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Wenn man ganz im allgemeinen fragt, welche Regierung die beste sei, so wirft man eine ebenso unlösbare wie unbestimmte Frage auf, oder auch, wenn man will, eine Frage, die ebenso viele richtige Lösungen hat, als es nur irgendwelche denkbare Berechnungen in den absoluten wie relativen Lagen der Völker gibt.
Fragt man dagegen, woran es sich erkennen lasse, ob ein bestimmtes Volk gut oder schlecht regiert werde, so ist dies etwas anderes, und eine so gestellte Frage kann richtig beantwortet werden.
Trotzdem ist ihre Lösung noch nicht gefunden, weil sie jeder auf seine Weise lösen will. Die Untertanen schätzen die öffentliche Ruhe, die Staatsbürger die persönliche Freiheit; der eine stellt die Sicherheit des Eigentums höher, der andere die der Person; dem einen gilt die strengste Regierung als die beste, dem andern die mildeste; dieser verlangt die Bestrafung, der andere die Verhütung der Verbrechen; der eine findet es schön, von den Nachbarn gefürchtet zu werden, der andere wünscht, ihnen lieber unbemerkt zu bleiben; der eine ist zufrieden, wenn Geld im Umlaufe ist, der andere verlangt, daß das Volk Brot habe. Selbst wenn man über diese und andere ähnliche Punkte derselben Ansicht wäre, hätte man damit viel gewonnen? Die moralischen Größen haben kein eigenes Maß; wäre man sich auch über ihre Kennzeichen einig, wie sollte man es über ihren Wert sein?
Mich persönlich setzt es immer in Verwunderung, daß man ein so einfaches Kennzeichen absichtlich oder unabsichtlich verleugnet. Was ist denn der Zweck der politischen Vereinigung? Doch nichts anderes als die Erhaltung und Wohlfahrt ihrer Glieder. Und welches ist das sicherste Kennzeichen, daß sie sich erhalten und gedeihen? Die Zunahme der Bevölkerung. Man suche doch also dieses vielumstrittene Kennzeichen nicht anderswo. Bei Gleichheit aller übrigen Verhältnisse ist unstreitig die Regierung die beste, unter der sich ohne fremde Hilfsmittel, ohne Naturalisationen, ohne Kolonien die Zahl der Bürger fort und fort vermehrt. Die Regierung dagegen, unter der ein Volk abnimmt und dahinschwindet, ist die schlechteste. Statistiker, das ist eure Sache! Zählt, meßt und vergleicht!
Nach demselben Grundsatze sollte man sich auch darüber einigen, welche Jahrhunderte sich um die Wohlfahrt des menschlichen Geschlechtes am meisten verdient gemacht haben. Man hat viel zu sehr solche bewundert, in denen man Künste und Wissenschaften blühen sah, ohne sich über den geheimen Ausgang ihrer Kultur klar zu werden und die unseligen Wirkungen derselben zu erkennen. »Idque apud imperitos humanitas vocabatur, quum pars servitutis esset.« (Tac. Agric. XXI. Und das hieß bei harmlosen Gemütern Humanität, während es in der Tat ein Stück Knechtschaft war.) Werden wir denn in der Buchweisheit nie den groben Eigennutz erkennen, der die Schriftsteller erfüllt hat? Nein, was sie auch sagen mögen: sobald trotz allem Glanze die Volkszahl in einem Lande geringer wird, so ist es nicht wahr, daß alles gut geht, und es genügt nicht, daß ein Dichter jährlich hunderttausend Mark bezieht, um sein Jahrhundert als das herrlichste hinzustellen. Man muß nicht die scheinbare Ruhe und Zufriedenheit der Machthaber ins Auge fassen, sondern das Wohlergehen des ganzen Volkes und namentlich der zahlreichsten Stände. Der Hagel verheert wohl einige Landstriche, ruft aber selten Hungersnot hervor. Empörungen und Bürgerkriege können die Oberhäupter freilich in Schrecken setzen, bilden aber nicht das wahre Elend der Völker, die bei dem Streit darüber, wer sie tyrannisieren soll, sogar Erholung finden können. Aus ihrem dauernden Zustande geht ihr wahres Wohlergehen oder ihre wirkliche Not hervor. Wenn alles unter dem Joche zermalmt wird, dann geht alles zugrunde, dann vernichten die Machthaber, wen sie wollen, »ubi solitudinem faciunt, pacem appellant.« (Tac. Agric. XXXI.) Als die Verfeindungen der Großen Frankreich beunruhigten und der Koadjutor von Paris mit einem Dolche in der Tasche in das Parlament ging, lebte das Volk trotzdem in anständiger und unabhängiger Wohlhabenheit glücklich und zahlreich, Griechenland blühte einst unter den grausamsten Kriegen; das Blut floß in Strömen, und doch war das Land fast übervölkert. »Unsere Republik«, sagt Macchiavelli, »schien mitten unter Mordtaten, Achtserklärungen und Bürgerkriegen immer mächtiger zu werden; die Tugend ihrer Bürger, ihre Sitten, ihre Unabhängigkeit bewirken eher ihre Kräftigung, als alle Zwistigkeiten ihre Schwächung. Eine geringe Erregung gibt den Gemütern Spannkraft, und was zum Wohlergehen der Menschheit in Wahrheit beiträgt, ist nicht sowohl der Frieden, als die Freiheit.