bekommen.«

Fassungslos starrte er sie an. »Und du, die mich kennt, du glaubst das von mir?«

»Ja. Du hast es nicht getan, um mit dem Gelde zu schlemmen, das weiß ich wohl. Du hast an deine verrückten Spielereien gedacht, denen du alles opferst: mich, deinen Beruf, das Leben deiner Kranken – dich selbst.«

»Yrsa!«

Sie schüttelte den Kopf. »Geh!«


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