Joseph Roth
Die Kapuzinergruft
Joseph Roth

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XX

Wir hatten in den nächsten Tagen, die vor uns lagen, breit und gefahrenschwanger, düster und erhaben und rätselhaft und fremd, keine Schlachten zu erwarten, aller Voraussicht nach, sondern lediglich Rückzüge. Von der Ortschaft Strumilce kamen wir, kaum zwei Tage später, in das Dorf Jeziory und wieder drei Tage hierauf in das Städtchen Pogrody. Die russische Armee verfolgte uns. Wir zogen uns bis Krasne-Busk zurück. Wahrscheinlich infolge eines nicht rechtzeitig eingetroffenen Befehls blieben wir länger dort, als es in der Absicht der Zweiten Armee gelegen war. Also überfielen uns eines frühen Morgens die Russen. Und wir hatten keine Zeit mehr, uns zu verschanzen. Dies war die historische Schlacht von Krasne-Busk, bei der ein Drittel unseres Regiments vernichtet wurde und ein zweites in Gefangenschaft geriet.

Auch wir wurden Gefangene, Joseph Branco, Manes Reisiger und ich. So ruhmlos endete unsere erste Schlacht.

Ich hätte hier ein kräftiges Bedürfnis, von den besonderen Gefühlen zu berichten, die einen Kriegsgefangenen bewegen. Aber ich weiß wohl, welch einer großen Gleichgültigkeit solch ein Bericht heutzutage begegnet. Gerne nehme ich das Schicksal, ein Verschollener zu sein, auf mich, aber nicht jenes, der Erzähler der Verschollenen zu werden. Man könnte mich kaum noch verstehen, wenn ich es etwa unternähme, heutzutage von der Freiheit zu sprechen, von der Ehre, geschweige denn von der Gefangenschaft. In diesen Jahren schweigt man besser. Ich schreibe lediglich zu dem Zweck, mir selbst klarzuwerden; und auch pro nomine Dei sozusagen. Er verzeihe mir die Sünde!

Gut, wir waren also Kriegsgefangene, unser ganzer Zug. Mit mir blieben Joseph Branco und Manes Reisiger. Wir waren gemeinsam gefangen. »Für uns ist der Krieg zu Ende«, sagte Manes Reisiger. »Ich war noch niemals gefangen«, setzte er manchmal hinzu, »ebenso wie ihr beide. Aber ich weiß, daß uns das Leben erwartet und nicht der Tod. Ihr beide werdet euch daran erinnern, wenn wir zurückkommen. Wenn ich nur wüßte, was mein Ephraim macht. Der Krieg wird lange dauern. Auch mein Sohn wird noch einrücken. Merkt euch das! Manes Reisiger aus Zlotogrod, ein gewöhnlicher Fiaker, hat es euch gesagt!« – Hierauf schnalzte er mit der Zunge. Es knallte wie eine Peitsche. Die nächsten Wochen blieb er still und stumm.

Am Abend des zweiten Oktobers sollten wir getrennt werden. Man hatte die Absicht, wie es damals Sitte war und selbstverständlich, die gefangenen Offiziere von der Mannschaft zu trennen. Wir sollten im Innern des russischen Landes bleiben, die Personen des Mannschaftsstandes aber weithin verschickt werden. Man sprach von Sibirien. Ich meldete mich nach Sibirien. Bis heute noch weiß ich es nicht, ich will es nicht wissen, auf welche Weise es Manes Reisiger damals gelungen war, auch mich nach Sibirien mitzuschleppen. Noch niemals war, so scheint es mir, ein Mann so froh gewesen wie ich, daß es ihm gelang, durch List und Bestechung Nachteile zu erringen. Aber Manes Reisiger hatte sie eigentlich errungen. Seit der ersten Stunde unserer Kriegsgefangenschaft hatte er den Befehl über uns alle, über unseren Zug, übernommen. Was lernt man nicht alles, Gottes Gnade vorausgesetzt, von Pferden, wenn man ein Fiaker ist! und gar ein jüdischer aus Zlotogrod ...

Von den Umwegen und von den geraden Wegen, auf denen wir nach Sibirien kamen, erzähle ich nicht. Wege und Umwege verstehen sich von selbst. Nach sechs Monaten waren wir in Wiatka.


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