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Man fragt, wie die einzelnen, die doch kein Recht besitzen, über ihr eigenes Leben zu verfügen, dieses nämliche Recht, das ihnen nicht zusteht, auf das Staatsoberhaupt übertragen können? Die Lösung dieser Frage scheint nur deshalb schwierig, weil sie schlecht gestellt ist. Jeder Mensch ist berechtigt, sein eigenes Leben zu wagen, um es zu erhalten. Hat man je einen Menschen, der sich zum Fenster hinausstürzt, um sich aus einer Feuersbrunst zu retten, eines Selbstmordes schuldig erklärt? Hat man dieses Verbrechen je einem Menschen zur Last gelegt, der im Sturme umkam, obgleich er beim Einschiffen mit der Gefahr eines solchen bekannt war? Der Gesellschaftsvertrag bezweckt die Erhaltung der Gesellschafter. Wer den Zweck will, ist auch mit den Mitteln einverstanden, und diese Mittel lassen sich von einigen Gefahren, ja sogar von einigen Verlusten gar nicht trennen. Wer sein Leben auf Kosten anderer erhalten will, muß es, sobald es nötig ist, auch für sie hingeben. Der Staatsbürger ist deshalb auch nicht länger Richter über die Gefahr, der er sich auf Verlangen des Gesetzes aussetzen soll; und wenn der Fürst ihm gesagt hat: »Dein Tod ist für den Staat erforderlich«, so muß er sterben, da er nur auf diese Bedingung bisher in Sicherheit gelebt hat, und sein Leben nicht mehr ausschließlich eine Wohltat der Natur, sondern ein ihm bedingungsweise bewilligtes Geschenk des Staates ist.
Die über die Verbrecher verhängte Todesstrafe kann so ziemlich aus demselben Gesichtspunkte angesehen werden. Um nicht das Schlachtopfer eines Mörders zu werden, gibt man seine Einwilligung dazu, selbst zu sterben, wenn man ein solcher werden sollte. Anstatt bei diesem Vertrage über sein Leben zu verfügen, geht man nur darauf aus, es zu schützen; jedenfalls läßt es sich nicht annehmen, daß irgendeiner der Vertragabschließenden im voraus daran gedacht habe, sich hängen zu lassen.
Überdies wird jeder Übeltäter dadurch, daß er das Gesellschaftsrecht verletzt, infolge seiner Verbrechen zum Aufrührer und Verräter an seinem Vaterlande; durch Übertretung der Gesetze desselben hört er auf, als sein Glied zu gelten, und führt sogar offen Krieg gegen dasselbe. In diesem Falle ist die Erhaltung des Staates mit der seinigen unvereinbar; einer von beiden muß zugrunde gehen, und wenn man den Schuldigen den Tod erleiden läßt, so stirbt er nicht sowohl als Bürger, sondern als Feind. Die Prozeßakten und das Urteil sind die Beweise und die Darlegung, daß er den Gesellschaftsvertrag gebrochen hat und folglich kein Mitglied des Staates mehr ist. Da er sich nun als solches, und wenn auch nur durch seinen Aufenthalt daselbst, anerkannt hat, so muß er als vertragsbrüchig durch Verbannung oder als öffentlicher Feind durch den Tod ausgestoßen werden; denn ein solcher Feind ist keine moralische Person, er ist nichts als ein Mensch, und unter diesen Umständen ist Tötung des Besiegten Kriegsrecht.
Die Verurteilung eines Verbrechers aber, wird man einwenden, ist eine Privatsache. Geben wir dies zu. Diese Verurteilung steht nicht dem Staatsoberhaupte zu; es ist ein Recht, das er verleihen kann, während er es persönlich nicht ausüben darf. Alle meine Gedanken stehen in geordnetem Zusammenhange, wenn ich auch unfähig bin, sie alle auf einmal auseinanderzusetzen.
Die häufige Wiederkehr von Todesstrafen ist stets ein Zeichen der Schwäche oder Schlaffheit der Regierung. Es gibt keinen Bösewicht, den man nicht zu irgend etwas tauglich machen könnte. Man besitzt nicht das Recht, jemanden zu töten, nicht einmal des abschreckenden Beispiels wegen, es müßte denn sein Fortbestand gefährlich sein.
Das Recht der Begnadigung oder der Freisprechung des Schuldigen von der durch das Gesetz bestimmten und vom Richter ausgesprochenen Strafe gebührt nur dem, der über Richter und Gesetz steht, das heißt dem Staatsoberhaupte; sogar dessen Recht ist nicht völlig unanfechtbar, und nur in sehr seltenen Fällen wird er davon Gebrauch machen. In einem gut regierten Staate kommen wenige Bestrafungen vor, nicht weil das Begnadigungsrecht häufig angewandt wird, sondern weil sich wenige Verbrecher finden. Die Menge der Verbrechen sichert beim Verfalle des Staates ihre Straflosigkeit. In der römischen Republik fühlten sich weder die Konsuln noch der Senat je zu einer Begnadigung versucht; selbst das Volk begnadigte nicht, wenn es auch bisweilen sein eigenes Urteil zurücknahm. Häufige Begnadigungen geben zu erkennen, daß man für Freveltaten ihrer bald nicht mehr bedürfen wird, und jeder sieht ein, wohin das führt. Allein ich spüre, daß mein Herz sich empört und meine Feder zurückhält; wir wollen die Besprechung dieser Fragen dem Gerechten überlassen, der nie strauchelte und nie selbst der Gnade bedurfte.